Die erste zeithistorische Untersuchung zur Treuhandanstalt, ihrem Personal und ihrem so vielschichtigen wie widersprüchlichen Arbeitsauftrag.Die Treuhandanstalt war eine der umstrittensten Organisationen in der deutschen Geschichte. Als »größtes Unternehmen der Welt« führte sie einen Vermögensumbau von bisher unbekanntem Ausmaß durch. Zwischen kollabierendem Realsozialismus und sich globalisierendem Kapitalismus überführte ihr Personal die »volkseigenen« Betriebe der DDR vom Plan zum Markt. Verkäufe an zumeist westdeutsche Investoren, Branchenabwicklungen und Massenentlassungen prägten ihre krisengeschüttelte Geschäftspraxis nicht weniger als wütende Proteste, politische Kontroversen und öffentliche Skandale.Jenseits zeitgenössischer Bewertungen als alternativlosem »Erfolg« oder neoliberale »Abwicklung« wirft Marcus Böick erstmals einen zeithistorischen Blick auf den widersprüchlichen Auftrag des Wirtschaftsumbaus und rückt dessen Personal in den Fokus. An der Schnittstelle von Wirtschafts- und Kulturgeschichte zeichnet der Autor mit präzisem Blick die zugrundeliegenden Ideen, den dynamischen Organisationsalltag und die facettenreichen Erfahrungen der Mitarbeiter nach, die die Transformation so maßgeblich wie unvorbereitet mitgestaltet haben.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.07.2018Anstalt
der Abenteurer
Marcus Böick hat eine glänzende Geschichte über
das „Privatisierungsmonster“ Treuhand geschrieben
VON DIETMAR SÜSS
Seit Wochen schon hatten sie gekämpft. Jetzt griffen die Kumpel des Kaliwerkes „Thomas Müntzer“ in Bischofferode zur letzten Waffe: Sie begannen einen Hungerstreik gegen die Privatisierung ihres Betriebes. Am 1. Juli 1993 war der Traum von den „blühenden Landschaften“ in dem kleinen thüringischen Dorf ausgeträumt. 81 Tage hungerten die Arbeiter, begleitet von wachsender, bald auch internationaler Aufmerksamkeit und Solidaritätskampagnen. Am Ende jedoch war alles vergeblich.
Hintergrund für die Schließung waren die Fusionspläne der deutschen Kaliindustrie, bei der es um Milliarden ging. Die Manager der Treuhandanstalt, der wohl umstrittensten Organisation der jüngeren deutschen Geschichte, waren davon überzeugt, dass es angesichts der Überkapazitäten, wegbrechender Absatzgebiete und europäischer Kartellvorgaben keine Alternative zur Aufgabe von Produktionsstandorten wie in Thüringen gebe. Eigentlich eine „alltägliche“ Geschichte in den Wendejahren. Womit niemand jedoch gerechnet hatte, war der massive Protest, die Demonstrationen und Erstürmungsversuche der Treuhandzentrale. Die Bilder von den ausmergelten Arbeitern, die sich mit ihren geschwächten Körpern dem westdeutschen „Privatisierungsmonster“ entgegenstellten, gingen um die Welt und erinnerten daran, wie sehr die vordem bejubelte deutsch-deutsche Einheit in die Krise geraten war.
Marcus Böick, Historiker an der Ruhr-Universität Bochum, erzählt in seiner fulminanten Arbeit die Geschichte der Treuhandanstalt von ihrem Beginn im Sommer 1990 bis zu ihrem Ende 1994. Beinahe über Nacht hatte die Treuhand die Verfügungsgewalt über etwa 8000 Betriebe mit knapp vier Millionen Beschäftigten. Kleine Firmen und Hotels gehörten ebenso dazu wie die großen, oftmals maroden Industriebetriebe der DDR; eine Institution ohne Vorbild, die sich oft und oft als „Blitzableiter“ all der Frustrationen und Enttäuschungen erweisen sollte, die jenseits des Rausches schwarz-rot-goldener Fahnenmeere den Alltag vielerorts begleiteten.
Die Geschichte der „bestgehassten“ Institution Ostdeutschlands lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven erzählen: Als Geschichte nicht enden wollender Skandale, als Teil „neoliberaler“, westdeutscher „Landnahme“ oder als Chronik einer letztlich „alternativlosen“ Organisation zur Abwicklung der ökonomischen Hinterlassenschaft des SED-Regimes. Marcus Böick hat sich für eine andere Variante entschieden. Was ihn interessiert, ist der Versuch, die „Treuhand“ als Institution und allen voran die Menschen zu verstehen, die in ihr arbeiteten. Denn die Personengruppe der Manager, Beamten und ehemaligen Kader der untergegangenen DDR war in sich viel heterogener, viel pluraler, als es die öffentliche Dämonisierung erscheinen ließ. Die Köpfe dieser tausendfachen Übergänge vom Plan zum Markt waren dabei vielfach westdeutsche Manager und Unternehmer, die gleichsam in Eigenregie die sozialistische Planwirtschaft auf die neue soziale Marktwirtschaft umstellen sollten.
