Das kapriziöse Leben Martha Fontanes, der"Lieblingstochter"von Theodor Fontane. Anhand von weitverstreuten Dokumenten und zahlreichen neu aufgefundenen Briefen schildert Regina Dieterle"Metes"Frauenleben im urban-intellektuellen Berlin des Fin de Siecle: angeregte Gespräche, Besuch der Reichstagsdebatten, Theater und Soirees Musicales, Reisen durch Europa, Amerikapläne, beste Kontakte zum alten Adel und zu den neuen Industriellen - und immer zu wenig Geld für all die Ansprüche. Ein lebendiges Bild der preußischen Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Klassendenken und Weltoffenheit und die bezaubernde Schilderung eines lebensklugen Freundeskreises und der Familie Fontane.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2006Rotwein gegen die Angst
Die traurigen Töchter: Regina Dieterle hat die erste Biographie von Martha "Mete" Fontane geschrieben
Theodor Fontane und Thomas Mann gehören zwei Welten an. Ist der eine ganz neunzehntes Jahrhundert, bringt das Erzählen der alten Welt sozusagen auf seinen Höhepunkt, so steht der andere für das zwanzigste Jahrhundert, und seine Bücher etablieren die neue Literatur. "Der Stechlin", dessen Buchausgabe Fontane nicht mehr erlebte, erschien 1898. Nur wenige Jahre noch, dann kamen 1903 die ersten Erzählungen Thomas Manns heraus, fast hätte sich ihre Lebenszeit überschnitten.
Wie hätte der neunundsiebzigjährige Fontane wohl auf die "Buddenbrooks" reagiert, die nur sechs Jahre später erschienen? Wie der junge Thomas Mann auf den alten Fontane reagierte, weiß man ziemlich genau. Es mag dahingestellt sein, ob er wirklich von Fontane viel gelernt hat, wie er später gelegentlich sagte. Auf jeden Fall gehörte Thomas Mann zu den unbedingten Bewunderern des alten Fontane, der so wenig Glück mit seinen Büchern gehabt hatte. Selten erreichten sie mehrere Auflagen, und der Greisenerfolg des fast Achtzigjährigen kam im Grunde zu spät. Während die "Buddenbrooks" bald schon auf Hunderttausende, dann auf eine Million Exemplare zugingen, notierte es Fontane, wenn es zu einer bescheidenen zweiten oder dritten Auflage von drei- oder viertausend Bänden kam, dann wurde in der Potsdamer Straße 134 c, drei Treppen links, gefeiert. Die Rechte an seinem Werk mußten vom Verlag seines Sohnes Friedrich in das wenige Jahre zuvor gegründete Haus des jungen Samuel Fischer übergehen, um buchhändlerisch zu reüssieren.
Kaum waren die Rechte an Fontane vom S. Fischer Verlag, der sehr bald eine Gesamtausgabe vorlegte, übernommen worden, so erreichten auch sie eine Auflage von 150 000 Exemplaren, was zu Lebzeiten Fontanes ein Traum gewesen wäre. Nun war auch er ein Bestseller, und die Kinder teilten sich die reichlich fließenden Erlöse. Zudem gesellte sich der alte Herr zu den Modernsten, und das machte ihn zum Parteigänger Gerhart Hauptmanns, Paul Schlenthers, Otto Brahms und der anderen aus dem Umkreis der Freien Bühne. Der alte Fontane war ein Prophet des Allerneuesten, fast ein Revolutionär.
Es gibt eine andere Nachbarschaft beider Dichter, die ins Persönliche geht. Fast hätten sich die Familien Theodor Fontanes und Thomas Manns sogar berührt. Mete Fontane, die geliebte Tochter, mußte erleben, daß die meisten ihrer Freundinnen vorteilhafte Partien machten, aber sie selber blieb ein "spätes Mädchen" nach den Begriffen des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts. Der Vater hatte eine Zeitlang die Illusion gehabt, Mete würde eine Schönheit werden, aber bald kamen ihm selbst Zweifel an ihrer Lebenstüchtigkeit. Mete war für ihn ein "Angstkind" und blieb jahrzehntelang schon aufgrund ihrer vielen Krankheiten das Sorgenkind der Familie. Dabei war sie zureichend hübsch, wie Fotografien zeigen, aber es muß ihr an dem Flirrenden gefehlt haben, das junge Mädchen verführerisch macht. Sie war aber die beste, fast einzige Gesprächspartnerin ihres Vaters, dessen Freunde oft auch die ihren wurden. Dann wurde sie notgedrungen Begleiterin von Freunden der Familie und wohlhabenden Damen und Gesellschafterin von deren Töchtern. Als Zehnjährige hatte sie monatelang in England gelebt, mit allem Französischen war sie ohnehin gut vertraut, wie denn die ganze Fontane-Familie darauf Wert legte, von Vaters und von Mutters Seite hugenottischen Ursprungs zu sein.
