Tom Drury hat mit »Die Traumjäger« einen der besten Romane der amerikanischen Gegenwartsliteratur geschrieben. Humorvoll und einfühlsam erzählt er die dramatische Geschichte einer zerrissenen Patchwork-Familie aus dem Mittleren Westen.
Die vier Mitglieder der Darling-Familie haben eine Gemeinsamkeit - sie jagen ihrem Traum nach, ohne zu wissen, wie sie ihn verwirklichen sollen: Charles würde alles tun, um das alte Gewehr seines verstorbenen Stiefvaters zu besitzen; seine Frau Joan sehnt sich nach den einst so romantischen Hoffnungen ihrer Jugend zurück; ihr kleiner Sohn Micah wünscht sich mehr über die Weite seiner Welt erfahren zu können, die er auf nächtlichen Streif zügen kennenlernt; und Joans Tochter Lyris sucht nach einem stabilen Umfeld, in dem sie endlich erwachsen werden kann. Zusammen und allein müssen sich Vater, Mutter, Sohn und Tochter an einem langen Oktoberwochenende einer Vielzahl von Herausforderungen stellen und beweisen, dass selbst eine provisorische Familie ihren Weg finden kann.
»Die Traumjäger« ist ein außergewöhnlicher und lebendiger Roman, der von der Brüchigkeit und Vergänglichkeit des Lebens erzählt. Ein zutiefst menschliches und atemberaubend gut erzähltes Stück Gegenwartsliteratur.
Die vier Mitglieder der Darling-Familie haben eine Gemeinsamkeit - sie jagen ihrem Traum nach, ohne zu wissen, wie sie ihn verwirklichen sollen: Charles würde alles tun, um das alte Gewehr seines verstorbenen Stiefvaters zu besitzen; seine Frau Joan sehnt sich nach den einst so romantischen Hoffnungen ihrer Jugend zurück; ihr kleiner Sohn Micah wünscht sich mehr über die Weite seiner Welt erfahren zu können, die er auf nächtlichen Streif zügen kennenlernt; und Joans Tochter Lyris sucht nach einem stabilen Umfeld, in dem sie endlich erwachsen werden kann. Zusammen und allein müssen sich Vater, Mutter, Sohn und Tochter an einem langen Oktoberwochenende einer Vielzahl von Herausforderungen stellen und beweisen, dass selbst eine provisorische Familie ihren Weg finden kann.
»Die Traumjäger« ist ein außergewöhnlicher und lebendiger Roman, der von der Brüchigkeit und Vergänglichkeit des Lebens erzählt. Ein zutiefst menschliches und atemberaubend gut erzähltes Stück Gegenwartsliteratur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2008Das Iowa-Moment
Tom Drury gehört zu den wichtigsten amerikanischen Autoren der mittleren Generation. Mit dem Roman "Die Traumjäger" sollte man ihn auch bei uns kennenlernen.
Von Felicitas von Lovenberg
Dieser Roman ist seltsam aus der Zeit gefallen. So, wie er geschrieben ist, könnte er ebenso gut in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts spielen wie an dessen Ende oder in der Gegenwart. Denn die Menschen, von denen er erzählt, stehen quer zur Zeit, quer zu sich selbst und zueinander, quer zur Welt, wie Nägel, die irgendwer irgendwann schief eingeschlagen hat und die nun rostig, trotzig aus dem Holz ragen - und so liest sich auch das Buch, das von ihnen handelt: als sei es lange Zeit draußen im Freien der Witterung ausgesetzt gewesen. "Die Traumjäger" von Tom Drury ist eine leise, zärtliche Ode auf die menschliche Unbehaustheit an einem Flecken im Mittleren Westen Amerikas.
