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Als Jacques Derrida seinen vielbeachteten Vortrag Die Zukunft der Universität auf Einladung von Jürgen Habermas in Frankfurt hielt, stellte ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung in eine Reihe mit den berühmten Reden Kants, Schellings, Nietzsches und Heideggers. Derrida entwirft eine bedingungslose, unbedingte Universität, die zugleich eine mögliche Orientierung für die Geisteswissenschaften insgesamt reflektiert und einschließt. Sein Versuch, eine moderne Form der Universität zu umreißen, kann der aktuellen Debatte über die Reform der Universität entscheidende philosophische Impulse geben.…mehr

Produktbeschreibung
Als Jacques Derrida seinen vielbeachteten Vortrag Die Zukunft der Universität auf Einladung von Jürgen Habermas in Frankfurt hielt, stellte ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung in eine Reihe mit den berühmten Reden Kants, Schellings, Nietzsches und Heideggers. Derrida entwirft eine bedingungslose, unbedingte Universität, die zugleich eine mögliche Orientierung für die Geisteswissenschaften insgesamt reflektiert und einschließt. Sein Versuch, eine moderne Form der Universität zu umreißen, kann der aktuellen Debatte über die Reform der Universität entscheidende philosophische Impulse geben. Sein Text verbindet dabei eine subtile und präzise philosophische Argumentation mit einer pointierten politischen Position.
Autorenporträt
Jacques Derrida wurde am 15. Juli 1930 in El-Biar in der Nähe von Algier als Sohn jüdischer Eltern geboren und starb am 8.Oktober 2004 in Paris. Während seiner Schulzeit war er antisemitischen Repressionen ausgesetzt. Ab 1949 lebte er in Frankreich und besuchte das Lycée Louis-le-Grand in Paris. Von 1952 bis 1954 studierte er an der École Normale Supérieure, wo er Vorlesungen bei Louis Althusser und Michel Foucault besuchte und sich mit Pierre Bourdieu anfreundete. 1956 gewann er ein Stipendium für einen Studienaufenthalt an der Harvard University. Während seines Militärdienstes von 1957 bis 1959 lehrte er Englisch und Französisch in Algerien. Von 1960 bis 1964 war er wissenschaftlicher Assistent an der Sorbonne. Ab 1965 bis 1984 bekleidete er eine Professur für Geschichte der Philosophie an der École Normale Supérieure. Den Durchbruch erlangte Derrida im Jahr 1967, als er nahezu zeitgleich in drei bekannten Verlagen drei wichtige Schriften veröffentlichte: De la grammatologie, La Voix et le phénomène sowie L'écriture et la différence. Auf Vortragsreisen in den USA lernte er Paul de Man und Jacques Lacan kennen. 1981 gründete er die Gesellschaft Jan Hus (eine Hilfsorganisation für verfolgte tschechische Intellektuelle). Im selben Jahr wurde er in Prag verhaftet und erst nach einer energischen Intervention François Mitterrands und der französischen Regierung von der Tschechoslowakei freigelassen. 1983 gründete er das Collège international de philosophie, zu dessen erstem Direktor er gewählt wurde. Im selben Jahr wurde er zum Forschungsdirektor an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) in Paris ernannt. Er starb am 9. Oktober 2004 in Paris.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.01.2002

