1962, als Dreißigjährige, nahm Sylvia Plath sich in London das Leben. Sie hinterließ ein großes literarisches Werk: Lyrik, Erzählungen, den Roman 'Die Glasglocke', Briefe und die hier vorliegenden Tagebücher.
Diese sind zugleich erzählerisch brillant wie erschütternd. Die privaten Aufzeichningen, beginnend 1950 und endend im Mai 1962, bringen endlich Licht in das Dunkel um die amerikanische Autorin und ermöglichen einen unverstellten Blick auf ihre komplexe und komplizierte psychische Lebens- und Schaffenssituation.
Sylvia Plaths Tagebücher faszinieren durch Reichhaltigkeit und Direktheit und zeigen über das persönliche Schicksal hinaus exemplarisch den Lebenskonflikt einer jungen, intellektuell ambitionierten Frau in den Zwängen der 50er Jahre.
Diese sind zugleich erzählerisch brillant wie erschütternd. Die privaten Aufzeichningen, beginnend 1950 und endend im Mai 1962, bringen endlich Licht in das Dunkel um die amerikanische Autorin und ermöglichen einen unverstellten Blick auf ihre komplexe und komplizierte psychische Lebens- und Schaffenssituation.
Sylvia Plaths Tagebücher faszinieren durch Reichhaltigkeit und Direktheit und zeigen über das persönliche Schicksal hinaus exemplarisch den Lebenskonflikt einer jungen, intellektuell ambitionierten Frau in den Zwängen der 50er Jahre.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1997Ich habe dir nie einen Zitronenkuchen versprochen
Gerichtstag über sich selbst: Sylvia Plath in ihren Tagebüchern / Von Ulla Hahn
Es ist ein Gemeinplatz, daß das einzig zulässige Objekt für Kommentar und Analyse der Text ist. Wir kennen "die Plath" nicht. Nur, was sie geschrieben hat. Sylvia Plath ist ein Phantom. Eine Phantasie. Wir machen uns ein Bild.
Die Ansichten über sie zerfallen in zwei Lager: Die einen pathologisieren die Dichterin - und damit ihr Werk. Sie stellen freischweifende Diagnosen zwischen "psychotisch" und "schizophren" und lesen ihr Werk als Symptome oder Warnungen, als etwas, was wir bewundern oder meiden können. Die Diagnosen tendieren dazu, die Dichterin schuldig zu sprechen - schuldig, weil sie mit den Belästigungen des Unbewußten nicht fertig werden konnte - wie ein "normaler" Mensch.
Der Feminismus antwortete auf diese Haltung einer furchterregenden Normalität, indem er das Typische des inneren Dramas der Dichterin hervorhob; Sylvia Plath wird unschuldig, schuldig ist das "Patriarchat"; schuldig sind Männer, der Vater, der Ehemann; die Frau verinnerlicht die Gewalt der patriarchalischen Welt und wendet sie gegen sich. Bei diesem Ansatz verliert das psychische Leben seine eigene Dynamik und erscheint nur noch als Folge sozialer Ungerechtigkeit; inneres Leben gehorcht der äußeren Welt, die es ungebrochen reflektiert.
Es ist entlastend, Verantwortliche (die Mutter, den Vater, den Ehemann) zu finden für all die Negativität und Gewalt, die Sylvia Plath so beklemmend genau in ihrem Werk formuliert. Jede Veröffentlichung wird dann als eine Station auf dem Weg zum Mythos der Selbsterschaffung betrachtet. Dichtung wird zur Selbstbehütung, die das Unbewußte beschwichtigt und idealerweise die Schwierigkeiten Stück für Stück, Gedicht um Gedicht beseitigt. Schreiben als Therapie. Beide Arten des Umgangs mit dem Werk machen die Herausforderung Plath klein, indem sie die Dichterin entweder zu einem Fall oder einer Kultfigur machen.
Weder das Leben noch das Werk Sylvia Plaths erlauben den einzigen, den exklusiven Blick. Im Gegenteil. Das Aufregende ihrer Gedichte und ihrer Prosa, ihrer Briefe und auch ihrer Tagebücher ist gerade die Vielfalt der verschiedenen Äußerungen, die einander sowohl ergänzen wie widersprechen. Plaths unerbittliches Kreisen um ihre eigene Subjektivität in so vielen unterschiedlichen Formen stellt vor allem anderen klar, daß, wenn wir uns als Menschen durch Sprache erschaffen, jede Äußerung immer nur als Bruchstück betrachtet werden kann. Es ist diese vorläufige, ungesicherte, oft indirekte Art der Selbstdarstellung, die in all den unterschiedlichen Formen, die die Plath benutzt, so aufregend und modern erscheint.
Die meisten Kritiker des Plathschen Werks betrachten es jedoch als ihre vorrangige Aufgabe, eine monolithische Version der Plath zu produzieren, als Frau, als Schreiberin, so als sei diese Fragmentation oder indirekte Darstellung etwas, das man durch das Hinzufügen der eigenen Aussage reparieren könnte. Doch die Plath selbst konfrontiert uns innerhalb ihres Werks mit den Grenzen ihres (und unseres) Wissens. Das ist auszuhalten.