Die Darlings - Charles, Joan, Lyris und Micah - leben auf dem Land in Iowa, südlich der Stadt Boris, in einem Haus, das ebenso aufs Geratewohl aus einzelnen, disparaten Teilen zusammengeklopft worden zu sein scheint wie die Familie, die darin wohnt: "Der ältere Teil war ein Landhaus mit Mansardendach, der neuere im Grund nur ein Vorraum." Hinter dem Haus steht eine verputzte Hütte: "Sie bezeichneten sie als Scheune, aber sogar das war noch übertrieben." Charles Darling ist eine Art vagabundierender Klempner, der in einem Lieferwagen herumfährt, der das Planlose seiner Existenz auf kindlich-heitere Weise verrät. Vorne auf dem Kühler steht "HIER KOMMT CHARLES DER KLEMPNER", hinten auf dem weißen Van prangt die Aufschrift "DA FÄHRT CHARLES DER KLEMPNER". Seine Frau Joan ist Geschäftsführerin eines Tierschutzvereins und als solche oft unterwegs; an dem Wochenende, das der Roman schildert, reist sie nach Stone City, um eine Rede gegen die beengende Käfighaltung in Tierheimen vor der Kreisversammlung zu halten - ohne selbst recht zu merken, dass sie vor allem an den Stäben ihrer eigenen Existenz rüttelt. Früher war Joan Schauspielerin, daher rührt ihr Talent, "die Vergangenheit vollkommen auszublenden, sobald eine neue Szene angesagt war". Charles und Joan haben einen siebenjährigen Sohn, Micah, der gerade schmerzhaft Fahrradfahren lernt und sich eine Ziege wünscht. Die Darlings sind aber nicht nur der Anmutung nach eine Patchworkfamilie: Seit drei Monaten lebt Lyris bei ihnen, Joans sechzehnjährige Tochter aus einer früheren Beziehung, die nach vier Adoptiveltern, von denen die letzten beim Bombenbasteln erwischt wurden, von der Organisation "Home Bringers" zu ihrer leiblichen Mutter gebracht worden ist.
Es ist ein eigenwilliges Stück Literatur, das unter dem Titel "Die Traumjäger" als erster Roman des amerikanischen Autors Tom Drury in deutscher Übersetzung erscheint; tatsächlich ist es der zweite, den Drury, Jahrgang 1956, über die Darlings geschrieben hat. In seinem hochgelobten Debüt "The End of Vandalism", erschienen 1994, tyrannisierte der jugendliche Charles, damals von allen nur "Tiny", Winzling, genannt, die Gegend noch als wütender Kleinkrimineller, den die Begegnung mit der bibelfesten Joan knapp davor bewahrt, gänzlich aus der Haut zu fahren. Jetzt, acht Jahre später, geht Charles heimlich durch das Gepäck seiner Frau und vertauscht den Inhalt ihres Make-up-Täschchens mit Walnüssen: "Er wollte nicht, dass sie sich an einem fremden Ort für fremde Menschen herausputzte. Entweder, die Männer verknallten sich dann in sie, oder aber nicht, und dann stand sie alleine da mit der ganzen Schminke im Gesicht, die ihre hübschen Züge verkleisterte." Es ist nicht Eifersucht, die ihn leitet, auch kein argwöhnischer Besitzerwahn - was es ist, kann er selbst nur ahnen, als Joan am Ende dieses Wochenendes anruft, um ihm zu sagen, dass sie erst im Frühling zurückkommen wird, wenn überhaupt.
Doch diese Implosion einer Ehe ist nicht das eigentliche Geschehen dieses Romans, der etwas Eigentliches, einen harten Kern ohnehin nicht hat und nicht braucht. Denn Charles, Joan und Lyris driften durchs Leben, lassen sich treiben in der vagen Vorstellung von Veränderung. Einzig Micah, der Jüngste, hat seine Wirklichkeit, bestehend aus dem merkwürdigen Verhalten der Familienmitglieder plus Großmutter plus Ziege, selbst mitten in einer schlaflosen Nacht noch ziemlich gut im Kindergriff: "Micah wartete, bis der Mann wieder im Haus war, bevor er vorsichtig davonging. Er fragte sich, wie spät es wohl sei. Es hätte Mitternacht sein können oder drei Uhr dreißig oder fünfzig Uhr hundert."