Dabei standen ganz offenkundig weniger die internationalen Stars des Neoliberalismus Pate, die sich zu dieser Zeit in vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas tummelten und ihr Credo einer „Schocktherapie“ predigten. Eher waren es liberalkonservative Ökonomen, die die Vereinigung als neue „Wirtschaftswunderzeit“ betrachteten und lieber Ludwig Erhard lasen als Milton Friedman. Jedenfalls, so argumentiert Marcus Böick, war die Treuhand und ihre Politik zu chaotisch, zu unsystematisch und improvisiert, um darin eine lange und klug komponierte Globalstrategie des „Kapitals“ erkennen zu können. Für viele der Manager jedenfalls, die wie Detlev Karsten Rohwedder mit hochgekrempelten Ärmeln in Berlin ankamen, waren die Anfangsjahre zunächst vor allem eines: ein Praxisschock. Denn was es bedeutete, eine sich in Agonie befindende Wirtschaft neu aufzubauen, konnte sich niemand so recht vorstellen. Viele der Akteure, die dann zu Wochenbeginn jeweils aus Düsseldorf und Hamburg anreisten, beschrieben ihre ersten Jahre dort als großes „Abenteuer“. Sich selbst sahen sie als „Pioniere“, die das „Unmögliche“ zu wagen versucht hätten; „Privatisierungs-Häuptlinge im Wilden Osten“, die sich ins „Schlachtgetümmel der Revolution“ warfen.
Sehr genau – und mit gesunder Distanz zu marktwirtschaftlicher Romantik – geht Marcus Böick diesen Spuren nach und schildert präzise die unterschiedlichen Etappen der Treuhandgeschichte, ihre Anfänge, die Phase der Massenprivatisierungen und Entlassungswellen, dann das langsame Abflauen und die wachsenden gesellschaftlichen Vorbehalte. Es sind weniger die „Opfer“ des Transformationsprozesses, die er in den Blick nimmt, als die Erfahrungen der Privatisierer selbst.
Mancher von ihnen spürte seine patriotische Pflicht; andere glaubten, endlich ihre wirtschaftspolitischen Überzeugungen ohne bürokratische Hemmnisse umsetzen zu können. Und so gab dann einer der nachträglich interviewten Manager zu Protokoll: „Dass es also eine echte Motivation war, hier nun, wo die Möglichkeit besteht, auch mitzuhelfen, das System, was sich doch nun eigentlich – es gibt ja gar kein anderes mehr eigentlich auf der Welt, hätte ich fast gesagt – von Prinzip her mitzuhelfen, dass man das hier ja auch kennenlernt zumindest, na ja doch, vielleicht auch ein bisschen überstülpt, das muss man einräumen, ja.“
Antikommunismus und der Glaube an den Markt – das verband viele. Böick beschreibt die Treuhandanstalt als eine Art „unternehmerisches Revolutionsregime“, das im Osten Deutschlands im Schwebezustand zwischen alter Plan- und neuer Marktordnung in den frühen 1990er-Jahren „eine einschneidende Markt- und Gesellschaftsrevolution ausgestaltete“. Ihre führenden Köpfe, die Manager, westdeutschen Beamten und alten DDR-Kader, seien dabei sowohl Treibende als auch Getriebene einer grundstürzenden Umwälzung gewesen, deren Tragweite angesichts der Geschwindigkeit der Entscheidungen viele nicht genau hätten abschätzen können. Eine „Abenteuergemeinschaft“ –, und dieses Abenteuer hieß Marktwirtschaft und die Bewältigung der DDR. Gerade für diejenigen, die selbst in der DDR groß geworden waren und nun an der Privatisierung mitwirkten, ging das vielfach nicht spurlos ab. Manch einer beklagte intern die sozialen Folgen, manche konnten sich aber auch nicht so schnell an die neuen Spielregeln anpassen.
Es ist beeindruckend, was ein einzelner Forscher wie Marcus Böick zu leisten vermag. Seine Studie ist exzellent recherchiert und hängt die Messlatte für künftige Projekte hoch. Für die Lektüre braucht es bisweilen einen längeren Atem, und vielleicht hätte die eine oder andere Kürzung Platz geschaffen für die Erfahrungen derjenigen, die mit den Privatisierungen leben mussten oder davon profitierten. Vor allem aber zeigt Böick, dass der Transformationsprozess nach 1989 eben alles andere als glatt verlief, dass das Reden über „Alternativlosigkeit“ immer auch von spezifischen Interessen begleitet war und gerade eine gegenwartsnahe Zeitgeschichte gegenüber allzu einfachen Erzählungen der Zeitgenossen Distanz wahren sollte. Denn: Die ökonomischen Optionen waren auch 1989/90 vielfältig, und der Weg ost-westlicher Anpassung an den Kapitalismus war strittiger, als er sich in unserer Erinnerungslandschaft bislang niederschlägt. Aus der Treuhand, der marktwirtschaftlichen Traumproduzentin des raschen Glücks, ist über die Jahre eine erinnnerungskulturelle „Bad Bank“ geworden. Im Westen kennt sie kaum noch jemand. Im Osten dagegen ist sie, gerade für die Alterskohorten der über 40-Jährigen, Teil einer immer noch währenden Verlusterfahrung und Projektionsfläche für all das, was nach 1989 schiefgegangen ist.
