Die Geschichte der Familie Thibault ist ein epochaler Abgesang auf das bürgerliche Zeitalter, vergleichbar am ehesten mit den Buddenbrooks und den großen Romanen Leo Tolstois. Erzählt wird vom Schicksal zweier ungleicher Brüder im Frankreich am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Beide versuchen auf unterschiedliche Weise, der Enge des konservativ-katholischen Elternhauses und der Macht des Vaters zu entkommen, beide scheitern sie auf ihrem Weg "durch die Welt zur Hölle".
Nobelpreis für Literatur 1937
»Eine Familiengeschichte, beste französische Erbschaft, von einer Liebenswürdigkeit und Frische, in hundert blühenden Einzelheiten, die den Leser von der bloßen Bewunderung weiter zur Liebe führt.« Hermann Hesse
Für die Brüder Antoine und Jacques Thibault ist es schwer, sich aus dem Schatten ihres Vaters zu lösen - ein patriarchalischer Mann von rücksichtsloser Energie, Willenskraft und streng katholischer Gläubigkeit.
Antoine, der ältere, hat den bürgerlichen Weg gewählt. Er ist Arzt und im Begriff, ebenfalls Karriere zu machen. Der viele Jahre jüngere Jacques, phantasievoll, empfindsam und leidenschaftlich, zerbricht fast an der Engstirnigkeit des Vaters, bevor er scheinbar in die Welt der Erfolgreichen zurückfindet.
Diese farbig und kraftvoll gestaltete Familiengeschichte, als Romanzyklus angelegt, ist zugleich ein grandioses Gemälde des französischen Bürgertums in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Als französisches Pendant zu den 'Buddenbrooks' gefeiert, erhielt der Autor wie Thomas Mann den Nobelpreis für Literatur.
Nobelpreis für Literatur 1937
»Eine Familiengeschichte, beste französische Erbschaft, von einer Liebenswürdigkeit und Frische, in hundert blühenden Einzelheiten, die den Leser von der bloßen Bewunderung weiter zur Liebe führt.« Hermann Hesse
Für die Brüder Antoine und Jacques Thibault ist es schwer, sich aus dem Schatten ihres Vaters zu lösen - ein patriarchalischer Mann von rücksichtsloser Energie, Willenskraft und streng katholischer Gläubigkeit.
Antoine, der ältere, hat den bürgerlichen Weg gewählt. Er ist Arzt und im Begriff, ebenfalls Karriere zu machen. Der viele Jahre jüngere Jacques, phantasievoll, empfindsam und leidenschaftlich, zerbricht fast an der Engstirnigkeit des Vaters, bevor er scheinbar in die Welt der Erfolgreichen zurückfindet.
Diese farbig und kraftvoll gestaltete Familiengeschichte, als Romanzyklus angelegt, ist zugleich ein grandioses Gemälde des französischen Bürgertums in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Als französisches Pendant zu den 'Buddenbrooks' gefeiert, erhielt der Autor wie Thomas Mann den Nobelpreis für Literatur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2004Närrische Schatten
Der Briefwechsel zwischen Roger Martin du Gard und Jean Tardieu
Da will man uns einreden, die Weltliteratur bestünde aus einzelnen Werken, einzelnen Büchern - der "Ilias", dem "Faust", dem "Zauberberg". Ist sie nicht vielmehr ein Meer mit schwimmenden Kontinenten, wimmelnden Inselwelten? Ein solcher wenig erkundeter Archipel erschließt sich dem, der sich in das Gesamtwerk von Roger Martin du Gard (1881 bis 1958) vorwagt: die Romanfolge "Les Thibault", die drei umfangreichen Quartbände seines "Journal", die acht Bände ausgewählter Briefe, die Briefwechsel mit André Gide, Jacques Copeau, Eugène Dabit, zu denen sich nun der mit Jean Tardieu gesellt.
Kennengelernt haben die beiden sich 1922 in dem ehemaligen burgundischen Kloster von Pontigny auf dem nach dem Ersten Weltkrieg ersten kosmopolitischen Treffen, an dem auch Wilhelm Foerster und Ernst Robert Curtius teilnahmen. Der damals neunzehnjährige Tardieu war unter den dort versammelten Zelebritäten ein Niemand; der dreiundzwanzig Jahre ältere Martin du Gard gehörte seit langem dem engsten Mitarbeiterkreis der Nouvelle Revue Française an. Im Vorjahr waren die beiden ersten Bücher seines großen Familien- und Zeitromans "Les Thibault" erschienen. Die Lektüre des dritten Buchs, "La Belle Saison", löste bei Tardieu den ersten einer längeren Reihe faszinierender Briefe aus, in denen er als junger Leser dem Werk des Älteren, der bald sein hilfreicher Freund sein sollte, gerecht zu werden versucht.
1929 liegen die sechs Bücher des ersten Zyklus dieses Romans vor, der damals schon von Eva Rechel-Mertens ins Deutsche übersetzt wurde: eine bewundernswerte Leistung, die seit einem Jahr dankenswerterweise wieder zugänglich ist. Die beiden Teile des zweiten Zyklus "L'Été 1914" und der "Epilogue" erschienen erst 1936 und 1940 und ihre Übersetzung durch Frederick Lehner gar erst 1961. Eine Neuausgabe dieser Übersetzung ist in Aussicht gestellt.
