Das Gejammer über die Universitäten nimmt kein Ende - aber warum passiert nichts? Keiner scheint die Universität zu lieben: die Politiker nicht, weil sie Geld kostet, die Professoren nicht, weil das Ideal freier Forschung und Lehre nicht mehr aufrechterhalten wird, und die Studenten nicht, weil sie die angeblich schönsten Jahre ihres Lebens in Wissensfabriken verbringen. Jochen Hörisch plädiert für einen ungewöhnlichen Weg zur Rettung der Universität: weg von Rahmenplänen und Modulen und hin zu mehr Neugier, Experimentierfreude und Leidenschaft zum Lernen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2006Die junge Muse küßt nicht mehr
An der Universität zu leiden ist für ihre Insassen normal. Der Germanist Jochen Hörisch legt jetzt einen Essay darüber vor, worum es sich bei diesem Leiden handelt ("Die ungeliebte Universität". Rettet die Alma mater! Hanser Verlag, München 2006. 139 S., br., 14,90 [Euro]). Dieser Essay hat zwei Stärken: seinen Befund und die Seiten 130 bis 134.
Der Befund lautet, daß die Universitäten von den meisten derer, die sie benutzen, die sie finanzieren, reformieren oder kritisieren, nicht gemocht werden. Hörisch beschreibt diesen Mangel innerhalb dessen, was einst eine Korporation, also eine Gemeinschaft eigenen Rechts und eigenen Stolzes war, im Rahmen einer selbstgemachten Psychologie der Affektbindung an Erkenntnis. Die geht so: Die Universität war einst eine erotische Sphäre. Denn in ihr wurde der unstillbaren Begierde nach Wahrheit gefolgt. Nach nackter Wahrheit, nach Entschleierung also und Aufklärung, ein Wort, das für Hörisch ebenfalls einen "sexuellen Primärsinn" hat. Alma mater - die Universität sei als nährende Mutter vorgestellt worden. Philosophie als Liebe zum Wissen und Philologie als Liebe zur Sprache wurden im neunzehnten Jahrhundert, als sie aufblühten, ihr Zentrum. Und auch daß Faust mit "heißem Bemühn" studiert haben will, trägt Hörisch zusammen mit ein paar Eichendorff-Zitaten übers schöne Studentenleben in seine Indiziensammlung ein; wenngleich man die Studenten bei Eichendorff nur selten studieren sieht, meistens streunen sie mehr so herum.
Diese Zeiten aber sind vorbei. Nicht die Zeiten der freitags zum Surfen aufbrechenden Studenten, sondern die des von Liebe zur Wahrheit durchströmten Studiums. Hörisch kennt zwei Ursachen: die Zulassung von Frauen und die Bürokratisierung der Universität. Für ihn war die gute alte Alma mater eine Institution der Sublimation heterosexueller Regungen von Männern mit künstlich verlängerter Adoleszenz. Der riesige Zuwachs an Studenten aber, der seit den sechziger Jahren zur erotischen Neutralisierung des Studiums beigetragen habe, verdanke sich "wesentlich auch der Zunahme des Frauenstudiums". (Wenn das mal keinen Ärger mit der Frauenbeauftragten am Germanischen Seminar zu Mannheim gibt.) Der Abiturientinnenandrang führt zur Bürokratisierung, deren letzter Schub in Gestalt des "Bologna-Prozesses" von Hörisch beschrieben wird. Die Liebe zum Geist erkaltet, der Student wird effizient, interessiert sich mehr für Kreditpunkte als für Argumente, bewundert auch den Professor nicht mehr, sondern behandelt ihn als Dienstleister. Die Muße schwindet, die Muse küßt nicht mehr, die Masse macht's.
"Selbst schuld!" ruft Hörisch seinesgleichen zu. Oder besser: seinesungleichen, denn er selber rechnet sich nicht zu den Professoren "neuen Typs", die für ihn die unerotische Stimmung mit bewirkt haben. Das sind die Gremienspezialisten, Sammelbandherausgeber, Tagungsveranstalter, Drittmittelkönige und Manager, die Zeit für all diese Aktivitäten durch Opfer bei Forschung und Lehre gewinnen.
Der Mangel dieser Zerfallsgeschichte: Der Zerfall stimmt, die Geschichte aber ist ein Märchen. Denn bei der alten Studienherrlichkeit, so wie er sie beschreibt, handelt es sich um eine Mär, eine um alle Elemente der Enge, des Dogmatismus und der Dummheit, die auch vormals anzutreffen waren, bereinigte Erzählung. Wenn Hörisch wirklich glauben würde, die Universitäten seien ehedem von Wißbegierigen bevölkert gewesen, würde ihm Forschung zu seinem Gegenstand helfen. Aber vermutlich glaubt er es gar nicht und zitiert darum lieber Dichter als Bildungshistoriker. Früher war die Frau schöner? Nein, früher war der Professor jung!