Einmal begleitete sie eine reiche Amerikanerin, für deren beide Töchter sie engagiert war. Auf dieser Art von "Grand tour" kam sie zu ihrer ersten großen Italien-Reise, fuhr von der ligurischen Küste über Pisa und Florenz nach Rom, wo alle wochenlang im Luxushotel "Quirinal" lebten. Dann ging es über Neapel, mit einem Abstecher nach Capri, über Venedig und Österreich zurück ins Heimische.
In Rom traf Mete auch Eva Dohm, deren Vater Ernst Dohm ein guter Bekannter ihrer Eltern gewesen war und mit dessen kluger und schöner Frau Hedwig, der Frauenrechtlerin, sie gut bekannt wurde. Hedwig Dohm lebte mit ihren fünf Kindern inzwischen in München, und Mete Fontane freundete sich mit den Dohm-Töchtern an. Sie scheint auch mit jener Tochter befreundet gewesen zu sein, die dann den Mathematikprofessor Alfred Pringsheim heiratete und deren Tochter Katia später dem Werben Thomas Manns nachgab, der als Autor der "Buddenbrooks" schon mit Anfang Zwanzig eine Berühmtheit war. Damals lernte Mete einen großbürgerlichen Lebensstil kennen, und ihr Leben lang sollte sie Sympathie für das freie und große Leben einer Welt bewahren, die ihr selber durch das eher beengte Elternhaus verschlossen blieb.
Als die Dohms schon längst nach Berlin zurückgekehrt waren, wurden sie übrigens Freunde des Malers Karl Stauffer-Bern, zu dessen Umkreis der Bildhauer Max Klein zählte, der, wiederum Jahrzehnte später, das Fontane-Denkmal im Tiergarten schuf. So schloß sich der Kreis, und wenn auch sehr auf Umwegen, kamen die Welten Theodor Fontanes und Thomas Manns noch einmal in Berührung.
Haben die beiden Töchter, Martha Fontane und Erika Mann, sich je kennengelernt oder zumindest voneinander gehört? Überliefert ist es nicht und auch nicht sehr wahrscheinlich. Erika ging eigene Wege, lebte vom geradezu explodierenden Ruhm des Vaters, an dem sie zusammen mit ihrem Bruder Klaus nach Kräften profitierte. Erika war ein ausnehmend hübsches, ein wenig gefallsüchtiges, manche sagten: vorlautes Mädchen. Aber ihr glamouröses Treiben, mit dem sie die bürgerliche Welt faszinierte und schockierte, endete mit dem Hochkommen Hitlers, denn sie war Halbjüdin nach den Rassengesetzen der Nazis. Sie hatte gerade spektakulären Erfolg mit dem Kabarett "Die Pfeffermühle" gehabt, das nun immer mehr zu einer Arena des Kampfes gegen das Regime wurde. Wenige Tage nach dem Machtantritt Hitlers suchten alle Manns, Thomas und seine Familie und Heinrich und die Seinen, Zuflucht im Ausland, erst in Sanary-sur-Mer, dann in Küßnacht am Rigi, schließlich in Amerika. Erika aber kam in den Vereinigten Staaten nicht recht auf die Beine, vorübergehend wurde sie so etwas wie ein war correspondent, dem Beispiel von Klaus folgend.
Erika nahm immer häufiger im Alkohol Zuflucht. Damals überkamen sie ständig neue Krankheiten, wobei nicht sicher war, ob sie sich in Krankheiten rettete oder ob sie durch Krankheiten immer wieder aus der Bahn geworfen wurde. Längst war sie nicht mehr das "herrliche Mädchen", das Thomas Mann so bewundert hatte, sondern eine Belastung der Familie. Vor allem Katia, ihre Mutter, litt unter den hysterischen Zusammenbrüchen von Erika, die aber zwischendurch eine Helferin des Vaters bei der Abfassung seiner späteren Bücher, vor allem des "Doktor Faustus", war.
