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Auf dem Friedhof von Spoon River, einer Kleinstadt im amerikanischen Mittelwesten, liegen 244 Menschen begraben. Aus ihren Gräbern sprechen sie zu uns, in Gedichten, die von ihrem Leben erzählen, von entscheidenden Momenten und Erfahrungen, von der Summe ihres Lebens über alles Glück und Unglück und über ihren Tod hinaus. Versöhnlich und im Zorn, voll Sehnsucht und Bedauern, ohne Umstände und Rücksichten, im Reinen oder Unreinen mit sich und der Welt. Aus diesem Konzert der vielen Stimmen ergeben sich berührende Geschichten kleiner und großer Schicksale, eine Art Lokalchronik aus allerletzten…mehr

Produktbeschreibung
Auf dem Friedhof von Spoon River, einer Kleinstadt im amerikanischen Mittelwesten, liegen 244 Menschen begraben. Aus ihren Gräbern sprechen sie zu uns, in Gedichten, die von ihrem Leben erzählen, von entscheidenden Momenten und Erfahrungen, von der Summe ihres Lebens über alles Glück und Unglück und über ihren Tod hinaus. Versöhnlich und im Zorn, voll Sehnsucht und Bedauern, ohne Umstände und Rücksichten, im Reinen oder Unreinen mit sich und der Welt. Aus diesem Konzert der vielen Stimmen ergeben sich berührende Geschichten kleiner und großer Schicksale, eine Art Lokalchronik aus allerletzten Bekenntnissen, ein staunenswert lebendiges Bild menschlichen Lebens und Strebens.Edgar Lee Masters hat sich mit diesem Buch verewigt. Längst gehört Die Toten von Spoon River, in viele Sprachen übersetzt und seit seinem Erscheinen lieferbar, zum Kanon der Weltliteratur. Er hat den Toten eine Sprache gegeben, nackt und direkt, in der sie uns jenseits aller Zeit- und Lebensumstände für immer etwas über unser Leben zu erzählen wissen.
Autorenporträt
(1868-1950), geboren in Kansas, wuchs auf der Farm seiner Großeltern auf, ehe er mit den Eltern nach Lewistown, Illinois, übersiedelte. Wie sein Vater arbeitete er als Anwalt, u.¿a. als Armenanwalt, in Kanzleien in Chicago, war daneben, zunächst unter Pseudonym, aber auch schriftstellerisch tätig. Sein Werk umfasst 12 Theaterstücke, 21 Gedichtbände, sechs Romane und sechs Biografien, etwa zu Abraham Lincoln, Mark Twain und Walt Whitman.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2020

Alle, alle schlafen auf dem Hügel
Was sie noch zu sagen hätten, dauert ein paar Zigaretten: "Die Toten von Spoon River" reden ungekürzt auf Deutsch

Der Doktor, der Sheriff, die ermordete Schwangere, die selbstkritische Stiefmutter - sie alle hätten noch so viel zu erzählen gehabt, mussten aber abtreten von der Bühne des Lebens. Angeregt von antiken Grabinschriften, begann Edgar Lee Masters 1914 in St. Louis damit, fiktive, aber von Menschen seiner Heimat im Mittleren Westen inspirierte Epitaphe in einer Zeitschrift zu veröffentlichen. Wenig später wurden sie als Buch zur "Spoon River Anthology" gesammelt, die amerikanische Literaturgeschichte schrieb. Masters verband darin Sherwood Andersons fast zeitgleich entstehenden Geschichtenreigen der amerikanischen Kleinstadt ("Winesburg, Ohio") mit einer vielstimmigen Moderne und den freien Versen Walt Whitmans und Carl Sandburgs.

Claudio Maira, im Hauptberuf Schweizer Oberrichter, hat nun auf der Grundlage der erweiterten Macmillan-Ausgabe erstmals alle Epitaphe ins Deutsche übersetzt, kenntnisreich mit Bezügen zur amerikanischen (Literatur-)Geschichte annotiert und dankenswerterweise mit einem Register versehen, mit dem man schnell die allerletzten Worte des Pastors Wiley, der betrogenen Mrs. Purkapile, des Fiedlers Jones, der Witwe McFarlane findet.

Mairas Übersetzung ist dezidiert keine poetische, sie dient dem Verständnis sowie dem Transport von Masters' Lakonie, etwa wenn der Apotheker analysiert, warum ein Familienexperiment schiefging: "Jeder für sich gut, doch zueinander schlecht; er Sauerstoff, sie Wasserstoff, ihr Sohn ein verheerendes Feuer."

Die Anmut der freien Verse kann sie so freilich nicht wiedergeben: "She drained me like a fevered moon / That saps the spinning world. / The days went by like shadows, / The minutes wheeled like stars", barmt, nein, singt wohl der arme Fletcher McGee über die Frau, die sein Leben ruiniert hat. Die rahmende Vorrede mit ihrem wiederholten "All, all are sleeping on the hill" suggeriert, dass im Tode alle gleich sind: "the tender heart, the simple soul, the loud, the proud, the happy one". Aber der Groll so mancher Verstorbener belügt diese Hoffnung.

"Spoon River" wird oft reduziert auf seine markigeren Figuren, die Raufbolde und Säufer, die uns inzwischen allzu bekannt vorkommen. Aber es gibt darin auch rätselhaftere Stimmen wie jene der kaum charakterisierten Serepta Mason, die sich beschwert: "Meine blühende Seite habt ihr nie gesehen!" Oder den Delinquenten Frank Drummer, dessen Lebensziel es war, die Encyclopedia Britannica auswendig zu lernen - woran starb er im Alter von 25 Jahren? Es gibt Stimmen wie jene der Dorfdichterin Minerva Jones und überraschenderweise die des englischen Dichters Shelley, die sich zwischen jene der Amerikaner mischt. Manche von ihnen wissen schon, dass sie ein Nachleben in der Literatur haben: "So spross ein Baum aus mir, einem Senfkorn."

Der Einfluss von "Spoon River" auf Amerikas Literatur, Film und Musik ist kaum zu überschätzen; weltweit inspirierte es ferner auch schwedische Komponisten, italienische Cantautori und jüngst Robert Seethaler zu seinem Roman "Das Feld". Wer diese lebendigen Totengedichte liest, darf hoffen, im Jenseits mit den Geistern von Chaucer, Cäsar, Poe und Marlowe, von Cleopatra und Mrs. Surratt Tee zu trinken - selbst wenn dabei nur dummes Geschwätz ("mere trifling twaddle") herauskommt. Im besseren Fall werden es so wunderbare Verse sein wie die von Edgar Lee Masters.

JAN WIELE

Edgar Lee Masters: "Die Toten von Spoon River".

Aus dem Englischen und kommentiert von Claudio Maira. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2020.

544 S., geb., 40,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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