Der größere Teil des Werks der Sylvia Plath wurde erst nach ihrem Tod veröffentlicht und - was wichtiger ist - ediert. Der englische Lyriker Ted Hughes, mit dem sie sechs Jahre verheiratet war und von dem sie zum Zeitpunkt ihres Todes zwar schon getrennt, aber noch nicht in Scheidung lebte, weil sie die Papiere noch nicht unterzeichnet hatte, sah sich dazu bevollmächtigt. Obwohl die "Ariel"-Gedichte, von Sylvia Plath schon vollständig für eine Publikation zusammengestellt worden waren, veröffentlichte er den Band erst knapp drei Jahre nach ihrem Tod, wobei er einige Gedichte, die ihm "zu persönlich" vorkamen, wieder herausnahm. Erst acht Jahre später gab er die Bände "Crossing the Water" und "Winter Trees" heraus, womit endlich der bedeutende Teil der Plathschen Gedichte zugänglich war. Weitere elf Jahre später, 1982, erschienen dann, nur als amerikanische Ausgabe, die Tagebücher, die jetzt in deutscher Übersetzung vorliegen. Sie beginnen mit den Jahren 1950 bis 1955, die Sylvia Plath am Smith College verbrachte; die Hefte aus der Zeit nach ihrem ersten Selbstmordversuch 1953 sind allerdings, so die Herausgeberin Frances McCullough, "verschwunden". Die letzten Hefte aus der Zeit von 1959 bis drei Tage vor ihrem Freitod am 11. Februar 1963 hat der vorsorgende Familienvater, der seine Ehefrau, seine zweijährige Tochter, seinen zehn Monate alten Sohn wegen einer anderen Frau verließ, eingestandenermaßen "vernichtet". Er wollte nicht, "daß ihre Kinder das je lesen müßten". Doch damit nicht genug: Den verbleibenden Rest hat Hughes noch einmal um zwei Drittel gekürzt.
Der Druck, einem Bild gerecht zu werden, das sie sich von anderen aufzwingen ließ, hat Sylvia Plath ein Leben lang verfolgt, von Erfolg zu Erfolg gehetzt, aber auch in Selbstzweifel, Überforderung und schließlich in tödliche Erschöpfung. Es ist eine böse Ironie, daß sie noch - und gerade - nach ihrem Tod von ebendenen beschnitten wird, für die sie sich zu Lebzeiten freiwillig selbst zurechtstutzte: von ihrer Mutter und ihrem Ehemann. So wie die Mutter die "Briefe nach Haus" in ein innig-ungetrübtes Mutter-Tochter-Verhältnis umfrisieren wollte, um als makellose Mater dolorosa dazustehen, sucht Hughes die Plath ins Gewalttätige, Überschwengliche, Neurotische hinüberzuspielen, um selbst als der erhabene Dulder dazustehen, der sein Bestes tat, an einer derart überspannten Person aber scheitern mußte. Dafür ein Beispiel:
Jacqueline Rose hat für ihr Buch "The Haunting of Sylvia Plath" (1992) auch Einblick in die unveröffentlichten Tagebuchteile nehmen und - erstaunlicherweise - auch veröffentlichen dürfen. Denn die Nachlaßverwalter, Hughes und seine Schwestern, sitzen auf dem Werk der Dichterin wie der Drache vorm Hort und suchten dieses Buch selbst mit juristischen Mitteln zu verhindern. Da schildert Sylvia Plath in ihren Aufzeichnungen, wie sie Ted Hughes kennenlernte, eine turbulente Begegnung auf einer Party, beide hatten mehr als genug getrunken. Dem Leser wird erlaubt zu erfahren, daß Sylvia Plath Hughes in die Wange biß. Weggestrichen ist, daß er ihr zuvor das Haarband und die Ohrringe vom Kopf gerissen hatte. Seine Aggression wird gestrichen, Plath hingegen steht da als Mänade im "college look". Weggelassen ist auch die erste Nacht, die sie zusammen verbringen und die Sylvia Plath als "holocaust" bezeichnet, "which leaves her bruised".
Doch es geht bei den Auslassungen nicht nur um das Bild der Person Plath, es geht auch um ihr Werk. Nicht aufgenommen wurden Skizzen und Entwürfe für Gedichte und Prosaarbeiten, besonders aus der frühen Zeit, während Stücke, die nach ihrem ersten Selbstmordversuch entstanden und einen hohen Ton in Anlehnung an die "écriture automatique" anschlagen, aufgenommen wurden. Nicht nur die Autorin, auch der Leser wird bevormundet; als ob er sich nicht selbst ein Urteil bilden könnte über den Grad ästhetischer Reife. Ist es doch gerade in diesem Falle ergreifend zu verfolgen, wie eine Dichterin um ihren eigenen Ausdruck kämpft, bis sie ihn schließlich in den großartigen Gedichten findet, die sie in den letzten Wochen bis wenige Tage vor ihrem Tod schreibt.
