»Good girls go to heaven, and bad girls go everywhere, wusste schon Mae West. Marilyn Monroe, Marguerite Duras, Patricia Highsmith und Jane Bowles verstoßen jede auf ihre Weise gegen Gebote. Sie durchbrechen die Schranken des Anstands, ihres Geschlechts, der herrschenden Moral. Sie tun das, um frei, souverän und autonom zu sein, nach Maßgabe eigener Regeln leben zu können.« Doch diese Entscheidung hat einen hohen Preis.
buecher-magazin.de"Ich bin immer interessiert an Frauen, die sich selbst zerstören", sagte Connie Palmen zu ihrem letzten Buch, der Romanbiografie über das tragische Dichter-Paar Ted Hughes und Sylvia Plath. Nun wendet sich Palmen in vier Kurzessays wieder direkt den selbstzerstörerischen weiblichen Genies zu. Ausgehend vom Sündenfall im Paradies erklärt sie, was sie dazu brachte, die Leben von vier sehr unterschiedlichen Frauen - Marilyn Monroe, Marguerite Duras, Jane Bowles und Patricia Highsmith - mit einem essayistischen, roten Faden zu verknüpfen: Es ist die völlige Negierung der privaten Persönlichkeit, das Verschwinden in einem selbst kreierten Image oder den Figuren ihrer schöpferischen Imagination. Alle vier Frauen litten unter den schwierigen Beziehungen zu ihren abwesenden Vätern und meist übergriffigen Müttern. In den Lebensläufen forscht Palmen nach Ursachen für ihre Sucht nach Selbstzerstörung. Und stellt fest: Es ist die Sünde der Imagination, die diese Frauen zu Fall bringt - denn mit ihrem selbstbestimmten Leben verstoßen sie gegen gesellschaftliche Rollenmodelle und die herrschende Moral. Gemeinsam ist den vier tragischen Heldinnen auch, dass sie sich für ihre selbst geschaffene Identität einen neuen Namen gaben - das wiederum haben sie mit der Autorin Connie Palmen gemeinsam.
© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.06.2018Zwischen Mutter
und Martini
Connie Palmens Essayband „Die Sünde der Frau“
Die Konturen der Identität entstehen in den Büchern der niederländischen Autorin Connie Palmen immer durch Begegnungen und Konfrontationen. In ihrem Debütroman „Die Gesetze“, der 1991 erschien, erinnert sich eine junge Frau an jene Liebhaber und Lehrer, mit denen und gegen die sie einen Zugang zur Welt und zu sich selbst gefunden hat. Und in ihrem großartigen Roman „Du sagst es“ (2015) über die Ehe von Ted Hughes und Sylvia Plath erzählt der Mann von den Verheerungen einer Beziehung, die mit dem Selbstmord der Partnerin endet und ihn zum Schuldigen macht. Auch die nun erschienene Essaysammlung „Die Sünde der Frau“ mit Texten über Marilyn Monroe, Marguerite Duras, Jane Bowles und Patricia Highsmith geht der Frage nach, was die Biografie einer (erfundenen oder realen) Figur ausmacht, was man über ihr Inneres wissen und wie man davon erzählen kann: „Gibt es so etwas wie eine Wahrheit über eine Person? Hat man eine Identität, wenn man allein am Küchentisch sitzt?“
Allein sind die in diesen Essays fast immer, innerlich allein. Ihr Image müssen sie sich gegen alle Widerstände erkämpfen, die später berühmten Namen haben nach ihren Neugeburten und Verwandlungen kaum noch etwas mit ihrem ursprünglichen Selbst gemein. An Gründen, sich von diesem ursprünglichen Selbst loszusagen, fehlt es ihnen nicht. Überhaupt entspringe jegliche Literatur (und Kunst) einer verletzten Seele, heißt es in „Du sagst es“, und damit „der geistigen Anstrengung des menschlichen Abwehrsystems, uns von diesem Schmerz zu befreien und den Tod zu besiegen“. Den Schmerz der vier Frauen findet Palmen in ihrer Kindheit, im frühen Verlust des Vaters, in einer schwierigen Beziehung zur Mutter. Den Weg, sich daraus zu befreien, ebnen die Kreativität, der Wunsch, sich damit durchzusetzen, und der Regelverstoß. Mae Wests Motto „Good girls go to heaven, and bad girls go everywhere“ darf hier natürlich nicht fehlen.