Der Kampf um die Deutungshoheit der Transformationsjahre seit 1990 gewinnt derzeit an Fahrt, weil gerade die politische Rechte dieses Feld mehr und mehr beackert. Eine nationale „Kümmererpartei“, die sozial und patriotisch das „ungerechte Erbe“ der westlichen „Altparteien“ zu beseitigen versucht – so inszeniert sich derzeit die AfD und bedient sich dabei gerade solch dumpfer Klischees, die schon in den Nachwendejahren Konjunktur hatten.
Marcus Böicks Befunde sind deshalb so wichtig, weil sie helfen, die Wendejahre in die Gesamtgeschichte der „Revolutionsjahre“ von 1989 zu integrieren und die Treuhand in diesem Sinne als eine Art „Arena in der Umbruchs- und Übergangsgesellschaft“ zu begreifen – die in kurzer Zeit einen fundamentalen ökonomischen Systemwechsel durchsetzte, der allerdings auch millionenfache Entlassungen zur Folge hatte und damit die Legitimität der marktwirtschaftlichen Ordnungsidee bereits im Prozess ihrer Entstehung untergrub. Eine überaus lesenswerte Geschichte des vereinigten Deutschlands also, die den Blick für die Widersprüche und Uneindeutigkeiten öffnet, von denen die Gegenwart so viele zu bieten hat.
Dietmar Süß lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg.
Der Historiker versucht,
die Menschen zu verstehen,
die in der Behörde arbeiteten
Globalstrategie des Kapitals?
Im Gegenteil: Es herrschten
Chaos und Improvisation
Marcus Böick:
Die Treuhand. Idee – Praxis – Erfahrung 1990 – 1994. Wallstein-Verlag
Göttingen 2018,
767 Seiten, 79 Euro.
E-Book: 62,99 Euro.
Die Abwickler: Zumindest für viele Ostdeutsche waren Detlev Karsten Rohwedder und Birgit Breuel keine Sympathieträger. Breuel übernahm die Leitung, nachdem Rohwedder am 1. April 1991 von der RAF ermordet worden war.
Foto: A. Altwein/dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
der Abenteurer
Marcus Böick hat eine glänzende Geschichte über
das „Privatisierungsmonster“ Treuhand geschrieben
VON DIETMAR SÜSS
Seit Wochen schon hatten sie gekämpft. Jetzt griffen die Kumpel des Kaliwerkes „Thomas Müntzer“ in Bischofferode zur letzten Waffe: Sie begannen einen Hungerstreik gegen die Privatisierung ihres Betriebes. Am 1. Juli 1993 war der Traum von den „blühenden Landschaften“ in dem kleinen thüringischen Dorf ausgeträumt. 81 Tage hungerten die Arbeiter, begleitet von wachsender, bald auch internationaler Aufmerksamkeit und Solidaritätskampagnen. Am Ende jedoch war alles vergeblich.
Hintergrund für die Schließung waren die Fusionspläne der deutschen Kaliindustrie, bei der es um Milliarden ging. Die Manager der Treuhandanstalt, der wohl umstrittensten Organisation der jüngeren deutschen Geschichte, waren davon überzeugt, dass es angesichts der Überkapazitäten, wegbrechender Absatzgebiete und europäischer Kartellvorgaben keine Alternative zur Aufgabe von Produktionsstandorten wie in Thüringen gebe. Eigentlich eine „alltägliche“ Geschichte in den Wendejahren. Womit niemand jedoch gerechnet hatte, war der massive Protest, die Demonstrationen und Erstürmungsversuche der Treuhandzentrale. Die Bilder von den ausmergelten Arbeitern, die sich mit ihren geschwächten Körpern dem westdeutschen „Privatisierungsmonster“ entgegenstellten, gingen um die Welt und erinnerten daran, wie sehr die vordem bejubelte deutsch-deutsche Einheit in die Krise geraten war.
Marcus Böick, Historiker an der Ruhr-Universität Bochum, erzählt in seiner fulminanten Arbeit die Geschichte der Treuhandanstalt von ihrem Beginn im Sommer 1990 bis zu ihrem Ende 1994. Beinahe über Nacht hatte die Treuhand die Verfügungsgewalt über etwa 8000 Betriebe mit knapp vier Millionen Beschäftigten. Kleine Firmen und Hotels gehörten ebenso dazu wie die großen, oftmals maroden Industriebetriebe der DDR; eine Institution ohne Vorbild, die sich oft und oft als „Blitzableiter“ all der Frustrationen und Enttäuschungen erweisen sollte, die jenseits des Rausches schwarz-rot-goldener Fahnenmeere den Alltag vielerorts begleiteten.
Die Geschichte der „bestgehassten“ Institution Ostdeutschlands lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven erzählen: Als Geschichte nicht enden wollender Skandale, als Teil „neoliberaler“, westdeutscher „Landnahme“ oder als Chronik einer letztlich „alternativlosen“ Organisation zur Abwicklung der ökonomischen Hinterlassenschaft des SED-Regimes. Marcus Böick hat sich für eine andere Variante entschieden. Was ihn interessiert, ist der Versuch, die „Treuhand“ als Institution und allen voran die Menschen zu verstehen, die in ihr arbeiteten. Denn die Personengruppe der Manager, Beamten und ehemaligen Kader der untergegangenen DDR war in sich viel heterogener, viel pluraler, als es die öffentliche Dämonisierung erscheinen ließ. Die Köpfe dieser tausendfachen Übergänge vom Plan zum Markt waren dabei vielfach westdeutsche Manager und Unternehmer, die gleichsam in Eigenregie die sozialistische Planwirtschaft auf die neue soziale Marktwirtschaft umstellen sollten.
