Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2010Im Ertragen liegt Erlösung
Die Tat des Maximilian Kolbe lässt den Autor und Filmregisseur Walter Heinrich seit Jahren nicht los. Sein Roman handelt von der Frage, warum der polnische Franziskanermönch in Auschwitz für einen anderen Häftling in den Tod ging.
Diese Episode ist weitgehend bekannt: Sommer 1941, einem Häftling in Auschwitz ist über Nacht die Flucht gelungen, daraufhin werden zehn andere zum Tod im Hungerbunker verurteilt. Da tritt ein Mann vor und bittet den Lagerkommandanten, ihn gegen einen der Todgeweihten auszutauschen. Seinem Wunsch wird entsprochen, und er stirbt nach zehn Tagen des Leidens an einer Phenolspritze. Mittlerweile ist seine Identität dem ganzen Lager bekannt: Es war der polnische Franziskanermönch Maximilian Kolbe. Einundvierzig Jahre später wird er von Johannes Paul II. heiliggesprochen.
Doch wer war dieser Mann wirklich? Was waren seine Motive? Was für ein Leben hatte er vor der KZ-Zeit gelebt? Diese Fragen haben den österreichischen Autor und Filmemacher Walter Heinrich schon vor über zwanzig Jahren beschäftigt, und das Ergebnis war der biographische Roman "Der Pelikan", den er 1987 unter dem Pseudonym Henri Walter publizierte. Jetzt ist, erneut im Diogenes Verlag, nur diesmal unter Heinrichs eigenem Namen und dem Titel "Die Stunde des Pelikans", eine leicht überarbeitete Neuausgabe erschienen.
Ursprünglich wollte Walter Heinrich einen Film über Maximilian Kolbe drehen. Da seine Pläne aber am Geldmangel gescheitert waren, beschloss er, das fertige Drehbuch in einen Roman umzuwandeln. Was ihn am meisten interessierte, war die Frage: Wie muss die Psyche eines Menschen beschaffen sein, der imstande ist, sich für einen anderen zu opfern und dazu ein qualvolles Sterben auf sich zu nehmen. Außerdem wollte er Kolbes moralische Haltung auf ihre Aktualität hin prüfen. "Die Kirche darf stolz auf solche Heiligen sein", sagt er heute noch, "aber sie soll es sein, weil sie es zu einer allgemein gültigen hohen Menschlichkeit gebracht haben, und nicht, weil sie so gute Katholiken oder so perfekte, fromme Menschen waren."
Entstanden ist ein Roman, dem man durchaus eine erzählerische Integrität bescheinigen muss. In drei sorgfältig komponierten Teilen werden ausgewählte Episoden aus Kolbes Leben, von seiner Studienzeit in Rom bis zu seinem Tod, erzählt, wobei Heinrich gekonnt deskriptive Passagen mit inneren Monologen, Reflexionen und theologischen Gesprächen vermischt. Trotzdem fragt man sich, ob die Form einer klassischen Biographie nicht richtiger gewesen wäre. Denn zum einen hätte die gattungsbedingte Sachlichkeit dem Bild von Maximilian Kolbe, der von Natur (wie Heinrich auch deutlich macht) zu Überschwang und Verklärung neigte, möglicherweise einen guten Dienst erwiesen. Stattdessen wird diese Neigung durch den Stil des Buches, dem eine oft etwas übertriebene Suggestivität und der Hang zu leicht irritierendem Psychologisieren anhaftet, noch unterstrichen.
Außerdem trägt der Roman durch das Auslassen ganzer biographischer Kapitel nur bedingt zu dem erhofften Verständnis bei, zumal er als treibende Kraft in Kolbes Leben seinen geradezu fanatischen Marienkult darstellt. Man versteht diesen Zug Kolbes aber kaum, weil man über die Kindheit und Jugend des Priesters, über sein damaliges soziales und geistiges Umfeld so gut wie nichts erfährt. Stattdessen erfahren wir, dass er im römischen Kolleg San Teodoro studierte und seine theologische Versiertheit mit zweifacher Promotion unter Beweis stellte. Und das will zu der Situation, die als sein Schlüsselerlebnis gelten soll, nicht so recht passen. Es geht um eine Straßendemonstration, bei der junge Leute gegen die Kirche und die Mutter Gottes hetzen und dabei auf Kolbes heftigen Protest stoßen: "Wer die Madonna verhöhnt, verhöhnt das Beste, das er hat - in sich selber hat und in allen, mit denen er lebt. Ihr dürft das nicht tun! Versprecht mir, jeder von euch, die Madonna nie wieder zu beleidigen!" Dass Kolbes Marienverehrung auf seine überdurchschnittlich starke Mutterbindung zurückging, kann man nur ahnen.