Er habe, so Ted Hughes' Antwort auf die Vorwürfe amerikanischer Rezensenten, die Tagebücher herausgebracht, "in der Hoffnung, einiges Material zur Verfügung zu stellen für unsere Idee der Realität hinter den Gedichten". Nun kann man sich generell fragen, wie wichtig oder sinnvoll die Kenntnis von "Realität hinter den Gedichten" für deren Verständnis ist. Wo das "Material" aber derart manipuliert wird, wo ganze Passagen gestrichen werden, nur weil sei dem Plath-Bild der Geschwister Hughes nicht entsprachen, ist der Nutzen mehr als fragwürdig. Hughes muß sich schon die Frage gefallen lassen, ob es ihm wirklich nur um "sein Bild" der Plath für die Öffentlichkeit ging oder ob er sich nicht doch vor allem um die eigene Fassade im öffentlichen Ansehen sorgte.
Bei einer derartigen Editionspraxis drängt sich die Frage nach dem Status dieser und anderer Tagebuchmanuskripte überhaupt auf: Sind sie persönliches oder nicht doch auch kulturelles Eigentum? Oder liegt das Problem gerade darin, daß sie Mischformen sind, die das Heikle, aber auch das Künstliche einer Abgrenzung zwischen den beiden Bereichen sichtbar machen? In jedem Fall zeigt uns der Umgang mit der Plath eine perverse - sadistische und voyeuristische - Komponente des öffentlichen Anspruchs auf eine Person. Wohin dies führen kann, wurde erst kürzlich anläßlich des Todes der Prinzessin von Wales wieder diskutiert. Die Versuchung, gerade das Werk Sylvia Plaths zu begrenzen, auch Grenzen zu setzen für ihre Interpretation, ist verlockend: nicht nur im Namen des Schutzes der Privatsphäre, auch im Namen von "Fakten" und wissenschaftlicher Redlichkeit.
Doch selbst in ihrer Verstümmelung machen die Tagebücher nun jede Art einer eindimensionalen Annäherung vollends obsolet. Zu Beginn lernen wir eine Achtzehnjährige kennen, geprägt vom "American way of life" der fünfziger Jahre, von seinen Anforderungen an Weiblichkeit, Leistung, Erfolg, Prestige. Heute ist die Plath zu einem Symbol für den Höhenflug von Dichtung geworden. Doch mit der gleichen Ernsthaftigkeit wie ihre Gedichte schrieb sie - und nicht nur zu Beginn ihrer Laufbahn - Geschichten für Magazine, insbesondere für Frauen. Sie belieferte Frauenzeitschriften, die genau das Bewußtsein schüren, das die Bewegung, welche die Plath für sich reklamiert, bekämpft. Sehnlichst wollte sie ein Teil ebenjener Kultur sein, zu der sie feministische Literaturwissenschaft so gern in einen unversöhnlichen Gegensatz stellt. Dieser Wunsch, dabeizusein, akzeptiert, anerkannt zu werden, ist der am nachdrücklichsten formulierte und am häufigsten wiederkehrende Refrain der Tagebücher.
Zwei Wege führten ihrer Ansicht nach zu gesellschaftlichem Prestige: Heiraten und Schreiben, genauer, Veröffentlichen. "Fang an zu schreiben. Erst entscheidest du dich für einen Markt: Ladies' Home Journal oder Discovery? Seventeen oder Mlle? Dann wählst du das Thema. Dann denkst du nach . . . Finde eine Handlung. Such dir was Lustiges. Zeige dich den Leuten stark und heiter und begeistere sie . . . Morgen . . . der Smith Quarterly Artikel. Eine verkaufte Geschichte: das würde schon helfen." Nur ein einziges Mal wird diese gefährliche Handlung, die Selbstwertgefühl einzig aus Anerkennung bezieht, kritisch reflektiert. "Wieder diese Glätte. Verhindert jede Gefühlsdichte. Offenbar bin ich so überbewußt, was Märkte und Adressen betrifft, an die man etwas schickt, daß ich nichts Ehrliches und wirklich Zufriedenstellendes schreiben kann . . . Ich schreibe, als beobachte mich einer dabei . . . Schreiben um des Schreibens willen, etwas tun, weil man Freude daran hat. Welch ein Geschenk der Götter."
Als sie dies schreibt, lebt sie schon drei Jahre als Ehefrau von Ted Hughes, der in der Tat schreibt, um zu schreiben. Sie ist es, die seine Manuskripte abtippt und unermüdlich von einer Redaktion zur anderen schickt; mit weit mehr Erfolg als mit ihren eigenen Arbeiten: Zu ihren Lebzeiten ist Hughes der weitaus anerkanntere der beiden.
Es trifft zu, wenn Hughes schreibt, daß Plath "geradewegs auf die unakzeptablen Dinge losging". Aber auch das Gegenteil ist richtig. Sylvia Plath ging mit derselben Kraft auf die "akzeptierten Dinge" zu. Daraus erwuchsen ja gerade ihre Schwierigkeiten. Sie sah ihre Identität und ihren Ehrgeiz als Schriftstellerin durch Faktoren definiert, die unvereinbar sind - da am entgegengesetzten Pol angesiedelt - mit dem Bild der einzigartigen und einsamen Autorin, das sie heute verkörpert.
Sie wollte eben beides zur gleichen Zeit: die rasche Anerkennung von den Massenmedien und den dauernden Ruhm der Dichterin.