Dabei standen ganz offenkundig weniger die internationalen Stars des Neoliberalismus Pate, die sich zu dieser Zeit in vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas tummelten und ihr Credo einer „Schocktherapie“ predigten. Eher waren es liberalkonservative Ökonomen, die die Vereinigung als neue „Wirtschaftswunderzeit“ betrachteten und lieber Ludwig Erhard lasen als Milton Friedman. Jedenfalls, so argumentiert Marcus Böick, war die Treuhand und ihre Politik zu chaotisch, zu unsystematisch und improvisiert, um darin eine lange und klug komponierte Globalstrategie des „Kapitals“ erkennen zu können. Für viele der Manager jedenfalls, die wie Detlev Karsten Rohwedder mit hochgekrempelten Ärmeln in Berlin ankamen, waren die Anfangsjahre zunächst vor allem eines: ein Praxisschock. Denn was es bedeutete, eine sich in Agonie befindende Wirtschaft neu aufzubauen, konnte sich niemand so recht vorstellen. Viele der Akteure, die dann zu Wochenbeginn jeweils aus Düsseldorf und Hamburg anreisten, beschrieben ihre ersten Jahre dort als großes „Abenteuer“. Sich selbst sahen sie als „Pioniere“, die das „Unmögliche“ zu wagen versucht hätten; „Privatisierungs-Häuptlinge im Wilden Osten“, die sich ins „Schlachtgetümmel der Revolution“ warfen.
Sehr genau – und mit gesunder Distanz zu marktwirtschaftlicher Romantik – geht Marcus Böick diesen Spuren nach und schildert präzise die unterschiedlichen Etappen der Treuhandgeschichte, ihre Anfänge, die Phase der Massenprivatisierungen und Entlassungswellen, dann das langsame Abflauen und die wachsenden gesellschaftlichen Vorbehalte. Es sind weniger die „Opfer“ des Transformationsprozesses, die er in den Blick nimmt, als die Erfahrungen der Privatisierer selbst.
Mancher von ihnen spürte seine patriotische Pflicht; andere glaubten, endlich ihre wirtschaftspolitischen Überzeugungen ohne bürokratische Hemmnisse umsetzen zu können. Und so gab dann einer der nachträglich interviewten Manager zu Protokoll: „Dass es also eine echte Motivation war, hier nun, wo die Möglichkeit besteht, auch mitzuhelfen, das System, was sich doch nun eigentlich – es gibt ja gar kein anderes mehr eigentlich auf der Welt, hätte ich fast gesagt – von Prinzip her mitzuhelfen, dass man das hier ja auch kennenlernt zumindest, na ja doch, vielleicht auch ein bisschen überstülpt, das muss man einräumen, ja.“
Antikommunismus und der Glaube an den Markt – das verband viele. Böick beschreibt die Treuhandanstalt als eine Art „unternehmerisches Revolutionsregime“, das im Osten Deutschlands im Schwebezustand zwischen alter Plan- und neuer Marktordnung in den frühen 1990er-Jahren „eine einschneidende Markt- und Gesellschaftsrevolution ausgestaltete“. Ihre führenden Köpfe, die Manager, westdeutschen Beamten und alten DDR-Kader, seien dabei sowohl Treibende als auch Getriebene einer grundstürzenden Umwälzung gewesen, deren Tragweite angesichts der Geschwindigkeit der Entscheidungen viele nicht genau hätten abschätzen können. Eine „Abenteuergemeinschaft“ –, und dieses Abenteuer hieß Marktwirtschaft und die Bewältigung der DDR. Gerade für diejenigen, die selbst in der DDR groß geworden waren und nun an der Privatisierung mitwirkten, ging das vielfach nicht spurlos ab. Manch einer beklagte intern die sozialen Folgen, manche konnten sich aber auch nicht so schnell an die neuen Spielregeln anpassen.
Es ist beeindruckend, was ein einzelner Forscher wie Marcus Böick zu leisten vermag. Seine Studie ist exzellent recherchiert und hängt die Messlatte für künftige Projekte hoch. Für die Lektüre braucht es bisweilen einen längeren Atem, und vielleicht hätte die eine oder andere Kürzung Platz geschaffen für die Erfahrungen derjenigen, die mit den Privatisierungen leben mussten oder davon profitierten. Vor allem aber zeigt Böick, dass der Transformationsprozess nach 1989 eben alles andere als glatt verlief, dass das Reden über „Alternativlosigkeit“ immer auch von spezifischen Interessen begleitet war und gerade eine gegenwartsnahe Zeitgeschichte gegenüber allzu einfachen Erzählungen der Zeitgenossen Distanz wahren sollte. Denn: Die ökonomischen Optionen waren auch 1989/90 vielfältig, und der Weg ost-westlicher Anpassung an den Kapitalismus war strittiger, als er sich in unserer Erinnerungslandschaft bislang niederschlägt. Aus der Treuhand, der marktwirtschaftlichen Traumproduzentin des raschen Glücks, ist über die Jahre eine erinnnerungskulturelle „Bad Bank“ geworden. Im Westen kennt sie kaum noch jemand. Im Osten dagegen ist sie, gerade für die Alterskohorten der über 40-Jährigen, Teil einer immer noch währenden Verlusterfahrung und Projektionsfläche für all das, was nach 1989 schiefgegangen ist.
