New Mexico, Frühjahr 1945: Unter dem Decknamen "Manhattan Project" arbeiten in Los Alamos hochrangige Wissenschaftler, darunter viele Emigranten aus Europa, fieberhaft an der Fertigstellung der ersten Atombombe. Als der Sicherheitsbeamte Karl Brauner in der Nähe von Santa Fe ermordet aufgefunden wird, erhält Michael Connolly, der für das "Office of War Information" arbeitet, den Auftrag, diesen Fall diskret aufzuklären, ohne das Projekt zu verzögern oder gar zu gefährden. Connolly steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Er flüchtet sich in eine Affäre mit Emma, der Frau des polnisch-jüdischen Wissenschaftlers Daniel Pawlowski, in die er sich schon am ersten Abend in Los Alamos verliebt hatte. Die Engländerin ist nicht nur eine sehr attraktive Frau und begeisterte Anthropologin, die Connolly in die längst versunkene und geheimnisvolle Welt der Anasazi-Indianer einweiht: Emma Pawlowski hat auch viel mehr mit dem Mordfall Brauner zu tun, als Connolly zunächst ahnt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.1997Vater der Bombe
Joseph Kanon über das Manhattan-Projekt · Von Egon Schwarz
Dieser Roman will alles zugleich sein: Kriminalroman, Liebesroman, Spionageroman. Und er fügt jedem Genre noch einen ungewöhnlichen Schnörkel hinzu. Die interessanteste Schicht des Ganzen ist jedoch die Zeitgeschichte. Die Handlung spielt in Los Alamos, wo das sogenannte "Manhattan-Projekt" abläuft, die gigantische militärisch-wissenschaftliche Unternehmung, die 1945 zur Konstruktion der ersten Atombombe geführt hat. Allein schon wie Joseph Kanon Land und Leute NewMexicos beschreibt, ist ein beeindruckendes Meisterstück.
Dazu kommen Atmosphäre und Personal des Projekts, in dem die größte Vernichtungswaffe aller Zeiten entwickelt wird, mit allen Heimlichkeiten, Intrigen, aller Spitzelei, Hektik und Kommunistenschnüffelei des beginnenden Kalten Krieges. Daß die Sowjetunion, wie sich nachträglich herausstellte, Hunderte von Spionen in und um Los Alamos eingesetzt hatte, legitimiert die zentrale Stelle, die dieser Spähaktion im Roman eingeräumt wird.
Bekannte Wissenschaftler, die an dem Projekt mitarbeiteten, werden namentlich erwähnt, zum Beispiel Kistiakowski, Bethe, Szilard, Fermi. Den berühmtesten, Robert Oppenheimer, den Leiter des Ganzen, läßt der Verfasser als Mitspieler auftreten und beschreibt mit physiognomischer Genauigkeit sein Äußeres, sein Auftreten und seine Sprechweise. Die wichtigsten Mitarbeiter des Projekts waren Europäer, viele von ihnen Deutsche jüdischer Herkunft, so daß sich dem Autor die Gelegenheit bietet, über ihre Vertreibung, den Holocaust, die europäische Kultur, die sie mitgebracht haben sowie die verschiedenen Formen der Eingliederung in ihr Asylland zu reflektieren. Die vielfältige Zusammensetzung und Herkunft des Personals mit seinen divergierenden Weltanschauungen bringt es zudem mit sich, daß auch über die Ethik eines Atomkriegs recht ausführliche Diskussionen stattfinden.
Obwohl die Zentralgestalt, der Detektiv, als Vollblut-Amerikaner dargestellt ist, kommen auch diejenigen zu Wort, die gegen die Herstellung der Atombombe argumentieren oder es dem Weltfrieden zuliebe für ratsam halten, das amerikanische Monopol zu brechen, und sei es um den gefährlichen Preis, die streng gehüteten Geheimnisse den Russen zugänglich zu machen. Deutlich wird vor allem, daß die Atombombe von Leuten gebaut wurde, die von den Nationalsozialisten aus ihrer Heimat ins amerikanische Exil getrieben wurden.
Zum Schluß spitzt sich die Handlung zu: Ein Zweikampf auf Leben und Tod zwischen Detektiv und Mörder wird beschrieben, eine aufregende Verfolgungsjagd mit dem Auto findet statt, ebenso die Entführung einer schönen jungen Frau, der zum Klischee gewordenen Dame in Schwierigkeiten. Natürlich wird sie gerettet. Aber zur Rettung des Buches und seines höheren Niveaus endet das Ganze mit der Explosion der euphemistisch "Spielzeug" genannten Atombombe und einem Gespräch zwischen Robert Oppenheimer und dem Helden der Geschichte, der alle Probleme gelöst und doppelt beantwortet hat, einmal für die Eingeweihten und das zweite Mal für die große Öffentlichkeit.
Denn im Zivilberuf ist dieser Detektiv ein "Umschreiber", einer jener Zeitungsreporter, die das Rohmaterial der Nachrichten für den Gebrauch der Normalleser herrichten. Auf subtile Weise wird unterstellt, daß die ganze Weltgeschichte, in dem Augenblick, wo sie geschieht, im Bewußtsein der Massen und im Interesse ihrer Dirigenten zum Mythos umgeschrieben wird. Das Vergnügen an dieser Geschichte und ihren originellen Dialogen wird freilich durch die Druckfehler beeinträchtigt. Besonders verwirrend wirkt die allzu häufige Verwechslung von groß- und kleingeschriebenen "Sie". Und auch die Übersetzung läßt an mancher Stelle zu wünschen übrig.
