Nach dem Tod seines Vaters Weißbart erhält Hussein die Târ, die in der Familie seit Generationen an den ältesten Sohn weitergegeben wird. Doch unter Husseins Fingern will die doppelbauchige Laute ihre mystischen Akkorde nicht preisgeben. Seinen Anstrengungen zum Trotz bleibt sie ein bloßes Stück Holz ohne jede künstlerische Strahlkraft. Lastet ein Fluch auf Hussein? Welches Geheimnis birgt die Târ, das zu schwer wiegt, um sie erklingen zu lassen? Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Nur verbrennt Hussein ihre Saiten. Die beiden machen sich auf den Weg ins Dorf des legendären Lautenspielers Mohsen, der mit seinem Instrument eine solche Magie entfalten konnte, daß ihr Vater ihn aus Eifersucht erschlug. Parvis, Mohsens Sohn, lauert auf die Söhne des Mörders, und die Brüder ahnen nicht, daß die Geschichte der Târ, die auch ihre Geschichte ist, noch sehr viel weiter zurückreicht
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2010Ewig rauschen die Ohren
Mord unter Musikern: Yasmine Ghata spielt auf
Dass die Musik das Gemüt besänftige, ist eine alte Halbwahrheit. Eine Geige oder eine Gitarre kann man auch als Mordinstrument gebrauchen, durch einen gezielten Schlag auf den Kopf. So etwas passiert in diesem Roman. Doch macht das aus ihm noch keinen Krimi. Die Klänge des iranischen Târ-Spiels dringen erhaben und zwiespältig durchs Buch. Darin liegt sein Reiz. Es zeigt das Musizieren in der subtilen Mischung, die das Höchste in uns anspricht und das Niedrigste, Kleinlichste, Hässliche mitberührt. Zu den Schwächen des Buchs kommen wir gleich.
Der Mann, von seinen zwei Söhnen Weißbart genannt, der da in der iranischen Stadt Urmia mitten im Musizieren das Zeitliche segnet und das Plektrum in den Resonanzkörper seines Instruments gleiten lässt, scheint ein Meister seiner Kunst zu sein. Aus den Berichten seiner Söhne, seiner Frau und anderer, aus deren Perspektive die Geschichte abwechselnd erzählt wird, erfahren wir dann aber, dass es in der Nachbarstadt einen noch begabteren Târ-Spieler gab. Er hieß Mohsen und hatte mit Weißbarts Frau in früheren Jahren eine Affäre. Wahrscheinlich hat Weißbart ihn auch deshalb erschlagen. Seither hasste Weißbarts Frau nicht nur den Gatten und dessen Musik, sondern auch den Türpfosten, an dem in langen glücklosen Ehejahren das Instrument hing.
Sie schlägt mit den Fäusten verzweifelt gegen diesen Pfosten, wenn die beiden Söhne sich mit der Târ des Verstorbenen auf den Weg machen zum Geigenbauer in die Nachbarstadt. Weißbarts Instrument will nämlich unter den Fingern seines älteren Sohns Hossein, dem es vermacht wurde, nicht recht klingen und verursacht nur Ohrensausen. Die Saiten haben die beiden Söhne schon entfernt und verbrannt - ein Sakrileg, doch wohl auch eine Notwendigkeit, damit der tote Vater endlich Ruhe gibt und das Musikinstrument loslässt. In der Nachbarstadt, wo einst Mohsen wohnte, ist die Musik seit dem Mord ebenfalls verstummt. Es herrschen dort traurige Stille, Krankheit und periodische Hungersnot, die der erblindete Mohsen früher mit seinem göttlichen Saitenspiel zu bannen vermochte. Seiner Kunst gegenüber war Weißbart nur ein Beckmesser gewesen, der es über schnörkelverzierte Variationen des Immergleichen nicht hinausbrachte. Hossein hingegen versteht die Târ des alten Rivalen wieder zum Klingen zu bringen, was den Verdacht bestätigt, dass er gar nicht der wahre Sohn Weißbarts ist. Und spätestens hier, wo die Dinge sich wieder einrenken in "wahr" und "falsch", "echt" und "gekünstelt", beginnen die Schwächen des Buchs.
Die in Paris lebende Autorin libanesischer Herkunft, die vor fünf Jahren mit dem Erstlingsroman "Die Nacht der Kalligraphen" auf sich aufmerksam machte, konnte sich nicht entscheiden zwischen romanesker Verworrenheit und der Glätte eines orientalischen Märchens. Die zur bildhaften Überladenheit neigende Erzählung, deren schmale Substanz sich prätentiös auffächert in mehrere Teile, Kapitel und Abschnitte, raunt immerfort von Geheimnis und tieferer Bedeutung, wo bei näherem Hinsehen nur Klischees und Schablonen stehen. Hossein hat am Ende "das Augenlicht verloren, aber sein Schicksal erfüllt" - die Symbolik ist billig. Auch die Peinlichkeit der Liebesnacht seiner Mutter mit dem blinden Musiker Mohsen geht nicht auf die Rechnung der Übersetzerin. Die Lenden der Frau bergen ein "Reservoir an Tönen", lesen wir, sie sei das Instrument ihres Liebhabers, seine "einzige Saite", sein "nackter Ton, den er mit Verzierungen bekleidete". Dazu Platanenrascheln, Basartreiben, Windrauschen am Salzsee: Orientkitsch. Ein reizvolles Romanthema ist vergeben, eine begabte Autorin lässt uns bangen, sie wisse nicht zwischen Masche und Kunst zu unterscheiden.
