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Asar Eppel zeichnet mit kunstvollen Worten eine vergangene Welt - die des russischen Judentums - und läßt sie vor den Augen des Lesers wiederauferstehen.

Produktbeschreibung
Asar Eppel zeichnet mit kunstvollen Worten eine vergangene Welt - die des russischen Judentums - und läßt sie vor den Augen des Lesers wiederauferstehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.1999

Im Universum der Fliegenfalle
"Die Straße aus Gras" - Erzählungen von Asar Eppel

Die poetische Inkubationszeit war außergewöhnlich lang. Der heute 64 Jahre alte Russe Asar Eppel, der während der Kriegs- und Nachkriegszeit in einer elenden Siedlung am Moskauer Stadtrand aufwuchs, begann erst jenseits der Vierzig mit dem Schreiben. Doch es erwies sich, daß Eppels biographisches Gepäck, jenes mühsame Sichdurchwursteln am untersten Rand menschlicher Existenz, ihm Material bot, um einen ganzen Kosmos seelischer Abgründe, stummer Tragödien und unwahrscheinlicher Glücksinseln zu ersinnen. Das unter dem Titel "Die Straße aus Gras" nun auch in deutscher Übersetzung vorliegende Buch vereinigt voneinander unabhängige Geschichten, die nur den Schauplatz an jenem überwachsenen Verkehrsweg gemeinsam haben, einem Sinnbild für eine an Auszehrung sterbende Zivilisation. Die kleinen Dramen betreiben eine literarische Spurensicherung für zahllose verlorene Lebensläufe, womit sie zugleich ein untergegangenes Milieu beschwören und ein Bild von der Hinfälligkeit des Menschen zeichnen.

Der bezwingende Zauber von Eppels Prosa, der sein spätes Debut zu einem Ereignis werden ließ, liegt in der sinnlichen Delikatesse, mit welcher er die erbärmliche Alltagswelt seiner Helden lebendig werden läßt. Der Übersetzer Thomas Wiedling, der sich hier als ein sensibler Stilist erweist, versteht den sprachlichen Reichtum des Originals im Deutschen zu reproduzieren. Man weiß nicht, ob es die kindlich unmittelbare Wahrnehmung ist oder das Eingeschlossensein im Armutskosmos, das die müllähnlichen Gebrauchsgegenstände zu kostbaren Stilleben und die Gerüche von ungewaschenen Lumpen und fauligen Speiseresten zu erinnerungsgeschwängerten Aromen werden läßt. Die Detailbeschreibung des höllischen Gemeinschaftsaborts macht die Seligkeit um so strahlender, die ein Liebespaar für ein paar Stunden auf dem höckerigen Eiland einer fremden Bettstatt findet. Die liebevolle technische Erklärung einer alten Fliegenfalle ruft Todeswünsche im Hochsommer wach.

Die Schilderung des Elends aus der Innenperspektive, ohne Verzweiflung, wirkt ebenso erbarmungslos wie schicksalhaft monumentalisierend. Der vor Hunger und Kälte halbtote Mann des letzten Stückes ist allem Menschlichen schon so fern, daß er im Schmerz wie ein Hund bellt. Eppel erzählt gleichsam ohne Anfang und Ende, der Sprachfluß folgt den Impulsen der Assoziation, tastet eine Situation ab wie ein Suchscheinwerfer. Scheinbar absichtslos, durch mehrfaches Umkreisen, setzt er seine Porträts zusammen. Die Geschichte von einem hungernden alten Mann, der erblindet, weil er sich nur von Fruchtpulver und Zucker ernährt, beginnt mit einer Schilderung der Senfgläser, die als einzige Ware im Lebensmittelkiosk Kindern als Wurfgeschosse dienen. In der beiläufigen Szene ist das gesamte Bild der Zerstörung schon enthalten, das im weiteren entfaltet wird. Plötzlich erfährt man von den deutschen Bombenflugzeugen, von denen einige abgeschossen auf dem nahen Schrottplatz enden, von wo Kinder dem Alten Metallstücke mitbringen - gegen seinen Eisenmangel.

Die Menschen in dieser Welt sind arm an Körper und Geist. Das macht sie erbarmungswürdig, und es verleiht ihren vielen kleinen Grausamkeiten etwas verzweifelt Reptilienhaftes. Doch die Mitleidstränen bleiben dem Leser im Halse stecken. Die Gemeinheit siegt. Denunziationsbriefe sind Volkssport, ob sie dem autodidaktischen Erfinder gelten oder dem Nachbarn, der seine Kuh geschlachtet hat. Der Tor Semjon, der sich am eigenen Geigenspiel berauscht, wird von seiner lieblosen Frau und ihrer Familie verachtet und tyrannisiert. Der grobe Leutnant mit dem goldenen Herzen ermordet seine Geliebte, weil sie sich über Nachrichten von ihren fernen Kindern freut. Eppels ziselierte Prosastücke behaupten die Majestät der Sprachkunst, doch ihre Botschaft ist wenig trostreich. Hoffnung, daß das von ihm dargestellte Volk in der Lage wäre, sich von innen heraus zu regenerieren, wird man in ihnen vergeblich suchen. Vielleicht hat er deshalb für seine um 1980 entstandenen Texte auch in Rußland erst vor wenigen Jahren einen Verlag finden können. KERSTIN HOLM

Asar Eppel: "Die Straße aus Gras". Erzählungen. Aus dem Russischen von Thomas Wiedling. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 592 S., 58,- DM.

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