Zwischen Idee und Umsetzung steckengeblieben
„Die Tage des Wals“, der Debutroman von Elizabeth O,Connor, spielt auf einer fiktiven sehr kleinen Insel vor der walisischen Küste im Jahr 1938. Erzählt wird die Geschichte von der gerade 18-jährigen Manod und ihrem zurückgezogenen, kargen Leben auf
der Insel – das im Verlauf der Handlung von zwei Ereignissen unterbrochen wird: Dem Stranden und…mehrZwischen Idee und Umsetzung steckengeblieben
„Die Tage des Wals“, der Debutroman von Elizabeth O,Connor, spielt auf einer fiktiven sehr kleinen Insel vor der walisischen Küste im Jahr 1938. Erzählt wird die Geschichte von der gerade 18-jährigen Manod und ihrem zurückgezogenen, kargen Leben auf der Insel – das im Verlauf der Handlung von zwei Ereignissen unterbrochen wird: Dem Stranden und Verenden eines Wals und der Ankunft von zwei Ethnologen oder Anthropologen, Joan und Edward, die für ein paar Monate auf der Insel verweilen und sie und ihre Bewohner:innen erforschen.
Der Einstieg ins Buch ist sehr gelungen. Ein Gedicht in walisischer Sprache versetzt die lesende Person sofort atmosphärisch auf die Insel und ein kurzes Vorabkapitel mit Informationen ist sehr hilfreich, um die Dramatik der Ereignisse für die Bewohner:innen einordnen zu können. Sehr schön auch die Gestaltung des Schutzumschlages, der sowohl die Natur der Insel als auch den Walkörper in einer leicht abstrakten Form aufnimmt, und dann das darunter liegende Hard Top in den Farben grün und weiß, bestimmt nicht zufällig die Farben der Schuluniform (und der Flagge von Wales). Btw. „Wales – des Wales“, oder „Wales – Whales“ I mean... Die gewählte Sprache passt hervorragend zu der Insel, die kurzen, etwas sperrigen Sätze lassen sofort die Kargheit der Insel, die wenigen Ereignisse, das Leben, das so wenig Raum für Entfaltung bietet, spüren. In diesen kurzen Sätzen findet O’Connor dennoch Platz für großartige Sprachbilder.
Die Isolation auf der Insel wird sehr deutlich, die wenigen Möglichkeiten für Manod, wenn sie in die Zukunft schaut, ihre für den Zeitraum, in dem der Roman spielt, Ende der 30er, typische Funktionalisierung als Frau (heiraten, gebären), die Herzlosigkeit oder Überforderung des Vaters, der sie immer mit dem Namen des Hundes anspricht, zu dem er eine innigere Beziehung zu haben scheint, die aus all dem resultierende Sehnsucht nach dem Festland, die sich unter anderem im Versuch abbildet, zumindest in der Mode mitzuhalten und nicht ganz so insularisch zu sein.
Der Bevölkerungsschwund ist eine logische Folge der Rückwärtsgewandtheit der Insel und er ist bedrohlich: „Auf der Insel gab es mehr leere Häuser als bewohnte, hinterlassen von Familien, die aufs Festland gezogen waren.“ Das hat mich an den großen Leerstand in vielen Städten in Ostdeutschland erinnert kurz nach der Wende. Wie sehr diese Abschottung der Insel real ist, merkt man vor allem daran, dass sogar die Anbahnung des zweiten Weltkriegs nur eine Nachricht in der Zeitung ist, wie zwar bemerkt wird, dass auf dem Festland große Veränderungen vonstatten gehen, sich auf der Insel aber eigentlich nichts bewegt.
Bis auf den Wal. Der eines Tages am Strand festliegt und für einen kurzen Moment eine kleine Sensation bietet. Und kurz darauf gefolgt wird – ohne dass es einen kausalen Zusammenhang gäbe – von Joan und Edward, deren Ziel es ist, die Insel und ihre Bewohner:innen zu erforschen. Und mit deren Eintreffen für Manod alles anders wird und sie zunehmend Hoffnung bekommt, dass doch ein besseres Leben fern der Insel möglich sein könnte. Die Atmosphäre, die O'Connor erzeugt, ist dabei durchweg sehr eindrücklich. Und lässt die Lesenden immer tiefer in die Insel eintauchen.
Dennoch fehlt es im weiteren Verlauf an vielem. Die Handlung geht einen erwartbaren Gang, der titelgebende Wal verkommt fast zum Dekor, die sehr kurzen Kapitel werden zunehmend redundant, nicht nur das Meer wird immer grauer, die Erzählung scheint zunehmend in einer Idee festzustecken. Figuren wie der Vater von Manod erhalten kaum Tiefe, vieles wird nur angerissen, z.B. die Frage, wie wichtig Religion der Gemeinschaft ist.
Am Ende bleibt viel offen und ich weiß nicht, so richtig mitgenommen hat das Buch mir nicht, ich hätte mir im zweiten Teil eine bessere Geschichte erhofft. Für mich ist das Buch solide, ich sehe eine schöne Schreibe und teils ganz spannende Figuren, gute Beschreibungen von Situationen und Landschaften, aber insgesamt geht es mir um zu wenig und bleibt es für mich noch eher im Ansatz stecken. Richtig gepackt hat mich nichts. Der Wal ist letztlich auch nur ein Symbol für die Vergänglichkeit und das Festsitzen, vom Titel her dachte ich da eher an irgendwas irgendwie Magisches – aber er ist eigentlich eher eine Randfigur. Schriftstellerisches Talent ist hier in hohem Maß vorhanden, Ideen auch – jetzt braucht es noch mehr Plot für die Langstrecke Roman. Zwischen Idee und Umsetzung steckengeblieben – das gilt hier sowohl für die Hauptfigur als auch für den Roman.