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Mit einer seltenen Sensibilität für jene alltäglichen Dinge, die tiefer als große Veränderungen unter die Haut gehen, hat Nadine Gordimer den Akzent ihres Schreibens auf die Widersprüchlichkeiten der "weißen Seele" im Südafrika der Rassentrennung gelegt: auf die Paradoxie, einer herrschenden Elite anzugehören und gleichzeitig an deren Brutalität zu leiden. So wurde sie nicht nur zur Chronistin des schwarzen Befreiungskampfes, sondern auch zur literarischen Erforscherin des psychischen Elends, das sich in den Villen der weißen Liberalen eingenistet hatte. Gerade in ihren Erzählungen erforscht…mehr

Produktbeschreibung
Mit einer seltenen Sensibilität für jene alltäglichen Dinge, die tiefer als große Veränderungen unter die Haut gehen, hat Nadine Gordimer den Akzent ihres Schreibens auf die Widersprüchlichkeiten der "weißen Seele" im Südafrika der Rassentrennung gelegt: auf die Paradoxie, einer herrschenden Elite anzugehören und gleichzeitig an deren Brutalität zu leiden. So wurde sie nicht nur zur Chronistin des schwarzen Befreiungskampfes, sondern auch zur literarischen Erforscherin des psychischen Elends, das sich in den Villen der weißen Liberalen eingenistet hatte. Gerade in ihren Erzählungen erforscht sie in Standbildern von bewundernswerter Präzision die Selbstzweifel der progressiv eingestellten Intellektuellen, ihre etwas abgestandenen Existenzkrisen, ihre altmodische Libertinage, ihr Spießertum, ihre kleinen Fluchten in den Rausch oder ins politische Engagement - kurzum, ihre uneingestandenen Ängste um die eigene weiße Haut ... Dank Nadine Gordimers großer erzählerischer Meisterschaft werde n aus politischen Themen universale Dialoge.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2000

Sorgsame Flüstertöne
Nadine Gordimer reist über alle Grenzen Südafrikas

Zwölf Geschichten enthält dieses Buch, und mit ihm ist, so lässt der Verlag wissen, die fünfbändige Ausgabe der Erzählungen Nadine Gordimers abgeschlossen. Der größere Rahmen dient aber lediglich der Ordnung und dem Überblick, das neue Büchlein braucht ihn nicht, um zu wirken. Äußerlich eher bescheiden, mit relativ kurzen Stücken gefüllt, fängt es des Lesers Aufmerksamkeit aus eigener Kraft; es will nur aufgeblättert sein. Dann lehrt es, dass Qualität nicht vom Umfang abhängt und die verbreitete Vorliebe für die große literarische Form der kleinen unrecht tut.

Wer von Nadine Gordimer bisher nichts wusste, als dass sie 1991 den Literatur-Nobelpreis erhielt, der kann allein durch den neuen Erzählungsband vertraut werden mit ihrer Erlebniswelt und Gestaltungskunst. Unter dem Begriff Erlebniswelt haben wir die Erdregion zu verstehen, der sie entstammt: Sie verleugnet die Südafrikanerin, die sie ist, in keiner Zeile. Wie sollte sie auch, da ihr die Heimat Afrika den Stoff liefert. Nadine Gordimer verwendet die vertraute Wirklichkeit niemals zur Illustration von Losungen oder Forderungen. Sie bildet die Menschen ab, die ihrem Erdteil Leben geben, Weiße, Schwarze, Braune, Mischlinge verschiedenster Art. Sie untersucht, was in deren Köpfen und Herzen vorgeht und sich in Handlungen oder Unterlassungen manifestiert. Bündig gesagt: Sie erzählt Geschichten, wie sie in aller Welt vorkommen, nur eben geprägt durch die spezifischen Bedingungen auf dem Schwarzen Kontinent. Ein unpolitisches Buch also? Ja, was künstlerische Absicht und Ausführung betrifft. Auf gar keinen Fall, was die Wirkung betrifft, die von den Gefühlen und Taten der Helden ausgeht.

Einige Erzählungen sind der Politik sogar sehr nahe, ohne ihr jedoch zu verfallen. So die Titelgeschichte "Die Umarmung eines Soldaten", in der ein Kolonialgebiet selbständig wird. Es scheint sich um das heutige Namibia zu handeln, ganz deutlich wird das nicht, muss es aber auch nicht: Die reine Historie ist zweitrangig gegenüber ihren Folgen für die Menschen und ihr Leben in diesem Land. Weiße Verächter alles Dunkelhäutigen suchen sofort das Weite. Weiße Freiheitsfreunde geraten in Verlegenheit, weil ihre hehren Vorstellungen dem neuen Alltag nicht standhalten. Denn viele ihrer schwarzen Nachbarn bestätigen die alte Erfahrung, dass Unterdrückung nicht zwangsläufig edel macht und Befreiung allein nicht gut. Schließlich verdrücken sich auch die wohlmeinenden Weißen und überlassen ihren Freunden, den neuen schwarzen Führern, das undankbare politische Geschäft.

