Der Tuareg Mano Dayak schildert die Geschichte seines Volkes. Er beschreibt die Kultur der Tuareg, das Leben in den Nomadenlagern, die Rolle der Frauen, den Ablauf der Feste, die Arbeit des Weidens und die Überlebensstrategien in der Wüste, die sich seit Jahrhunderten bewährt haben. Diese Kultur, die auf dem Wissen um die Bewohnbarkeit der Wüste basiert, ist in Gefahr, mit den Tuareg zu verschwinden: Ein nie wieder rückgängig zu machender Verlust, wenn es nicht sehr bald gelingt, dem Elend der Tuareg ein Ende zu setzen und eine friedliche Lösung des Konflikts herbeizuführen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.1996Geschichte aus der Wüste
Michael Stührenberg hat das Buch eines Tuareg geschrieben
Tuareg heißen die Leute, die "Tamaschek" sprechen und "Tifinar" in den Sand schreiben, "eine Literatur, die schnell der Wind verweht". Sie leben in der Sahara und im südlich angrenzenden Sahel. Seit alters her betrieben sie in großräumigen Bewegungen Kamelnomadismus und kontrollierten die Transsahara-Routen. Das Buch über "Die Tuareg-Tragödie" berichtet über die Suche der Nomaden nach einem Platz in der modernen Welt und über die Geschichte eines blutigen Konflikts mit den jungen Nationalstaaten, deren Grenzen durch die Sahara verlaufen.
Mano Dayak, der angebliche Verfasser, wuchs in Zeltlagern in der Wüste auf, vonGendarmen wurde er gewaltsam zur Schule fortgeschleppt. Nach Auslandsaufenthalten betrieb er in Agadez eine Reiseagentur. Als Grenzgänger verstand er es, die Europäer für ein romantisch verklärtes Nomadenleben zu begeistern. Er hatte beste Kontakte zu europäischen Medien, die er auf die Tuareg-Problematik aufmerksam machte.
Dem Bericht sind verschiedene Texte über die Kultur der Tuareg beigestellt. Auch erfährt man, daß Bernardo Bertolucci in seiner Verfilmung von Paul Bowles' "Der Himmel über der Wüste" eine Vergewaltigungs- in eine Liebesszene umwandelte, damit das Ansehen der Tuareg keinen Schaden nehme. Dayak hatte ihm einst problemlos eine Karawane von fünfzig Kamelen im Sand der Sahara vor die Kamera gestellt.
Mano Dayak war zunächst politischer Sprecher der FLAA (Front de Libération de l'Air et de l'Azawak), ein Sympathisant der von der nigrischen Regierung als "Banditen" und "Rassisten" bezeichneten Guerrilla der Tuareg, die sich im Kel Air, einer Hochebene von Niger, gegen das Militär verschanzt hatte. Später wurde er ihr Anführer. Die FLAA war jedoch gespalten. Während eines Frankreich-Aufenthaltes ihres Chefs führten einige Tuareg-Rebellen gegen dessen Willen "Razzien" durch: Sie plünderten und mißhandelten Zivilisten aus den Nomadenlagern.
Die Tuareg haben sich nach Gruppen oder Clans unterteilt. Bereits vor der französischen Kolonialverwaltung gingen sie entweder Bündnisse miteinander ein oder überfielen einander. Der Konflikt in Niger war 1990 um Tchin-Tabaraden ausgebrochen, wo der Nationalstaat ein Auffanglager für ehemalige Dürreflüchtlinge verschiedener Tuareg-Clans eingerichtet hatte. Sie waren aus Algerien ausgewiesen worden. Das Bewußtsein, einer gemeinsamen Kultur anzugehören, verdichtete sich während dieser Krise.
Die Rebellion der Tuareg entzündete sich schließlich, weil die versprochenen Wiedereingliederungshilfen ausblieben. Die Vereinten Nationen hatten Gelder zur Verfügung gestellt, die jedoch von seiten Nigers unterschlagen wurden. Auch Hilfsmittel wie Zelte und Konserven wurden auf nigrischen Märkten verkauft, statt an die Tuareg verteilt zu werden. Als einige Tuareg sich dagegen wehrten, wurde dies zum Auslöser eines Massakers, das das nigrische Militär unter der Tuareg-Bevölkerung des ganzen Landes anrichtete.