Nach dem Erscheinen der drei Bände des "Sommers 1914" wurde Roger Martin du Gard zu seiner Genugtuung, Bestürzung und großen Verlegenheit 1937 der Nobelpreis zuerkannt. Nichts war ihm von jeher so verhaßt wie jede Form des öffentlichen Auftretens, und sei es nur durch ein Foto. Er war der Mann des Gesprächs, des Briefes und als solcher gesucht, umworben, geschätzt. Gegen die "Liebe" hegte er, aus eigenen lebenslangen Erfahrungen, Verdacht; Freundschaft und Zärtlichkeit, Hilfsbereitschaft und Zuspruch, Offenheit und Strenge stellte er über alles. Und dementsprechend handelte er jüngeren Ratsuchenden gegenüber, die ihn mit Briefen und Manuskripten bedrängten.
Unter ihnen Jean Tardieu, die spätere Koryphäe des absurden Theaters und der experimentellen Prosa, der auf gewundenen Wegen, strauchelnd sich aufraffend, genialisch ausgreifend, doch eben des energischen Zuspruchs, der aufhelfenden Kritik bedürftig war. "Ombre folle" nennt Martin du Gard ihn gelegentlich, nach einem Gedicht Tardieus: "Ich werde immer nur der närrische Schatten eines Fremden sein, der seine Geheimnisse für sich behält." Er selber nennt den väterlichen Freund schließlich seine "wahre Familie" und erkühnt sich gar zu der "unschicklichen" Bitte, dieser eingefleischte Agnostiker möge ihn und seine junge Frau bei der kirchlichen Trauung als Zeuge zum Altar geleiten.
Dreimal gelingt Roger Martin du Gard in den "Thibaults" ein Äußerstes - in der Schilderung des Todes, genauer: des Sterbens, des Vaters Thibault an einer langwierigen Krankheit, seines Sohnes Jacques als pazifistischer Rebell zwischen den Fronten des Ersten Weltkriegs und von dessen älterem Bruder Antoine an den Folgen einer Kampfgasvergiftung bei Ypern in dem "Epilog".
Dieser "Epilog ist sehr bitter", schreibt Tardieu, "wie fast Ihr ganzes Werk, aber wie in Ihrem ganzen Werk wird die Bitterkeit der Gedanken aufgewogen durch die Wärme der Empfindungen, die sie tragen, durch den menschlichen, herzlichen, aufs höchste großmütigen Schwung, der einer der Hauptaspekte Ihres Genies und Ihres Charakters ist". Unerschöpflich nennt Tardieu diesen Roman, weil Martin du Gard die Gabe besitze, "de faire voir et de faire vivre", nicht linear oder jeweils ausschnittweise, sondern als ein Miteinander, ein Durcheinander-bedingt-Sein der Figuren in einem symphonischen Verlauf.
Roger Martin du Gards Statur, Format und Leistung sind völlig unvergleichlich; was denjenigen notwendigerweise entgeht, die nicht gesonnen oder nicht imstande sind, das Vorliegende in seiner ganzen Breite und Vielfalt zur Kenntnis zu nehmen. So entgeht ihnen denn auch, daß wir es hier mit einem monumentalen Bollwerk, einem hochbekömmlichen Antidotum gegen das arrogant-fanatische Gewühl der ideologisch kombattanten Moderne und Postmoderne zu tun haben. Vielleicht wäre dieser Briefwechsel mit Tardieu ein Köder, der diesen oder jenen auf den Geschmack bringt.
FRIEDHELM KEMP
Roger Martin du Gard/Jean Tardieu: "Lettres croisées 1923-1958". Gallimard, Paris 2003. 416 S., geb., 31,50 [Euro].
Roger Martin du Gard: "Die Thibaults". Die Geschichte einer Familie. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2003. 801 S., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Briefwechsel zwischen Roger Martin du Gard und Jean Tardieu
Da will man uns einreden, die Weltliteratur bestünde aus einzelnen Werken, einzelnen Büchern - der "Ilias", dem "Faust", dem "Zauberberg". Ist sie nicht vielmehr ein Meer mit schwimmenden Kontinenten, wimmelnden Inselwelten? Ein solcher wenig erkundeter Archipel erschließt sich dem, der sich in das Gesamtwerk von Roger Martin du Gard (1881 bis 1958) vorwagt: die Romanfolge "Les Thibault", die drei umfangreichen Quartbände seines "Journal", die acht Bände ausgewählter Briefe, die Briefwechsel mit André Gide, Jacques Copeau, Eugène Dabit, zu denen sich nun der mit Jean Tardieu gesellt.