JOSEPH HANIMANN
Yasmine Ghata: "Die Târ meines Vaters". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Andrea Spingler. Ammann Verlag, Zürich 2009. 124 S., geb., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mord unter Musikern: Yasmine Ghata spielt auf
Dass die Musik das Gemüt besänftige, ist eine alte Halbwahrheit. Eine Geige oder eine Gitarre kann man auch als Mordinstrument gebrauchen, durch einen gezielten Schlag auf den Kopf. So etwas passiert in diesem Roman. Doch macht das aus ihm noch keinen Krimi. Die Klänge des iranischen Târ-Spiels dringen erhaben und zwiespältig durchs Buch. Darin liegt sein Reiz. Es zeigt das Musizieren in der subtilen Mischung, die das Höchste in uns anspricht und das Niedrigste, Kleinlichste, Hässliche mitberührt. Zu den Schwächen des Buchs kommen wir gleich.
Der Mann, von seinen zwei Söhnen Weißbart genannt, der da in der iranischen Stadt Urmia mitten im Musizieren das Zeitliche segnet und das Plektrum in den Resonanzkörper seines Instruments gleiten lässt, scheint ein Meister seiner Kunst zu sein. Aus den Berichten seiner Söhne, seiner Frau und anderer, aus deren Perspektive die Geschichte abwechselnd erzählt wird, erfahren wir dann aber, dass es in der Nachbarstadt einen noch begabteren Târ-Spieler gab. Er hieß Mohsen und hatte mit Weißbarts Frau in früheren Jahren eine Affäre. Wahrscheinlich hat Weißbart ihn auch deshalb erschlagen. Seither hasste Weißbarts Frau nicht nur den Gatten und dessen Musik, sondern auch den Türpfosten, an dem in langen glücklosen Ehejahren das Instrument hing.
Sie schlägt mit den Fäusten verzweifelt gegen diesen Pfosten, wenn die beiden Söhne sich mit der Târ des Verstorbenen auf den Weg machen zum Geigenbauer in die Nachbarstadt. Weißbarts Instrument will nämlich unter den Fingern seines älteren Sohns Hossein, dem es vermacht wurde, nicht recht klingen und verursacht nur Ohrensausen. Die Saiten haben die beiden Söhne schon entfernt und verbrannt - ein Sakrileg, doch wohl auch eine Notwendigkeit, damit der tote Vater endlich Ruhe gibt und das Musikinstrument loslässt. In der Nachbarstadt, wo einst Mohsen wohnte, ist die Musik seit dem Mord ebenfalls verstummt. Es herrschen dort traurige Stille, Krankheit und periodische Hungersnot, die der erblindete Mohsen früher mit seinem göttlichen Saitenspiel zu bannen vermochte. Seiner Kunst gegenüber war Weißbart nur ein Beckmesser gewesen, der es über schnörkelverzierte Variationen des Immergleichen nicht hinausbrachte. Hossein hingegen versteht die Târ des alten Rivalen wieder zum Klingen zu bringen, was den Verdacht bestätigt, dass er gar nicht der wahre Sohn Weißbarts ist. Und spätestens hier, wo die Dinge sich wieder einrenken in "wahr" und "falsch", "echt" und "gekünstelt", beginnen die Schwächen des Buchs.
Die in Paris lebende Autorin libanesischer Herkunft, die vor fünf Jahren mit dem Erstlingsroman "Die Nacht der Kalligraphen" auf sich aufmerksam machte, konnte sich nicht entscheiden zwischen romanesker Verworrenheit und der Glätte eines orientalischen Märchens. Die zur bildhaften Überladenheit neigende Erzählung, deren schmale Substanz sich prätentiös auffächert in mehrere Teile, Kapitel und Abschnitte, raunt immerfort von Geheimnis und tieferer Bedeutung, wo bei näherem Hinsehen nur Klischees und Schablonen stehen. Hossein hat am Ende "das Augenlicht verloren, aber sein Schicksal erfüllt" - die Symbolik ist billig. Auch die Peinlichkeit der Liebesnacht seiner Mutter mit dem blinden Musiker Mohsen geht nicht auf die Rechnung der Übersetzerin. Die Lenden der Frau bergen ein "Reservoir an Tönen", lesen wir, sie sei das Instrument ihres Liebhabers, seine "einzige Saite", sein "nackter Ton, den er mit Verzierungen bekleidete". Dazu Platanenrascheln, Basartreiben, Windrauschen am Salzsee: Orientkitsch. Ein reizvolles Romanthema ist vergeben, eine begabte Autorin lässt uns bangen, sie wisse nicht zwischen Masche und Kunst zu unterscheiden.
JOSEPH HANIMANN
Yasmine Ghata: "Die Târ meines Vaters". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Andrea Spingler. Ammann Verlag, Zürich 2009. 124 S., geb., 16,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Tar ist eine orientalische, auch im Iran verbreitete Laute. Sie gehört in diesem Fall einem "Weißbart", der sie aber längst nicht so gut spielt wie der blinde Mohsen, den Weißbart einst erschlug. Seitdem hungert das Volk, und die Frauen hassen "Weißbart". Eine Parabel auf die Zerstörung der höchst subtilen höfischen Musik des Irans durch die Ayatollahs? Auf diese Frage geht Rezensent Joseph Hanimann nicht ein. Er liest den Roman als ein unpolitisches Märchen und legt ihn als "Orientkitsch" zur Seite. Peinlich ist ihm vor allem eine per Rückblende erzählte Liebesnacht der Frau "Weißbarts" mit Mohsen, in der der Körper der Frau mit einem Musikinstrument verglichen wird, das Mohsen kunstvoll zum Tönen bringt. "Dazu Platanenrascheln", knurrt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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