Der Kampf um die Deutungshoheit der Transformationsjahre seit 1990 gewinnt derzeit an Fahrt, weil gerade die politische Rechte dieses Feld mehr und mehr beackert. Eine nationale „Kümmererpartei“, die sozial und patriotisch das „ungerechte Erbe“ der westlichen „Altparteien“ zu beseitigen versucht – so inszeniert sich derzeit die AfD und bedient sich dabei gerade solch dumpfer Klischees, die schon in den Nachwendejahren Konjunktur hatten.
Marcus Böicks Befunde sind deshalb so wichtig, weil sie helfen, die Wendejahre in die Gesamtgeschichte der „Revolutionsjahre“ von 1989 zu integrieren und die Treuhand in diesem Sinne als eine Art „Arena in der Umbruchs- und Übergangsgesellschaft“ zu begreifen – die in kurzer Zeit einen fundamentalen ökonomischen Systemwechsel durchsetzte, der allerdings auch millionenfache Entlassungen zur Folge hatte und damit die Legitimität der marktwirtschaftlichen Ordnungsidee bereits im Prozess ihrer Entstehung untergrub. Eine überaus lesenswerte Geschichte des vereinigten Deutschlands also, die den Blick für die Widersprüche und Uneindeutigkeiten öffnet, von denen die Gegenwart so viele zu bieten hat.
Dietmar Süß lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg.
Der Historiker versucht,
die Menschen zu verstehen,
die in der Behörde arbeiteten
Globalstrategie des Kapitals?
Im Gegenteil: Es herrschten
Chaos und Improvisation
Marcus Böick:
Die Treuhand. Idee – Praxis – Erfahrung 1990 – 1994. Wallstein-Verlag
Göttingen 2018,
767 Seiten, 79 Euro.
E-Book: 62,99 Euro.
Die Abwickler: Zumindest für viele Ostdeutsche waren Detlev Karsten Rohwedder und Birgit Breuel keine Sympathieträger. Breuel übernahm die Leitung, nachdem Rohwedder am 1. April 1991 von der RAF ermordet worden war.
Foto: A. Altwein/dpa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2018Die "Ausverkaufsanstalt"
Das Experiment Treuhandanstalt im wiedervereinigten Deutschland - Geschichte einer Überforderung
Von Karl-Rudolf Korte
Die DDR war unbekannt. Man besichtigte nach der Wiedervereinigung 1990 mit erstauntem Blick ein marodes Industriemuseum. Wirtschaftslage und Wettbewerbssituation der DDR konnten 1989 nicht richtig eingeschätzt werden. Das galt nicht nur für westdeutsche, sondern auch für ostdeutsche Analysen. Wie sollte aus westdeutscher Sicht eine realistische ökonomische Eröffnungsbilanz gemacht werden, wenn alle Zahlenwerke der DDR überhaupt keinen Realitätsbezug hatten? Führende Wirtschaftsinstitute errechneten, dass die DDR bald ihren Finanzierungsbedarf aus dem eigenen Wachstum werde erwirtschaften können. Manch einer sprach 1989/90 vom "Schnäppchen DDR" (Günter Grass). Der Verkaufswert von über 9000 Unternehmenseinheiten mit mehr als 40 0000 Betriebsstätten in der ehemaligen DDR wurde von der Treuhandanstalt mit 600 Milliarden D-Mark im Herbst 1990 angegeben. Es dauerte nicht einmal mehr ein weiteres Jahr, bis klarwurde, dass die Treuhand keinesfalls mit Gewinn, sondern mit einem gigantischen Verlust ihre Arbeit beenden würde. Das trat dann mit der Auflösung der Treuhand am 31. Dezember 1994 ein.
Die frei gewählte Volkskammer der DDR hatte rechtlich die Treuhandanstalt eingesetzt. Deren einzige Aufgabe: früher "volkseigene" Betriebe so zu strukturieren, dass sie im Wettbewerb bestehen konnten. Anschließend sollten sie privatisiert werden. Dafür gab es weltweit kein Vorbild, an dem man sich hätte orientieren können. Man stand vielmehr vor der historisch einzigartigen Aufgabe, eine zentralwirtschaftlich organisierte Wirtschaftsstruktur der ehemaligen DDR in die sozial und marktwirtschaftlich gestaltete Ordnungsform der Bundesrepublik Deutschland zu transformieren.
Der junge Historiker Marcus Böick erinnert daran wortgewaltig in einem voluminösen Werk über die Treuhandanstalt. Sein Blick gilt seismographisch dem Personal, nicht der ökonomischen Bilanz. Solche Anstalten des öffentlichen Rechts sind nie nur zweckrationale Organisationen. Menschen arbeiten dort, soziale Strukturen führen deshalb oft ein zweckfreies Eigenleben. Wir wissen heute, dass Akteure jeweilige Institutionen formen. Aber jede Organisation hinterlässt auch Spuren bei den Mitarbeitern. Insofern widmet sich Böick einem Forschungsgegenstand, der in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich ist.
