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Anton Bruckner, neben Brahms der bedeutendsten Symphoniker im ausgehenden 19. Jahrhundert, hat seine Zeitgenossen immer polarisiert; diese ambivalente Wirkung wurde von Gustav Mahler auf die Formel "Halb Genie, halb Trottel" verkürzt. Heute ist Bruckners Werk unangefochten und wichtiger Bestandteil der Konzertliteratur. Das Buch enthält eine umfassende Betrachtung von Bruckners symphonischem Werk mit Werkbeschreibung, Dokumenten, einem Essay zu besonderen Aspekten in Leben und Werk, eine kleine Biographie Bruckners, eine allgemeine Charakteristik seiner Symphonik und zahlreiche…mehr

Produktbeschreibung
Anton Bruckner, neben Brahms der bedeutendsten Symphoniker im ausgehenden 19. Jahrhundert, hat seine Zeitgenossen immer polarisiert; diese ambivalente Wirkung wurde von Gustav Mahler auf die Formel "Halb Genie, halb Trottel" verkürzt. Heute ist Bruckners Werk unangefochten und wichtiger Bestandteil der Konzertliteratur. Das Buch enthält eine umfassende Betrachtung von Bruckners symphonischem Werk mit Werkbeschreibung, Dokumenten, einem Essay zu besonderen Aspekten in Leben und Werk, eine kleine Biographie Bruckners, eine allgemeine Charakteristik seiner Symphonik und zahlreiche Abbildungen."Für mich hat die Musik Anton Bruckners eine Qualität, die sie von den Werken der meisten anderen Komponisten absetzt, ja darüber erhebt: Majestät. Diese würdige Erhabenheit, diese empfindsame Tiefe finden wir sonst nirgendwo." Lorin MaazelRenate Ulm,geboren 1957, studierte Klavier sowie Musik- und Theaterwissenschaften und arbeitet seit ihrer Promotion als Redakteurin in der Hauptabteilung Musik des Bayerischen Rundfunks.
Autorenporträt
Renate Ulm, geboren 1957, studierte Klavier sowie Musik- und Theaterwissenschaften und arbeitet seit ihrer Promotion als Redakteurin in der Hauptabteilung Musik des Bayerischen Rundfunks.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.05.1999

Ges-Dur ist ganz weit weg
Nacherzählt, nicht ausgelegt: Wieso Bruckners Symphonien offenbar nichts bedeuten sollen

"Wagnerianer, Katholiken, Mystiker aller Schattierungen, Anthroposophen, Nationalsozialisten - sie alle erklären Bruckner als den ihren. Da aber Musik an sich bekanntermaßen keinen anderen Inhalt als Musik hat, keine Information wie etwa ein Gedicht oder ein Gemälde vermittelt, kann sie weder katholische noch arische Aussagen machen." Wohl mag ein "entsprechend disponierter Hörer" langsame, leise Musik als traurig empfinden. Nur kann Musik "im außermusikalischen Bereich nicht eindeutig sein. Wird sie dennoch außermusikalisch gedeutet, seit sie für alle Interpretationen offen."

Hinter solchen Sätzen stehen ein naiver Wahrheitsbegriff (Eindeutigkeit), ein unzureichendes Verständnis von ästhetischem Gehalt (Information, Aussage), ein steriles Musikbild (warum sollte man sie hören, wenn sie nur sich selbst zum Inhalt hat?) und ein ganz verqueres Verhältnis zum Interpretieren. Einesteils ist die Frage, wie langsam oder leise ein Stück vorgetragen werden soll, gerade Grundfrage jeder musikalischen Interpretation, nichts Objektives. Andernteils sind Interpretationen durchaus nicht so subjektiv. Niemand wird ein langsames oder leises Stück als beschwingt, zornig oder triumphierend nehmen. Noch die anthroposophischen und nationalsozialistischen Urteile, die dann aus dem rezeptionsgeschichtlichen Kuriositätenkabinett gezogen werden, bleiben immerhin nachvollziehbar. Daß Bruckners Themen als "naturhaft, unbehauen, saftig, ungeschlacht, weniger mit geistig denkerischer als mit körperhaft-gefühlsmäßiger Wucht geladen" gehört wurden, ist nicht einmal uninteressant, macht es doch auf die barbarische, gewaltsame, wenn man will auf die Strawinskyseite aufmerksam.