Mete Fontane ging einen merkwürdig parallelen Weg. Sie brauchte jetzt immer häufiger Rotwein gegen die Angst, die sie in immer kürzeren Abständen ankam, und sie ironisierte sich selber, indem sie sich ein rechtes "Flaschenkind" nannte. Beide Töchter waren nun Helferinnen ihrer Väter, willkommen zuweilen, oft genug eine Belastung der Eltern. Haben sie sich jemals aufgegeben, die Hoffnung auf ein Leben aus eigenem Recht fahrenlassen? Es scheint so. Erika hatte zuletzt eine Art von Liebesgeschichte mit einem Jahrzehnte älteren Freund des Vaters, und auch Mete rettete sich schließlich in eine Ehe mit Karl Emil Otto Fritsch, einem zweimal verwitweten entfernten Bekannten der Eltern, den Gründer einer Bauzeitschrift, der es schließlich zu richtigem Reichtum brachte.
Theodor Fontane hat die Ehe nicht mehr erlebt, aber die Verlobung wurde noch in der Potsdamer Straße gefeiert, und der Vater brachte einen Toast auf das späte Glück seiner Tochter aus. Die Ehe, wohl ohne Leidenschaft, scheint ruhig und besänftigend gewesen zu sein. Inzwischen war Fritsch so vermögend geworden, daß sich das Ehepaar eine Art von Sommerresidenz in Waren an der Müritz gekauft hatte, ein Anwesen, das so weitläufig war, daß ständige Gäste nicht als Bedrängung, sondern als Belebung empfunden wurden. Aber das häufige Kranksein Metes, mitunter brauchte sie drei bis vier Ärzte, brachte sich immer stärker zur Geltung, und ihre Neigung zum Alkohol war nicht mehr zu übersehen. Einmal mußte Mete auf der Reise von Berlin nach Waren von einem Arzt und einer Pflegerin begleitet werden, und der Ehemann war erst beruhigt, als ihm gemeldet wurde, seine Frau sei gut in ihrem Zweitwohnsitz an der Müritz angekommen. Es war wohl, alles in allem, eine glückliche Ehe mit dem Jahrzehnte Älteren, sofern man unter solchen Umständen von Glück sprechen kann. In diesem Gleichmaß kam der Erste Weltkrieg heran, und 1915 starb Karl Emil Otto Fritsch, der nun siebenundsiebzig Jahre alt war.
Mete kam mit dem Alleinsein nicht zurecht. Sie verlegte ihren Hauptwohnsitz wieder nach Berlin, und zwar in die westlichen Vororte zwischen Halensee und Grunewald, wo sie alle paar Jahre ein neues Quartier suchte. Alle Straßennamen, die in der Korrespondenz auftauchen, sind uns bekannt. So liest man diese Biographie Regina Dieterles mit Empfindungen der Vertrautheit, man erfährt von Metes Leben soviel wie von dem Berlin der Kaiserzeit. Es ist ein Buch über das Berlin der Jahrzehnte vor und nach der Jahrhundertwende, und insofern ist es fast ein Roman einer beginnenden Weltstadt. Das behagliche Berlin der Mitte des Jahrhunderts, in dem Fontane zu Hause gewesen war, ging in diesen Jahrzehnten dem Ende zu. "Die Brücke", der "Blaue Reiter" und "Das Bauhaus" zogen herauf, aber das war eine ganz andere Welt, zu der weder der Vater noch die Tochter einen Zugang hatten.
Kinder hatte sie nicht, und die Verbindung zu den Geschwistern war nicht besonders eng. So scheint sie beschlossen zu haben, diesem Leben ein Ende zu machen. Am 12. Dezember 1916, nur ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes und auf dem Höhepunkt des großen Krieges, der ein Weltkrieg geworden war, setzte sie mit einem Sprung aus dem Fenster einen Schlußpunkt.