Drei Monate später ruft er die sogenannte Militia Immaculatae ins Leben, eine Gruppierung, die mit ihrer ganzen Kraft der Mutter Gottes dienen soll. Seine Begeisterung ist so groß, dass selbst seine Vorgesetzten sich von ihm distanzieren und seine Pläne misstrauisch beäugen. Doch Kolbe lässt sich nicht beirren. Trotz der Widerstände gründet er eine Zeitschrift, die den Namen "Der Ritter der Unbefleckten" trägt und bis zum Kriegsausbruch eine Millionenauflage erreicht. Und er baut ein Kloster auf, das Niepokalanów (von niepokalana, die Unbefleckte) heißt und innerhalb von zwölf Jahren zum größten Europas wird. Die Mönche leben dort in den ärmlichsten Verhältnissen, dennoch kommen ständig neue hinzu.
Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen 1939 nimmt dieses Leben im Dienste der Unbefleckten allerdings ein rasches Ende. Niepokalanów wird ge-schlossen und Kolbe nach Auschwitz deportiert. Genauso, wie er vorher das Angebot der Gestapo ausgeschlagen hat, den deutschen Pass anzunehmen, lehnt er es jetzt ab, sich einer Widerstandsgruppe anzuschließen. "Nur im Ertragen, nicht im Erwidern liegt unsere Erlösung", erklärt er seinen Mithäftlingen.
Schließlich folgen der Sommer 1941 und jene dramatische Szene, die ihn berühmt machen wird: Die Auswahl der Todeskandidaten ist bereits abgeschlossen, Lagerkommandant Fritsch will gerade den Appellplatz verlassen. Doch da passiert etwas Unvorstellbares: "Maximilian ist unvermutet aus der Reihe getreten, stellt sich vor Fritsch auf und blockiert dessen Abgang ... Ich möchte gern an seine Stelle, sagt er in etwas gebrochenem Deutsch, doch gut verständlich, und deutet dabei mit einer kleinen Kopfbewegung zu den Ausgewählten hin." Pater Maximilian Kolbe stirbt am 14. August, dem Vorabend von Mariä Himmelfahrt.
Um Kolbes Tat zu verstehen, hatte Walter Heinrich jahrelange Recherchen auf sich genommen. Er lebte in einem Kloster in Warschau, fuhr mehrmals nach Auschwitz, ließ sich von einem Priester aus Niepokalanów begleiten, machte Menschen ausfindig, die Kolbe gekannt hatten. Aus den Informationen, die er auf diese Weise bekam, konstruierte er seinen Roman, dessen Titel auf eine griechische Sage anspielt, der zufolge Pelikane ihre Jungen töten, um sie nach drei Tagen mit dem eigenen Blut wieder zum Leben zu erwecken. Die christliche Symbolik sah in diesem Bild eine Parallele zum Opfertod Christi und eignete es sich, wenn auch ohne das Tötungsmotiv, an. Und das wiederum veranlasste Heinrich, diese Symbolik in Bezug auf Pater Kolbe zu verwenden: Er habe zwar nur einen Menschen erlöst, doch für ihn, den Autor, sei es Grund genug, in diesem einen Geretteten einen Stellvertreter für alle Menschen zu sehen.
MARTA KIJOWSKA
Walter Heinrich: "Die Stunde des Pelikans". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2009. 336 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Tat des Maximilian Kolbe lässt den Autor und Filmregisseur Walter Heinrich seit Jahren nicht los. Sein Roman handelt von der Frage, warum der polnische Franziskanermönch in Auschwitz für einen anderen Häftling in den Tod ging.
