Mit dem Band "Die Umschreibung des Flusses" legt der junge Kölner Autor und Leonce-und-Lena-Preisträger David Krause sein Debüt vor.: Die an Brinkmann geschulten Gedichte leben von ihrer narrativen Stringenz und spannen Bogen von poetischer Kraft. In ihnen verbinden sich Erzähltes, Erlebtes und Erinnertes, und mit dem Strom des Erinnernten öffnen sich Räume voll Materialität und eindringlicher Bilder. Eine Wiedergeburt des Empfindens scheint sich anzubahnen, eine Beiläufigkeit des Sprechens, das vom Prosagedicht inspiriert ist und vom Ton der Beat-Generation und der Neuen Subjektivität. Der rhythmische Fluss der Gedichte, ihr schwerelos anmutender Flow, ist durchsetzt von einer feinen Melancholie, von Gefühlen des Verlustes und des Unwiederbringlichen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2016Der Mond als Zutat im Cuba Libre
Und die Kirsche ist der Knalleffekt: David Krause gelingt mit "Die Umschreibung des Flusses" ein faszinierendes Lyrikdebüt.
Von Angelika Overath
Umschreiben" ist ein schillerndes Wort. Es zeigt zum einen die Möglichkeit von Modulationen. Denn man muss eine Sache nicht direkt aussprechen, sondern hat die Freiheit, sie zu umspielen. In geometrischer Hinsicht - und dies wäre eine zweite Bedeutung - lässt sich eine Figur eingrenzen, indem man sie, etwa mit einem Zirkel, umschreibt. Zum dritten - nun mit der Betonung auf der ersten Silbe - kann ein Autor seine Texte, bis sie ihn loslassen, immer wieder umformulieren. "Auf der letzten Seite des Tagebuches / schreibe ich vom Morgen an / mit schwarzer Tinte / noch einmal unsere Geschichte, schreibe und schreibe ich, über- / schreibe ich die Worte, Schicht für Schicht." Die Sätze bleiben so lange veränderbar, wie das Ich sich in Schichten an ihnen voranarbeitet.
Der Titel "Die Umschreibung des Flusses" ist poetologisches Programm. Denn auch das Wort "Fluss" darf die unterschiedlichsten Bedeutungsebenen haben. Was kann nicht alles "im Fluss" sein? Das Lyrikdebüt von David Krause (Jahrgang 1988) führt den Leser in ein mäanderndes Stromland der Sprache, mit ihren Auen von Erleben, Erinnern und phantasierendem Träumen.
Kindheitsaugenblicke werden zurückgeholt, Momente früher Liebesbegegnungen, Splitter eines vergangenes Jungseins ("Der Mond schwamm als Zitronenscheibe / in einem Cuba Libre"). Dabei bleibt dieses Zurückholen, als eine Landgewinnung des "Umschreibens", immer Thema. Mit dem initialen Gedicht "Wolken" beginnt ein Ich zunächst eine negative Inventur: "Es gibt keinen Fluss . . . kein Kinderbett . . . keinen Schuppen". Indem das Vergangene aber benannt wird als der Fluss "neben diesem Haus", das Kinderbett, "überzogen mit Wolken, / wo der Sohn die Augen schließt / und die Arme ausstreckt bis weit / über den Rand" und wo der Vater neben dem Schuppen "zärtlich die Soldaten schnitzt", feiert die verschwundene Welt ihre Wiederauferstehung. Bis das Gedicht selbstbewusst kippt: "Es gibt / die fliehenden Wolken. / Es gibt mich", um abermals umzuschlagen: "den Schal um den Hals, / einen Soldaten in der Hand, / nicht mehr". Was am Ende bleibt, ist das "Bett" des Flusses, das Flussbett der Sprache: "es gibt / mir einen Ort, es gibt / mir einen Ort."