Denn dass sie eigentlich zu Ehe und Gemeinschaft bestimmt sind, haben in den Augen Connie Palmens alle diese Frauen verinnerlicht und ihr Aufbegehren dagegen als Sünde empfunden. Alkohol, Drogen und Selbstmordversuche sind demnach nur Selbstbestrafungen für die Abkehr vom vorgezeichneten Weg: „Sie durchbrechen die Regeln des Anstands, ihres Geschlechts, der herrschenden Moral.“
Marilyn Monroe ist das Paradebeispiel dieses tragischen Ausbruchs. Das Rätsel ihrer Identität habe nicht nur ihre Biografen umgetrieben, sondern auch sie selbst: „Alles in ihrem Leben dreht sich um die Glanzpaare der Philosophie: echt und unecht, Dichtung und Wahrheit, Körper und Seele.“ Der erfundene Name, der schnelle Ruhm schützen vor den trostlosen frühen Lebenserfahrungen, vernichten aber den Bezug zu der Person, die all das hervorgebracht hat: „Die Tragödie Marylin Monroes besteht darin, dass Marylin Monroe ihre größte schauspielerische Leistung ist, sie aber die reale Frau, die diese spielte, aus der Welt schaffen musste.“ Dass ihr bewusst gewesen sei, sich in ein reines Fantasieprodukt verwandelt zu haben, rechnet die Autorin der Schauspielerin hoch an: „Da kenne ich Frauen, die mit weniger Selbsterkenntnis auskommen müssen.“
Auch bei Patricia Highsmith registriert Palmen die Tendenz, die erfundenen Gefühle für echter zu halten als die sogenannten wahren. Das „Rätsel der Identität“ erstreckt sich hier auch auf die Romanfiguren, mit denen Highsmith sich auf radikale Weise identifiziert – mit verbrecherischen Außenseitern, die dem Guten in der Welt mit fröhlicher Gleichgültigkeit begegnen. Auch bei Highsmith sieht Palmen eine deutliche Verbindung zwischen familiären Verstrickungen und einem fatalen Hang zum Alkohol – „Mutter“ und „Martini“ seien die einzigen Wörter, die Patricia Highsmith in ihren Notizbüchern stets in Großbuchstaben geschrieben habe.
Aus ihrem eigenen Hang zum Trinken hat Connie Palmen, die inzwischen 62 Jahre alt ist, nie ein Hehl gemacht, ihre deutlichen Worte über den Alkoholismus dürften nicht zuletzt eigenen Erfahrungen geschuldet sein. Das gilt auch für ihre Bemerkungen zum Dilemma des Schreibens, das Ausweg und Absonderung zugleich ist. Was das Buch trotz mancher erhellenden psychologischen Reflexionen zu einer mitunter ermüdenden Lektüre macht, ist der starre Schematismus des Erklärungsmodells, das allen Essays zugrunde liegt und im Blick auf die Beziehungen zwischen Frau, Sünde, Strafe und Originalität in allen Kombinationen durchexerziert wird: „Originell zu sein ist eine Sünde. Sollte Janes Erbsünde schlichtweg darin bestehen, dass sie als weibliches Wesen zur Welt gekommen ist, aber nie das Leben führen wird, das andere Frauen führen?“
Die Spannung der Gegensätze in den Romanen Connie Palmens ist weitaus überzeugender als der etwas hölzerne Dualismus dieses Essaybandes. Nur die Einbildungskraft, lässt sie Ted Hughes sagen, erlaube uns „zu vereinen, was getrennt und gegensätzlich erscheint, das Männliche und das Weibliche, das Gute und das Böse, das Zerstörerische und das Schöpferische.“ Die Einbildungskraft in Erzählung zu verwandeln, ist die große Aufgabe der Schriftsteller.