Der Mensch ist schwach. Die Autorin beweist es uns, doch urteilt sie nicht darüber, geschweige denn, dass sie verurteilt. Sie drängt auch den Leser nicht zu ethischen Schlussfolgerungen, sie erzählt nur dermaßen eindringlich, dass kein Gewissen umhin kann, es dennoch zu tun. So etwa bei dem Doppelstück "Liebende in Stadt und Land", dessen Handlungsgerüst aus den Apartheidsgesetzen unseligen Angedenkens gefertigt ist. Geschichten dieser Art ergänzen die Vorgänge der Titelstory und verdeutlichen, falls das noch nötig ist, deren sachliche und moralische Hintergründe. Im ersten Teil verbindet sich ein aus Österreich stammender Geologe mit einem Mischlingsmädchen - im seinerzeitigen Südafrika ein Gesetzesbruch, der für beide fatale Folgen hat. Noch tiefer unter die Haut geht der andere Fall: Ein weißer Farmerssohn zeugt mit einer schwarzen Kindheitsgefährtin ein Töchterchen, das dem Vater hochnotpeinlich ähnelt. Der Weiße zieht sich zurück, die Schwarze findet einen braven Ehemann gleicher Hautfarbe. Doch nach wie vor verrät das Baby den Fehltritt, bis der leibliche Vater es umbringt. Die Sache kommt vor Gericht, das den weißen Mörder freispricht. Die Frau bekommt ein neues, ein schwarzes Kind. Aber das lastende Wissen bleibt, dass sie und ihresgleichen nur Abfall sind.

Durchaus nicht alle Erzählungen greifen das Rassenproblem auf. In "Geschwister" zum Beispiel zeichnet die Autorin zwei Teenager, Vetter und Cousine, die, von Zwillingsschwestern geboren, ihrerseits als eine Art Zwillinge aufwuchsen. Zur Zeit der Handlung freilich leben sie getrennt, der Junge daheim, das Mädchen irgendwo in fragwürdiger Gesellschaft, bedroht von allerlei modischen Verrücktheiten. Der Junge ist es, der auf kindlich-geschwisterliche Art die Verbindung hält, während beide Zwillingsmütter ihre vorurteilsbelasteten Gefühle ausleben. Mehr zeigt die Geschichte nicht, aber wie sie es zeigt, das ist preiswürdig: Eine Familien-Miniatur voll sanfter Unerbittlichkeit und mitfühlender Härte. Ähnliches lässt sich von den übrigen Geschichten sagen, etwa von der mit dem Titel "Die Zeit entscheidet". Hier geht es um eine Liebende, deren Liebhaber ziemlich unbekümmert kundtut, dass er noch andere Bettgespielinnen hat. Ein Horror für die Frau, die ihr Selbstwertgefühl aus ihrer Wirkung auf den Mann ableitet und jetzt nur den einen grimmigen Trost kennt: Auch sein erotischer Appeal wird mit den Jahren vergehen.

Im Porträt, das zweifellos ihre Stärke ist, lässt Nadine Gordimer die gesellschaftliche Realität aufscheinen. Umgekehrt ermöglicht sie durch genauen Umgang mit der Realität, dass die Gesichter ihrer Helden eindrucksvoll geraten. Wenn man ihre Kunst ins Akustische transponieren könnte, so würde man die Autorin sorgfältig akzentuiert flüstern hören. Sie erzählt ebenso leise wie präzise, man muss immer sehr aufmerksam lauschen. Das setzt im Falle fremdsprachiger Ausgaben gute Übersetzer voraus. Die deutsche Übersetzung bedient Autorin wie Leser im Großen und Ganzen recht ordentlich. Leider jedoch nicht überall: Da werden Pläne "angesprochen" statt erwähnt oder erörtert; wird man mit "Problemstellungen" konfrontiert statt schlicht mit Problemen, die doch immer etwas Gestelltes sind. Da geht jemand "durch den Mopanewald durch" oder setzt Filter "auf die Linse auf", als ob die eine Präposition nicht genügt hätte. Der Gesamtwirkung des Bandes tut das zum Glück keinen entscheidenden Abbruch, aber einer Sprachkünstlerin wie Nadine Gordimer wird man eben nur mit vollkommener syntaktischer und grammatischer Disziplin gerecht.

SABINE BRANDT

Nadine Gordimer: "Die Umarmung eines Soldaten". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Anne Steb. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999. 223 S., geb., 34,- DM.

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