Als Gutachter für den Ostbeauftragten der Bundesregierung ist der Autor bereits erfahren genug, um das Minenfeld behutsam zu sichten. Denn die Treuhandanstalt ist nicht irgendeine Abwicklungsbehörde in revolutionären Zeiten gewesen. Sie ist für viele Ostdeutsche bis heute das Codewort für den Ausverkauf, die Abwicklung, oft den Betrug an ihrem Vermögen. Die Treuhand machte aus der Bevölkerung der DDR Deutsche zweiter Klasse. Zumindest bleibt dieser Eindruck erinnerungsgeschichtlich relevant. Kaum einem Absatz im Buch fehlt dieses Narrativ tiefer Traumatisierung. Ob berechtigt oder nicht, interessiert den Autor nicht. Selbstbilder der Mitarbeiter stehen im Zentrum seiner Analyse.
Im Westen existiert hingegen kein Wissen und auch kein Bild über diese Einrichtung vom Anfang der neunziger Jahre. Wenn Erinnerungen aufkommen, dann eher im Zusammenhang mit der Ermordung des Treuhand-Chefs Rohwedder im April 1991. Die RAF-Terroristen sahen in der Treuhand symbolhaft verdichtet die Institution des zu bekämpfenden Kapitalismus.
Wie aber sah sich das Personal selbst? Wo wurde es wie rekrutiert? Wie ausgebildet, gefördert und gefordert? Böick bringt die Menschen zum Sprechen. Die Manager, Beamten, "Kader" aus dem Osten und "Wessis", sie alle kommen zu Wort. Ihre Erzählungen und ihre Erfahrungen füllen das Buch. In der Bilanz bleibt der Eindruck von vollkommen überforderten Menschen. Die Lernorganisation, die mit dem Experiment Treuhand gegründet wurde, führte nicht zu Lernerfolgen bei denjenigen, die täglich dort mit Unzufriedenen, mit Gedemütigten, mit Abstiegsbedrohten verhandeln sollten. Der Autor weist zunächst reflektiert auf unterschiedliche Ebenen der Wahrnehmung hin. Die Debattenlandschaft ist geprägt von öffentlicher und veröffentlichter Meinung, denen wiederum sich das Personal auch nicht entziehen konnte. Die Ideen- und Konzeptgeschichte des Treuhand-Modells wird zudem in den ideologischen Kontext eingebettet.
Innovativer und auch origineller erzählt sind die beiden anschließenden Großkapitel. Die "Organisations- und Praxisgeschichte" gehört zunächst dazu. Unterschiedliche Chefs - von Gohlke über Rohwedder bis zu Breuel - verändern sowohl Zugänge und Informationshierarchien als auch das Personal. Das Kapitel "Sozial- und Erfahrungsgeschichte" erschließt Typologien und Erzählungen einer Übergangsgesellschaft. Es kommen Typenbilder zum Vorschein von: Industriemanagern, Verwaltungsexperten, Planwirtschaftskadern, Yuppies/Frauen-Ausländern ("Die ,Anderen' bei der Treuhandanstalt"). Das liest sich ziemlich traurig, wenngleich der Autor von Abenteuergemeinschaften spricht.
Im heutigen Vokabular gehörte die Treuhand zu der Kategorie einer "Bad Bank". Ein Begriffscontainer für eingehegte Abwicklungen, derer man sich entledigen möchte. Durch den Dreiklang Ideenfeld (ideologischer Hintergrund), Praxisort (institutionelle Arbeitsweise) und Erfahrungsraum (Angestellte im Ausnahmezustand) findet Böick eine narrative Illustration, die nachdenklich macht. Die Treuhand lebt durch ihn neu auf "in ihrer sich selbst verstärkenden Radikalisierung, Beschleunigung und Entgrenzung sowie der anschließenden Wiedereinhegung, Domestizierung und Auflösung".
Die Transformation der Übergangsgesellschaft war eindeutig ein verzwicktes Problem. Komplex, mehrdimensional, ohne Vorbilder und lineare Auswege. Wie hätte man damals intelligent mit Nichtwissen umgehen müssen? Sich wechselseitig eingestandene Ratlosigkeit, die angesichts solcher Probleme ratsam gewesen wäre, wurde schon aus Zeitgründen nicht zugelassen. Moralisch und ideologisch hätte zugestandene Ratlosigkeit alle zum Abrüsten bewegt. Das Konstatieren von Gewissheitsschwund hätte alle eher in einen Suchprozess nach Lösungen eingebunden. Doch damals wie heute zwingt der Sofortismus die Politik zum Handeln im Minutentakt. Als ob man wüsste, wie Problemlösungen auszusehen hätten. Das erwarten die Bürger von ihren Politikern. Insofern ist die von Böick glänzend komponierte und akribisch recherchierte Erinnerungsgeschichte keineswegs nur eine Studie über eine abgewickelte Anstalt. Sie zeigt im Umkehrschluss politikberatend, was wir besser machen könnten, wenn die Geschichte wieder einmal "aus den Fugen" gerät.
Marcus Böick: Die Treuhand. Idee - Praxis - Erfahrung 1990-1994.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018.