In der Nacht von Samstag auf Sonntag werden die Familienmitglieder, jeder auf seine Art, herausgefordert, dazu gezwungen, sich zu verhalten - und setzen damit jeder für sich nachfolgende Ereignisse in Gang. Joan verbringt die Nacht im Hotel in Stone City mit einem Doktor, der ihr schon seit längerem nachstellt. Die mit der ländlichen Sozialdynamik noch unvertraute Lyris lässt sich von einem Außenseiter mit Brandstiftervergangenheit ansprechen und entkommt seinen Annäherungsversuchen nur mit einem panischen Lauf durch den nächtlichen Wald. Charles bekommt derweil eins mit dem Kleiderhaken übergezogen, nachdem er auf höchst unorthodoxe Weise ein Gewehr an sich zu bringen versucht, das seit Jahren nutzlos über dem Kamin der Pfarrerswitwe hängt und einst seinem Stiefvater gehörte. Micah, der während dieser väterlichen Eskapade bei der Großmutter untergebracht wurde, kann nicht schlafen und macht auf seinem traumwandlerischen Zug durch den Ort einige erstaunliche Beobachtungen.
Die Verweise auf die Gegenwart sind so spärlich wie erhellend. Micah erinnert sich an den Streit über die Evolution, der offenbar die Kreationisten an der Schule empört hat; Großmutter Colette hört eine Einspielung des Hilliard Ensembles mit der "Messe für vier Stimmen" von Thomas Tallis. Nur für Joan hat die Tatsache, dass man das Jahr 2000 schreibt, eine eigene Bedeutung, ja mehr als das: Sie spürt, dass etwas vor sich geht im Land. "Erst neulich abends hatte ein Mann zu Hause angerufen und zu ihr gesagt, ihre Familie sei unter zahlreichen anderen potentiellen Bewerbern ausgewählt worden, ein Darlehen zu erhalten, um damit ihre Schulden zurückzahlen zu können. Sie wies darauf hin, dass ihre Familie keine nennenswerten Schulden habe und dass man von einem Darlehen, das ja nichts anderes als Schulden darstelle, nicht gerade behaupten könne, es diene dazu, Schulden zurückzuzahlen. Der Anrufer antwortete, er lese nur ab, was auf seinem Blatt stehe."
Am Ende des Wochenendes und des Romans, geblendet vom stundenlangen Hinaufschauen zu den Nordlichtern am Nachthimmel, träumt Micah, er liege wach. Doch das Wochenende, an dem seine Mutter beschloss, nicht nach Hause zurückzukehren, und an dem sein Vater ihm eine Ziege geschenkt hat, ist kein böser Traum, sondern eine Erscheinung wie das Licht am Himmel: wirklich und doch fern. Drury, der das Wochenende in seinen kleinen und größeren Wendungen aus der Sicht jeder der vier Darlings schildert, bleibt zurückhaltend. Er fällt keine Urteile, legt keine Bewertung nah, sondern erhellt flackernd einen Augenblick, gewissermaßen das Iowa-Moment, im unendlichen Kosmos familiären Entstehens und Vergehens. In dieser Kargheit liegt sogar ein Trost. Denn die Zärtlichkeit der Worte, die Drury für seine Figuren findet, hallt weit über die letzte Seite hinaus im Leser nach.
- Tom Drury: "Die Traumjäger". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gerhard Falkner und Nora Matocza. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008. 254 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tom Drury gehört zu den wichtigsten amerikanischen Autoren der mittleren Generation. Mit dem Roman "Die Traumjäger" sollte man ihn auch bei uns kennenlernen.
Von Felicitas von Lovenberg
Dieser Roman ist seltsam aus der Zeit gefallen. So, wie er geschrieben ist, könnte er ebenso gut in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts spielen wie an dessen Ende oder in der Gegenwart. Denn die Menschen, von denen er erzählt, stehen quer zur Zeit, quer zu sich selbst und zueinander, quer zur Welt, wie Nägel, die irgendwer irgendwann schief eingeschlagen hat und die nun rostig, trotzig aus dem Holz ragen - und so liest sich auch das Buch, das von ihnen handelt: als sei es lange Zeit draußen im Freien der Witterung ausgesetzt gewesen. "Die Traumjäger" von Tom Drury ist eine leise, zärtliche Ode auf die menschliche Unbehaustheit an einem Flecken im Mittleren Westen Amerikas.
