Semiramis, Tochter der Luft, hervorgegangen aus einer Vergewaltigung, in der Wildnis aufgewachsen und wie ein Tier in einer Höhle gefangen, sucht ihre Freiheit in der Herrschaft über die andern, und das heißt: im Krieg. Ihre Siege und ihre Verbrechen fallen zusammen. Ein Aufstand zwingt sie, zugunsten ihres Sohnes abzudanken. Der junge König, ein Fürst des Friedens, ist ihr Ebenbild und zugleich ihr verleugnetes Gegenteil. Semiramis setzt ihn gefangen und besteigt den Thron von neuem. Die Mutter spielt den Sohn, die Frau den Mann. Eine ungeheure Verwirrung der Gefühle ist die Folge, die in der Katastrophe enden muß. Hans Magnus Enzensbergers Schauspiel ist keine Übersetzung. Er übernimmt die geniale dramatische Struktur, die Calderon erfunden hat. Doch befreit er das Stück von seiner konventionellen Rhetorik, seinem barocken Apparat. Seine lakonische Version verschärft die politischen und erotischen Konflikte und führt sie auf ihren unlösbaren Kern zurück, den Willen zur Macht.