Diese Episode ist weitgehend bekannt: Sommer 1941, einem Häftling in Auschwitz ist über Nacht die Flucht gelungen, daraufhin werden zehn andere zum Tod im Hungerbunker verurteilt. Da tritt ein Mann vor und bittet den Lagerkommandanten, ihn gegen einen der Todgeweihten auszutauschen. Seinem Wunsch wird entsprochen, und er stirbt nach zehn Tagen des Leidens an einer Phenolspritze. Mittlerweile ist seine Identität dem ganzen Lager bekannt: Es war der polnische Franziskanermönch Maximilian Kolbe. Einundvierzig Jahre später wird er von Johannes Paul II. heiliggesprochen.
Doch wer war dieser Mann wirklich? Was waren seine Motive? Was für ein Leben hatte er vor der KZ-Zeit gelebt? Diese Fragen haben den österreichischen Autor und Filmemacher Walter Heinrich schon vor über zwanzig Jahren beschäftigt, und das Ergebnis war der biographische Roman "Der Pelikan", den er 1987 unter dem Pseudonym Henri Walter publizierte. Jetzt ist, erneut im Diogenes Verlag, nur diesmal unter Heinrichs eigenem Namen und dem Titel "Die Stunde des Pelikans", eine leicht überarbeitete Neuausgabe erschienen.
Ursprünglich wollte Walter Heinrich einen Film über Maximilian Kolbe drehen. Da seine Pläne aber am Geldmangel gescheitert waren, beschloss er, das fertige Drehbuch in einen Roman umzuwandeln. Was ihn am meisten interessierte, war die Frage: Wie muss die Psyche eines Menschen beschaffen sein, der imstande ist, sich für einen anderen zu opfern und dazu ein qualvolles Sterben auf sich zu nehmen. Außerdem wollte er Kolbes moralische Haltung auf ihre Aktualität hin prüfen. "Die Kirche darf stolz auf solche Heiligen sein", sagt er heute noch, "aber sie soll es sein, weil sie es zu einer allgemein gültigen hohen Menschlichkeit gebracht haben, und nicht, weil sie so gute Katholiken oder so perfekte, fromme Menschen waren."
Entstanden ist ein Roman, dem man durchaus eine erzählerische Integrität bescheinigen muss. In drei sorgfältig komponierten Teilen werden ausgewählte Episoden aus Kolbes Leben, von seiner Studienzeit in Rom bis zu seinem Tod, erzählt, wobei Heinrich gekonnt deskriptive Passagen mit inneren Monologen, Reflexionen und theologischen Gesprächen vermischt. Trotzdem fragt man sich, ob die Form einer klassischen Biographie nicht richtiger gewesen wäre. Denn zum einen hätte die gattungsbedingte Sachlichkeit dem Bild von Maximilian Kolbe, der von Natur (wie Heinrich auch deutlich macht) zu Überschwang und Verklärung neigte, möglicherweise einen guten Dienst erwiesen. Stattdessen wird diese Neigung durch den Stil des Buches, dem eine oft etwas übertriebene Suggestivität und der Hang zu leicht irritierendem Psychologisieren anhaftet, noch unterstrichen.
Außerdem trägt der Roman durch das Auslassen ganzer biographischer Kapitel nur bedingt zu dem erhofften Verständnis bei, zumal er als treibende Kraft in Kolbes Leben seinen geradezu fanatischen Marienkult darstellt. Man versteht diesen Zug Kolbes aber kaum, weil man über die Kindheit und Jugend des Priesters, über sein damaliges soziales und geistiges Umfeld so gut wie nichts erfährt. Stattdessen erfahren wir, dass er im römischen Kolleg San Teodoro studierte und seine theologische Versiertheit mit zweifacher Promotion unter Beweis stellte. Und das will zu der Situation, die als sein Schlüsselerlebnis gelten soll, nicht so recht passen. Es geht um eine Straßendemonstration, bei der junge Leute gegen die Kirche und die Mutter Gottes hetzen und dabei auf Kolbes heftigen Protest stoßen: "Wer die Madonna verhöhnt, verhöhnt das Beste, das er hat - in sich selber hat und in allen, mit denen er lebt. Ihr dürft das nicht tun! Versprecht mir, jeder von euch, die Madonna nie wieder zu beleidigen!" Dass Kolbes Marienverehrung auf seine überdurchschnittlich starke Mutterbindung zurückging, kann man nur ahnen.
