Bernhard Bährs monumentales Werk "Die Therapie nach den Grundsätzen der Homöopathie" markiert ein in dieser Form in der homöopathischen Literatur einzigartiges Bindeglied zwischen der semiotischen Medizin und der Hahnemannschen Homöopathie. Bährs in den 1860er Jahren erschienenes Werk widmet sich dem Bereich der speziellen Pathologie und deren homöopathischer Therapie. Hierzu gibt es unter der Überschrift der einzelnen Krankheitsbegriffe Hinweise zu Ätiologie und Prognose, vor allem aber präzise semiotische Beschreibungen der für die jeweilige Krankheit wesentlichen Zeichen in sämtlichen leiblichen Bereichen. Von daher stellt Bährs "Die Therapie nach den Grundsätzen der Homöopathie" für den Adepten der Semiotik eine ungemein hilfreiche Ergänzung zu dem seit kurzer Zeit wieder erhältlichen "Lehrbuch der Semiotik" von J.F.H. Albers dar: Während letzteres analytisch-repertorial strukturiert ist und vom einzelnen Zeichen ausgehend Hinweise auf dessen mögliche Ursachen und pathologische Hintergründe gibt, liefert Bährs Werk die Synthese der semiotisch umfassend erfaßten Krankheitsbilder, die hier mit allen ihren jeweiligen Zeichen, Verläufen, Komplikationen etc. nachgelesen werden können. Was die homöopathische Therapie angeht, fußt Bährs Konzept auf einer genauen Kenntnis der semio-patho-physiologischen Wirkungen der homöopathischen Arzneien, die aus einem intensiven vergleichenden semiotischen Studium zunächst der Arzneimittelprüfungen, dann der vorliegenden Vergiftungsberichte, sogar Sektionsbefunde und schließlich der klinischen Erfahrung resultiert. Auf Basis eines solchen Arzneiverständnisses sieht sich Bähr in die Lage versetzt, einer semiotisch-diagnostisch in ihren Zeichen genau beschriebenen Krankheit jene wenigen Arzneien zuzuordnen, die dieser entweder in ihrem ganzen Umfang oder aber zumindest in einem bestimmten Stadium der Krankheit in ihren sämtlichen Zeichen entsprechen - was sich besonders bei einseitigen Krankheiten und schwereren Pathologien bewährt - seien diese nun akut oder chronisch, individuell oder epidemisch. Ähnlich wie in G.H.G. Jahr in seinem "Therapeutischer Leitfaden", entwickelt auch Bähr im vorliegenden Werk aus seinem patho-semiotischen Verständnis von Krankheit und Arznei klare Anweisungen mit genauen Angaben zu Indikationen, Folgemitteln, Potenzen etc., bei komplexen oder zu Komplikationen neigenden Krankheiten teilweise sogar ganze Behandlungspläne, nur daß diese im Vergleich mit vergleichbaren Angaben in Jahrs "Therapeutischer Leitfaden" hinsichtlich der jeweiligen Indikationen wesentlich transparenter sind, weil Bähr letztere i.d.R. sehr präzise aus der Symptomatik der Mittel heraus begründet. Neben seinem praktischen Wert gerade für einseitige Krankheitsfälle, die sich fast ausschließlich in Form pathognomonischer Symptome darstellen, fordert die Beschäftigung mit dem Bähr'schen Werk zu eingehendem Studium der Semiotik und der homöopathischen Arzneimittel auf - spricht es doch nahezu in jeder Zeile auf beeindruckende und überzeugende Weise einer Homöopathie das Wort, die auf einem tiefen Verständnis sowohl der Krankheitsprozesse als auch der Wirkungsweise der homöopathischen Arzneien beruht. In der daraus resultierenden Souveränität, die in dem vorliegenden Werk allerorten spürbar ist, setzt Bährs Homöopathie-Verständnis einen längst überfälligen Kontrapunkt zu dem häufig planlosen repertorialen Agieren der Homöopathen im digitalen Zeitalter, das dem Irrglauben aufsitzt, man werde sich schon irgendwie bis zum richtigen Mittel durchklicken können und dadurch - wenn schon nicht den Untergang der Homöopathie - so doch zumindest sicher die unter ihren Möglichkeiten bleibende Mittelmäßigkeit der Ausübung zur Folge hat. Bährs "Die Therapie nach den Grundsätzen der Homöopathie" erscheint im Neusatz in moderner Schrift.