Die Darlings - Charles, Joan, Lyris und Micah - leben auf dem Land in Iowa, südlich der Stadt Boris, in einem Haus, das ebenso aufs Geratewohl aus einzelnen, disparaten Teilen zusammengeklopft worden zu sein scheint wie die Familie, die darin wohnt: "Der ältere Teil war ein Landhaus mit Mansardendach, der neuere im Grund nur ein Vorraum." Hinter dem Haus steht eine verputzte Hütte: "Sie bezeichneten sie als Scheune, aber sogar das war noch übertrieben." Charles Darling ist eine Art vagabundierender Klempner, der in einem Lieferwagen herumfährt, der das Planlose seiner Existenz auf kindlich-heitere Weise verrät. Vorne auf dem Kühler steht "HIER KOMMT CHARLES DER KLEMPNER", hinten auf dem weißen Van prangt die Aufschrift "DA FÄHRT CHARLES DER KLEMPNER". Seine Frau Joan ist Geschäftsführerin eines Tierschutzvereins und als solche oft unterwegs; an dem Wochenende, das der Roman schildert, reist sie nach Stone City, um eine Rede gegen die beengende Käfighaltung in Tierheimen vor der Kreisversammlung zu halten - ohne selbst recht zu merken, dass sie vor allem an den Stäben ihrer eigenen Existenz rüttelt. Früher war Joan Schauspielerin, daher rührt ihr Talent, "die Vergangenheit vollkommen auszublenden, sobald eine neue Szene angesagt war". Charles und Joan haben einen siebenjährigen Sohn, Micah, der gerade schmerzhaft Fahrradfahren lernt und sich eine Ziege wünscht. Die Darlings sind aber nicht nur der Anmutung nach eine Patchworkfamilie: Seit drei Monaten lebt Lyris bei ihnen, Joans sechzehnjährige Tochter aus einer früheren Beziehung, die nach vier Adoptiveltern, von denen die letzten beim Bombenbasteln erwischt wurden, von der Organisation "Home Bringers" zu ihrer leiblichen Mutter gebracht worden ist.
Es ist ein eigenwilliges Stück Literatur, das unter dem Titel "Die Traumjäger" als erster Roman des amerikanischen Autors Tom Drury in deutscher Übersetzung erscheint; tatsächlich ist es der zweite, den Drury, Jahrgang 1956, über die Darlings geschrieben hat. In seinem hochgelobten Debüt "The End of Vandalism", erschienen 1994, tyrannisierte der jugendliche Charles, damals von allen nur "Tiny", Winzling, genannt, die Gegend noch als wütender Kleinkrimineller, den die Begegnung mit der bibelfesten Joan knapp davor bewahrt, gänzlich aus der Haut zu fahren. Jetzt, acht Jahre später, geht Charles heimlich durch das Gepäck seiner Frau und vertauscht den Inhalt ihres Make-up-Täschchens mit Walnüssen: "Er wollte nicht, dass sie sich an einem fremden Ort für fremde Menschen herausputzte. Entweder, die Männer verknallten sich dann in sie, oder aber nicht, und dann stand sie alleine da mit der ganzen Schminke im Gesicht, die ihre hübschen Züge verkleisterte." Es ist nicht Eifersucht, die ihn leitet, auch kein argwöhnischer Besitzerwahn - was es ist, kann er selbst nur ahnen, als Joan am Ende dieses Wochenendes anruft, um ihm zu sagen, dass sie erst im Frühling zurückkommen wird, wenn überhaupt.
Doch diese Implosion einer Ehe ist nicht das eigentliche Geschehen dieses Romans, der etwas Eigentliches, einen harten Kern ohnehin nicht hat und nicht braucht. Denn Charles, Joan und Lyris driften durchs Leben, lassen sich treiben in der vagen Vorstellung von Veränderung. Einzig Micah, der Jüngste, hat seine Wirklichkeit, bestehend aus dem merkwürdigen Verhalten der Familienmitglieder plus Großmutter plus Ziege, selbst mitten in einer schlaflosen Nacht noch ziemlich gut im Kindergriff: "Micah wartete, bis der Mann wieder im Haus war, bevor er vorsichtig davonging. Er fragte sich, wie spät es wohl sei. Es hätte Mitternacht sein können oder drei Uhr dreißig oder fünfzig Uhr hundert."