Heute hingegen verführt ihn sein Liebeskummer dazu, sich Rettung von den Geisteswissenschaften zu erwarten. Denn nur im Bereich der Naturwissenschaften, der Ökonomie und der Mathematik sei Deutschland gegenüber den Vereinigten Staaten, England oder der Schweiz rückständig, seine Humaniora hingegen findet Hörisch tipptopp. Wenn er dabei auf prominente Leistungen aus dieser Fächergruppe verweist, fällt auf, daß diese alle in der Forschung liegen, womit aber das eigentliche Problem, die Verkommenheit einer geisteswissenschaftlichen Lehre, die sich nur an zukünftige Forscher, also an zwei von hundert Seminarteilnehmern wendet, unberührt bleibt. Außerdem hatte er soeben noch auf den wissenschaftlichen Durchschnitt eingedroschen. Was also soll uns die Exzellenz, die es außerdem noch gibt, beweisen? Es geht einem mit diesem Traktat insofern wie mit vielen Verteidigungs- oder Reformschriften zur Universität. Erst werden eindrücklich die zahlreichen Probleme geschildert, die es gibt. Dann aber wird, weil diese Probleme nicht durch ein, zwei Maßnahmen zu lösen sind und weil man keine Theorie der Universität hat, sondern nur Eindrücke und Sehnsüchte, ständig das Thema gewechselt.
Nur ganz zum Schluß, von Seite 130 bis 134 eben, faßt sich Hörisch ein Herz und macht Reformvorschläge, von denen einige den Kern der Universitätsmisere berühren: Residenzpflicht für Dozenten, Durchsetzung eines Kanons, Tutorensystem. Mit anderen Worten: Die Universität läßt sich nur von der Lehre, nicht von der Forschung her "retten". Dazu müssen die Möglichkeiten, sich dem Studium zu entziehen, auf beiden Seiten, bei den Studenten wie den Professoren, versperrt werden. Und dazu müssen Proportionen zwischen beiden Seiten gegeben sein, die so etwas wie Erziehung oder, wie man bei Erwachsenen sagt, Bildung überhaupt ermöglichen.
JÜRGEN KAUBE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
An der Universität zu leiden ist für ihre Insassen normal. Der Germanist Jochen Hörisch legt jetzt einen Essay darüber vor, worum es sich bei diesem Leiden handelt ("Die ungeliebte Universität". Rettet die Alma mater! Hanser Verlag, München 2006. 139 S., br., 14,90 [Euro]). Dieser Essay hat zwei Stärken: seinen Befund und die Seiten 130 bis 134.
Der Befund lautet, daß die Universitäten von den meisten derer, die sie benutzen, die sie finanzieren, reformieren oder kritisieren, nicht gemocht werden. Hörisch beschreibt diesen Mangel innerhalb dessen, was einst eine Korporation, also eine Gemeinschaft eigenen Rechts und eigenen Stolzes war, im Rahmen einer selbstgemachten Psychologie der Affektbindung an Erkenntnis. Die geht so: Die Universität war einst eine erotische Sphäre. Denn in ihr wurde der unstillbaren Begierde nach Wahrheit gefolgt. Nach nackter Wahrheit, nach Entschleierung also und Aufklärung, ein Wort, das für Hörisch ebenfalls einen "sexuellen Primärsinn" hat. Alma mater - die Universität sei als nährende Mutter vorgestellt worden. Philosophie als Liebe zum Wissen und Philologie als Liebe zur Sprache wurden im neunzehnten Jahrhundert, als sie aufblühten, ihr Zentrum. Und auch daß Faust mit "heißem Bemühn" studiert haben will, trägt Hörisch zusammen mit ein paar Eichendorff-Zitaten übers schöne Studentenleben in seine Indiziensammlung ein; wenngleich man die Studenten bei Eichendorff nur selten studieren sieht, meistens streunen sie mehr so herum.
Diese Zeiten aber sind vorbei. Nicht die Zeiten der freitags zum Surfen aufbrechenden Studenten, sondern die des von Liebe zur Wahrheit durchströmten Studiums. Hörisch kennt zwei Ursachen: die Zulassung von Frauen und die Bürokratisierung der Universität. Für ihn war die gute alte Alma mater eine Institution der Sublimation heterosexueller Regungen von Männern mit künstlich verlängerter Adoleszenz. Der riesige Zuwachs an Studenten aber, der seit den sechziger Jahren zur erotischen Neutralisierung des Studiums beigetragen habe, verdanke sich "wesentlich auch der Zunahme des Frauenstudiums". (Wenn das mal keinen Ärger mit der Frauenbeauftragten am Germanischen Seminar zu Mannheim gibt.) Der Abiturientinnenandrang führt zur Bürokratisierung, deren letzter Schub in Gestalt des "Bologna-Prozesses" von Hörisch beschrieben wird. Die Liebe zum Geist erkaltet, der Student wird effizient, interessiert sich mehr für Kreditpunkte als für Argumente, bewundert auch den Professor nicht mehr, sondern behandelt ihn als Dienstleister. Die Muße schwindet, die Muse küßt nicht mehr, die Masse macht's.
"Selbst schuld!" ruft Hörisch seinesgleichen zu. Oder besser: seinesungleichen, denn er selber rechnet sich nicht zu den Professoren "neuen Typs", die für ihn die unerotische Stimmung mit bewirkt haben. Das sind die Gremienspezialisten, Sammelbandherausgeber, Tagungsveranstalter, Drittmittelkönige und Manager, die Zeit für all diese Aktivitäten durch Opfer bei Forschung und Lehre gewinnen.
Der Mangel dieser Zerfallsgeschichte: Der Zerfall stimmt, die Geschichte aber ist ein Märchen. Denn bei der alten Studienherrlichkeit, so wie er sie beschreibt, handelt es sich um eine Mär, eine um alle Elemente der Enge, des Dogmatismus und der Dummheit, die auch vormals anzutreffen waren, bereinigte Erzählung. Wenn Hörisch wirklich glauben würde, die Universitäten seien ehedem von Wißbegierigen bevölkert gewesen, würde ihm Forschung zu seinem Gegenstand helfen. Aber vermutlich glaubt er es gar nicht und zitiert darum lieber Dichter als Bildungshistoriker. Früher war die Frau schöner? Nein, früher war der Professor jung!
Heute hingegen verführt ihn sein Liebeskummer dazu, sich Rettung von den Geisteswissenschaften zu erwarten. Denn nur im Bereich der Naturwissenschaften, der Ökonomie und der Mathematik sei Deutschland gegenüber den Vereinigten Staaten, England oder der Schweiz rückständig, seine Humaniora hingegen findet Hörisch tipptopp. Wenn er dabei auf prominente Leistungen aus dieser Fächergruppe verweist, fällt auf, daß diese alle in der Forschung liegen, womit aber das eigentliche Problem, die Verkommenheit einer geisteswissenschaftlichen Lehre, die sich nur an zukünftige Forscher, also an zwei von hundert Seminarteilnehmern wendet, unberührt bleibt. Außerdem hatte er soeben noch auf den wissenschaftlichen Durchschnitt eingedroschen. Was also soll uns die Exzellenz, die es außerdem noch gibt, beweisen? Es geht einem mit diesem Traktat insofern wie mit vielen Verteidigungs- oder Reformschriften zur Universität. Erst werden eindrücklich die zahlreichen Probleme geschildert, die es gibt. Dann aber wird, weil diese Probleme nicht durch ein, zwei Maßnahmen zu lösen sind und weil man keine Theorie der Universität hat, sondern nur Eindrücke und Sehnsüchte, ständig das Thema gewechselt.
Nur ganz zum Schluß, von Seite 130 bis 134 eben, faßt sich Hörisch ein Herz und macht Reformvorschläge, von denen einige den Kern der Universitätsmisere berühren: Residenzpflicht für Dozenten, Durchsetzung eines Kanons, Tutorensystem. Mit anderen Worten: Die Universität läßt sich nur von der Lehre, nicht von der Forschung her "retten". Dazu müssen die Möglichkeiten, sich dem Studium zu entziehen, auf beiden Seiten, bei den Studenten wie den Professoren, versperrt werden. Und dazu müssen Proportionen zwischen beiden Seiten gegeben sein, die so etwas wie Erziehung oder, wie man bei Erwachsenen sagt, Bildung überhaupt ermöglichen.
JÜRGEN KAUBE
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Jochen Hörisch kombiniere "Pathos" mit Pragmatik, Understatement mit nicht ganz schlechten Ideen, lobt Rezensent Uwe Justus Wenzel. Pathos, wenn es um die Bestandsaufnahme des aktuellen Missstandes bei den Universitäten gehe, Pragmatik bei der Medikationsliste für dieselben. Der Gremienprofessor, skizziert der Rezensent das Kernstück von Hörisch's Analyse, habe sich innerhalb der jüngsten Universitätsgeschichte leider durchsetzen können. Er habe weder Zeit für die Studenten noch für die Lehre und sich obendrein dank immer mächtigerer Kommissionen gewissermaßen selbst abgeschafft. Gegen Bürokratie und Gremien favorisiere Hörisch die persönliche Begegnung zwischen den Dozenten einerseits und Tutoren und Studenten andererseits. Gemeinsame Essen machten viele Gremiensitzungen einfach überflüssig und natürlich, sollten Professoren, wenn es nach Jochen Hörisch gehe, auch ihren Wohnort in der Stadt der Universität haben. "Locker gestrickt" sei dieser Essay, meint der Rezensent, aber nichtsdestotrotz nicht ganz ohne.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Jochen Hörisch argumentiert unterhaltsam, geistreich, Metaphern ausschreitend, sein Essay lebt von Versen, Anekdoten und Bonmots, ist reich an Abschweifungen, Andeutungen (und) Analogien."
Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung, 13.09.06
Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung, 13.09.06