Regina Dieterle: "Die Tochter". Das Leben der Martha Fontane. Hanser Verlag, München 2006. 432 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Die traurigen Töchter: Regina Dieterle hat die erste Biographie von Martha "Mete" Fontane geschrieben
Theodor Fontane und Thomas Mann gehören zwei Welten an. Ist der eine ganz neunzehntes Jahrhundert, bringt das Erzählen der alten Welt sozusagen auf seinen Höhepunkt, so steht der andere für das zwanzigste Jahrhundert, und seine Bücher etablieren die neue Literatur. "Der Stechlin", dessen Buchausgabe Fontane nicht mehr erlebte, erschien 1898. Nur wenige Jahre noch, dann kamen 1903 die ersten Erzählungen Thomas Manns heraus, fast hätte sich ihre Lebenszeit überschnitten.
Wie hätte der neunundsiebzigjährige Fontane wohl auf die "Buddenbrooks" reagiert, die nur sechs Jahre später erschienen? Wie der junge Thomas Mann auf den alten Fontane reagierte, weiß man ziemlich genau. Es mag dahingestellt sein, ob er wirklich von Fontane viel gelernt hat, wie er später gelegentlich sagte. Auf jeden Fall gehörte Thomas Mann zu den unbedingten Bewunderern des alten Fontane, der so wenig Glück mit seinen Büchern gehabt hatte. Selten erreichten sie mehrere Auflagen, und der Greisenerfolg des fast Achtzigjährigen kam im Grunde zu spät. Während die "Buddenbrooks" bald schon auf Hunderttausende, dann auf eine Million Exemplare zugingen, notierte es Fontane, wenn es zu einer bescheidenen zweiten oder dritten Auflage von drei- oder viertausend Bänden kam, dann wurde in der Potsdamer Straße 134 c, drei Treppen links, gefeiert. Die Rechte an seinem Werk mußten vom Verlag seines Sohnes Friedrich in das wenige Jahre zuvor gegründete Haus des jungen Samuel Fischer übergehen, um buchhändlerisch zu reüssieren.
Kaum waren die Rechte an Fontane vom S. Fischer Verlag, der sehr bald eine Gesamtausgabe vorlegte, übernommen worden, so erreichten auch sie eine Auflage von 150 000 Exemplaren, was zu Lebzeiten Fontanes ein Traum gewesen wäre. Nun war auch er ein Bestseller, und die Kinder teilten sich die reichlich fließenden Erlöse. Zudem gesellte sich der alte Herr zu den Modernsten, und das machte ihn zum Parteigänger Gerhart Hauptmanns, Paul Schlenthers, Otto Brahms und der anderen aus dem Umkreis der Freien Bühne. Der alte Fontane war ein Prophet des Allerneuesten, fast ein Revolutionär.
Es gibt eine andere Nachbarschaft beider Dichter, die ins Persönliche geht. Fast hätten sich die Familien Theodor Fontanes und Thomas Manns sogar berührt. Mete Fontane, die geliebte Tochter, mußte erleben, daß die meisten ihrer Freundinnen vorteilhafte Partien machten, aber sie selber blieb ein "spätes Mädchen" nach den Begriffen des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts. Der Vater hatte eine Zeitlang die Illusion gehabt, Mete würde eine Schönheit werden, aber bald kamen ihm selbst Zweifel an ihrer Lebenstüchtigkeit. Mete war für ihn ein "Angstkind" und blieb jahrzehntelang schon aufgrund ihrer vielen Krankheiten das Sorgenkind der Familie. Dabei war sie zureichend hübsch, wie Fotografien zeigen, aber es muß ihr an dem Flirrenden gefehlt haben, das junge Mädchen verführerisch macht. Sie war aber die beste, fast einzige Gesprächspartnerin ihres Vaters, dessen Freunde oft auch die ihren wurden. Dann wurde sie notgedrungen Begleiterin von Freunden der Familie und wohlhabenden Damen und Gesellschafterin von deren Töchtern. Als Zehnjährige hatte sie monatelang in England gelebt, mit allem Französischen war sie ohnehin gut vertraut, wie denn die ganze Fontane-Familie darauf Wert legte, von Vaters und von Mutters Seite hugenottischen Ursprungs zu sein.