Nicht weniger ambivalent als ihre Haltung zur Schriftstellerei ist Sylvia Plaths Verhältnis zu ihrer Mutter oder zu Ted Hughes, das lassen selbst die zensierten Tagebücher noch erkennen. Sie wollte die Rolle der braven, erfolgreichen Tochter ebenso perfekt erfüllen wie die der perfekten Ehefrau, Mutter und Schriftstellerin. "Nicht perfekt sein schmerzt", schreibt sie, "perfekt" ist eines ihrer Lieblingswörter. "Du sollst", "du mußt" sind ihre Lieblingsverben, der Imperativ die bevorzugte Konjugation.
In den Briefen gibt sie das Bild der liebenden Tochter ab, im Tagebuch notiert sie ein Glücksgefühl, wenn ihre Therapeutin ihr erlaubt, "die Mutter zu hassen". Die Briefe strotzen von Erfolgsmeldungen und einem unerbittlichen Willen zum Glück, in ihren Tagebüchern hält sie "Gerichtstag über sich selbst" (Strindberg). Als ihre Anmeldung zu einem Schreibkurs bei Frank O'Conner im Sommersemester 1953 abgewiesen wird, fällt die Plath über sich selbst her: "Du bist eine total verängstigte Heuchlerin . . . Du solltest dich nicht in deine masochistische Psychohölle zurückziehen, in der du vor lauter Neid und Angst sogar das Essen unterläßt. Dein Kopf ist nicht fähig zu denken . . . mein verdammtes egozentrisches Selbst . . ." Und die Lösung: "Reiß dich zusammen! . . ." Wenn du nicht von dir selbst absehen kannst, kannst du nicht schreiben, droht sie sich und ist doch süchtig nach diesem Selbst, das ihr eloquentes intelligentes Grübeln lenkt und bestimmt, was eine Fülle der Komposita zeigt, die mit "selbst" beginnen: Selbsterkenntnis, Selbstkritik, Selbsttäuschung, Selbstverachtung, Selbstzerstörung, Selbsthaß und am Ende: Selbstmord.
Mit der gleichen zähen Energie, die sie für ihre Karriere als Autorin aufbringt, sucht Sylvia Plath einen Ehemann. Zwar räsoniert das College Girl, "daß die meisten amerikanischen Männer Frauen nur als Sexmaschinen mit runden Brüsten und einer praktischen Öffnung in der Vagina verehren können, als bemalte Puppen, die in ihrem hübschen Kopf nichts anderes denken sollen, als daran, ein Steak zum Abendessen zu braten und ihn nach acht Stunden harter Geschäftsroutine im Bett zu trösten". Aber: "Ich bekämpfe für meine Männer alle Frauen. Ich bin eine Frau, und es gibt da keine Loyalität, selbst zwischen Mutter und Tochter nicht . . . Also steht fest: Ich werde alles dafür tun, daß ich auf dem üblichen Weg zu einem Partner komme: sprich heiraten!"
Doch mit der Heirat des "publizierten Dichters" wird der Leistungsdruck nicht geringer, nur anders. Aus der Rolle der begehrenswerten Collegestudentin heißt es überzuwechseln ins Fach der perfekten Ehefrau, immer gekoppelt mit der zusätzlichen Rolle der erfolgreichen Schriftstellerin. "So einen Mann suchen die unbefriedigten Damen in den Geschichten in Ladies' Home Journal", schwärmt sie, . . .: "ach, er ist unglaublich, und das um so mehr, weil er mein Mann ist, und irgendwie macht es mir Spaß, für ihn zu kochen (gestern abend habe ich eine Zitronen-Schicht-Torte gebacken) und seine Sekretärin zu sein und so weiter." Alle Hausarbeit lastete auf ihr, klaglos zählt sie die täglichen Handgriffe immer wieder auf, nur selten fühlt sie sich ungerecht behandelt, etwa wenn sich der Ehemann bei seinen Freunden in ihrer Anwesenheit beschwert, daß sie keine Knöpfe annähe, oder wenn er "von seinem Überlegenheitsthron herunter an mir herummäkelt, wenn ich nur rasch mal was Kleines koche, . . . Schreibübungen mache".
Sie braucht seine Nähe und fürchtet doch, von ihm "abhängig" zu werden, nur noch sein "Anhängsel" zu sein: "Ich muß mich selbst erschaffen und mich nicht von ihm erschaffen lassen."
Das hat sie geschafft. Nicht in ihrem Leben, aber in ihrem Werk. Zweifellos sind die Gedichte das Beste, was die Plath geschrieben hat, doch nun weisen die Tagebücher sie auch als hervorragende Prosaschreiberin aus, ein Talent, das weder der autobiographische Roman "Die Glasglocke" und schon gar nicht die Erzählungen erkennen ließen (erst recht nicht in den dürftigen Übersetzungen). Die Tagebücher sind in ebendem Maß spontan, lebendig, eigenwillig, wie die Erzählungen glatt, konstruiert, konventionell sind. Ironischerweise treffen sie genau den Ton, den nicht zu finden sie unaufhörlich klagt. Womit sie, was ihre Literatur betrifft, recht hat. Man vergleiche etwa die Tagebuchaufzeichnungen nach der ersten Begegnung mit Ted Hughes mit dem gestelzten Getue in der Erzählung "Steinknabe mit Delphin", die auf diesen lebensprühenden Skizzen basiert. Sylvia Plaths Leben als Autorin ist ein einziges, beinah faustisches Ringen um ihre eigene Stimme; ist unablässiges Bemühen, ihre unverstellte, klare Stimme, wie wir sie in den Tagebüchern vom jubelnden Überschwang bis zur tödlichen Verzweiflung hören, auch in ihrer Dichtung vernehmbar zu machen. Es ist dieser dramatische Prozeß, an dem uns die Tagebücher teilhaben lassen. Wie tief muß es sie verstört haben, daß ihr Schreiben sie von nichts erlöste, am wenigsten von sich selbst.
