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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2002

Abschied von den Huris?
Politisch Brisantes aus der westlichen Koranforschung über die Paradiesesjungfrauen

Christoph Luxenberg: Die syro-aramäische Lesart des Koran. Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache. Verlag Das Arabische Buch, Berlin 2002. 311 Seiten, 29,70 [Euro].

Der Koran, das heilige Buch der Muslime, verheißt den Gläubigen das Paradies in besonders sinnlichen Bildern. Der Muslim hat sie verinnerlicht, und so mögen sie auch mitschwingen bei jenem Märtyrer-und Selbstmörderkult, den wir heute im Nahen Osten und außerhalb wieder beobachten. Da wird die Paradiesesvision hochpolitisch, Sprengstoff in des Wortes wahrer Bedeutung. Seit alters her gab es Polemiken, in denen christliche Theologen dem Islam sowohl die "Sinnlichkeit" seines Propheten als auch seiner Vorstellung vom Paradies vorhielten und beides als Zeichen der "Minderwertigkeit" und Ketzerei, ja, der Falschheit dieser Offenbarung ansahen.

Doch wie, wenn sich das alles als grundlos herausstellte? Wie, wenn es im Koran weder die legendären Huris, die Paradiesesjungfrauen, noch die schönen Jünglinge gäbe, von denen die Texte reden? Nicht mehr und nicht weniger behauptet Christoph Luxenberg. Der deutsche Semitist, ein strenger Philologe, heißt eigentlich anders, zieht es angesichts der wissenschaftlichen, religiösen und politischen Brisanz seiner Thesen jedoch vor, unter Pseudonym zu veröffentlichen. Der "Fall Rushdie" läßt grüßen.

Die Brisanz liegt darin, daß den Muslimen bis heute der Koran als das ungeschaffene, direkte Wort Gottes gilt. In der Offenbarung hat Gott gewissermaßen selbst arabisch gesprochen. Zentrum des Islams ist der Koran, nicht sein Prophet. Es sind keineswegs nur Islamisten, die so denken, sondern theoretisch alle Muslime. So ist denn selbst die Übertragung des heiligen Buches in eine andere als die sakrale Sprache des Korans eine wenn nicht mehr verbotene, so doch noch immer besonders problematische Angelegenheit. Und gerade heute haben die sola scriptura-Lesungen wieder Hochkonjunktur. Zwar kennt die Tradition sieben Weisen der Lesung, auch haben sich muslimische Gelehrte schon früh um ein besseres und tieferes Verständnis der 114 Suren, aus denen der Koran mit seinen mehr als 6000 Versen besteht, bemüht. Doch ein wissenschaftliches Herangehen nach dem Vorbild der aufklärerischen europäischen Bibelkritik gibt es bis heute nicht. Solches tun allein westliche Arabisten, Semitisten, Koranforscher - und legen damit die Lunte an religiöses Dynamit. Die wenigen Muslime, die ihnen dabei folgen, leben heute im westlichen Ausland oder sind getötet worden.

Auch den Muslimen fiel schon auf, daß der Koran dunkle Stellen enthält. Luxenberg schätzt ihren Umfang auf etwa ein Viertel des gesamten Textes. Sie bereiteten bereits dem großen Koran-Kommentator al Tabari (838 bis 923 n. Chr.) in seinem dreißigbändigen "Tafsir", einer erstklassigen Leistung des "klassischen" Islams, große Schwierigkeiten. Luxenberg zieht in seinem Werk "Die syro-aramäische Lesart des Koran" zunächst immer den "Tafsir" heran, dann das große Lexikon "Lisan al Arab", in dem der "Ozean" der arabischen Sprache lexikographisch erkundet wird. Erst wenn er für bestimmte Stellen, Redewendungen und Wörter darin keine befriedigenden Lösungen erhält, versucht er ihre Lesung aufgrund seiner, der syro-aramäischen Lesart.

Manches daran ist nicht neu. Daß das Wort "Koran (al qur'an)" wohl vom Aramäischen "qeryana" abgeleitet ist, gilt als communis opinio in der Gelehrtenwelt. Vor einer Generation schon hatte der Erlanger Gelehrte Günther Lüling "christliche arabische Spruchdichtung" im Koran entdeckt. Er war so weit gegangen, die "heidnischen" Gegner Mohammeds in Mekka als "hellenisierte Christen" zu betrachten, deren Kaaba eine Kirche gewesen sei. Mohammed habe sie durch sein Wirken zum reinen, unverstellten semitischen Monotheismus ohne spätgriechisches Beiwerk zurückgeführt.