Einmal begleitete sie eine reiche Amerikanerin, für deren beide Töchter sie engagiert war. Auf dieser Art von "Grand tour" kam sie zu ihrer ersten großen Italien-Reise, fuhr von der ligurischen Küste über Pisa und Florenz nach Rom, wo alle wochenlang im Luxushotel "Quirinal" lebten. Dann ging es über Neapel, mit einem Abstecher nach Capri, über Venedig und Österreich zurück ins Heimische.
In Rom traf Mete auch Eva Dohm, deren Vater Ernst Dohm ein guter Bekannter ihrer Eltern gewesen war und mit dessen kluger und schöner Frau Hedwig, der Frauenrechtlerin, sie gut bekannt wurde. Hedwig Dohm lebte mit ihren fünf Kindern inzwischen in München, und Mete Fontane freundete sich mit den Dohm-Töchtern an. Sie scheint auch mit jener Tochter befreundet gewesen zu sein, die dann den Mathematikprofessor Alfred Pringsheim heiratete und deren Tochter Katia später dem Werben Thomas Manns nachgab, der als Autor der "Buddenbrooks" schon mit Anfang Zwanzig eine Berühmtheit war. Damals lernte Mete einen großbürgerlichen Lebensstil kennen, und ihr Leben lang sollte sie Sympathie für das freie und große Leben einer Welt bewahren, die ihr selber durch das eher beengte Elternhaus verschlossen blieb.
Als die Dohms schon längst nach Berlin zurückgekehrt waren, wurden sie übrigens Freunde des Malers Karl Stauffer-Bern, zu dessen Umkreis der Bildhauer Max Klein zählte, der, wiederum Jahrzehnte später, das Fontane-Denkmal im Tiergarten schuf. So schloß sich der Kreis, und wenn auch sehr auf Umwegen, kamen die Welten Theodor Fontanes und Thomas Manns noch einmal in Berührung.
Haben die beiden Töchter, Martha Fontane und Erika Mann, sich je kennengelernt oder zumindest voneinander gehört? Überliefert ist es nicht und auch nicht sehr wahrscheinlich. Erika ging eigene Wege, lebte vom geradezu explodierenden Ruhm des Vaters, an dem sie zusammen mit ihrem Bruder Klaus nach Kräften profitierte. Erika war ein ausnehmend hübsches, ein wenig gefallsüchtiges, manche sagten: vorlautes Mädchen. Aber ihr glamouröses Treiben, mit dem sie die bürgerliche Welt faszinierte und schockierte, endete mit dem Hochkommen Hitlers, denn sie war Halbjüdin nach den Rassengesetzen der Nazis. Sie hatte gerade spektakulären Erfolg mit dem Kabarett "Die Pfeffermühle" gehabt, das nun immer mehr zu einer Arena des Kampfes gegen das Regime wurde. Wenige Tage nach dem Machtantritt Hitlers suchten alle Manns, Thomas und seine Familie und Heinrich und die Seinen, Zuflucht im Ausland, erst in Sanary-sur-Mer, dann in Küßnacht am Rigi, schließlich in Amerika. Erika aber kam in den Vereinigten Staaten nicht recht auf die Beine, vorübergehend wurde sie so etwas wie ein war correspondent, dem Beispiel von Klaus folgend.
Erika nahm immer häufiger im Alkohol Zuflucht. Damals überkamen sie ständig neue Krankheiten, wobei nicht sicher war, ob sie sich in Krankheiten rettete oder ob sie durch Krankheiten immer wieder aus der Bahn geworfen wurde. Längst war sie nicht mehr das "herrliche Mädchen", das Thomas Mann so bewundert hatte, sondern eine Belastung der Familie. Vor allem Katia, ihre Mutter, litt unter den hysterischen Zusammenbrüchen von Erika, die aber zwischendurch eine Helferin des Vaters bei der Abfassung seiner späteren Bücher, vor allem des "Doktor Faustus", war.
Mete Fontane ging einen merkwürdig parallelen Weg. Sie brauchte jetzt immer häufiger Rotwein gegen die Angst, die sie in immer kürzeren Abständen ankam, und sie ironisierte sich selber, indem sie sich ein rechtes "Flaschenkind" nannte. Beide Töchter waren nun Helferinnen ihrer Väter, willkommen zuweilen, oft genug eine Belastung der Eltern. Haben sie sich jemals aufgegeben, die Hoffnung auf ein Leben aus eigenem Recht fahrenlassen? Es scheint so. Erika hatte zuletzt eine Art von Liebesgeschichte mit einem Jahrzehnte älteren Freund des Vaters, und auch Mete rettete sich schließlich in eine Ehe mit Karl Emil Otto Fritsch, einem zweimal verwitweten entfernten Bekannten der Eltern, den Gründer einer Bauzeitschrift, der es schließlich zu richtigem Reichtum brachte.