Das Buch über die "Tuareg-Tragödie" wandte sich ursprünglich als Hilferuf an die französische Öffentlichkeit und löste eine breite Medienkampagne zugunsten der Tuareg aus. Im Nachwort zur deutschen Ausgabe wird nun enthüllt, daß nicht Mano Dayak, sondern Michael Stührenberg den Tuareg-Bericht verfaßt hat. Der "Rebellenführer" hatte ihn kurz vor dem Abgabetermin des Manuskripts in Paris gebeten, ihm bei der Redaktion behilflich zu sein; die knappe Zeit am Telefon nutzte er aber dann dazu, seinen Gesprächspartner in ein Gespräch über Politik zu verwickeln.
Stührenberg schrieb Dayaks Gedanken unter großem Zeitdruck nieder und mischte vorgeblich authentische Bekenntnisse persönlicher Art mit historischer Gelehrsamkeit und politischen Forderungen, was die Lesbarkeit des Ganzen nicht erleichtert und viel Wissen voraussetzt. Trotzdem lohnt sich die Auseinandersetzung mit dem Text. Einige Tuareg sollen Kritik an dem Buch geübt haben: Sie bemängelten, daß der Verfasser sich selbst zu sehr in den Vordergrund gestellt habe.
Mano Dayak lebt nun nicht mehr. Im vergangenen Dezember verunglückte das Sportflugzeug, das ihn zu Friedensverhandlungen aus dem Air-Gebirge abholte. Es war ein Unfall. Inzwischen wird im Niger ein föderatives System angestrebt, das den Nomaden mehr Rechte auf Selbstbestimmung einräumt. Die Aufständischen wollen die Seßhaftigkeit. Im Januar putschte in Niamey das Militär. Die neuen Machthaber versprachen, einen friedlichen Ausgleich mit den Tuareg-Clans zu finden. BETTINA VON LINTIG
Mano Dayak: "Die Tuareg-Tragödie". Aus dem Französischen von Sigrid Köppen, Nachwort von Michael Stührenberg. Horlemann Verlag, Bad Honnef 1996. 190 S., Abb., br., 24,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Stührenberg hat das Buch eines Tuareg geschrieben
Tuareg heißen die Leute, die "Tamaschek" sprechen und "Tifinar" in den Sand schreiben, "eine Literatur, die schnell der Wind verweht". Sie leben in der Sahara und im südlich angrenzenden Sahel. Seit alters her betrieben sie in großräumigen Bewegungen Kamelnomadismus und kontrollierten die Transsahara-Routen. Das Buch über "Die Tuareg-Tragödie" berichtet über die Suche der Nomaden nach einem Platz in der modernen Welt und über die Geschichte eines blutigen Konflikts mit den jungen Nationalstaaten, deren Grenzen durch die Sahara verlaufen.
Mano Dayak, der angebliche Verfasser, wuchs in Zeltlagern in der Wüste auf, vonGendarmen wurde er gewaltsam zur Schule fortgeschleppt. Nach Auslandsaufenthalten betrieb er in Agadez eine Reiseagentur. Als Grenzgänger verstand er es, die Europäer für ein romantisch verklärtes Nomadenleben zu begeistern. Er hatte beste Kontakte zu europäischen Medien, die er auf die Tuareg-Problematik aufmerksam machte.
Dem Bericht sind verschiedene Texte über die Kultur der Tuareg beigestellt. Auch erfährt man, daß Bernardo Bertolucci in seiner Verfilmung von Paul Bowles' "Der Himmel über der Wüste" eine Vergewaltigungs- in eine Liebesszene umwandelte, damit das Ansehen der Tuareg keinen Schaden nehme. Dayak hatte ihm einst problemlos eine Karawane von fünfzig Kamelen im Sand der Sahara vor die Kamera gestellt.
