Ein literarisches Ereignis auf deutsch
In dichten, poetischen Bildern entrollt sich vor dem Leser das pulsierende, chaotische, bunte Leben Roms. Und ganz nebenbei legt dieses schillernde Mosaik aus der Zeit der durch die Alliierten befreiten Stadt Zeugnis ab von einem dramatischen Wendepunkt in der politischen Geschichte Italiens. Eine literarische Wiederentdeckung, vom Autor des internationalen Bestsellers "Christus kam nur bis Eboli". Im Spätsommer 1945 herrscht in ganz Italien Aufbruchstimmung. Der Krieg ist überwunden, GIs kurven in Jeeps durch die Straßen Roms, junge Frauen bekommen von ihren "boyfriends" Seidenstrümpfe und träumen von "l'America". Auf dem Schwarzmarkt gibt es duftendes Weißbrot und Zigaretten. Ein lauer Abend, ein Akkordeon und die Freiheit sind Anlaß genug, um die Nacht hindurch zu tanzen. Die Angehörigen der verschiedenen Widerstandsgruppen glauben noch an einen gemeinsamen politischen Aufbruch. Doch schon in der ersten freien Wahl bröckelt das durch Krieg und Faschismus zusammengeschweißte Bündnis und ergibt sich dem korrupten Ränkespiel politischer Interessen, an dem Italien bis heute krankt.
Unmittelbar nach seinem Erscheinen 1950 aus politischen Gründen aufs heftigste kritisiert und diffamiert, geriet der Roman für Jahrzehnte in Vergessenheit. Seit seiner Wiederentdeckung gilt er als eines der bedeutendsten Werke der italienischen Nachkriegsliteratur.
In dichten, poetischen Bildern entrollt sich vor dem Leser das pulsierende, chaotische, bunte Leben Roms. Und ganz nebenbei legt dieses schillernde Mosaik aus der Zeit der durch die Alliierten befreiten Stadt Zeugnis ab von einem dramatischen Wendepunkt in der politischen Geschichte Italiens. Eine literarische Wiederentdeckung, vom Autor des internationalen Bestsellers "Christus kam nur bis Eboli". Im Spätsommer 1945 herrscht in ganz Italien Aufbruchstimmung. Der Krieg ist überwunden, GIs kurven in Jeeps durch die Straßen Roms, junge Frauen bekommen von ihren "boyfriends" Seidenstrümpfe und träumen von "l'America". Auf dem Schwarzmarkt gibt es duftendes Weißbrot und Zigaretten. Ein lauer Abend, ein Akkordeon und die Freiheit sind Anlaß genug, um die Nacht hindurch zu tanzen. Die Angehörigen der verschiedenen Widerstandsgruppen glauben noch an einen gemeinsamen politischen Aufbruch. Doch schon in der ersten freien Wahl bröckelt das durch Krieg und Faschismus zusammengeschweißte Bündnis und ergibt sich dem korrupten Ränkespiel politischer Interessen, an dem Italien bis heute krankt.
Unmittelbar nach seinem Erscheinen 1950 aus politischen Gründen aufs heftigste kritisiert und diffamiert, geriet der Roman für Jahrzehnte in Vergessenheit. Seit seiner Wiederentdeckung gilt er als eines der bedeutendsten Werke der italienischen Nachkriegsliteratur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2005Die Bilderstimme der Nacht
Resistenza mit literarischen Mitteln: Carlo Levis Roman "Die Uhr"
"Nachts in Rom scheint es, als hörte man Löwen brüllen, vage und wild zugleich, grausam und doch sonderbar sanft in der nächtlichen Wüste der Häuser." Da ist einer, der in die "Muschel" seiner Zeit hineinhört und aus ihrem Rauschen, einer japanischen Papierblume gleich, all die Hör-, Seh- und Denkbilder hervorgehen läßt, die darin beschlossen sind - ehe sie am Ende wieder in den Elementarlaut des Anfangs zurückkehren.
Vordergründig öffnet sich dieser so poetische Rahmen jedoch auf eine Szenerie, die sich kaum prosaischer dagegen abheben könnte: Rom 1945, kurz nach der Befreiung. Das normale Leben war einem brodelnden Chaos gewichen, der Traum von einem neuen Italien schien plötzlich möglich - aber zugleich die Gefahr, daß alles umsonst gewesen sein könnte. Das Leben klaffte extremistisch auseinander. Szenen spontaner Solidarität wechselten mit rücksichtslosem Verrat und Überfällen. Man lebte elend und empfand doch zugleich Glück darüber, überhaupt wieder leben zu können. Man erinnert sich an Bilder von Frauen mit grell geschminkten Lippen, Honig für die Befreier aus Amerika, dem gelobten Land für alle, die zu Hause nicht weiterwußten - an den zeitgenössischen Lebensstoff, wie ihn das schwarzweiß malende Kino von Rosselini, Fellini oder De Sica bietet.
Und dazu der Autor: Seit den zwanziger Jahren der sozialen Sache verschrieben; entschiedener Antifaschist, der Verbannung und Gefängnis in Kauf nahm; ins Exil nach Paris floh; dem die Deportation durch die Deutschen drohte; der führend in der Resistenza engagiert war und, nach dem Krieg, im politischen Wiederaufbau; seit 1945 Herausgeber von "Italia Libera", der Zeitung der Aktionspartei - Carlo Levi (1902 bis 1975). Vor allem aber verbindet sich mit seinem Namen der Dokumentarroman "Christus kam nur bis Eboli" (1945). In kürzester Zeit hatte er damals weltweit höchste Beachtung gefunden. Es gab in Italien mithin kaum eine authentischere Stimme des geschundenen kulturellen Gewissens. Alles sprach also für Levis zweiten (und zugleich letzten) Roman "Die Uhr", der nur wenig später, 1950, erschien. Und dann das: Er wurde kaum beachtet; die wenigen Kritiken waren vernichtend; nicht lange, und er verschwand in den Abstellräumen der Literaturgeschichte. Wie war das möglich?
Der Autor hatte in diesem erregenden historischen Moment etwas Unverzeihliches gewagt: Er war dem zeitgenössischen Bedürfnis nach Anklage, Abrechnung, deutlichen Worten von Schuld und Sühne auf verstörende Weise nicht nachgekommen. Vom "Corriere della Sera" mußte er sich den - eigentlich tödlichen - Vergleich gefallen lassen, er habe vor allem schön, gewählt, gebildet schreiben wollen, wie D'Annunzio, diese brisante Mischung aus Dekadenz und Machtmenschentum, exaltierter Parteigänger Mussolinis. Selbst die kommunistische "Umanità" unterstellte ihm, er würde nicht wirklich Anteil an den Menschen nehmen. Ästhetizismus und Indifferenz: An diesen Hürden ließen sie ihn scheitern. Wie hatte er sich dieses Urteil zugezogen?
Verfänglichkeiten dafür bieten sich genug. So nahe das Auge auch an die Ereignisse des Tages heranrückt: der Erzähler bildet nicht wirklich sie, sondern sich in ihnen ab. Der eigentliche Held in dieser Geschichte ohne Handlung ist sein Ich, das zwischen Autobiographie und Ausmalung changiert - ein hingebungsvoller Narziß, der sich im Spiegel Nachkriegsroms wiederzufinden sucht. Mehr noch: Sein "Roman" ist ein Erinnerungsbuch, ein Memorial, in dem sich - auf 481 Seiten - nur rund drei geschichtsträchtige Tage stauen. Dieses Erinnern, nicht das Erleben, bildet den Boden der Tatsachen. Es ist, als ob es in der Rückschau die "Uhr" (des Titels) anhalten wollte. Am 24. November 1945 stürzte mit Ferruccio Parri die Regierung des Nationalen Befreiungskomitees; die Krake der alten Verwaltung nahm das Land wieder fest in ihren Besitz.
Um so befremdlicher muß es wirken, daß Levi den Zusammenbruch aller Hoffnungen auf ein neues Italien einer Sprache anvertraut, die sich beständig über die bedrängenden Realien hinwegsetzt und ihnen mit funkelnden Bildern, Vergleichen und Korrespondenzen einen feinen Goldrand des Poetischen verleiht. Sie dringt auf die Verhältnisse ein, um ihnen aber zugleich auch wieder den Rücken zu kehren. Die animalische Verlautbarung der nächtlichen Stadt zu Beginn war mithin Programm. Sie gab zu verstehen, daß Levis Zustandsbericht zweisprachig ist: Hinter der notdürftigen, zähen, parasitären Tagesvernunft regt sich eine Bilderstimme der Nacht, die von geheimnisvollen Dingen, gar von Glück weiß. Doch bei alledem: War das die Sprache, nach der die Zeit verlangte? Da ergreift einer das Wort, der mittendrin ist, gewiß; er prüft, registriert, er handelt, und dennoch scheint er über allem zu stehen.
Woher nimmt er diesen inneren Abstand, dieses ebenso faszinierende wie irritierende Zutrauen zum Leben? Haben ihm seine verratenen Ideale nicht gerade klargemacht, daß, mit einer Anspielung auf Tomasi di Lampedusas "Leoparden", sich alles verändert hat und deshalb alles bleiben muß, wie es ist? Carlo Levi suchte einen Ausweg aus dieser italienischen Elegie des Stillstands, der eigentlich erst mit der zweiten Auflage des Buches in Italien (1989) richtig sichtbar geworden ist. Er hat den Widerstandskämpfer nicht verraten; er geht nur anders vor: statt politischer Aktion Resistenza mit literarischen Mitteln.
Wer dem Leseweg seines Buches folgt, wird unmerklich in eine feinsinnige geistige Mobilmachung verwickelt. Der Text geht nicht eigentlich voran, er breitet sich aus, wie Kreise eines Steines, den man ins Wasser geworfen hat. Die Episoden fügen sich so, wie ein Wort das andere ergibt, und nehmen rhapsodisch ihren Lauf. Ein Blick aus dem Fenster in Rom ruft einen anderen aus dem Gefängnis auf. Die Räume füllen sich mit Details, Gedanken, Gesprächen. Damals und heute gehen ineinander auf. Und über allem ein geradezu unwiderstehlicher Sog, selbst dem Niedrigsten und Dürftigsten noch weitläufige Bilder abzugewinnen. Sie führen gleichsam über der Prosa der Verhältnisse ein poetisches Eigenleben. Es ist Levis Art, den Befreiungskampf gegen die starre, selbstsüchtige Sprache fortzusetzen, der politisch nicht zu gewinnen war.
Provozierend, mißverständlich ist sein Erinnerungsbuch, weil es nicht provoziert, obwohl es mehr als genug Anlässe dafür böte. Er war sich dessen wohl bewußt. Ausdrücklich wirft auch er die Frage Adornos auf, "was für Romane es denn geben soll nach Auschwitz und Buchenwald" - und beantwortet sie mit "Die Uhr". Für ihn weiß, trotz allem, zumindest die Sprache der Kunst noch von jener "geheimnisvollen Macht", die "keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier und Pflanze macht", weil sie mit der unverwüstlichen Energie in Verbindung steht, die nur Zeugung und Tod kennt. Mit ihrer Hilfe macht Carlo Levi eine ebenso abgründige wie lebendig fabulierende Liebeserklärung ans Leben in all seiner Widersprüchlichkeit. Nun ist seine Flaschenpost von 1950 auch in Deutschland angekommen.
WINFRIED WEHLE
Carlo Levi: "Die Uhr". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Kosküll. Aufbau-Verlag, Berlin 2005. 481 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Resistenza mit literarischen Mitteln: Carlo Levis Roman "Die Uhr"
"Nachts in Rom scheint es, als hörte man Löwen brüllen, vage und wild zugleich, grausam und doch sonderbar sanft in der nächtlichen Wüste der Häuser." Da ist einer, der in die "Muschel" seiner Zeit hineinhört und aus ihrem Rauschen, einer japanischen Papierblume gleich, all die Hör-, Seh- und Denkbilder hervorgehen läßt, die darin beschlossen sind - ehe sie am Ende wieder in den Elementarlaut des Anfangs zurückkehren.
Vordergründig öffnet sich dieser so poetische Rahmen jedoch auf eine Szenerie, die sich kaum prosaischer dagegen abheben könnte: Rom 1945, kurz nach der Befreiung. Das normale Leben war einem brodelnden Chaos gewichen, der Traum von einem neuen Italien schien plötzlich möglich - aber zugleich die Gefahr, daß alles umsonst gewesen sein könnte. Das Leben klaffte extremistisch auseinander. Szenen spontaner Solidarität wechselten mit rücksichtslosem Verrat und Überfällen. Man lebte elend und empfand doch zugleich Glück darüber, überhaupt wieder leben zu können. Man erinnert sich an Bilder von Frauen mit grell geschminkten Lippen, Honig für die Befreier aus Amerika, dem gelobten Land für alle, die zu Hause nicht weiterwußten - an den zeitgenössischen Lebensstoff, wie ihn das schwarzweiß malende Kino von Rosselini, Fellini oder De Sica bietet.