Liebesverlust und Sterben werden umkreist. Im Zyklus "Die Götter der Träume" erscheinen mit "Hymnos" (Schlaf) und dreien seiner Söhne, "Morpheus" (Träume), "Phobetor" (Erschrecken), "Phanathos" (Einbildung) und endlich mit "Thanatos" (Tod) Szenen einer Narkose im Operationssaal, die sich mit surrealen Bildern von Liebesbegegnungen mischen. Wenn hier eine Mohnblume ins Spiel kommt, klingt "Kleine Aster" aus den "Morgue"-Gedichten mit, was Gottfried Benn gefreut hätte. Zuletzt weist der Tod, das Ende der Herzfrequenz, lakonisch ins Offene: "Die Linien auf dem Bildschirm, / das war der Horizont."
Jede kleine Alltagserfahrung kann zum Gedicht führen. Die Überblendung vom Rot einer Ampel mit dem Lippenrot der Geliebten im rauchdunklen Mantel vor dem Supermarkt ebenso wie ein gemeinsamer Moment vor dem Fernseher, wenn das Blau des Polarmeers als blaues Bildschirmlicht die Schlafende in ein Unterwassermilieu taucht, bis der verschwundene Wal ein Tier war, das das Meer zweier sich wärmender Körper durchmaß. Und am Schluss zeigt sich noch einmal ein anderer Ton. Im Gedicht "Mr. Manhattan" entwirft Krause einen erotisch smarten Gesellschaftslöwen, der mit einem Manhattan in der Hand "als Setting Piano-Bars" wählt und "vergangenen Geliebten Briefe" schreibt, "so, wie er Schecks schreibt". Schließlich macht er sich noch an das Ich heran, bis es zu einem Kuss kommt. Oder was ist das: "Er lässt die Kirsche um die Zunge kreisen. / Ich greife seine Hand. / Süße mischt sich in seinen Speichel, / als er die Kirsche zerbeißt"?
David Krause wurde 2015 mit dem Leonce-und-Lena-Preis für junge Lyrik ausgezeichnet. In seinem Debüt lernen wir einen Autor kennen, der mutig sucht und sehr oft findet. Dann gelingen ihm Sprachbilder, die in ihrer Frische irritieren und berühren. Wer bei manchen manieristischen Stellen stockt ("Meine Träne ist der letzte Vektor, / der mich verortet"), der sei an den jungen Rilke erinnert. Da gab es Schlimmeres. Und er hat doch noch die Duineser Elegien geschrieben.
David Krause: "Die Umschreibung des Flusses". Gedichte.
Poetenladen, Leipzig 2016. 73 S., geb., 17,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und die Kirsche ist der Knalleffekt: David Krause gelingt mit "Die Umschreibung des Flusses" ein faszinierendes Lyrikdebüt.
Von Angelika Overath
Umschreiben" ist ein schillerndes Wort. Es zeigt zum einen die Möglichkeit von Modulationen. Denn man muss eine Sache nicht direkt aussprechen, sondern hat die Freiheit, sie zu umspielen. In geometrischer Hinsicht - und dies wäre eine zweite Bedeutung - lässt sich eine Figur eingrenzen, indem man sie, etwa mit einem Zirkel, umschreibt. Zum dritten - nun mit der Betonung auf der ersten Silbe - kann ein Autor seine Texte, bis sie ihn loslassen, immer wieder umformulieren. "Auf der letzten Seite des Tagebuches / schreibe ich vom Morgen an / mit schwarzer Tinte / noch einmal unsere Geschichte, schreibe und schreibe ich, über- / schreibe ich die Worte, Schicht für Schicht." Die Sätze bleiben so lange veränderbar, wie das Ich sich in Schichten an ihnen voranarbeitet.
Der Titel "Die Umschreibung des Flusses" ist poetologisches Programm. Denn auch das Wort "Fluss" darf die unterschiedlichsten Bedeutungsebenen haben. Was kann nicht alles "im Fluss" sein? Das Lyrikdebüt von David Krause (Jahrgang 1988) führt den Leser in ein mäanderndes Stromland der Sprache, mit ihren Auen von Erleben, Erinnern und phantasierendem Träumen.