767 S., 79,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Experiment Treuhandanstalt im wiedervereinigten Deutschland - Geschichte einer Überforderung
Von Karl-Rudolf Korte
Die DDR war unbekannt. Man besichtigte nach der Wiedervereinigung 1990 mit erstauntem Blick ein marodes Industriemuseum. Wirtschaftslage und Wettbewerbssituation der DDR konnten 1989 nicht richtig eingeschätzt werden. Das galt nicht nur für westdeutsche, sondern auch für ostdeutsche Analysen. Wie sollte aus westdeutscher Sicht eine realistische ökonomische Eröffnungsbilanz gemacht werden, wenn alle Zahlenwerke der DDR überhaupt keinen Realitätsbezug hatten? Führende Wirtschaftsinstitute errechneten, dass die DDR bald ihren Finanzierungsbedarf aus dem eigenen Wachstum werde erwirtschaften können. Manch einer sprach 1989/90 vom "Schnäppchen DDR" (Günter Grass). Der Verkaufswert von über 9000 Unternehmenseinheiten mit mehr als 40 0000 Betriebsstätten in der ehemaligen DDR wurde von der Treuhandanstalt mit 600 Milliarden D-Mark im Herbst 1990 angegeben. Es dauerte nicht einmal mehr ein weiteres Jahr, bis klarwurde, dass die Treuhand keinesfalls mit Gewinn, sondern mit einem gigantischen Verlust ihre Arbeit beenden würde. Das trat dann mit der Auflösung der Treuhand am 31. Dezember 1994 ein.
Die frei gewählte Volkskammer der DDR hatte rechtlich die Treuhandanstalt eingesetzt. Deren einzige Aufgabe: früher "volkseigene" Betriebe so zu strukturieren, dass sie im Wettbewerb bestehen konnten. Anschließend sollten sie privatisiert werden. Dafür gab es weltweit kein Vorbild, an dem man sich hätte orientieren können. Man stand vielmehr vor der historisch einzigartigen Aufgabe, eine zentralwirtschaftlich organisierte Wirtschaftsstruktur der ehemaligen DDR in die sozial und marktwirtschaftlich gestaltete Ordnungsform der Bundesrepublik Deutschland zu transformieren.
Der junge Historiker Marcus Böick erinnert daran wortgewaltig in einem voluminösen Werk über die Treuhandanstalt. Sein Blick gilt seismographisch dem Personal, nicht der ökonomischen Bilanz. Solche Anstalten des öffentlichen Rechts sind nie nur zweckrationale Organisationen. Menschen arbeiten dort, soziale Strukturen führen deshalb oft ein zweckfreies Eigenleben. Wir wissen heute, dass Akteure jeweilige Institutionen formen. Aber jede Organisation hinterlässt auch Spuren bei den Mitarbeitern. Insofern widmet sich Böick einem Forschungsgegenstand, der in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich ist.
Als Gutachter für den Ostbeauftragten der Bundesregierung ist der Autor bereits erfahren genug, um das Minenfeld behutsam zu sichten. Denn die Treuhandanstalt ist nicht irgendeine Abwicklungsbehörde in revolutionären Zeiten gewesen. Sie ist für viele Ostdeutsche bis heute das Codewort für den Ausverkauf, die Abwicklung, oft den Betrug an ihrem Vermögen. Die Treuhand machte aus der Bevölkerung der DDR Deutsche zweiter Klasse. Zumindest bleibt dieser Eindruck erinnerungsgeschichtlich relevant. Kaum einem Absatz im Buch fehlt dieses Narrativ tiefer Traumatisierung. Ob berechtigt oder nicht, interessiert den Autor nicht. Selbstbilder der Mitarbeiter stehen im Zentrum seiner Analyse.
Im Westen existiert hingegen kein Wissen und auch kein Bild über diese Einrichtung vom Anfang der neunziger Jahre. Wenn Erinnerungen aufkommen, dann eher im Zusammenhang mit der Ermordung des Treuhand-Chefs Rohwedder im April 1991. Die RAF-Terroristen sahen in der Treuhand symbolhaft verdichtet die Institution des zu bekämpfenden Kapitalismus.
Wie aber sah sich das Personal selbst? Wo wurde es wie rekrutiert? Wie ausgebildet, gefördert und gefordert? Böick bringt die Menschen zum Sprechen. Die Manager, Beamten, "Kader" aus dem Osten und "Wessis", sie alle kommen zu Wort. Ihre Erzählungen und ihre Erfahrungen füllen das Buch. In der Bilanz bleibt der Eindruck von vollkommen überforderten Menschen. Die Lernorganisation, die mit dem Experiment Treuhand gegründet wurde, führte nicht zu Lernerfolgen bei denjenigen, die täglich dort mit Unzufriedenen, mit Gedemütigten, mit Abstiegsbedrohten verhandeln sollten. Der Autor weist zunächst reflektiert auf unterschiedliche Ebenen der Wahrnehmung hin. Die Debattenlandschaft ist geprägt von öffentlicher und veröffentlichter Meinung, denen wiederum sich das Personal auch nicht entziehen konnte. Die Ideen- und Konzeptgeschichte des Treuhand-Modells wird zudem in den ideologischen Kontext eingebettet.