Denken als Beruf
Jacques Derrida streitet für eine
unbedingte Universität
Ein gern berufenes Vorbild deutscher Bildungspolitiker sind die privaten Hochschulen in den Vereinigten Staaten, und unter ihnen besonders jene, die als Elite-Einrichtungen gelten. Hier werden bessere Bedingungen für Leistung und Innovation vermutet als an den staatlich finanzierten Hochschulen Europas. Privatisierung und eine Öffnung gegenüber der Wirtschaft gelten als Königsweg zu Erneuerung. An einer dieser Hochschulen, in Stanford, hat der Philosoph und Hochschullehrer Jacques Derrida vor Idealisierungen gewarnt. In seiner vor vier Jahren vor amerikanischen Zuhörern gehaltenen und nun auch auf deutsch vorliegenden Rede über die „Universität von morgen” kehrt Derrida die gewohnte Perspektive um. Von Amerika aus wendet er den Blick zurück nach Europa und fragt nach der Aktualität der europäischen Universität und ihrer Idee.
Lange war von Derrida inspiriertes Denken eher an den Rändern des akademischen Feldes zu finden, und in vielen Fällen war damit der Anspruch verbunden, sich Festschreibungen und disziplinärer Vereinnahmungen zu entziehen. Dass die Universität nun zur Hüterin von Werten aufrückt, die man mit Derrida und der „Dekonstruktion” verbindet, überrascht. Derrida hebt keineswegs die Vorzüge des amerikanischen Modells hervor. Stattdessen empfiehlt er eine Rückbesinnung auf die geistigen Wurzeln der europäischen Universität.
Unter Berufung auf Kant will Derrida die Universität von allen „Forschungseinrichtungen” unterschieden wissen, die „ökonomischen Zwecken und Interessen aller Art dienen.” Vorrecht der Universität sei es, „öffentlich auszusprechen, was immer es im Interesse eines auf die Wahrheit gerichteten Forschens, Wissens und Fragens zu sagen gibt”– ohne Zweckbindung und ohne Rücksicht auf jedes „der akademischen Welt fremde Kapital.”
Die Universität, für die Derrida sich ausspricht, soll eine „unbedingte” Einrichtung sein. Nicht Verwaltung und Weitergabe von sachdienlichem Wissen ist ihr oberstes Ziel, sondern die Öffnung des Wissens auf Unwägbares, eine Öffnung des Denkens für Ungedachtes. Damit die Universität zu einem Ort für das Unwägbare und Neue wird, bedarf es ihrer Unabhängigkeit. Erst die Freistellung von Zweckbindungen, erst der Verzicht auf ideelle Kosten- und Nutzenrechnung macht Ereignisse des Denkens und Denken als „Ereignis” wahrscheinlich.
Ganz neu sind diese Gedanken nicht. „Unser deutsches Universitätsleben amerikanisiert sich, wie unser Leben überhaupt”, heißt es in Max Webers „Wissenschaft als Beruf”. In seiner 1919 vor Münchener Studenten gehaltenen Rede über die Zukunft der Universität stellte Weber ähnliche Überlegungen an wie heute Derrida. „Eingebung”, so Weber, ist eine „Gabe”, „Einfälle” lassen sich nicht planen, sie sind eine Sache des „Zufalls”, entziehen sich der Logik des Kalküls. Bei Weber sind diese Beobachtung auf die Wissenschaften im Allgemeinen bezogen. Bei Derrida sind es vor allem die „Geisteswissenschaften”, die als Schauplatz von Denkereignissen fungieren.
Dass die Natur- und Technikwissenschaften im Entwurf einer „unbedingten Universität” eher schlecht wegkommen, hat damit zu tun, dass Derrida diesen Fächern ein Denken unterstellt, das sich in höherem Maße in den Bahnen des Faktischen und Verwertbaren bewegt und sich leichter den Ansprüchen von Sponsoren, „Unternehmen und Verbänden” anbequemt. Man muss die Eingrenzung auf die Humanities, zu denen Derrida auch Rechtswissenschaft und Psychoanalyse zählt, nicht für zwingend halten. Seine Überlegungen sind bedenkenswert. Vieles an ihnen ist bekannt. Neu aber ist das „quantitative Ausmaß” der Auflösung überkommener „Orte” des Denkens im Zeitalter der Globalisierung.
Gabe und Zufall
Derrida schließt sich der Euphorie über die weltweiten Datennetze und Datenflüsse nur bedingt an. Die „ent-ortende Virtualisierung des Raums der Kommunikation, der Diskussion, der Publikation” erscheint ihm nicht nur als Öffnung, sondern auch als Auflösung von Räumen, an denen widerständiges Denken im Schutz institutioneller Grenzen gedeiht. Mit der Autonomie der Universität, die Derrida einklagt, richtet er sich auch gegen die „Destabilisierung” ihres „angestammten Raums”. Als Rückzug in den Elfenbeinturm ist das nicht gemeint. Die „Dissidenz”, die die Universität in ihrem Inneren freisetzen soll, wahrt den Bezug zum „öffentlichen Raum”. Kritisch begleitet sie dessen Transformation durch „neue Techniken der Kommunikation, der Information, der Aufzeichnung und der Erzeugung von Wissen”.
Was Derrida über das Wesen der „unbedingten Universität” sagt, verdient es, über die Grenzen der „geistigen” Disziplinen hinaus gehört zu werden. „Wie wir nur zu gut wissen, gibt es diese unbedingte Universität nicht. Dennoch sollte sie prinzipiell und ihrer eingestandenen Berufung, ihrem erklärten Wesen nach ein Ort letzten kritischen – und mehr als kritischen – Widerstands gegen alle dogmatischen und ungerechtfertigten Versuche sein, sich ihrer zu bemächtigen.” Derrida verschweigt nicht, dass seine Überlegungen in Amerika eine andere Herausforderung darstellen als in Europa mit seiner staatlich gesicherten Hochschul- und Forschungslandschaft. Dass sie hierzulande Gehör finden, bleibt dennoch zu wünschen.
CAROLINE PROSS
JACQUES DERRIDA: Die unbedingte Universität. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 78 Seiten, 7,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

So ein kleiner Text und doch ein ganz großer Schritt auf dem Weg Derridas zu einer "Aufklärung ohne absolutistische oder apokalyptische Züge". Nach Meinung Michael Wetzels hat es der schmale Band faustdick hinter den Eselsohren. So stellt sich sein Autor nicht nur in die Tradition so gewichtiger Stichwortgeber zum Thema Universität, wie Kant, Fichte oder Nietzsche, er will sich zugleich auch von ihnen absetzen, indem er für die Universität ein "bedingungsloses Recht zu hinterfragen" fordert sowie eines "auf Widerstand gegen jede Form von ökonomischer, politischer, rechtlicher oder ethischer Beschränkung". Solches "Denken des Unmöglich-Möglichen" fordert Derrida von den Lehrern insbesondre der "Humanitas", erklärt Wetzel und erinnert daran, dass der Text auf einem Vortrag basiert, den Derrida in den USA gehalten hat, "wo die Geistes-, Literatur- oder Kulturwissenschaften zunehmend unter ökonomischen Legitimationsdruck geraten".

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