MATTHIAS WEICHELT
Frau, Sünde, Strafe und
Originalität gehören in
diesen Essays zusammen
Connie Palmen: Die Sünde der Frau. Über Marilyn Monroe, Marguerite Duras, Jane Bowles und Patricia Highsmith. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. Diogenes Verlag, Zürich 2018. 96 S., 20 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
und Martini
Connie Palmens Essayband „Die Sünde der Frau“
Die Konturen der Identität entstehen in den Büchern der niederländischen Autorin Connie Palmen immer durch Begegnungen und Konfrontationen. In ihrem Debütroman „Die Gesetze“, der 1991 erschien, erinnert sich eine junge Frau an jene Liebhaber und Lehrer, mit denen und gegen die sie einen Zugang zur Welt und zu sich selbst gefunden hat. Und in ihrem großartigen Roman „Du sagst es“ (2015) über die Ehe von Ted Hughes und Sylvia Plath erzählt der Mann von den Verheerungen einer Beziehung, die mit dem Selbstmord der Partnerin endet und ihn zum Schuldigen macht. Auch die nun erschienene Essaysammlung „Die Sünde der Frau“ mit Texten über Marilyn Monroe, Marguerite Duras, Jane Bowles und Patricia Highsmith geht der Frage nach, was die Biografie einer (erfundenen oder realen) Figur ausmacht, was man über ihr Inneres wissen und wie man davon erzählen kann: „Gibt es so etwas wie eine Wahrheit über eine Person? Hat man eine Identität, wenn man allein am Küchentisch sitzt?“
Allein sind die in diesen Essays fast immer, innerlich allein. Ihr Image müssen sie sich gegen alle Widerstände erkämpfen, die später berühmten Namen haben nach ihren Neugeburten und Verwandlungen kaum noch etwas mit ihrem ursprünglichen Selbst gemein. An Gründen, sich von diesem ursprünglichen Selbst loszusagen, fehlt es ihnen nicht. Überhaupt entspringe jegliche Literatur (und Kunst) einer verletzten Seele, heißt es in „Du sagst es“, und damit „der geistigen Anstrengung des menschlichen Abwehrsystems, uns von diesem Schmerz zu befreien und den Tod zu besiegen“. Den Schmerz der vier Frauen findet Palmen in ihrer Kindheit, im frühen Verlust des Vaters, in einer schwierigen Beziehung zur Mutter. Den Weg, sich daraus zu befreien, ebnen die Kreativität, der Wunsch, sich damit durchzusetzen, und der Regelverstoß. Mae Wests Motto „Good girls go to heaven, and bad girls go everywhere“ darf hier natürlich nicht fehlen.
Denn dass sie eigentlich zu Ehe und Gemeinschaft bestimmt sind, haben in den Augen Connie Palmens alle diese Frauen verinnerlicht und ihr Aufbegehren dagegen als Sünde empfunden. Alkohol, Drogen und Selbstmordversuche sind demnach nur Selbstbestrafungen für die Abkehr vom vorgezeichneten Weg: „Sie durchbrechen die Regeln des Anstands, ihres Geschlechts, der herrschenden Moral.“
Marilyn Monroe ist das Paradebeispiel dieses tragischen Ausbruchs. Das Rätsel ihrer Identität habe nicht nur ihre Biografen umgetrieben, sondern auch sie selbst: „Alles in ihrem Leben dreht sich um die Glanzpaare der Philosophie: echt und unecht, Dichtung und Wahrheit, Körper und Seele.“ Der erfundene Name, der schnelle Ruhm schützen vor den trostlosen frühen Lebenserfahrungen, vernichten aber den Bezug zu der Person, die all das hervorgebracht hat: „Die Tragödie Marylin Monroes besteht darin, dass Marylin Monroe ihre größte schauspielerische Leistung ist, sie aber die reale Frau, die diese spielte, aus der Welt schaffen musste.“ Dass ihr bewusst gewesen sei, sich in ein reines Fantasieprodukt verwandelt zu haben, rechnet die Autorin der Schauspielerin hoch an: „Da kenne ich Frauen, die mit weniger Selbsterkenntnis auskommen müssen.“
Auch bei Patricia Highsmith registriert Palmen die Tendenz, die erfundenen Gefühle für echter zu halten als die sogenannten wahren. Das „Rätsel der Identität“ erstreckt sich hier auch auf die Romanfiguren, mit denen Highsmith sich auf radikale Weise identifiziert – mit verbrecherischen Außenseitern, die dem Guten in der Welt mit fröhlicher Gleichgültigkeit begegnen. Auch bei Highsmith sieht Palmen eine deutliche Verbindung zwischen familiären Verstrickungen und einem fatalen Hang zum Alkohol – „Mutter“ und „Martini“ seien die einzigen Wörter, die Patricia Highsmith in ihren Notizbüchern stets in Großbuchstaben geschrieben habe.