Sylvia Plath: "Die Tagebücher". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Alissa Walser. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1997. 492 S., geb., 54,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gerichtstag über sich selbst: Sylvia Plath in ihren Tagebüchern / Von Ulla Hahn
Es ist ein Gemeinplatz, daß das einzig zulässige Objekt für Kommentar und Analyse der Text ist. Wir kennen "die Plath" nicht. Nur, was sie geschrieben hat. Sylvia Plath ist ein Phantom. Eine Phantasie. Wir machen uns ein Bild.
Die Ansichten über sie zerfallen in zwei Lager: Die einen pathologisieren die Dichterin - und damit ihr Werk. Sie stellen freischweifende Diagnosen zwischen "psychotisch" und "schizophren" und lesen ihr Werk als Symptome oder Warnungen, als etwas, was wir bewundern oder meiden können. Die Diagnosen tendieren dazu, die Dichterin schuldig zu sprechen - schuldig, weil sie mit den Belästigungen des Unbewußten nicht fertig werden konnte - wie ein "normaler" Mensch.
Der Feminismus antwortete auf diese Haltung einer furchterregenden Normalität, indem er das Typische des inneren Dramas der Dichterin hervorhob; Sylvia Plath wird unschuldig, schuldig ist das "Patriarchat"; schuldig sind Männer, der Vater, der Ehemann; die Frau verinnerlicht die Gewalt der patriarchalischen Welt und wendet sie gegen sich. Bei diesem Ansatz verliert das psychische Leben seine eigene Dynamik und erscheint nur noch als Folge sozialer Ungerechtigkeit; inneres Leben gehorcht der äußeren Welt, die es ungebrochen reflektiert.
Es ist entlastend, Verantwortliche (die Mutter, den Vater, den Ehemann) zu finden für all die Negativität und Gewalt, die Sylvia Plath so beklemmend genau in ihrem Werk formuliert. Jede Veröffentlichung wird dann als eine Station auf dem Weg zum Mythos der Selbsterschaffung betrachtet. Dichtung wird zur Selbstbehütung, die das Unbewußte beschwichtigt und idealerweise die Schwierigkeiten Stück für Stück, Gedicht um Gedicht beseitigt. Schreiben als Therapie. Beide Arten des Umgangs mit dem Werk machen die Herausforderung Plath klein, indem sie die Dichterin entweder zu einem Fall oder einer Kultfigur machen.
Weder das Leben noch das Werk Sylvia Plaths erlauben den einzigen, den exklusiven Blick. Im Gegenteil. Das Aufregende ihrer Gedichte und ihrer Prosa, ihrer Briefe und auch ihrer Tagebücher ist gerade die Vielfalt der verschiedenen Äußerungen, die einander sowohl ergänzen wie widersprechen. Plaths unerbittliches Kreisen um ihre eigene Subjektivität in so vielen unterschiedlichen Formen stellt vor allem anderen klar, daß, wenn wir uns als Menschen durch Sprache erschaffen, jede Äußerung immer nur als Bruchstück betrachtet werden kann. Es ist diese vorläufige, ungesicherte, oft indirekte Art der Selbstdarstellung, die in all den unterschiedlichen Formen, die die Plath benutzt, so aufregend und modern erscheint.
Die meisten Kritiker des Plathschen Werks betrachten es jedoch als ihre vorrangige Aufgabe, eine monolithische Version der Plath zu produzieren, als Frau, als Schreiberin, so als sei diese Fragmentation oder indirekte Darstellung etwas, das man durch das Hinzufügen der eigenen Aussage reparieren könnte. Doch die Plath selbst konfrontiert uns innerhalb ihres Werks mit den Grenzen ihres (und unseres) Wissens. Das ist auszuhalten.