In der Nacht von Samstag auf Sonntag werden die Familienmitglieder, jeder auf seine Art, herausgefordert, dazu gezwungen, sich zu verhalten - und setzen damit jeder für sich nachfolgende Ereignisse in Gang. Joan verbringt die Nacht im Hotel in Stone City mit einem Doktor, der ihr schon seit längerem nachstellt. Die mit der ländlichen Sozialdynamik noch unvertraute Lyris lässt sich von einem Außenseiter mit Brandstiftervergangenheit ansprechen und entkommt seinen Annäherungsversuchen nur mit einem panischen Lauf durch den nächtlichen Wald. Charles bekommt derweil eins mit dem Kleiderhaken übergezogen, nachdem er auf höchst unorthodoxe Weise ein Gewehr an sich zu bringen versucht, das seit Jahren nutzlos über dem Kamin der Pfarrerswitwe hängt und einst seinem Stiefvater gehörte. Micah, der während dieser väterlichen Eskapade bei der Großmutter untergebracht wurde, kann nicht schlafen und macht auf seinem traumwandlerischen Zug durch den Ort einige erstaunliche Beobachtungen.
Die Verweise auf die Gegenwart sind so spärlich wie erhellend. Micah erinnert sich an den Streit über die Evolution, der offenbar die Kreationisten an der Schule empört hat; Großmutter Colette hört eine Einspielung des Hilliard Ensembles mit der "Messe für vier Stimmen" von Thomas Tallis. Nur für Joan hat die Tatsache, dass man das Jahr 2000 schreibt, eine eigene Bedeutung, ja mehr als das: Sie spürt, dass etwas vor sich geht im Land. "Erst neulich abends hatte ein Mann zu Hause angerufen und zu ihr gesagt, ihre Familie sei unter zahlreichen anderen potentiellen Bewerbern ausgewählt worden, ein Darlehen zu erhalten, um damit ihre Schulden zurückzahlen zu können. Sie wies darauf hin, dass ihre Familie keine nennenswerten Schulden habe und dass man von einem Darlehen, das ja nichts anderes als Schulden darstelle, nicht gerade behaupten könne, es diene dazu, Schulden zurückzuzahlen. Der Anrufer antwortete, er lese nur ab, was auf seinem Blatt stehe."
Am Ende des Wochenendes und des Romans, geblendet vom stundenlangen Hinaufschauen zu den Nordlichtern am Nachthimmel, träumt Micah, er liege wach. Doch das Wochenende, an dem seine Mutter beschloss, nicht nach Hause zurückzukehren, und an dem sein Vater ihm eine Ziege geschenkt hat, ist kein böser Traum, sondern eine Erscheinung wie das Licht am Himmel: wirklich und doch fern. Drury, der das Wochenende in seinen kleinen und größeren Wendungen aus der Sicht jeder der vier Darlings schildert, bleibt zurückhaltend. Er fällt keine Urteile, legt keine Bewertung nah, sondern erhellt flackernd einen Augenblick, gewissermaßen das Iowa-Moment, im unendlichen Kosmos familiären Entstehens und Vergehens. In dieser Kargheit liegt sogar ein Trost. Denn die Zärtlichkeit der Worte, die Drury für seine Figuren findet, hallt weit über die letzte Seite hinaus im Leser nach.
- Tom Drury: "Die Traumjäger". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gerhard Falkner und Nora Matocza. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008. 254 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Noch völlig unbekannt hierzulande ist der amerikanische Erzähler Tom Drury, stellt die Rezensentin Felicitas von Lovenberg erst einmal sachlich fest. Das sollte sich schleunigst - am besten gleich mit diesem ins Deutsche übersetzten Roman - ändern, fügt sie hinzu. Drury nämlich sei einer der wichtigsten US-amerikanischen Erzähler seiner Generation. Im Zentrum dieses Romans, dessen Plot von eher zu vernachlässigender Bedeutung ist, wie Lovenberg findet, steht die Patchwork-Familie Darling. Charles und seine Frau Joan, der junge Sohn Micah und Joans erst später zur Familie gestoßene Tochter Lyris aus erster Ehe. Sie leben in Iowa, sie driften durchs Leben und dieses Driften als Schicksal und Lebensform verstehe Drury auf einzigartige Weise zu schildern. Besonders hebt die Rezensentin, die auch darauf hinweist, dass dies bereits der zweite nach einem noch unübersetzten Roman über die Darlings ist, die "Zärtlichkeit" der Figurenbeschreibung hervor.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH