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Adam Gordon geht auf die Topeka-High-School, er steht kurz vorm Abschluss. Seine Mutter Jane ist eine berühmte feministische Autorin, sein Vater Jonathan ein Experte darin, »verlorene Jungs« wieder zum Sprechen zu bringen. Sie beide sind in einer psychiatrischen Einrichtung tätig, in der Therapeuten und Patienten aus der ganzen Welt zusammenkommen. Adam selbst ist ein bekannter Debattierer, alle rechnen damit, dass er die Landesmeisterschaft gewinnt, bevor er auf die Uni geht. Er ist ein beliebter Typ, cool und ausschreitungsbereit, besonders sprachlich, damit keiner auf die Idee kommt, er…mehr

Produktbeschreibung
Adam Gordon geht auf die Topeka-High-School, er steht kurz vorm Abschluss. Seine Mutter Jane ist eine berühmte feministische Autorin, sein Vater Jonathan ein Experte darin, »verlorene Jungs« wieder zum Sprechen zu bringen. Sie beide sind in einer psychiatrischen Einrichtung tätig, in der Therapeuten und Patienten aus der ganzen Welt zusammenkommen. Adam selbst ist ein bekannter Debattierer, alle rechnen damit, dass er die Landesmeisterschaft gewinnt, bevor er auf die Uni geht. Er ist ein beliebter Typ, cool und ausschreitungsbereit, besonders sprachlich, damit keiner auf die Idee kommt, er könnte auch schwach sein. Adam hat ein Herz für Außenseiter, und so freundet er sich mit Darren an - er weiß nicht, dass der einer der Patienten seines Vaters ist -, und führt ihn in seine Kreise ein. Mit desaströsen Folgen ...

Die Topeka Schule ist die Geschichte einer Familie um die Jahrtausendwende. Die Geschichte einer Mutter, die sich von einer Missbrauchsgeschichte befreien will; von einem Vater, der seine Ehe verrät; von einem Sohn, dem die ganzen Rituale von Männlichkeit suspekt werden und der zunehmend verstummt. Eine Geschichte von Konflikten und Kämpfen und versuchten Versöhnungen.

In einer an Wundern reichen Sprache erzählt Ben Lerner vom prekären Zusammenhalt einer Familie, von fraglichen Vorbildern und vom drohenden Zusammenbruch privater und öffentlicher Rede. Die Art, wie dabei das Historische und das Persönliche miteinander verwoben werden, stärkt unseren Glauben daran, was Literatur heute zu leisten vermag.
Autorenporträt
Lerner, BenBen Lerner wurde 1979 in Topeka, Kansas, geboren. Als Schüler war er US-Meister im Debattieren. Lerner ist der Autor von zwei international gefeierten Romanen - Abschied von Atocha und 22:04 -, drei Gedichtbänden, dem Essay Warum hassen wir die Lyrik sowie verschiedenen kollaborativen Arbeiten, u. a. zusammen mit Thomas Demand und Alexander Kluge. Lerner hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten, u. a. das Guggenheim Fellowship und das MacArthur Fellowship. Er ist Professor für Literatur am Brooklyn College und lebt mit seiner Frau und den beiden kleinen Töchtern in New York City.

Stingl, NikolausNikolaus Stingl, geboren 1952, übersetzt erzählende Literatur aus dem Englischen, u. a. Werke von Cormac McCarthy, Thomas Pynchon und Colson Whitehead. Stingl wurde u. a. mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis, dem Paul-Celan-Preis und dem Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2020

Das vergiftete Erbe der Debattierclubs

Woher kommt die große amerikanische Gereiztheit, die heute überall spürbar ist? Ben Lerner verfolgt ihr Stimmengewirr in seinem Roman "Die Topeka Schule" zurück bis in die neunziger Jahre.

Der anschwellende Sphärenklang beim Hochfahren von Windows 95, Lauryn Hills Rapgesang auf dem Fugees-Album "The Score", die erratischen Klick-, Rausch- und Piepgeräusche eines Einwahlmodems: Immer wieder ist man bei der Lektüre des neuen Romans von Ben Lerner verleitet, sich im digitalen Archiv der Gegenwart die Klangwelt der neunziger Jahre noch einmal zu vergegenwärtigen. "Die Topeka Schule" ist nicht zuletzt dies: eine literarische Wayback Machine, die nicht wenigen Lesern vor Augen führen dürfte, dass ihre Jugend endgültig vorbei ist, ja einer anderen Epoche angehört. Und weil dies ohne jede abmildernde Weißt-du-noch-Sentimentalität geschieht, hallt die Lektüre im Leser weit länger nach als die Echoeffekte in so manchem Fugees-Song: "Ready or not, here I come, you can't hide."