Innovativer und auch origineller erzählt sind die beiden anschließenden Großkapitel. Die "Organisations- und Praxisgeschichte" gehört zunächst dazu. Unterschiedliche Chefs - von Gohlke über Rohwedder bis zu Breuel - verändern sowohl Zugänge und Informationshierarchien als auch das Personal. Das Kapitel "Sozial- und Erfahrungsgeschichte" erschließt Typologien und Erzählungen einer Übergangsgesellschaft. Es kommen Typenbilder zum Vorschein von: Industriemanagern, Verwaltungsexperten, Planwirtschaftskadern, Yuppies/Frauen-Ausländern ("Die ,Anderen' bei der Treuhandanstalt"). Das liest sich ziemlich traurig, wenngleich der Autor von Abenteuergemeinschaften spricht.
Im heutigen Vokabular gehörte die Treuhand zu der Kategorie einer "Bad Bank". Ein Begriffscontainer für eingehegte Abwicklungen, derer man sich entledigen möchte. Durch den Dreiklang Ideenfeld (ideologischer Hintergrund), Praxisort (institutionelle Arbeitsweise) und Erfahrungsraum (Angestellte im Ausnahmezustand) findet Böick eine narrative Illustration, die nachdenklich macht. Die Treuhand lebt durch ihn neu auf "in ihrer sich selbst verstärkenden Radikalisierung, Beschleunigung und Entgrenzung sowie der anschließenden Wiedereinhegung, Domestizierung und Auflösung".
Die Transformation der Übergangsgesellschaft war eindeutig ein verzwicktes Problem. Komplex, mehrdimensional, ohne Vorbilder und lineare Auswege. Wie hätte man damals intelligent mit Nichtwissen umgehen müssen? Sich wechselseitig eingestandene Ratlosigkeit, die angesichts solcher Probleme ratsam gewesen wäre, wurde schon aus Zeitgründen nicht zugelassen. Moralisch und ideologisch hätte zugestandene Ratlosigkeit alle zum Abrüsten bewegt. Das Konstatieren von Gewissheitsschwund hätte alle eher in einen Suchprozess nach Lösungen eingebunden. Doch damals wie heute zwingt der Sofortismus die Politik zum Handeln im Minutentakt. Als ob man wüsste, wie Problemlösungen auszusehen hätten. Das erwarten die Bürger von ihren Politikern. Insofern ist die von Böick glänzend komponierte und akribisch recherchierte Erinnerungsgeschichte keineswegs nur eine Studie über eine abgewickelte Anstalt. Sie zeigt im Umkehrschluss politikberatend, was wir besser machen könnten, wenn die Geschichte wieder einmal "aus den Fugen" gerät.
Marcus Böick: Die Treuhand. Idee - Praxis - Erfahrung 1990-1994.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018.
767 S., 79,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Gegen dumpfe Klischees empfiehlt Dietmar Süß Marcus Böicks Studie über die Geschichte der Treuhand von 1990 bis 1994. Dass der Historiker sie aus der Perspektive der für sie arbeitenden Beamten und Manager erzählt, hält Süß für einen Gewinn. Überraschend heterogen und plural, ja chaotisch erscheint ihm die Institution auf die Art, weniger dämonisch als die öffentliche Meinung sie sah. Böicks Genauigkeit, seine "exzellente" Recherche und seine Distanz zum Thema beeindrucken Süß, auch wenn der Leser durchaus einen langen Atem haben muss, wie er einräumt. Die Wendejahre besser zu verstehen und die Treuhand als Teil eines fundamentalen Systemwechsels zu betrachten, hilft der Band dem Rezensenten auf vorbildliche Weise.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»eine glänzend komponierte und akribisch recherchierte Erinnerungsgeschichte.« (Karl-Rudolf Korte, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.10.2018) »Marcus Böick hat eine glänzende Geschichte über das »Privatisierungsmonster« Treuhand geschrieben.« (Dietmar Süß, Süddeutsche Zeitung, 09.07.18) »Die Leistung dieses Buches (...) ist ein Abwägen der inneren und äußeren Dynamiken, die auf die Treuhand-Mitarbeiter wirkten.« (Anselm Lenz, junge Welt, 10.10.2018) »Böick hat - gut lesbar - alle möglichen Daten für einen zeitgeschichtlich runden Überblick zusammengetragen.« (Peter Heimann, Sächsische Zeitung, 04./05.08.2018) »Ein wertvoller Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion über ein bis in die Gegenwart hinein politisch kontrovers bewertetes Thema.« (Andreas Malycha, www.sehepunkte.de, 15.10.2018) »Hinsichtlich der dem Leser gebotenen Informationen ist Böicks Buch eine Fundgrube und verdient Anerkennung.« (Jörg Roesler, junge Welt, 03.09.2018) »intellektuell brillant, ungeheuer facettenreich und quellengesättigt« (Prof. Dr. Edgar Wolfrum, DAMALS, 04.01.2019) »Marcus Böicks Buch kommt gerade zur rechten Zeit« (Jörg Roesler, Berliner Debatte Initial 29 (2018) 4) »Zukünftige Forschungen zur Treuhand werden an Böicks umfangreichen Werk nicht vorbeigehen können, ja dürfen.« (Günther Heydemann, Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 2/2019)