Die Kybernetik faßt den Menschen als komplexen Funktionsmechanismus auf, der sich nicht prinzipiell von Maschinen unterscheidet. Von Anfang an definierte sie sich als neue Einheitswissenschaft. Zunächst auf einen kleinen Kreis von avantgardistischen Wissenschaftlern beschränkt, wurde sie ab Mitte der fünfziger Jahre zu einem wissenschaftlich und gesellschaftlich wirksamen Arbeits-, Ordnungs- und Deutungsinstrument. Schließlich führte sie mathematisch-technisches Denken in die Humanwissenschaften ein und veränderte so nachhaltig das Verständnis des Sozialen, des Politischen und des Ökonomischen, des Psychischen, der Künste und auch des Denkens. Dieser Band rekonstruiert die wichtigsten Etappen ihrer wissenschaftshistorischen Entwicklung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2008Unterwegs in der transhumanen Sphäre
Die Verschmelzung von Mensch und Maschine: Ein lesenswerter Band begibt sich auf die Spur der Kybernetik.
Sie war eine Universalwissenschaft, die ein neues Bild des modernen Menschen und seiner Welt entwarf. Etwas genauer: Sie versprach eine solche Universalwissenschaft zu sein, in der eine durch neue Technologien bestimmte Zukunft des Menschen Gestalt annahm. Es war eine Zukunft, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen begann. Ungefähr dreißig Jahre später waren das Vokabular und die Visionen, in denen sie beschrieben worden war, weitgehend verbraucht. Seitdem hat man es mit einem überaus interessanten Stück Vergangenheit zu tun, in dem eine Zukunft entworfen wurde, von der immer noch die Frage ist, wie weit sie in unserem heutigen Wirklichkeitsverständnis und unseren Wissensformen aufgegangen ist.
Die Rede ist von der Kybernetik. Als Wissenschaft von der "Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine" stellte sie Norbert Wiener 1948 in einem Standardwerk vor. Es ging um Informationsverarbeitung in künstlichen wie natürlichen Systemen, und zentrale Begriffe hießen Steuerung, Kontrolle, Information, Kommunikation, Feedback, Mensch-Maschine-Kopplung.
Rückblickend lässt das leicht erkennen, warum die Kybernetik den Anspruch erheben konnte, von den Grundlagen der wissenschaftlich-technischen Welt zu handeln. Aber erst die nähere Betrachtung ihrer Diffusion durch die wissenschaftlichen Disziplinen und alle gesellschaftlichen Felder hindurch zeigt, wie eng sich in ihr technologische Innovationen mit imaginativen Überschüssen verbanden.
Matrix des Wissens
Die von Michael Hagner und Erich Hörl anvisierte Kulturgeschichte der Kybernetik interessiert sich genau für diese Verbreitungsprozesse der kybernetischen Begriffe und Entwürfe. Die Aufmerksamkeit gilt dabei insbesondere der "Kybernetisierung" der angestammten Gebiete des Wissens vom Menschen. Der Titel des von ihnen herausgegebenen Sammelbands, "Transformation des Humanen", zielt auf das von der Kybernetik revidierte Verhältnis von Mensch und Maschine, das seinen bündigen Ausdruck in der Tatsache fand, dass beide mit dem gleichen Ensemble von Begriffen beschrieben wurden.
Was sich mit solchen Verschiebungen in der Beschreibung humaner und gesellschaftlicher Sachverhalte etablierte, war sicher nicht ganz an die Konjunktur der Kybernetik gebunden. Darauf verweisen die Herausgeber, wenn sie vom Doppelgesicht der Kybernetik sprechen: Einerseits hat man es bei ihr mit einer historischen Formation zu tun, die mit den siebziger Jahren verschwindet. Andererseits wird in ihr ein geschärftes Bewusstsein von den technologischen Bedingungen der humanen Welt formuliert, die uns nach wie vor beschäftigen.
Liest man die in dem Band versammelten materialreichen Fallstudien, überwiegt allerdings doch der historische Eindruck. Wohl nicht die grundlegenden Fragen, aber ein bestimmtes Pathos ihrer Behandlung und die Aussicht auf eine allgemeine, technisch umsetzbare Matrix des Wissens sind uns ziemlich fremd geworden. Gerade dieser deutlich spürbare Abstand freilich, das führen die Beiträge vor Augen, ermöglicht überaus aufschlussreiche Kontrastbilder zu heutigen Problemformulierungen und Debatten.
Von kybernetisch grundiertem Pathos gibt ein Autor wie Max Bense mit seiner Grundthese, dass der Mensch in einer technisch geprägten "transhumanen" Sphäre aufgehen werde, einen guten Begriff. Claus Pias stellt seiner Skizze der Informationästhetik eine Szene voran, in der dieser Verfechter kontrollierbarer Technik auch und gerade auf dem Feld der Kunst an Joseph Beuys' Äußerungen über "Menschenkunde" und "soziale Plastik" schier verzweifelt. Das war im Jahr 1970 in Düsseldorf, und man fragt sich bei der Lektüre der Transkription dieses Wortgefechts, ob Bense damals nicht schon ahnte, dass seinem Gestus des wissenschaftlich-technisch imprägnierten Aufklärers die Stunde geschlagen hatte.
Die Kybernetisierung der Künste musste aber nicht den Interpreten überlassen bleiben. Die Künstler selbst experimentierten mit kybernetischen Begriffen und technoiden Szenarien und waren vom Planungsoptimismus der Sozialtechniker sichtlich angesteckt (Christoph Asendorf).
Ein schlichtes Missverständnis
Während auf philosophischem Feld die kybernetische Herausforderung denkbar ernst und grundsätzlich genommen wurde (Erich Hörl); Heidegger kann als prominenter Fall gelten. Etwas salopp gesprochen, sah er das kybernetisch-technische Bild des Denkens qua Informationsverarbeitung so unausweichlich angebahnt, dass es den Weg zu den Vorsokratikern als Korrekturinstanz einzuschlagen galt.Roman Jacobsen war hingegen eine einflussreiche Figur, über die kybernetische Begriffe in die Linguistik einwanderten, und spielte überdies eine prägende Rolle für die verordnete Kybernetisierung moderner Wissenschaft in der poststalinistischen Sowjetunion (Slava Gerovitch). Von Jacobsens Linguistik zur strukturalistischen Bewegung war es nur ein kleiner Schritt, womit auch Spielarten von Ethnologie und Anthropologie in den Sog der Kybernetik gerieten. Obwohl es diesen Hintergrund gar nicht unbedingt brauchte, wie Maria-Sibylla Lotter an Roy Rappaports Kybernetik des Heiligen vorführt, um kybernetische Schlüsselbegriffe in die Religionsanthropologie zu übernehmen.
Solche Übernahmen konnten auch mit deutlichen Bedeutungsverschiebungen einhergehen. Ulrich Bröckling führt das an jenem kybernetischen Begriff vor, der seinen Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden hat. Denn ohne regulierendes Feedback, also das Verhalten evaluierende Rückmeldemechanismen, das meinen wir zu wissen, könnten weder das einzelne Subjekt noch Unternehmen, noch die ganze Gesellschaft funktionieren. Die Pointe dieser Übertragungsgeschichte ist, dass an ihrem Anfang ein schlichtes Missverständnis steht. Der Sozialpsychologe Kurt Lewin hatte 1946 auf der ersten der später legendär gewordenen Macy-Konferenzen über Feedbackmechanismen in biologischen und sozialen Systemen die Sache so verstanden, dass die Kommunikation der sozialpsychologischen Analyse eines Gruppenverhaltens an die Mitglieder der untersuchten Gruppe selbst nichts anderes als eben Feedback sei. Mit der kybernetischen Definition - Wiedereinspeisung der Arbeitsergebnisse eines Systems als Ausgangswerte für den nächsten Arbeitszyklus - kam das gar nicht überein. Der Attraktionskraft des Begriffs und der mit ihm assoziierten Modelle sozialer Steuerung auf dem prosperierenden Feld gruppendynamischer Theorie und Praxis schadete das jedoch nicht. Auch der populärkulturelle Erfolg war damit unumgehbar. Weshalb uns in der gängigen Forderung nach "Feedback", lange nach dem Abflauen einschlägiger populärer Psychotrends, eine prominente kybernetische Vokabel immer noch in den Ohren klingt.
HELMUT MAYER
Michael Hagner, Erich Hörl (Hrsg.): "Die Transformation des Humanen". Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Kybernetik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 450 S., br., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Verschmelzung von Mensch und Maschine: Ein lesenswerter Band begibt sich auf die Spur der Kybernetik.
Sie war eine Universalwissenschaft, die ein neues Bild des modernen Menschen und seiner Welt entwarf. Etwas genauer: Sie versprach eine solche Universalwissenschaft zu sein, in der eine durch neue Technologien bestimmte Zukunft des Menschen Gestalt annahm. Es war eine Zukunft, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen begann. Ungefähr dreißig Jahre später waren das Vokabular und die Visionen, in denen sie beschrieben worden war, weitgehend verbraucht. Seitdem hat man es mit einem überaus interessanten Stück Vergangenheit zu tun, in dem eine Zukunft entworfen wurde, von der immer noch die Frage ist, wie weit sie in unserem heutigen Wirklichkeitsverständnis und unseren Wissensformen aufgegangen ist.
Die Rede ist von der Kybernetik. Als Wissenschaft von der "Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine" stellte sie Norbert Wiener 1948 in einem Standardwerk vor. Es ging um Informationsverarbeitung in künstlichen wie natürlichen Systemen, und zentrale Begriffe hießen Steuerung, Kontrolle, Information, Kommunikation, Feedback, Mensch-Maschine-Kopplung.
Rückblickend lässt das leicht erkennen, warum die Kybernetik den Anspruch erheben konnte, von den Grundlagen der wissenschaftlich-technischen Welt zu handeln. Aber erst die nähere Betrachtung ihrer Diffusion durch die wissenschaftlichen Disziplinen und alle gesellschaftlichen Felder hindurch zeigt, wie eng sich in ihr technologische Innovationen mit imaginativen Überschüssen verbanden.
Matrix des Wissens
Die von Michael Hagner und Erich Hörl anvisierte Kulturgeschichte der Kybernetik interessiert sich genau für diese Verbreitungsprozesse der kybernetischen Begriffe und Entwürfe. Die Aufmerksamkeit gilt dabei insbesondere der "Kybernetisierung" der angestammten Gebiete des Wissens vom Menschen. Der Titel des von ihnen herausgegebenen Sammelbands, "Transformation des Humanen", zielt auf das von der Kybernetik revidierte Verhältnis von Mensch und Maschine, das seinen bündigen Ausdruck in der Tatsache fand, dass beide mit dem gleichen Ensemble von Begriffen beschrieben wurden.
Was sich mit solchen Verschiebungen in der Beschreibung humaner und gesellschaftlicher Sachverhalte etablierte, war sicher nicht ganz an die Konjunktur der Kybernetik gebunden. Darauf verweisen die Herausgeber, wenn sie vom Doppelgesicht der Kybernetik sprechen: Einerseits hat man es bei ihr mit einer historischen Formation zu tun, die mit den siebziger Jahren verschwindet. Andererseits wird in ihr ein geschärftes Bewusstsein von den technologischen Bedingungen der humanen Welt formuliert, die uns nach wie vor beschäftigen.
Liest man die in dem Band versammelten materialreichen Fallstudien, überwiegt allerdings doch der historische Eindruck. Wohl nicht die grundlegenden Fragen, aber ein bestimmtes Pathos ihrer Behandlung und die Aussicht auf eine allgemeine, technisch umsetzbare Matrix des Wissens sind uns ziemlich fremd geworden. Gerade dieser deutlich spürbare Abstand freilich, das führen die Beiträge vor Augen, ermöglicht überaus aufschlussreiche Kontrastbilder zu heutigen Problemformulierungen und Debatten.
Von kybernetisch grundiertem Pathos gibt ein Autor wie Max Bense mit seiner Grundthese, dass der Mensch in einer technisch geprägten "transhumanen" Sphäre aufgehen werde, einen guten Begriff. Claus Pias stellt seiner Skizze der Informationästhetik eine Szene voran, in der dieser Verfechter kontrollierbarer Technik auch und gerade auf dem Feld der Kunst an Joseph Beuys' Äußerungen über "Menschenkunde" und "soziale Plastik" schier verzweifelt. Das war im Jahr 1970 in Düsseldorf, und man fragt sich bei der Lektüre der Transkription dieses Wortgefechts, ob Bense damals nicht schon ahnte, dass seinem Gestus des wissenschaftlich-technisch imprägnierten Aufklärers die Stunde geschlagen hatte.
Die Kybernetisierung der Künste musste aber nicht den Interpreten überlassen bleiben. Die Künstler selbst experimentierten mit kybernetischen Begriffen und technoiden Szenarien und waren vom Planungsoptimismus der Sozialtechniker sichtlich angesteckt (Christoph Asendorf).
Ein schlichtes Missverständnis
Während auf philosophischem Feld die kybernetische Herausforderung denkbar ernst und grundsätzlich genommen wurde (Erich Hörl); Heidegger kann als prominenter Fall gelten. Etwas salopp gesprochen, sah er das kybernetisch-technische Bild des Denkens qua Informationsverarbeitung so unausweichlich angebahnt, dass es den Weg zu den Vorsokratikern als Korrekturinstanz einzuschlagen galt.Roman Jacobsen war hingegen eine einflussreiche Figur, über die kybernetische Begriffe in die Linguistik einwanderten, und spielte überdies eine prägende Rolle für die verordnete Kybernetisierung moderner Wissenschaft in der poststalinistischen Sowjetunion (Slava Gerovitch). Von Jacobsens Linguistik zur strukturalistischen Bewegung war es nur ein kleiner Schritt, womit auch Spielarten von Ethnologie und Anthropologie in den Sog der Kybernetik gerieten. Obwohl es diesen Hintergrund gar nicht unbedingt brauchte, wie Maria-Sibylla Lotter an Roy Rappaports Kybernetik des Heiligen vorführt, um kybernetische Schlüsselbegriffe in die Religionsanthropologie zu übernehmen.
Solche Übernahmen konnten auch mit deutlichen Bedeutungsverschiebungen einhergehen. Ulrich Bröckling führt das an jenem kybernetischen Begriff vor, der seinen Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden hat. Denn ohne regulierendes Feedback, also das Verhalten evaluierende Rückmeldemechanismen, das meinen wir zu wissen, könnten weder das einzelne Subjekt noch Unternehmen, noch die ganze Gesellschaft funktionieren. Die Pointe dieser Übertragungsgeschichte ist, dass an ihrem Anfang ein schlichtes Missverständnis steht. Der Sozialpsychologe Kurt Lewin hatte 1946 auf der ersten der später legendär gewordenen Macy-Konferenzen über Feedbackmechanismen in biologischen und sozialen Systemen die Sache so verstanden, dass die Kommunikation der sozialpsychologischen Analyse eines Gruppenverhaltens an die Mitglieder der untersuchten Gruppe selbst nichts anderes als eben Feedback sei. Mit der kybernetischen Definition - Wiedereinspeisung der Arbeitsergebnisse eines Systems als Ausgangswerte für den nächsten Arbeitszyklus - kam das gar nicht überein. Der Attraktionskraft des Begriffs und der mit ihm assoziierten Modelle sozialer Steuerung auf dem prosperierenden Feld gruppendynamischer Theorie und Praxis schadete das jedoch nicht. Auch der populärkulturelle Erfolg war damit unumgehbar. Weshalb uns in der gängigen Forderung nach "Feedback", lange nach dem Abflauen einschlägiger populärer Psychotrends, eine prominente kybernetische Vokabel immer noch in den Ohren klingt.
HELMUT MAYER
Michael Hagner, Erich Hörl (Hrsg.): "Die Transformation des Humanen". Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Kybernetik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 450 S., br., 16,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sehr positiv betrachtet Rezensent Helmut Mayer diesen von Michael Hagner und Erich Hörl herausgegebenen Sammelband zur Kulturgeschichte der Kybernetik. Zustimmend äußert er sich über die Ansicht der Herausgeber, die Kybernetik sei als Wissenschaft in den siebziger Jahren verschwunden, habe andererseits aber ein Bewusstsein von den technologischen Bedingungen der humanen Welt hinterlassen, die uns nach wie vor beschäftigen. Die Beiträge vermitteln für Mayer gleichwohl eher den Eindruck von der Kybernetik als einer Wissenschaft oder Wissensformation, die inzwischen Geschichte ist, zumindest der Pathos der Behandlung von bestimmten Fragen und die Hoffnung, die die Kybernetik damit verband, muten ihn heute antiquiert an. In diesem Zusammenhang verweist er auf einen Beitrag von Max Bense, der einen guten Begriff vom "kybernetisch grundierten Pathos" gibt. Außerdem hebt er die Beiträge von Christoph Asendorf, Erich Hörl, Slava Gerovitch und Ulrich Bröckling hervor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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