Dennoch versteht man die Angst vor der Offenheit des Interpretierens, vor dem Äußern immer auch intimer ästhetischer Reaktionen. Nur funktioniert der Rückzug in die Fakten eben nicht. Renate Ulm versammelt zu den Brucknerschen Symphonien je eine Werkbetrachtung, einen thematischen Essay (Bruckner und Brahms, Bruckner und Hanslick), Zitate zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte und die Untersuchung eines Bilddokumentes, Texte von Autoren angeblich unterschiedlicher Methodik. "Ein achttraktiger Holzbläsersatz leitet mit einer neuen thematischen Idee, vom entfernten Ges-Dur ausgehend und ein markantes Terz-Pendel-Motiv im ersten Horn einschließend, in das zweite Thema über (T. 45 ff.)." Wer Augen hat, zu lesen, und Ohren, zu hören, braucht solche Nacherzählungen nicht. Ohne These ist jeder analytische Befund so belanglos wie beliebig. Thesen aber sind Interpretationen.

Die thesenlosen Fakten dagegen zitieren den Dogmatismus herbei: "Offenbar" sollten Bruckners Erläuterungen der Achten Symphonie nur ein technisches Hilfsmittel für den Uraufführungsdirigenten darstellen. Von einem Programm kann "natürlich keine Rede sein". So etwas lasse sich "auf recht simple Weise widerlegen". Bruckners auf die Zweitfassung bezogene Angabe zum Ende des Kopfsatzes "am Schluß: Ergebung" sei völlig unvereinbar mit dem auftrumpfenden Ende der Erstfassung. Und wenn er sein Programm geändert hätte? Im Schatten der dogmatisch gesicherten Position, die gerade nicht als Interpretation auftritt, macht sich die Trivialpsychologie bereit, was im übrigen nicht hindert, früheren Forschern ebendiese vorzuwerfen. Musikalisch habe Bruckner wenig von Wagner gelernt, auch wenn außer Frage stehe, daß er ihn nötig hatte, "um sich selbst zu finden". "Inwieweit der autoritätsgläubige Bruckner in seinen Kompositionen möglicherweise auch eine selbst als schwach empfundene persönliche Position kompensierte, bleibt offen."

Aber in jedem Serienkrimi finden sich gute Einstellungen, interessante Nebenrollen. Im Kopfsatz der Sechsten sei die "ungeheuer irdische" Rhythmusimpression beherrschend, die dann tentativ Reiseeindrücken, einer Bahnfahrt verglichen wird. Und anläßlich der Siebten wird "das Zeitalter der Maschinen" als mögliche Inspirationsquelle für das repetierend-treibende Element bei Bruckner genannt. Von solchen subjektiven, darum nicht willkürlichen Höreindrücken könnten Analysen ausgehen, die wiederum das Hören erweitern. Umgekehrt kann gefragt werden, was es für den religiösen Gehalt der Musik bedeutet, wenn wir im Kopfsatz der Neunten "nicht die grandiose Selbstbehauptung des Themas, sondern dessen Zertrümerung erleben". Daß Bruckner bei allem Heilsvertrauen "stärker und quälender als die meisten Zeitgenossen den drohenden Selbstverlust fühlte, die tiefe Entfremdung und Gottesferne des modernen Menschen, die dem zwanzigsten Jahrhundert den Stempel aufdrücken sollte", klingt zwar etwas komisch. Andererseits ist es mit dem Interpretieren wie mit dem richtigen Leben. Oft kommt es einfach darauf an, daß einer den Anfang macht.

GUSTAV FALKE

Renate Ulm (Hrsg.): "Die Symphonien Bruckners". Entstehung, Deutung, Wirkung. Geleitwort von Lorin Maazel. Verlag Bärenreiter / dtv, Kassel, München 1998. 256 S., br., 24,90 DM.

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