Kennengelernt haben die beiden sich 1922 in dem ehemaligen burgundischen Kloster von Pontigny auf dem nach dem Ersten Weltkrieg ersten kosmopolitischen Treffen, an dem auch Wilhelm Foerster und Ernst Robert Curtius teilnahmen. Der damals neunzehnjährige Tardieu war unter den dort versammelten Zelebritäten ein Niemand; der dreiundzwanzig Jahre ältere Martin du Gard gehörte seit langem dem engsten Mitarbeiterkreis der Nouvelle Revue Française an. Im Vorjahr waren die beiden ersten Bücher seines großen Familien- und Zeitromans "Les Thibault" erschienen. Die Lektüre des dritten Buchs, "La Belle Saison", löste bei Tardieu den ersten einer längeren Reihe faszinierender Briefe aus, in denen er als junger Leser dem Werk des Älteren, der bald sein hilfreicher Freund sein sollte, gerecht zu werden versucht.
1929 liegen die sechs Bücher des ersten Zyklus dieses Romans vor, der damals schon von Eva Rechel-Mertens ins Deutsche übersetzt wurde: eine bewundernswerte Leistung, die seit einem Jahr dankenswerterweise wieder zugänglich ist. Die beiden Teile des zweiten Zyklus "L'Été 1914" und der "Epilogue" erschienen erst 1936 und 1940 und ihre Übersetzung durch Frederick Lehner gar erst 1961. Eine Neuausgabe dieser Übersetzung ist in Aussicht gestellt.
Nach dem Erscheinen der drei Bände des "Sommers 1914" wurde Roger Martin du Gard zu seiner Genugtuung, Bestürzung und großen Verlegenheit 1937 der Nobelpreis zuerkannt. Nichts war ihm von jeher so verhaßt wie jede Form des öffentlichen Auftretens, und sei es nur durch ein Foto. Er war der Mann des Gesprächs, des Briefes und als solcher gesucht, umworben, geschätzt. Gegen die "Liebe" hegte er, aus eigenen lebenslangen Erfahrungen, Verdacht; Freundschaft und Zärtlichkeit, Hilfsbereitschaft und Zuspruch, Offenheit und Strenge stellte er über alles. Und dementsprechend handelte er jüngeren Ratsuchenden gegenüber, die ihn mit Briefen und Manuskripten bedrängten.
Unter ihnen Jean Tardieu, die spätere Koryphäe des absurden Theaters und der experimentellen Prosa, der auf gewundenen Wegen, strauchelnd sich aufraffend, genialisch ausgreifend, doch eben des energischen Zuspruchs, der aufhelfenden Kritik bedürftig war. "Ombre folle" nennt Martin du Gard ihn gelegentlich, nach einem Gedicht Tardieus: "Ich werde immer nur der närrische Schatten eines Fremden sein, der seine Geheimnisse für sich behält." Er selber nennt den väterlichen Freund schließlich seine "wahre Familie" und erkühnt sich gar zu der "unschicklichen" Bitte, dieser eingefleischte Agnostiker möge ihn und seine junge Frau bei der kirchlichen Trauung als Zeuge zum Altar geleiten.
Dreimal gelingt Roger Martin du Gard in den "Thibaults" ein Äußerstes - in der Schilderung des Todes, genauer: des Sterbens, des Vaters Thibault an einer langwierigen Krankheit, seines Sohnes Jacques als pazifistischer Rebell zwischen den Fronten des Ersten Weltkriegs und von dessen älterem Bruder Antoine an den Folgen einer Kampfgasvergiftung bei Ypern in dem "Epilog".
Dieser "Epilog ist sehr bitter", schreibt Tardieu, "wie fast Ihr ganzes Werk, aber wie in Ihrem ganzen Werk wird die Bitterkeit der Gedanken aufgewogen durch die Wärme der Empfindungen, die sie tragen, durch den menschlichen, herzlichen, aufs höchste großmütigen Schwung, der einer der Hauptaspekte Ihres Genies und Ihres Charakters ist". Unerschöpflich nennt Tardieu diesen Roman, weil Martin du Gard die Gabe besitze, "de faire voir et de faire vivre", nicht linear oder jeweils ausschnittweise, sondern als ein Miteinander, ein Durcheinander-bedingt-Sein der Figuren in einem symphonischen Verlauf.
Roger Martin du Gards Statur, Format und Leistung sind völlig unvergleichlich; was denjenigen notwendigerweise entgeht, die nicht gesonnen oder nicht imstande sind, das Vorliegende in seiner ganzen Breite und Vielfalt zur Kenntnis zu nehmen. So entgeht ihnen denn auch, daß wir es hier mit einem monumentalen Bollwerk, einem hochbekömmlichen Antidotum gegen das arrogant-fanatische Gewühl der ideologisch kombattanten Moderne und Postmoderne zu tun haben. Vielleicht wäre dieser Briefwechsel mit Tardieu ein Köder, der diesen oder jenen auf den Geschmack bringt.
FRIEDHELM KEMP
Roger Martin du Gard/Jean Tardieu: "Lettres croisées 1923-1958". Gallimard, Paris 2003. 416 S., geb., 31,50 [Euro].
Roger Martin du Gard: "Die Thibaults". Die Geschichte einer Familie. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2003. 801 S., geb., 29,90 [Euro].
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