Der größere Teil des Werks der Sylvia Plath wurde erst nach ihrem Tod veröffentlicht und - was wichtiger ist - ediert. Der englische Lyriker Ted Hughes, mit dem sie sechs Jahre verheiratet war und von dem sie zum Zeitpunkt ihres Todes zwar schon getrennt, aber noch nicht in Scheidung lebte, weil sie die Papiere noch nicht unterzeichnet hatte, sah sich dazu bevollmächtigt. Obwohl die "Ariel"-Gedichte, von Sylvia Plath schon vollständig für eine Publikation zusammengestellt worden waren, veröffentlichte er den Band erst knapp drei Jahre nach ihrem Tod, wobei er einige Gedichte, die ihm "zu persönlich" vorkamen, wieder herausnahm. Erst acht Jahre später gab er die Bände "Crossing the Water" und "Winter Trees" heraus, womit endlich der bedeutende Teil der Plathschen Gedichte zugänglich war. Weitere elf Jahre später, 1982, erschienen dann, nur als amerikanische Ausgabe, die Tagebücher, die jetzt in deutscher Übersetzung vorliegen. Sie beginnen mit den Jahren 1950 bis 1955, die Sylvia Plath am Smith College verbrachte; die Hefte aus der Zeit nach ihrem ersten Selbstmordversuch 1953 sind allerdings, so die Herausgeberin Frances McCullough, "verschwunden". Die letzten Hefte aus der Zeit von 1959 bis drei Tage vor ihrem Freitod am 11. Februar 1963 hat der vorsorgende Familienvater, der seine Ehefrau, seine zweijährige Tochter, seinen zehn Monate alten Sohn wegen einer anderen Frau verließ, eingestandenermaßen "vernichtet". Er wollte nicht, "daß ihre Kinder das je lesen müßten". Doch damit nicht genug: Den verbleibenden Rest hat Hughes noch einmal um zwei Drittel gekürzt.
Der Druck, einem Bild gerecht zu werden, das sie sich von anderen aufzwingen ließ, hat Sylvia Plath ein Leben lang verfolgt, von Erfolg zu Erfolg gehetzt, aber auch in Selbstzweifel, Überforderung und schließlich in tödliche Erschöpfung. Es ist eine böse Ironie, daß sie noch - und gerade - nach ihrem Tod von ebendenen beschnitten wird, für die sie sich zu Lebzeiten freiwillig selbst zurechtstutzte: von ihrer Mutter und ihrem Ehemann. So wie die Mutter die "Briefe nach Haus" in ein innig-ungetrübtes Mutter-Tochter-Verhältnis umfrisieren wollte, um als makellose Mater dolorosa dazustehen, sucht Hughes die Plath ins Gewalttätige, Überschwengliche, Neurotische hinüberzuspielen, um selbst als der erhabene Dulder dazustehen, der sein Bestes tat, an einer derart überspannten Person aber scheitern mußte. Dafür ein Beispiel:
Jacqueline Rose hat für ihr Buch "The Haunting of Sylvia Plath" (1992) auch Einblick in die unveröffentlichten Tagebuchteile nehmen und - erstaunlicherweise - auch veröffentlichen dürfen. Denn die Nachlaßverwalter, Hughes und seine Schwestern, sitzen auf dem Werk der Dichterin wie der Drache vorm Hort und suchten dieses Buch selbst mit juristischen Mitteln zu verhindern. Da schildert Sylvia Plath in ihren Aufzeichnungen, wie sie Ted Hughes kennenlernte, eine turbulente Begegnung auf einer Party, beide hatten mehr als genug getrunken. Dem Leser wird erlaubt zu erfahren, daß Sylvia Plath Hughes in die Wange biß. Weggestrichen ist, daß er ihr zuvor das Haarband und die Ohrringe vom Kopf gerissen hatte. Seine Aggression wird gestrichen, Plath hingegen steht da als Mänade im "college look". Weggelassen ist auch die erste Nacht, die sie zusammen verbringen und die Sylvia Plath als "holocaust" bezeichnet, "which leaves her bruised".
Doch es geht bei den Auslassungen nicht nur um das Bild der Person Plath, es geht auch um ihr Werk. Nicht aufgenommen wurden Skizzen und Entwürfe für Gedichte und Prosaarbeiten, besonders aus der frühen Zeit, während Stücke, die nach ihrem ersten Selbstmordversuch entstanden und einen hohen Ton in Anlehnung an die "écriture automatique" anschlagen, aufgenommen wurden. Nicht nur die Autorin, auch der Leser wird bevormundet; als ob er sich nicht selbst ein Urteil bilden könnte über den Grad ästhetischer Reife. Ist es doch gerade in diesem Falle ergreifend zu verfolgen, wie eine Dichterin um ihren eigenen Ausdruck kämpft, bis sie ihn schließlich in den großartigen Gedichten findet, die sie in den letzten Wochen bis wenige Tage vor ihrem Tod schreibt.
Er habe, so Ted Hughes' Antwort auf die Vorwürfe amerikanischer Rezensenten, die Tagebücher herausgebracht, "in der Hoffnung, einiges Material zur Verfügung zu stellen für unsere Idee der Realität hinter den Gedichten". Nun kann man sich generell fragen, wie wichtig oder sinnvoll die Kenntnis von "Realität hinter den Gedichten" für deren Verständnis ist. Wo das "Material" aber derart manipuliert wird, wo ganze Passagen gestrichen werden, nur weil sei dem Plath-Bild der Geschwister Hughes nicht entsprachen, ist der Nutzen mehr als fragwürdig. Hughes muß sich schon die Frage gefallen lassen, ob es ihm wirklich nur um "sein Bild" der Plath für die Öffentlichkeit ging oder ob er sich nicht doch vor allem um die eigene Fassade im öffentlichen Ansehen sorgte.