Ben Lerner, 1979 geboren, ist neben Joshua Cohen und Maggie Nelson einer der ambitioniertesten jüngeren Autoren der amerikanischen Gegenwartsliteratur, und dementsprechend will sein Roman viel mehr sein als das selbsthistorisierende Porträt einer vergangenen Dekade. Sein bereits von Barack Obama empfohlenes Buch ist der Versuch, die politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen des heutigen Amerikas als Ergebnis einer Entwicklung zu erklären, die in den neunziger Jahren begann. Dazu setzt er vordringlich bei der Sprache an, während die Handlung, die er achronologisch in Szenen, Erinnerungen und Gesprächen entfaltet, weitgehend in den Hintergrund tritt.

Der wesentliche Handlungsort ist das titelgebende Topeka, die Hauptstadt des Bundesstaats Kansas und außerdem Lerners Geburtsort (der Roman teilt nicht wenige Details mit dem Leben des Autors). Sehr viel reicher als an Orten ist das Buch allerdings an sprachlichen Registern, die sich zu einer dissonanten Vielstimmigkeit verbinden: Die geschulte Sprache der Psychoanalyse trifft auf die zynische Rhetorik der Politik, der chauvinistische Slang orientierungsloser junger Männer begegnet dem militanten Furor religiöser Fundamentalisten, und zu alldem "spuckt" Eminem seine wütenden Rap-Tiraden über die Kanäle.

Die meisten Stimmen gehören zu den Figuren des Romans, die zum Teil auch seine Erzähler sind: einmal Adam, der jugendliche Protagonist, der kurz vor seinem Highschool-Abschluss steht; dann seine Eltern, Jane und Jonathan, die gemeinsam in einer Art psychiatrischer Kommune mit Siebziger-Flair tätig sind; und schließlich Darren, ein Patient Jonathans und gleichaltriger Freund Adams, dessen unterprivilegiertes Leben sich hauptsächlich zwischen Armyshop und Burgerladen abspielt.

Adam erscheint in diesem Tableau als ein Kollektivwesen, das sich zeitweise am "Rand des Zusammenbruchs" befindet. Die unterschiedlichsten Stimmen schießen wirr in ihm zusammen: Spuren des elterlichen Psychotalks, Elemente von College-Lektüren, Fragmente eines adoleszenten Jargons der Härte - und so fort. Aber auch im Ganzen ist die vorherrschende Stimmung in der "Topeka Schule" eine große Gereiztheit, die an die letzten Kapitel des "Zauberbergs" denken lässt. Eine Ursache hat sie im Brüchigwerden der alten "Marlboro-Mann-Kultur", das auf Seiten der Männer wütende, dumpfe Akte der Regressivität nach sich zieht.

Die außergewöhnliche Sprachsensibilität des Protagonisten begründet aber zugleich sein Talent als Debattierer. Debattieren, das bedeutet in diesem Buch argumentativ und rhetorisch für eine Position zu kämpfen, bei der völlig irrelevant ist, ob sie der eigenen Überzeugung entspricht oder nicht. Es bedeutet, die Sprache einzig und allein in Hinsicht auf ihre Wirkung zu nutzen: "Dein Pluspunkt ist Kansas", so wird Adam von seinem Trainer auf einen Wettkampf vorbereitet, bei dem es darum geht, eine Rede im republikanischen Stil aufzuführen. "Bring kleine Tautologien, als wären es Sprichwörter. Dinge, die deine Großmutter Rosie immer gesagt hat. Damals auf der Farm. Damals, als Amerika noch Amerika war und nicht der Spielplatz der Eliten an den Küsten."

Beim Debattieren wird der Wirklichkeitsbezug also nur aus taktischen Gründen hergestellt, eine Technik des kalkulierten Sprachbetrugs, die noch unterstützt wird durch die neu aufkommende Praxis des "Schnellsens", der gezielten Überforderung der Zuhörer durch ein extrem hohes Argumentationstempo. Kein Zufall, dass in diesem Zusammenhang beiläufig der Name Paul Manafort erwähnt wird, der zwar über Jahrzehnte hinweg als Berater republikanischer Präsidentschaftskandidaten arbeitete (hier ist es Bob Dole), heute aber vornehmlich mit Donald Trumps Wahlkampf von 2016 in Verbindung gebracht wird. Für Lerner ist der heutige Populismus, verkürzt gesagt, eine Geburt aus dem Geist des Debattierclubs.

