Was drauf steht - und was drin ist
Marmelade, Duschgel, Frischhaltefolie - überall lauern chemische Gefahren. Klaus Oberbeil klärt auf: Welche Substanzen sind besonders gefährlich? Wo "verstecken" sie sich? Wie kann man sich davor schützen? Und welchen Herstellern und Verpackungsangaben überhaupt noch trauen? Ein Buch, das uns die Augen öffnen und unsere Sinne schärfen wird.
Marmelade, Duschgel, Frischhaltefolie - überall lauern chemische Gefahren. Klaus Oberbeil klärt auf: Welche Substanzen sind besonders gefährlich? Wo "verstecken" sie sich? Wie kann man sich davor schützen? Und welchen Herstellern und Verpackungsangaben überhaupt noch trauen? Ein Buch, das uns die Augen öffnen und unsere Sinne schärfen wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2011Innerer Waschzwang
Wenn es eine Theologie des Kapitalismus gäbe, dann wäre Werbung eine ihrer apologetischen Teildisziplinen. Würde man in jedem Produkt, in jedem Bedürfnis, das uns Menschen antreibt, die dahinter verborgene ökonomische Logik entschlüsseln, dann wüsste man, wie unsinnig und fremdbestimmt, wie irrgläubig und unvernünftig viele unserer täglichen Gewohnheiten sind. Dies zu steuern ist die Aufgabe einer Werbeindustrie, die in der Sphäre der Semantik mit größtmöglichem Aufwand "Arbeit am Mythos" betreibt. Das lässt sich mit einem wunderbaren Don-Draper-Zitat aufschlüsseln, einem Satz dieses genialen Werbefachmanns aus der amerikanischen Fernsehserie "Mad Men", die einsichtig und subtil Mechanismen ökonomischer Moral offenzulegen weiß. In einer der brillantesten Szenen aus der ersten Staffel beklagt eine Frau gegenüber dem Werbefachmann Draper, dass sie erstaunt sei, niemals wahre Liebe erfahren zu haben. Die Antwort darauf klingt trocken: "Der Grund, warum Sie Liebe nie gefühlt haben, ist der, dass sie nicht existiert. Was Sie Liebe nennen, wurde von Jungs erfunden, die so denken wie ich, um Nylon-Strümpfe zu verkaufen."
Auf ähnliche Analogien kommt auch der Wissenschaftsjournalist Klaus Oberbeil ("Die tägliche Dosis Gift". Warum fast alles, was wir berühren, essen oder einatmen, chemisch belastet ist. Und wie wir uns davor schützen können. Wilhelm Heyne Verlag, München 2011. 252 S., br., 8,99 [Euro]). Dort fächert er auf, wie viele chemische Substanzen sich in fast allen Produkten unseres täglichen Bedarfs verbergen und warum wir fest daran glauben, ohne sie nicht leben zu können. Wir verwenden Deodorants, die krebserregend sind, um unser Kollegium nicht mit Schweißflecken zu verprellen. Wir schminken uns, um schön zu sein, wobei wir unsere natürliche Schönheit aufs Spiel setzen. Unseren Hautschutzfilm "aus milden Säuren, Schweiß, Eiweiß und Cholesterin" (alles mittlerweile grausig klingende Begriffe) zerstören wir in dem Glauben, wir müssten auf aggressive Seifen zurückgreifen, um uns buchstäblich "nicht sauber, sondern rein" zu waschen. Das Resultat ist ein zu verzeichnender Anstieg von Allergien und Hautkrankheiten und ein ungesundes Verhältnis zum Körper, das auf einer industriellen Instrumentalisierung hygienischer Schuldgefühle beruht.
Klaus Oberbeil entlarvt in seinem Buch die Wirkungsmacht eines Wirtschaftszweiges, der uns immer wieder erfolgreich zum Gang in den Supermarkt bewegt. Vernunft und Mäßigung sind die Gegenbegriffe, welche dem Siegeszug eines Menschen Einhalt gebieten sollen, der angesichts eines mit Pestiziden perfekt gereinigten Wohnzimmers das Gefühl nicht loswird, sich entschuldigen zu müssen, dass die Wohnung doch nicht ganz so sauber geworden sei. Dass krampfhafter Perfektionsgeist in Sachen Pflege wahrlich nichts Gesundes ist, lässt sich mit Robert Musils Epochenroman "Der Mann ohne Eigenschaften" vergegenwärtigen, den der amerikanische Literaturwissenschaftler Todd Cesaratto einst mit feiner Ironie als "Bibel der Moderne" beschrieb: "Die These, dass der große Umsatz an Seife von großer Reinlichkeit zeugt, braucht nicht für die Moral zu gelten, wo der neuere Satz richtiger ist, dass ein ausgeprägter Waschzwang auf nicht ganz saubere innere Verhältnisse hindeutet."