Mano Dayak war zunächst politischer Sprecher der FLAA (Front de Libération de l'Air et de l'Azawak), ein Sympathisant der von der nigrischen Regierung als "Banditen" und "Rassisten" bezeichneten Guerrilla der Tuareg, die sich im Kel Air, einer Hochebene von Niger, gegen das Militär verschanzt hatte. Später wurde er ihr Anführer. Die FLAA war jedoch gespalten. Während eines Frankreich-Aufenthaltes ihres Chefs führten einige Tuareg-Rebellen gegen dessen Willen "Razzien" durch: Sie plünderten und mißhandelten Zivilisten aus den Nomadenlagern.
Die Tuareg haben sich nach Gruppen oder Clans unterteilt. Bereits vor der französischen Kolonialverwaltung gingen sie entweder Bündnisse miteinander ein oder überfielen einander. Der Konflikt in Niger war 1990 um Tchin-Tabaraden ausgebrochen, wo der Nationalstaat ein Auffanglager für ehemalige Dürreflüchtlinge verschiedener Tuareg-Clans eingerichtet hatte. Sie waren aus Algerien ausgewiesen worden. Das Bewußtsein, einer gemeinsamen Kultur anzugehören, verdichtete sich während dieser Krise.
Die Rebellion der Tuareg entzündete sich schließlich, weil die versprochenen Wiedereingliederungshilfen ausblieben. Die Vereinten Nationen hatten Gelder zur Verfügung gestellt, die jedoch von seiten Nigers unterschlagen wurden. Auch Hilfsmittel wie Zelte und Konserven wurden auf nigrischen Märkten verkauft, statt an die Tuareg verteilt zu werden. Als einige Tuareg sich dagegen wehrten, wurde dies zum Auslöser eines Massakers, das das nigrische Militär unter der Tuareg-Bevölkerung des ganzen Landes anrichtete.
Das Buch über die "Tuareg-Tragödie" wandte sich ursprünglich als Hilferuf an die französische Öffentlichkeit und löste eine breite Medienkampagne zugunsten der Tuareg aus. Im Nachwort zur deutschen Ausgabe wird nun enthüllt, daß nicht Mano Dayak, sondern Michael Stührenberg den Tuareg-Bericht verfaßt hat. Der "Rebellenführer" hatte ihn kurz vor dem Abgabetermin des Manuskripts in Paris gebeten, ihm bei der Redaktion behilflich zu sein; die knappe Zeit am Telefon nutzte er aber dann dazu, seinen Gesprächspartner in ein Gespräch über Politik zu verwickeln.
Stührenberg schrieb Dayaks Gedanken unter großem Zeitdruck nieder und mischte vorgeblich authentische Bekenntnisse persönlicher Art mit historischer Gelehrsamkeit und politischen Forderungen, was die Lesbarkeit des Ganzen nicht erleichtert und viel Wissen voraussetzt. Trotzdem lohnt sich die Auseinandersetzung mit dem Text. Einige Tuareg sollen Kritik an dem Buch geübt haben: Sie bemängelten, daß der Verfasser sich selbst zu sehr in den Vordergrund gestellt habe.
Mano Dayak lebt nun nicht mehr. Im vergangenen Dezember verunglückte das Sportflugzeug, das ihn zu Friedensverhandlungen aus dem Air-Gebirge abholte. Es war ein Unfall. Inzwischen wird im Niger ein föderatives System angestrebt, das den Nomaden mehr Rechte auf Selbstbestimmung einräumt. Die Aufständischen wollen die Seßhaftigkeit. Im Januar putschte in Niamey das Militär. Die neuen Machthaber versprachen, einen friedlichen Ausgleich mit den Tuareg-Clans zu finden. BETTINA VON LINTIG
Mano Dayak: "Die Tuareg-Tragödie". Aus dem Französischen von Sigrid Köppen, Nachwort von Michael Stührenberg. Horlemann Verlag, Bad Honnef 1996. 190 S., Abb., br., 24,- DM.
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