Theodor Fontane hat die Ehe nicht mehr erlebt, aber die Verlobung wurde noch in der Potsdamer Straße gefeiert, und der Vater brachte einen Toast auf das späte Glück seiner Tochter aus. Die Ehe, wohl ohne Leidenschaft, scheint ruhig und besänftigend gewesen zu sein. Inzwischen war Fritsch so vermögend geworden, daß sich das Ehepaar eine Art von Sommerresidenz in Waren an der Müritz gekauft hatte, ein Anwesen, das so weitläufig war, daß ständige Gäste nicht als Bedrängung, sondern als Belebung empfunden wurden. Aber das häufige Kranksein Metes, mitunter brauchte sie drei bis vier Ärzte, brachte sich immer stärker zur Geltung, und ihre Neigung zum Alkohol war nicht mehr zu übersehen. Einmal mußte Mete auf der Reise von Berlin nach Waren von einem Arzt und einer Pflegerin begleitet werden, und der Ehemann war erst beruhigt, als ihm gemeldet wurde, seine Frau sei gut in ihrem Zweitwohnsitz an der Müritz angekommen. Es war wohl, alles in allem, eine glückliche Ehe mit dem Jahrzehnte Älteren, sofern man unter solchen Umständen von Glück sprechen kann. In diesem Gleichmaß kam der Erste Weltkrieg heran, und 1915 starb Karl Emil Otto Fritsch, der nun siebenundsiebzig Jahre alt war.
Mete kam mit dem Alleinsein nicht zurecht. Sie verlegte ihren Hauptwohnsitz wieder nach Berlin, und zwar in die westlichen Vororte zwischen Halensee und Grunewald, wo sie alle paar Jahre ein neues Quartier suchte. Alle Straßennamen, die in der Korrespondenz auftauchen, sind uns bekannt. So liest man diese Biographie Regina Dieterles mit Empfindungen der Vertrautheit, man erfährt von Metes Leben soviel wie von dem Berlin der Kaiserzeit. Es ist ein Buch über das Berlin der Jahrzehnte vor und nach der Jahrhundertwende, und insofern ist es fast ein Roman einer beginnenden Weltstadt. Das behagliche Berlin der Mitte des Jahrhunderts, in dem Fontane zu Hause gewesen war, ging in diesen Jahrzehnten dem Ende zu. "Die Brücke", der "Blaue Reiter" und "Das Bauhaus" zogen herauf, aber das war eine ganz andere Welt, zu der weder der Vater noch die Tochter einen Zugang hatten.
Kinder hatte sie nicht, und die Verbindung zu den Geschwistern war nicht besonders eng. So scheint sie beschlossen zu haben, diesem Leben ein Ende zu machen. Am 12. Dezember 1916, nur ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes und auf dem Höhepunkt des großen Krieges, der ein Weltkrieg geworden war, setzte sie mit einem Sprung aus dem Fenster einen Schlußpunkt.
Regina Dieterle: "Die Tochter". Das Leben der Martha Fontane. Hanser Verlag, München 2006. 432 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit einem Gefühl der Vertautheit hat Wolf Jobst Siedler diese Biografie über Theodor Fontanes Tochter Martha von Regina Dieterle gelesen. Zu seiner Freude erfährt der Leser darin nicht nur viel über Martha Fontane, genannt "Mete", sondern auch über das Berlin der Kaiserzeit, dessen in der Korrespondenz Metes auftauchende Straßennamen ihm wohlbekannt sind. So ist das Buch für ihn "fast ein Roman einer beginnenden Weltstadt". Ausführlich schildert Siedler auch das Leben Metes. Er berichtet über ihre zahlreichen Reisen, die späte Ehe, Angstzustände und Alkoholmissbrauch und verweist auf Parallelen zu Erika Mann, die wie Mete nicht unproblematisch war.
© Perlentaucher Medien GmbH
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