Drei Monate später ruft er die sogenannte Militia Immaculatae ins Leben, eine Gruppierung, die mit ihrer ganzen Kraft der Mutter Gottes dienen soll. Seine Begeisterung ist so groß, dass selbst seine Vorgesetzten sich von ihm distanzieren und seine Pläne misstrauisch beäugen. Doch Kolbe lässt sich nicht beirren. Trotz der Widerstände gründet er eine Zeitschrift, die den Namen "Der Ritter der Unbefleckten" trägt und bis zum Kriegsausbruch eine Millionenauflage erreicht. Und er baut ein Kloster auf, das Niepokalanów (von niepokalana, die Unbefleckte) heißt und innerhalb von zwölf Jahren zum größten Europas wird. Die Mönche leben dort in den ärmlichsten Verhältnissen, dennoch kommen ständig neue hinzu.
Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen 1939 nimmt dieses Leben im Dienste der Unbefleckten allerdings ein rasches Ende. Niepokalanów wird ge-schlossen und Kolbe nach Auschwitz deportiert. Genauso, wie er vorher das Angebot der Gestapo ausgeschlagen hat, den deutschen Pass anzunehmen, lehnt er es jetzt ab, sich einer Widerstandsgruppe anzuschließen. "Nur im Ertragen, nicht im Erwidern liegt unsere Erlösung", erklärt er seinen Mithäftlingen.
Schließlich folgen der Sommer 1941 und jene dramatische Szene, die ihn berühmt machen wird: Die Auswahl der Todeskandidaten ist bereits abgeschlossen, Lagerkommandant Fritsch will gerade den Appellplatz verlassen. Doch da passiert etwas Unvorstellbares: "Maximilian ist unvermutet aus der Reihe getreten, stellt sich vor Fritsch auf und blockiert dessen Abgang ... Ich möchte gern an seine Stelle, sagt er in etwas gebrochenem Deutsch, doch gut verständlich, und deutet dabei mit einer kleinen Kopfbewegung zu den Ausgewählten hin." Pater Maximilian Kolbe stirbt am 14. August, dem Vorabend von Mariä Himmelfahrt.
Um Kolbes Tat zu verstehen, hatte Walter Heinrich jahrelange Recherchen auf sich genommen. Er lebte in einem Kloster in Warschau, fuhr mehrmals nach Auschwitz, ließ sich von einem Priester aus Niepokalanów begleiten, machte Menschen ausfindig, die Kolbe gekannt hatten. Aus den Informationen, die er auf diese Weise bekam, konstruierte er seinen Roman, dessen Titel auf eine griechische Sage anspielt, der zufolge Pelikane ihre Jungen töten, um sie nach drei Tagen mit dem eigenen Blut wieder zum Leben zu erwecken. Die christliche Symbolik sah in diesem Bild eine Parallele zum Opfertod Christi und eignete es sich, wenn auch ohne das Tötungsmotiv, an. Und das wiederum veranlasste Heinrich, diese Symbolik in Bezug auf Pater Kolbe zu verwenden: Er habe zwar nur einen Menschen erlöst, doch für ihn, den Autor, sei es Grund genug, in diesem einen Geretteten einen Stellvertreter für alle Menschen zu sehen.
MARTA KIJOWSKA
Walter Heinrich: "Die Stunde des Pelikans". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2009. 336 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dieser aus einem Drehbuch entstandene Roman über das Leben des Franziskanermönchs Maximilian Kolbe erfüllt seinen Zweck, das Leben und das Ende Kolbes in Aufopferung für einen Mithäftling in Auschwitz zu verstehen, nur bedingt, warnt uns die Rezensentin. Trotz aller "erzählerischen Integrität", die deskriptive Passagen mit Reflexionen und theologischen Gesprächen verschränkt, wie wir erfahren, stellt sich für Marta Kijowska die Frage, ob eine Biografie nicht die bessere Form gewesen wäre, um moralische Haltungen zu ergründen und für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Der Hang des Textes zum Psychologisieren jedenfalls und das Auslassen ganzer biografischer Abschnitte machen es der Rezensentin schwer, für Kolbes Leben bestimmende Momente, wie etwa seine fanatische Marienverehrung, zu verstehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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