So weit geht Luxenberg nicht. Doch hebt auch er das christliche, insbesondere syrische Element in vielen mekkanischen Suren hervor, dazu die Bedeutung der syrisch-aramäischen Sprache in der Antike und Spätantike. Sie war im Vorderen Orient Weltsprache, ihr Einfluß reichte unter den Intellektuellen weit nach Arabien hinein. Luxenberg legt seinen Lesungen bestimmter Koranverse zugrunde, daß in Mekka zur Zeit des Propheten ein arabischer Volksdialekt gesprochen worden sei, zusammen mit dem Syrisch-Aramäischen, respektive eine aramäisch-arabische Mischsprache. Sowohl das Hocharabische als auch die heute hochentwickelte arabische Schrift waren erst im Entstehen.

Die frühen Handschriften des Korans sind in der Tat besonders defektiv geschrieben. Etliche Buchstaben glichen sich wie ein Ei dem anderen, diakritische Zeichen, für die Vokalisierung und damit Lesung horrend wichtig (dies auch im Hebräischen), waren noch nicht entwickelt. Bis zur Ausbildung eines perfektionierten, normierten Schriftarabisch vergingen Generationen, extensiv gerechnet hundertfünfzig Jahre.

Schon die ersten Koranredaktoren schufen ein sprachliches Korpus, dessen syro-aramäische sprachliche Prägung von späteren Muslimen oft gar nicht mehr verstanden wurde. Hinzu kamen die vielen Möglichkeiten, aufgrund der extrem defektiven Schreibung - noch dazu einer Konsonantenschrift - zahlreiche Stellen schlicht zu "verlesen". Am Leitfaden der drei bedeutendsten Koranübertragungen Europas, derjenigen von Rudi Paret, Regis Blachère und Richard Bell, geht der Autor dunklen Stellen nach und macht deutlich, daß auch diese Autoritäten in vielen Fällen über die Zweifel, die schon al Tabari gehabt haben mochte, nicht hinauskamen.

Vom syro-aramäischen Wortschatz und Sprachduktus ausgehend, gelingen Luxenberg in vielen Fällen verblüffend einleuchtendere Lesungen - am spektakulärsten bei den einschlägigen Stellen in den Suren 44 und 52 über die Paradiesesjungfrauen. So wurden aus dem Adjektiv "hur", das syro-aramäisch "weiße Weintrauben" bezeichnet, sogenannte "Huris" oder Paradiesesjungfrauen, aus dem metaphorisch gemeinten syro-aramäischen Wort "'in" (wörtlich: Augen, übertragen: perlengleich) wurden "großäugige" (Huris). Aus Verlesungen und dem Vergessen der syro-aramäischen Wurzel wurden aus "Erstlingsfrüchten", auf denen die Seligen "behaglich" liegen, "(ewige) Jungfrauen", mit denen sie "verheiratet" werden, et cetera.

Das Buch ist in erster Linie eine sprachwissenschaftliche Studie, von strikt philologischem Geist getragen. Sie führt zu Fragen nach der Verläßlichkeit der bisher als überwiegend objektiv geglaubten Überlieferung und ersten Redaktion des Korans, die die Koranwissenschaft weiter beschäftigen werden. Die ursprüngliche Nähe des Korans zum Christentum erscheint in neuem Licht. Um eine Verunglimpfung des Islams geht es dabei nicht, wie Luxenberg hervorhebt, denn gerade die Muslime müssen am ehesten an einer Klärung der Koransprache interessiert sein. Es ist nicht die Schuld des Korans, wenn Menschen Teile von ihm aus Unwissenheit mißverstanden haben. Politische Implikationen eingeschlossen. Ein zweiter Band ist in Vorbereitung.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht wenige moslemische Gelehrte, die sich an eine wissenschaftliche Auslegung des Korans gewagt haben, mussten ihre Studien mit dem Leben bezahlen. Kein Wunder, meint daher Rezesent Wolfgang Günter Lerch, dass auch der deutsche Semitist und Autor des Buches "Die syro-aramäische Lesart des Koran" nur unter dem Pseudonym Christoph Luxenberg veröffentlicht. Luxenberg untersuche den Koran streng sprachwissenschaftlich und lege damit eine "Lunte an religiöses Dynamit". Doch die Ergebnisse der Arbeit scheinen Lerch weitgehend überzeugend: Luxenberg entschlüssele die vielen christlichen und syrischen Elemente, die im Koran ihren sprachlichen Niederschlag gefunden haben, schließlich sei zur Entsehungszeit des Koran das Aramäische im Vorderen Orient wesentlich verbreiteter gewesen als das Hocharabisch. Als besonders brisantes Beispiel der Luxenbergschen Textkritik führt der durchaus beeindruckte Rezensent die legendären "Huris" an, die im Hocharabisch zu den "großäugigen Jungfrauen" wurden, die bekanntlich auf die Seligen im Paradies warten. Vom aramäischen Wortstamm ausgehend, glaubt Luxenberg vielmehr, dass es sich dabei um "perlengleiche Weintrauben" handelt.

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