"Die surreale Stadt" (2020) ist eine Fundgrube für Kultur- und Stadtsoziologen sowie für engagierte Architekten, Stadtplaner und Flaneure, die dem lebensweltlichen Aufbau der urbanen Moderne auf die Spur kommen möchten. Das Buch bietet eine Einführung in das Denken der ethnographischen Architektur- und Raumsoziologie, indem es die städtische Lebenswelt als ein immersives Weltinnen analysiert, in welchem das urbanen Ich sich einer grundlegend entfremdeten Wirklichkeit ausgesetzt sieht. Wer sich der urbanen Lebenswelt und der phänomenologischen Stadtforschung aus der Denktradition von Walter Benjamin, Franz Kafka, Siegfried Kracauer, Michel de Certeau oder Alfred Schütz nähern möchte und das Phänomen des »Städtischen« mithilfe der Alltags- und Lebensweltforschung verstehen möchte, wird hier fündig werden. Belohnt wird der Leser mit dem interessanten Entwurf einer Theorie der surrealen Moderne, welche die Ambivalenzen zwischen einem institutionellen Makrokosmos und einer sinnweltlichen Lebenswelt illustriert und die Entfremdung zwischen Dingen, Räumen und Phänomenen des Städtischen einerseits und den Insassen einer urbanen Moderne andererseits veranschaulicht. In Anlehnung an Goffmans Rahmenanalyse, Sloterdijks Sphären-Hermeneutik und Kafkas Konzept einer panoptischen Moderne unterstellt Müller dem Stadtraum eine osmotische Aufspaltung der Lebenswelt. Mit Bezug auf Alfred Schütz Konzept der Lebenswelt und Heideggers Konzept des In-der-Welt-Seins entwickelt Müller eine sinnweltliche Topographie des Stadtraums. Kernstück der empirischen Analysearbeit, mit der die romantischen Praktiken der Welthandhabung des Städters untersucht werden, ist das Konzept institutioneller Steuerungsarenen, welche sich als metaphysische Handlungshorizonte in das Zentrum der Lebensmitte einspiegeln. Daraus ergeben sich für den Städter oft Raum- und Seins-Grenzen, die seine Weltmitte in Form von Handlungshorizonten ontologisch einrahmen und strukturieren. Übrig bleibt eine kafkaeske Organisation der urbanen Lebenswelt, die in einer entfremdeten, aber gleichzeitig lyrischen Moderne einmündet. Aus dieser Mechanik zwischen Hinten und Vorne und der Gleichzeitigkeit von rationalen und romantischen Weltbestandteilen entwickelt Müller eine Theorie der surrealen Lebenswelt.
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