Aus ihrem eigenen Hang zum Trinken hat Connie Palmen, die inzwischen 62 Jahre alt ist, nie ein Hehl gemacht, ihre deutlichen Worte über den Alkoholismus dürften nicht zuletzt eigenen Erfahrungen geschuldet sein. Das gilt auch für ihre Bemerkungen zum Dilemma des Schreibens, das Ausweg und Absonderung zugleich ist. Was das Buch trotz mancher erhellenden psychologischen Reflexionen zu einer mitunter ermüdenden Lektüre macht, ist der starre Schematismus des Erklärungsmodells, das allen Essays zugrunde liegt und im Blick auf die Beziehungen zwischen Frau, Sünde, Strafe und Originalität in allen Kombinationen durchexerziert wird: „Originell zu sein ist eine Sünde. Sollte Janes Erbsünde schlichtweg darin bestehen, dass sie als weibliches Wesen zur Welt gekommen ist, aber nie das Leben führen wird, das andere Frauen führen?“
Die Spannung der Gegensätze in den Romanen Connie Palmens ist weitaus überzeugender als der etwas hölzerne Dualismus dieses Essaybandes. Nur die Einbildungskraft, lässt sie Ted Hughes sagen, erlaube uns „zu vereinen, was getrennt und gegensätzlich erscheint, das Männliche und das Weibliche, das Gute und das Böse, das Zerstörerische und das Schöpferische.“ Die Einbildungskraft in Erzählung zu verwandeln, ist die große Aufgabe der Schriftsteller.
MATTHIAS WEICHELT
Frau, Sünde, Strafe und
Originalität gehören in
diesen Essays zusammen
Connie Palmen: Die Sünde der Frau. Über Marilyn Monroe, Marguerite Duras, Jane Bowles und Patricia Highsmith. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. Diogenes Verlag, Zürich 2018. 96 S., 20 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Rezensentin Hannah Lühmann schätzt die niederländische Autorin Connie Palmen für ihre autobiografischen Romane, ihr feministisches Feingefühl und den präzisen Blick auf Abhängigkeiten. Entsprechend erfreut nimmt die Kritikerin diesen Essayband zur Hand, in dem Palmen sich in kurzen Abhandlungen den "extremen" Schicksalen von Marilyn Monroe, Marguerite Duras, Jane Bowles und Patricia Highsmith widmet. Dass man nicht allzu viel Neues erfährt, stört Lühmann keineswegs: Spannender liest sich ohnehin die Überblendung von Leitmotiven wie Sucht, Selbstverletzung, schwierige Mutter- und Vaterverhältnisse, Grenzüberschreitung und der Entscheidung, das alte Leben durch Pseudonyme auszulöschen, fährt die Rezensentin fort. Dass das schmale Buch bisweilen am "Heilpraktikerhaften" vorbeischrammt, verzeiht Lühmann angesichts der interessanten Einblicke gern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Connie Palmen schreibt tiefsinnige Romane, die warmherzig und unterhaltsam sind trotz messerscharfer Analysen menschlicher Gefühle.« Christa von Bernuth / Elle Elle