Und dazu der Autor: Seit den zwanziger Jahren der sozialen Sache verschrieben; entschiedener Antifaschist, der Verbannung und Gefängnis in Kauf nahm; ins Exil nach Paris floh; dem die Deportation durch die Deutschen drohte; der führend in der Resistenza engagiert war und, nach dem Krieg, im politischen Wiederaufbau; seit 1945 Herausgeber von "Italia Libera", der Zeitung der Aktionspartei - Carlo Levi (1902 bis 1975). Vor allem aber verbindet sich mit seinem Namen der Dokumentarroman "Christus kam nur bis Eboli" (1945). In kürzester Zeit hatte er damals weltweit höchste Beachtung gefunden. Es gab in Italien mithin kaum eine authentischere Stimme des geschundenen kulturellen Gewissens. Alles sprach also für Levis zweiten (und zugleich letzten) Roman "Die Uhr", der nur wenig später, 1950, erschien. Und dann das: Er wurde kaum beachtet; die wenigen Kritiken waren vernichtend; nicht lange, und er verschwand in den Abstellräumen der Literaturgeschichte. Wie war das möglich?
Der Autor hatte in diesem erregenden historischen Moment etwas Unverzeihliches gewagt: Er war dem zeitgenössischen Bedürfnis nach Anklage, Abrechnung, deutlichen Worten von Schuld und Sühne auf verstörende Weise nicht nachgekommen. Vom "Corriere della Sera" mußte er sich den - eigentlich tödlichen - Vergleich gefallen lassen, er habe vor allem schön, gewählt, gebildet schreiben wollen, wie D'Annunzio, diese brisante Mischung aus Dekadenz und Machtmenschentum, exaltierter Parteigänger Mussolinis. Selbst die kommunistische "Umanità" unterstellte ihm, er würde nicht wirklich Anteil an den Menschen nehmen. Ästhetizismus und Indifferenz: An diesen Hürden ließen sie ihn scheitern. Wie hatte er sich dieses Urteil zugezogen?
Verfänglichkeiten dafür bieten sich genug. So nahe das Auge auch an die Ereignisse des Tages heranrückt: der Erzähler bildet nicht wirklich sie, sondern sich in ihnen ab. Der eigentliche Held in dieser Geschichte ohne Handlung ist sein Ich, das zwischen Autobiographie und Ausmalung changiert - ein hingebungsvoller Narziß, der sich im Spiegel Nachkriegsroms wiederzufinden sucht. Mehr noch: Sein "Roman" ist ein Erinnerungsbuch, ein Memorial, in dem sich - auf 481 Seiten - nur rund drei geschichtsträchtige Tage stauen. Dieses Erinnern, nicht das Erleben, bildet den Boden der Tatsachen. Es ist, als ob es in der Rückschau die "Uhr" (des Titels) anhalten wollte. Am 24. November 1945 stürzte mit Ferruccio Parri die Regierung des Nationalen Befreiungskomitees; die Krake der alten Verwaltung nahm das Land wieder fest in ihren Besitz.
Um so befremdlicher muß es wirken, daß Levi den Zusammenbruch aller Hoffnungen auf ein neues Italien einer Sprache anvertraut, die sich beständig über die bedrängenden Realien hinwegsetzt und ihnen mit funkelnden Bildern, Vergleichen und Korrespondenzen einen feinen Goldrand des Poetischen verleiht. Sie dringt auf die Verhältnisse ein, um ihnen aber zugleich auch wieder den Rücken zu kehren. Die animalische Verlautbarung der nächtlichen Stadt zu Beginn war mithin Programm. Sie gab zu verstehen, daß Levis Zustandsbericht zweisprachig ist: Hinter der notdürftigen, zähen, parasitären Tagesvernunft regt sich eine Bilderstimme der Nacht, die von geheimnisvollen Dingen, gar von Glück weiß. Doch bei alledem: War das die Sprache, nach der die Zeit verlangte? Da ergreift einer das Wort, der mittendrin ist, gewiß; er prüft, registriert, er handelt, und dennoch scheint er über allem zu stehen.