TOMASZ KURIANOWICZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn es eine Theologie des Kapitalismus gäbe, dann wäre Werbung eine ihrer apologetischen Teildisziplinen. Würde man in jedem Produkt, in jedem Bedürfnis, das uns Menschen antreibt, die dahinter verborgene ökonomische Logik entschlüsseln, dann wüsste man, wie unsinnig und fremdbestimmt, wie irrgläubig und unvernünftig viele unserer täglichen Gewohnheiten sind. Dies zu steuern ist die Aufgabe einer Werbeindustrie, die in der Sphäre der Semantik mit größtmöglichem Aufwand "Arbeit am Mythos" betreibt. Das lässt sich mit einem wunderbaren Don-Draper-Zitat aufschlüsseln, einem Satz dieses genialen Werbefachmanns aus der amerikanischen Fernsehserie "Mad Men", die einsichtig und subtil Mechanismen ökonomischer Moral offenzulegen weiß. In einer der brillantesten Szenen aus der ersten Staffel beklagt eine Frau gegenüber dem Werbefachmann Draper, dass sie erstaunt sei, niemals wahre Liebe erfahren zu haben. Die Antwort darauf klingt trocken: "Der Grund, warum Sie Liebe nie gefühlt haben, ist der, dass sie nicht existiert. Was Sie Liebe nennen, wurde von Jungs erfunden, die so denken wie ich, um Nylon-Strümpfe zu verkaufen."
Auf ähnliche Analogien kommt auch der Wissenschaftsjournalist Klaus Oberbeil ("Die tägliche Dosis Gift". Warum fast alles, was wir berühren, essen oder einatmen, chemisch belastet ist. Und wie wir uns davor schützen können. Wilhelm Heyne Verlag, München 2011. 252 S., br., 8,99 [Euro]). Dort fächert er auf, wie viele chemische Substanzen sich in fast allen Produkten unseres täglichen Bedarfs verbergen und warum wir fest daran glauben, ohne sie nicht leben zu können. Wir verwenden Deodorants, die krebserregend sind, um unser Kollegium nicht mit Schweißflecken zu verprellen. Wir schminken uns, um schön zu sein, wobei wir unsere natürliche Schönheit aufs Spiel setzen. Unseren Hautschutzfilm "aus milden Säuren, Schweiß, Eiweiß und Cholesterin" (alles mittlerweile grausig klingende Begriffe) zerstören wir in dem Glauben, wir müssten auf aggressive Seifen zurückgreifen, um uns buchstäblich "nicht sauber, sondern rein" zu waschen. Das Resultat ist ein zu verzeichnender Anstieg von Allergien und Hautkrankheiten und ein ungesundes Verhältnis zum Körper, das auf einer industriellen Instrumentalisierung hygienischer Schuldgefühle beruht.
Klaus Oberbeil entlarvt in seinem Buch die Wirkungsmacht eines Wirtschaftszweiges, der uns immer wieder erfolgreich zum Gang in den Supermarkt bewegt. Vernunft und Mäßigung sind die Gegenbegriffe, welche dem Siegeszug eines Menschen Einhalt gebieten sollen, der angesichts eines mit Pestiziden perfekt gereinigten Wohnzimmers das Gefühl nicht loswird, sich entschuldigen zu müssen, dass die Wohnung doch nicht ganz so sauber geworden sei. Dass krampfhafter Perfektionsgeist in Sachen Pflege wahrlich nichts Gesundes ist, lässt sich mit Robert Musils Epochenroman "Der Mann ohne Eigenschaften" vergegenwärtigen, den der amerikanische Literaturwissenschaftler Todd Cesaratto einst mit feiner Ironie als "Bibel der Moderne" beschrieb: "Die These, dass der große Umsatz an Seife von großer Reinlichkeit zeugt, braucht nicht für die Moral zu gelten, wo der neuere Satz richtiger ist, dass ein ausgeprägter Waschzwang auf nicht ganz saubere innere Verhältnisse hindeutet."
TOMASZ KURIANOWICZ
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