Bei einer derartigen Editionspraxis drängt sich die Frage nach dem Status dieser und anderer Tagebuchmanuskripte überhaupt auf: Sind sie persönliches oder nicht doch auch kulturelles Eigentum? Oder liegt das Problem gerade darin, daß sie Mischformen sind, die das Heikle, aber auch das Künstliche einer Abgrenzung zwischen den beiden Bereichen sichtbar machen? In jedem Fall zeigt uns der Umgang mit der Plath eine perverse - sadistische und voyeuristische - Komponente des öffentlichen Anspruchs auf eine Person. Wohin dies führen kann, wurde erst kürzlich anläßlich des Todes der Prinzessin von Wales wieder diskutiert. Die Versuchung, gerade das Werk Sylvia Plaths zu begrenzen, auch Grenzen zu setzen für ihre Interpretation, ist verlockend: nicht nur im Namen des Schutzes der Privatsphäre, auch im Namen von "Fakten" und wissenschaftlicher Redlichkeit.
Doch selbst in ihrer Verstümmelung machen die Tagebücher nun jede Art einer eindimensionalen Annäherung vollends obsolet. Zu Beginn lernen wir eine Achtzehnjährige kennen, geprägt vom "American way of life" der fünfziger Jahre, von seinen Anforderungen an Weiblichkeit, Leistung, Erfolg, Prestige. Heute ist die Plath zu einem Symbol für den Höhenflug von Dichtung geworden. Doch mit der gleichen Ernsthaftigkeit wie ihre Gedichte schrieb sie - und nicht nur zu Beginn ihrer Laufbahn - Geschichten für Magazine, insbesondere für Frauen. Sie belieferte Frauenzeitschriften, die genau das Bewußtsein schüren, das die Bewegung, welche die Plath für sich reklamiert, bekämpft. Sehnlichst wollte sie ein Teil ebenjener Kultur sein, zu der sie feministische Literaturwissenschaft so gern in einen unversöhnlichen Gegensatz stellt. Dieser Wunsch, dabeizusein, akzeptiert, anerkannt zu werden, ist der am nachdrücklichsten formulierte und am häufigsten wiederkehrende Refrain der Tagebücher.
Zwei Wege führten ihrer Ansicht nach zu gesellschaftlichem Prestige: Heiraten und Schreiben, genauer, Veröffentlichen. "Fang an zu schreiben. Erst entscheidest du dich für einen Markt: Ladies' Home Journal oder Discovery? Seventeen oder Mlle? Dann wählst du das Thema. Dann denkst du nach . . . Finde eine Handlung. Such dir was Lustiges. Zeige dich den Leuten stark und heiter und begeistere sie . . . Morgen . . . der Smith Quarterly Artikel. Eine verkaufte Geschichte: das würde schon helfen." Nur ein einziges Mal wird diese gefährliche Handlung, die Selbstwertgefühl einzig aus Anerkennung bezieht, kritisch reflektiert. "Wieder diese Glätte. Verhindert jede Gefühlsdichte. Offenbar bin ich so überbewußt, was Märkte und Adressen betrifft, an die man etwas schickt, daß ich nichts Ehrliches und wirklich Zufriedenstellendes schreiben kann . . . Ich schreibe, als beobachte mich einer dabei . . . Schreiben um des Schreibens willen, etwas tun, weil man Freude daran hat. Welch ein Geschenk der Götter."
Als sie dies schreibt, lebt sie schon drei Jahre als Ehefrau von Ted Hughes, der in der Tat schreibt, um zu schreiben. Sie ist es, die seine Manuskripte abtippt und unermüdlich von einer Redaktion zur anderen schickt; mit weit mehr Erfolg als mit ihren eigenen Arbeiten: Zu ihren Lebzeiten ist Hughes der weitaus anerkanntere der beiden.
Es trifft zu, wenn Hughes schreibt, daß Plath "geradewegs auf die unakzeptablen Dinge losging". Aber auch das Gegenteil ist richtig. Sylvia Plath ging mit derselben Kraft auf die "akzeptierten Dinge" zu. Daraus erwuchsen ja gerade ihre Schwierigkeiten. Sie sah ihre Identität und ihren Ehrgeiz als Schriftstellerin durch Faktoren definiert, die unvereinbar sind - da am entgegengesetzten Pol angesiedelt - mit dem Bild der einzigartigen und einsamen Autorin, das sie heute verkörpert.
Sie wollte eben beides zur gleichen Zeit: die rasche Anerkennung von den Massenmedien und den dauernden Ruhm der Dichterin.
Nicht weniger ambivalent als ihre Haltung zur Schriftstellerei ist Sylvia Plaths Verhältnis zu ihrer Mutter oder zu Ted Hughes, das lassen selbst die zensierten Tagebücher noch erkennen. Sie wollte die Rolle der braven, erfolgreichen Tochter ebenso perfekt erfüllen wie die der perfekten Ehefrau, Mutter und Schriftstellerin. "Nicht perfekt sein schmerzt", schreibt sie, "perfekt" ist eines ihrer Lieblingswörter. "Du sollst", "du mußt" sind ihre Lieblingsverben, der Imperativ die bevorzugte Konjugation.