Woher nimmt er diesen inneren Abstand, dieses ebenso faszinierende wie irritierende Zutrauen zum Leben? Haben ihm seine verratenen Ideale nicht gerade klargemacht, daß, mit einer Anspielung auf Tomasi di Lampedusas "Leoparden", sich alles verändert hat und deshalb alles bleiben muß, wie es ist? Carlo Levi suchte einen Ausweg aus dieser italienischen Elegie des Stillstands, der eigentlich erst mit der zweiten Auflage des Buches in Italien (1989) richtig sichtbar geworden ist. Er hat den Widerstandskämpfer nicht verraten; er geht nur anders vor: statt politischer Aktion Resistenza mit literarischen Mitteln.
Wer dem Leseweg seines Buches folgt, wird unmerklich in eine feinsinnige geistige Mobilmachung verwickelt. Der Text geht nicht eigentlich voran, er breitet sich aus, wie Kreise eines Steines, den man ins Wasser geworfen hat. Die Episoden fügen sich so, wie ein Wort das andere ergibt, und nehmen rhapsodisch ihren Lauf. Ein Blick aus dem Fenster in Rom ruft einen anderen aus dem Gefängnis auf. Die Räume füllen sich mit Details, Gedanken, Gesprächen. Damals und heute gehen ineinander auf. Und über allem ein geradezu unwiderstehlicher Sog, selbst dem Niedrigsten und Dürftigsten noch weitläufige Bilder abzugewinnen. Sie führen gleichsam über der Prosa der Verhältnisse ein poetisches Eigenleben. Es ist Levis Art, den Befreiungskampf gegen die starre, selbstsüchtige Sprache fortzusetzen, der politisch nicht zu gewinnen war.
Provozierend, mißverständlich ist sein Erinnerungsbuch, weil es nicht provoziert, obwohl es mehr als genug Anlässe dafür böte. Er war sich dessen wohl bewußt. Ausdrücklich wirft auch er die Frage Adornos auf, "was für Romane es denn geben soll nach Auschwitz und Buchenwald" - und beantwortet sie mit "Die Uhr". Für ihn weiß, trotz allem, zumindest die Sprache der Kunst noch von jener "geheimnisvollen Macht", die "keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier und Pflanze macht", weil sie mit der unverwüstlichen Energie in Verbindung steht, die nur Zeugung und Tod kennt. Mit ihrer Hilfe macht Carlo Levi eine ebenso abgründige wie lebendig fabulierende Liebeserklärung ans Leben in all seiner Widersprüchlichkeit. Nun ist seine Flaschenpost von 1950 auch in Deutschland angekommen.
WINFRIED WEHLE
Carlo Levi: "Die Uhr". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Kosküll. Aufbau-Verlag, Berlin 2005. 481 S., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als "bildkräftigen Wendezeit-Roman" über das Rom im Jahre 1945 würdigt Lothar Müller dieses 1950 erschienenes, nun in einer "guten Übersetzung" vorliegendes Buch von Carlo Levi. Das Buch geriet, nach Meinung des Rezensenten zu Unrecht, in Vergessenheit, der Autor konnte nicht an seinen internationalen Erfolg seines Roman "Christus kam nur bis Eboli" 1945 anschließen. Wer sich von "Die Uhr" eine spannende Handlung erwartet, wird nach Ansicht Müllers enttäuscht werden. Ihn hat das dieser "somnambule Roman" dennoch beeindruckt, vor allem wegen seiner atmosphärisch dichten Beschreibung Roms in der Nachkriegszeit: Da sind die Mietwohnungen, Interieurs und ihre Bewohner, die dunklen Treppenhäuser, die ewigen Beamten, die Sänger und Schwadroneure in den Bars und Trattorien, die junge Mutter, die tot auf der römischen Straße liegt, nachdem ein amerikanischer Jeep vorbeigeprescht ist, die Elenden und Ratten der römischen Vorstädte und der tote Trinker im riesigen Treppenaufgang eines alten Palazzo. Das Fazit des Rezensenten: In kaum einem anderen Roman scheine Rom "so sehr organisches, atmendes Lebewesen" zu sein wie hier.
© Perlentaucher Medien GmbH
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