Kindheitsaugenblicke werden zurückgeholt, Momente früher Liebesbegegnungen, Splitter eines vergangenes Jungseins ("Der Mond schwamm als Zitronenscheibe / in einem Cuba Libre"). Dabei bleibt dieses Zurückholen, als eine Landgewinnung des "Umschreibens", immer Thema. Mit dem initialen Gedicht "Wolken" beginnt ein Ich zunächst eine negative Inventur: "Es gibt keinen Fluss . . . kein Kinderbett . . . keinen Schuppen". Indem das Vergangene aber benannt wird als der Fluss "neben diesem Haus", das Kinderbett, "überzogen mit Wolken, / wo der Sohn die Augen schließt / und die Arme ausstreckt bis weit / über den Rand" und wo der Vater neben dem Schuppen "zärtlich die Soldaten schnitzt", feiert die verschwundene Welt ihre Wiederauferstehung. Bis das Gedicht selbstbewusst kippt: "Es gibt / die fliehenden Wolken. / Es gibt mich", um abermals umzuschlagen: "den Schal um den Hals, / einen Soldaten in der Hand, / nicht mehr". Was am Ende bleibt, ist das "Bett" des Flusses, das Flussbett der Sprache: "es gibt / mir einen Ort, es gibt / mir einen Ort."
Liebesverlust und Sterben werden umkreist. Im Zyklus "Die Götter der Träume" erscheinen mit "Hymnos" (Schlaf) und dreien seiner Söhne, "Morpheus" (Träume), "Phobetor" (Erschrecken), "Phanathos" (Einbildung) und endlich mit "Thanatos" (Tod) Szenen einer Narkose im Operationssaal, die sich mit surrealen Bildern von Liebesbegegnungen mischen. Wenn hier eine Mohnblume ins Spiel kommt, klingt "Kleine Aster" aus den "Morgue"-Gedichten mit, was Gottfried Benn gefreut hätte. Zuletzt weist der Tod, das Ende der Herzfrequenz, lakonisch ins Offene: "Die Linien auf dem Bildschirm, / das war der Horizont."
Jede kleine Alltagserfahrung kann zum Gedicht führen. Die Überblendung vom Rot einer Ampel mit dem Lippenrot der Geliebten im rauchdunklen Mantel vor dem Supermarkt ebenso wie ein gemeinsamer Moment vor dem Fernseher, wenn das Blau des Polarmeers als blaues Bildschirmlicht die Schlafende in ein Unterwassermilieu taucht, bis der verschwundene Wal ein Tier war, das das Meer zweier sich wärmender Körper durchmaß. Und am Schluss zeigt sich noch einmal ein anderer Ton. Im Gedicht "Mr. Manhattan" entwirft Krause einen erotisch smarten Gesellschaftslöwen, der mit einem Manhattan in der Hand "als Setting Piano-Bars" wählt und "vergangenen Geliebten Briefe" schreibt, "so, wie er Schecks schreibt". Schließlich macht er sich noch an das Ich heran, bis es zu einem Kuss kommt. Oder was ist das: "Er lässt die Kirsche um die Zunge kreisen. / Ich greife seine Hand. / Süße mischt sich in seinen Speichel, / als er die Kirsche zerbeißt"?
David Krause wurde 2015 mit dem Leonce-und-Lena-Preis für junge Lyrik ausgezeichnet. In seinem Debüt lernen wir einen Autor kennen, der mutig sucht und sehr oft findet. Dann gelingen ihm Sprachbilder, die in ihrer Frische irritieren und berühren. Wer bei manchen manieristischen Stellen stockt ("Meine Träne ist der letzte Vektor, / der mich verortet"), der sei an den jungen Rilke erinnert. Da gab es Schlimmeres. Und er hat doch noch die Duineser Elegien geschrieben.
David Krause: "Die Umschreibung des Flusses". Gedichte.
Poetenladen, Leipzig 2016. 73 S., geb., 17,80 [Euro].
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