Benny Poteat lebt im heißen Süden der Vereinigten Staaten. Seit er fünfzehn ist, repariert er Strommasten und streicht Wassertürme und Getreidesilos. Von seinen hohen Aussichtspunkten hat Benny schon so einiges beobachten können. An einem Frühlingstag sieht er aus 70 Metern Höhe inmitten der Naturschönheit des Carolina Piedmonts, wie eine junge Frau vor ihrer laufenden Videokamera in den Fluß steigt und nicht wieder auftaucht. Benny meldet es nicht der Polizei, er nimmt die acht zurückgelassenen Videobänder des Mädchens und eine Visitenkarte an sich. Die führt ihn zu einer luxuriösen Wohnanlage und zu Becky, die wie sich herausstellt die Schwester der Ertrunkenen ist. Auch ihr sagt Benny nicht, was er gesehen hat. Er beginnt eine Affäre mit ihr. Und er schaut sich die von der Toten zurückgelassenen Videokassetten an, Zeugnisse einer prekären Intimität. Benny weiß viel, zu viel, und immer weiter verstrickt er sich in ein gefährliches Lügengebilde.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Was bedeutet es, etwas zu sehen?" Diese Frage, die Steven Sherrill gleich zu Beginn seines Romans stellt, als der Handwerker Benny von einem Sendemast aus beobachtet, wie eine Frau an den nahegelegenen Fluss tritt, eine Kamera aufstellt und sich daraufhin in die Fluten stürzt, hat den Rezensenten Florian Welle gleich in den Bann gezogen. Zumal Benny den Tod der Frau nicht melden wird, nicht als er ihre am Ufer zurückgelassenen Sachen an sich nimmt, und auch nicht später. Denn Benny, so der Rezensent, ist einer, der nicht gelernt hat zu handeln. Oder nur auf hinterhältige Art und Weise, denn nachdem er sich die autobiografischen Videos der Frau angesehen hat, nimmt er mit ihrer - um das Schicksal der vermissten Tochter besorgten - Familie und insbesondere mit ihrer Schwester Kontakt auf, im berauschenden Bewusstsein seines Wissensvorsprungs und ohne sein Wissen jemals preiszugeben. Morbid und spannend findet das der Rezensent, doch leider gelängen Sherrill nur wenige packende, "erbarmungslos verdichtete" Schilderungen, wie etwa das auf Video gebannte Zerwürfnis zwischen der Tochter und der erzreligösen Familie. Dazu komme, dass Sherrill zu viele Erzählstränge auswerfe. Zuletzt gerate der Roman mehr und mehr zur Schilderung des verkommenen Lebens in einer südstaatlichen Kleinstadt zwischen moralischem Anspruch und hintergründiger Perversion. Dabei, schließt der Rezensent, gerät die eigentliche Frage "Was bedeutet es, etwas zu sehen?" bedauerlicherweise ins Hintertreffen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein hervorragender Roman: Sherrill ist ein wunderbarer Schriftsteller. Er schreibt gelassen und poetisch. Die Tote vom Big Toe River handelt von Menschen, die Dinge tun, ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken." (Daily Telegraph)