Produktdetails
  • rororo Taschenbücher
  • Verlag: Rowohlt TB.
  • Gewicht: 140g
  • ISBN-13: 9783499135989
  • Artikelnr.: 23982608
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.1996

Entzücken und Entsetzen
Nicht nett: Kathy Lette lacht über dem Niveau ihrer Heldinnen

Die Enge der Vorstadt hat zwei jugendliche Ausreißerinnen in die inneren Bezirke Sydneys getrieben. Auf der Suche nach dem "rohen Leben" stoßen die Sushi-Schwestern freilich auf einige Unannehmlichkeiten. Daß "tote Fische" zuweilen unappetitlicher sind als vorgekochte Vorstadthechte, gehört zu den Lektionen, die sie nur schwer verdauen, aber am Ende gelernt haben. Die Magenverstimmung hält vor allem deshalb nicht an, weil die jungen Wilden stets auf Hausmannskost zurückgreifen können. Gern stilisiert sich die Hauptfigur Mouche zum Sozialfall, zur Ausgestoßenen und einsamen Heldin, verläßt sich aber in Zeiten arger Übelkeit gern auf Papas Kreditkarte.

Die Titelstory "Die Sushi-Schwestern" zeigt, daß für die in London lebende australische Schriftstellerin Kathy Lette ein eigentümlicher Romantizismus die Welt in ein scheinheiliges Theater verwandelt. So gründlich sie die Schwärmereien ihrer Heldinnen in allen Geschichten des Bandes als Selbstbetrug entlarvt, so sehr unterscheidet sie zwischen den Geschlechtern. Denn im Gegensatz zu den dümmlichen Männern sind die Frauen des Buches fähig, über die eigenen Inszenierungen zu lachen. Was es damit auf sich hat, erfahren wir in der letzten Geschichte. "Ihr lacht", schaltet sich die Erzählerin ein, "über das Lachen der anderen, zeigt mit den Fingern, haltet euch die Bäuche, ringt nach Atem, krümmt euch mit aufgerissenen Mündern, stützt einander, schwindelig vor Vergnügen, lacht und lacht, entzückt und entsetzt über die eigene Scheinheiligkeit."

Spott und Witz sind denn auch Kathy Lettes eigene Waffen. In einem witzig-urbanen Ton, einem nahezu concettistischen Stil, der mit dem australischen Slang spielt, jagt sie den Lebenslügen ihrer Figuren nach. Es ist eine nahezu unlösbare Aufgabe, diesen dialektalen Manierismus ins Deutsche zu übertragen. Deshalb hat sich die Übersetzerin Irmela Erckenbrecht trotz einiger Holprigkeiten eine gute Note verdient.

Den Spott und den Witz als Probiersteine der Wahrheit zu nehmen und als Mittel gegen jede Art romantischer Schwärmerei zu empfehlen, ist alte englische Aufklärungstradition. Und es gibt genügend Bücher, die sich mit Erfolg dieser Methode bedienen. Doch sind die spottenden Metaphern in Lettes Geschichten zumeist ausgesprochen vordergründig. Das überrascht nicht. Man brauchte schon einen langen Atem, um die große Anzahl von Wortspielen auf engstem Raum mit Geist zu füllen. Ihrer jedenfalls reicht dafür nicht aus.

Manche Frau, sagt einer der männlichen Protagonisten, schaue in jeden Spiegel, nur in den Rückspiegel nicht. Kathy Lette hat das wohl auch nicht getan. Sonst hätte sie möglicherweise erkannt, daß bei der rasanten Fahrt des Spotts durch die patriarchalische Welt Australiens die Literatur auf der Strecke bleibt. MICHAEL WEITZ

Kathy Lette: "Die Sushi-Schwestern". Stories. Aus dem Englischen übersetzt von Irmela Erckenbrecht. Rowohlt Verlag, Reinbek 1995. 222 S., br., 12,90 DM.

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