Wenn der Detektiv in seinem letzten Gespräch mit Oppenheimer dem Wissenschaftler voraussagt, wie es ihm, dem Vater der Atombombe, ergehen werde, welche Verfolgungen und Verunglimpfungen ihm von seiten der hohen Militärs bevorstehen, so ist das keine Hexerei. Aus der heutigen Perspektive brauchte der Autor kein Hellseher zu sein, um ins Jahr1945 plazierte Prophezeiungen über Geschehnisse zu machen, die 1954 eintreten würden. Aber sie bilden einen eindrucksvollen Abschluß des Buches.
Joseph Kanon: "Die Tage vor Los Alamos". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Klaus Berr. Klaus Blessing Verlag, München 1997. 471 S., geb., 46,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joseph Kanon über das Manhattan-Projekt · Von Egon Schwarz
Dieser Roman will alles zugleich sein: Kriminalroman, Liebesroman, Spionageroman. Und er fügt jedem Genre noch einen ungewöhnlichen Schnörkel hinzu. Die interessanteste Schicht des Ganzen ist jedoch die Zeitgeschichte. Die Handlung spielt in Los Alamos, wo das sogenannte "Manhattan-Projekt" abläuft, die gigantische militärisch-wissenschaftliche Unternehmung, die 1945 zur Konstruktion der ersten Atombombe geführt hat. Allein schon wie Joseph Kanon Land und Leute NewMexicos beschreibt, ist ein beeindruckendes Meisterstück.
Dazu kommen Atmosphäre und Personal des Projekts, in dem die größte Vernichtungswaffe aller Zeiten entwickelt wird, mit allen Heimlichkeiten, Intrigen, aller Spitzelei, Hektik und Kommunistenschnüffelei des beginnenden Kalten Krieges. Daß die Sowjetunion, wie sich nachträglich herausstellte, Hunderte von Spionen in und um Los Alamos eingesetzt hatte, legitimiert die zentrale Stelle, die dieser Spähaktion im Roman eingeräumt wird.
Bekannte Wissenschaftler, die an dem Projekt mitarbeiteten, werden namentlich erwähnt, zum Beispiel Kistiakowski, Bethe, Szilard, Fermi. Den berühmtesten, Robert Oppenheimer, den Leiter des Ganzen, läßt der Verfasser als Mitspieler auftreten und beschreibt mit physiognomischer Genauigkeit sein Äußeres, sein Auftreten und seine Sprechweise. Die wichtigsten Mitarbeiter des Projekts waren Europäer, viele von ihnen Deutsche jüdischer Herkunft, so daß sich dem Autor die Gelegenheit bietet, über ihre Vertreibung, den Holocaust, die europäische Kultur, die sie mitgebracht haben sowie die verschiedenen Formen der Eingliederung in ihr Asylland zu reflektieren. Die vielfältige Zusammensetzung und Herkunft des Personals mit seinen divergierenden Weltanschauungen bringt es zudem mit sich, daß auch über die Ethik eines Atomkriegs recht ausführliche Diskussionen stattfinden.
Obwohl die Zentralgestalt, der Detektiv, als Vollblut-Amerikaner dargestellt ist, kommen auch diejenigen zu Wort, die gegen die Herstellung der Atombombe argumentieren oder es dem Weltfrieden zuliebe für ratsam halten, das amerikanische Monopol zu brechen, und sei es um den gefährlichen Preis, die streng gehüteten Geheimnisse den Russen zugänglich zu machen. Deutlich wird vor allem, daß die Atombombe von Leuten gebaut wurde, die von den Nationalsozialisten aus ihrer Heimat ins amerikanische Exil getrieben wurden.
Zum Schluß spitzt sich die Handlung zu: Ein Zweikampf auf Leben und Tod zwischen Detektiv und Mörder wird beschrieben, eine aufregende Verfolgungsjagd mit dem Auto findet statt, ebenso die Entführung einer schönen jungen Frau, der zum Klischee gewordenen Dame in Schwierigkeiten. Natürlich wird sie gerettet. Aber zur Rettung des Buches und seines höheren Niveaus endet das Ganze mit der Explosion der euphemistisch "Spielzeug" genannten Atombombe und einem Gespräch zwischen Robert Oppenheimer und dem Helden der Geschichte, der alle Probleme gelöst und doppelt beantwortet hat, einmal für die Eingeweihten und das zweite Mal für die große Öffentlichkeit.
Denn im Zivilberuf ist dieser Detektiv ein "Umschreiber", einer jener Zeitungsreporter, die das Rohmaterial der Nachrichten für den Gebrauch der Normalleser herrichten. Auf subtile Weise wird unterstellt, daß die ganze Weltgeschichte, in dem Augenblick, wo sie geschieht, im Bewußtsein der Massen und im Interesse ihrer Dirigenten zum Mythos umgeschrieben wird. Das Vergnügen an dieser Geschichte und ihren originellen Dialogen wird freilich durch die Druckfehler beeinträchtigt. Besonders verwirrend wirkt die allzu häufige Verwechslung von groß- und kleingeschriebenen "Sie". Und auch die Übersetzung läßt an mancher Stelle zu wünschen übrig.
Wenn der Detektiv in seinem letzten Gespräch mit Oppenheimer dem Wissenschaftler voraussagt, wie es ihm, dem Vater der Atombombe, ergehen werde, welche Verfolgungen und Verunglimpfungen ihm von seiten der hohen Militärs bevorstehen, so ist das keine Hexerei. Aus der heutigen Perspektive brauchte der Autor kein Hellseher zu sein, um ins Jahr1945 plazierte Prophezeiungen über Geschehnisse zu machen, die 1954 eintreten würden. Aber sie bilden einen eindrucksvollen Abschluß des Buches.
Joseph Kanon: "Die Tage vor Los Alamos". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Klaus Berr. Klaus Blessing Verlag, München 1997. 471 S., geb., 46,90 DM.
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