In den Briefen gibt sie das Bild der liebenden Tochter ab, im Tagebuch notiert sie ein Glücksgefühl, wenn ihre Therapeutin ihr erlaubt, "die Mutter zu hassen". Die Briefe strotzen von Erfolgsmeldungen und einem unerbittlichen Willen zum Glück, in ihren Tagebüchern hält sie "Gerichtstag über sich selbst" (Strindberg). Als ihre Anmeldung zu einem Schreibkurs bei Frank O'Conner im Sommersemester 1953 abgewiesen wird, fällt die Plath über sich selbst her: "Du bist eine total verängstigte Heuchlerin . . . Du solltest dich nicht in deine masochistische Psychohölle zurückziehen, in der du vor lauter Neid und Angst sogar das Essen unterläßt. Dein Kopf ist nicht fähig zu denken . . . mein verdammtes egozentrisches Selbst . . ." Und die Lösung: "Reiß dich zusammen! . . ." Wenn du nicht von dir selbst absehen kannst, kannst du nicht schreiben, droht sie sich und ist doch süchtig nach diesem Selbst, das ihr eloquentes intelligentes Grübeln lenkt und bestimmt, was eine Fülle der Komposita zeigt, die mit "selbst" beginnen: Selbsterkenntnis, Selbstkritik, Selbsttäuschung, Selbstverachtung, Selbstzerstörung, Selbsthaß und am Ende: Selbstmord.
Mit der gleichen zähen Energie, die sie für ihre Karriere als Autorin aufbringt, sucht Sylvia Plath einen Ehemann. Zwar räsoniert das College Girl, "daß die meisten amerikanischen Männer Frauen nur als Sexmaschinen mit runden Brüsten und einer praktischen Öffnung in der Vagina verehren können, als bemalte Puppen, die in ihrem hübschen Kopf nichts anderes denken sollen, als daran, ein Steak zum Abendessen zu braten und ihn nach acht Stunden harter Geschäftsroutine im Bett zu trösten". Aber: "Ich bekämpfe für meine Männer alle Frauen. Ich bin eine Frau, und es gibt da keine Loyalität, selbst zwischen Mutter und Tochter nicht . . . Also steht fest: Ich werde alles dafür tun, daß ich auf dem üblichen Weg zu einem Partner komme: sprich heiraten!"
Doch mit der Heirat des "publizierten Dichters" wird der Leistungsdruck nicht geringer, nur anders. Aus der Rolle der begehrenswerten Collegestudentin heißt es überzuwechseln ins Fach der perfekten Ehefrau, immer gekoppelt mit der zusätzlichen Rolle der erfolgreichen Schriftstellerin. "So einen Mann suchen die unbefriedigten Damen in den Geschichten in Ladies' Home Journal", schwärmt sie, . . .: "ach, er ist unglaublich, und das um so mehr, weil er mein Mann ist, und irgendwie macht es mir Spaß, für ihn zu kochen (gestern abend habe ich eine Zitronen-Schicht-Torte gebacken) und seine Sekretärin zu sein und so weiter." Alle Hausarbeit lastete auf ihr, klaglos zählt sie die täglichen Handgriffe immer wieder auf, nur selten fühlt sie sich ungerecht behandelt, etwa wenn sich der Ehemann bei seinen Freunden in ihrer Anwesenheit beschwert, daß sie keine Knöpfe annähe, oder wenn er "von seinem Überlegenheitsthron herunter an mir herummäkelt, wenn ich nur rasch mal was Kleines koche, . . . Schreibübungen mache".
Sie braucht seine Nähe und fürchtet doch, von ihm "abhängig" zu werden, nur noch sein "Anhängsel" zu sein: "Ich muß mich selbst erschaffen und mich nicht von ihm erschaffen lassen."
Das hat sie geschafft. Nicht in ihrem Leben, aber in ihrem Werk. Zweifellos sind die Gedichte das Beste, was die Plath geschrieben hat, doch nun weisen die Tagebücher sie auch als hervorragende Prosaschreiberin aus, ein Talent, das weder der autobiographische Roman "Die Glasglocke" und schon gar nicht die Erzählungen erkennen ließen (erst recht nicht in den dürftigen Übersetzungen). Die Tagebücher sind in ebendem Maß spontan, lebendig, eigenwillig, wie die Erzählungen glatt, konstruiert, konventionell sind. Ironischerweise treffen sie genau den Ton, den nicht zu finden sie unaufhörlich klagt. Womit sie, was ihre Literatur betrifft, recht hat. Man vergleiche etwa die Tagebuchaufzeichnungen nach der ersten Begegnung mit Ted Hughes mit dem gestelzten Getue in der Erzählung "Steinknabe mit Delphin", die auf diesen lebensprühenden Skizzen basiert. Sylvia Plaths Leben als Autorin ist ein einziges, beinah faustisches Ringen um ihre eigene Stimme; ist unablässiges Bemühen, ihre unverstellte, klare Stimme, wie wir sie in den Tagebüchern vom jubelnden Überschwang bis zur tödlichen Verzweiflung hören, auch in ihrer Dichtung vernehmbar zu machen. Es ist dieser dramatische Prozeß, an dem uns die Tagebücher teilhaben lassen. Wie tief muß es sie verstört haben, daß ihr Schreiben sie von nichts erlöste, am wenigsten von sich selbst.
Sylvia Plath: "Die Tagebücher". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Alissa Walser. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1997. 492 S., geb., 54,- DM.
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