In Nihilismus verfällt der Roman aber trotz allem nicht. In einer der komischsten Szenen fordert Jane, die als Verfasserin eines feministischen Bestsellers ins Visier der Frauenhasser geraten ist, ihre grunzenden Drohanrufer dazu auf, doch bitte lauter zu sprechen - woraufhin die Verdutzten meist rasch auflegen. Zumindest auf die Scham war in den Neunzigern also noch Verlass, aber Lerner bezieht auch ihren zukünftigen Konkurs mit in die Betrachtung ein: Das von Adam aus der Gegenwartsperspektive erzählte Schlusskapitel hat für das "Pussy-Grabbing" bereits einen festen Begriff. Musste es erst so weit kommen, bevor sich eine Wende zum Guten und Gesitteten überhaupt denken lässt? Dies zumindest legt der Roman in den letzten Sätzen nahe: Bei einer Demonstration gegen die Einwanderungspraktiken der Trump-Administration stimmt Adam, nachdem er den ersten Peinlichkeitsreflex überwunden hat, ins gemeinsame Skandieren ein und fühlt sich dabei als Teil einer Öffentlichkeit, die "langsam wieder zu reden" lernt. Ein hoffnungsvoller, erbaulicher Ausblick, der vielleicht tatsächlich, und sei es nur für den Moment der Lektüre, "die Welt ein bisschen heller" (Barack Obama) wirken lässt.

Das noch größere Verdienst Lerners besteht allerdings darin, die Literatur und die ihr eigenen Erkenntnismöglichkeiten für seine Analyse der amerikanischen Zustände genutzt zu haben: erzählerischen Multiperspektivismus, sprachliche Versatilität, komplexe Figurenzeichnungen und eine diskrete Form der Autofiktion. Umgekehrt verzichtet der Roman völlig darauf, sich unterwürfig an die Erklärungsmodelle der Soziologie oder der Politik heranzuhängen, deren abgegriffene Kategorien der "Polarisierung", "Zerrissenheit" und "Spaltung" einem ohnehin aus allen Medien entgegenschallen (und dabei notgedrungen verstärken, was sie eigentlich nur bezeichnen wollen). "Die Topeka Schule" ist keine Sekundärliteratur, die sich ihre vermeintliche Relevanz von anderen Disziplinen borgen muss, sondern ein Primärwerk im klügsten, aufklärerischsten und oft sehr witzigen Sinne. Der politischen Literatur unserer Tage könnte es ein Licht aufstecken.

KAI SINA

Ben Lerner: "Die Topeka Schule". Roman.

Aus dem amerikanischen Englisch von Nikolaus Stingl. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 395 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Christoph Schröder hat diesen Roman gründlich gelesen, und sein Resümee klingt fasziniert aber zwiespältig. Es ist sehr wohl ein Roman zur Zeit, und Ben Lerner versteht sich auf seine Mittel, so Schröder. Die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft analysiert Lerner in dem Roman als eine Krise mit zwei Seiten: zugleich eine Krise der Rhetorik und eine Krise der Männlichkeit. Es ist sicher auch ein Roman über Fremdheit: denn beim Personal handelt es sich um eine in die amerikanische Provinz verschlagene Ostküsten-Elite, die sich all jenen "Losern" gegenübersieht, die Donald Trump verehren. Kommunikation ist nicht mehr möglich: eine Sprache des Hasses begegnet auf der anderen Seite eine "ständige Reflexion des eigenen Kommunkationsverhaltens", die Kommunikation dann nachgerade auch wieder unmöglich macht. Schröder ist einerseits durchaus eingenommen von Lerners analytischer Schärfe, andererseits  bescheinigt er ihm eine Leere der Figuren und "pflichtbewusstes Flagellantentum". Seine Kritik ist kein Verriss, eher das Protokoll einer interessanten Irritation.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Klug und witzig führt Ben Lerner das akademische Milieu vor - und holt dabei die sprachlose Wut der USA ans Licht.« Andrea Köhler Neue Zürcher Zeitung 20201104