Er ist klein, winzig, ja geradezu mickrig - der Herr Fliege aus Calummer. Ist kümmerlich, absonderlich, kaum größer als sein Hund.
Da wundert es nicht, dass eins bei ihm Riesengröße hat: der Kummer. Denn keiner bemerkt ihn, nicht Mann noch - was für eine besondere Qual - Frau. Einsam ist er, der Herr Fliege, und er wäre an seinem Alleinsein gestorben, wenn, ja wenn ...
Da wundert es nicht, dass eins bei ihm Riesengröße hat: der Kummer. Denn keiner bemerkt ihn, nicht Mann noch - was für eine besondere Qual - Frau. Einsam ist er, der Herr Fliege, und er wäre an seinem Alleinsein gestorben, wenn, ja wenn ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2007Das ist meiner!
Maßlos: Maja Bohn verschlingt eine ganze Welt
Manche Dinge erstaunen Eltern im gleichen Maße wie deren Kinder, denen sie widerfahren: Woher kommt auf einmal das besondere Bewusstsein für Mein und Dein, dieser Drang, auf dem Spielplatz überdeutlich zu markieren, dass der schöne Bagger keineswegs allen zur Verfügung steht, und dann aber, sind die Eigentumsrechte erst einmal anerkannt, die erstaunlich rasche Bereitschaft, das Plastikauto doch zu verleihen? Und vor allem: Wann hat einer, der alles, was in seiner Reichweite liegt, für sich beansprucht, eigentlich genug?
"Die unglaubliche Geschichte des Herrn Fliege" der Grafikerin Maja Bohn findet zumindest auf die letzte Frage eine überraschende Antwort: Der ausgesprochen mickrige Kurt Fliege wird von seiner Umgebung ignoriert, die Damen, denen er Avancen macht, reagieren bestenfalls genervt, und so beschließt er, sein Leben umzukrempeln. "Nie mehr so einsam, klein und schmächtig" will Fliege sein, stattdessen "groß und mächtig", und der Weg dahin führt nicht etwa über ein Fitness-Studio oder die Hinterzimmer einer Partei, sondern über das heimische Esszimmer. Fliege stopft in sich hinein, was er kriegen kann; dann stillt er, in erheblich größerem Stil, seinen Hunger in den Straßen der Stadt, denn da er bald alle überragt, stellt sich ihm niemand in den Weg. Schließlich macht er auch vor Menschen oder Häusern nicht halt, verschlingt gar die Sonne und ist in einer leeren Welt riesengroß und entsetzlich einsam.
Maja Bohns Illustrationen machen diesen Entwicklungsgang von der anfangs (sieht man von dem allzu winzigen Körper Herrn Flieges ab) beinahe realistischen Geschichte zur immer groteskeren Parabel mit. Das Entscheidende - die feindliche Umwelt, der Tisch, der sich unter dem Essen biegt, die riesige Wampe, die sich Fliege anfrisst - ist groß und vordergründig; was weniger zählt, tritt dagegen auch zurück und dient allenfalls zur Untermalung. Fliege selbst entwickelt sich vom missmutigen Zwerg zum gargantuesk grinsenden Genießer, der sich beim Anblick einer reizenden jungen Dame gar kein Rendezvous mehr erhofft, sondern eine weitere Mahlzeit. All dies unterstreicht noch das karierte Jäckchen, das Fliege anfangs bis zum Hosenbund reichte und nunmehr, eingeklemmt zwischen dem fleischigen Nacken und den Schultern, als einigermaßen mattes Zitat der früheren Winzigkeit dient. Die Zeichnerin macht, das ist ihr großes Verdienst, vor nichts halt, sie lässt ihren Herrn Fliege als lüsternen Giganten über die Stadt kommen wie ein Strafgericht, das Häuserzeilen im Vorüberziehen vernichtet, weil es niemanden gibt, der dafür Rechenschaft fordern könnte. Im Gegenteil: Deutlich wird, wie der beinahe kindliche Wunsch, sich alles einzuverleiben und über alles zu bestimmen, eine Art Eigenleben führt. Gut möglich, dass dieser Machtanspruch noch weit entfernte Flugzeuge zum Absturz oder intakte Autos zur Havarie bringt, bloß aus einer Laune heraus.
Nur dass die Konsequenz daraus, auch das lernen Kinder schnell, eben das Alleinsein ist, das einsame Spiel. Gut also, dass Herr Fliege in seinem Machtrausch ein Mädchen übersehen hat. Die piekst nun so nachdrücklich in seinen Bauch, dass der platzt und alles wieder freigibt, was er zuvor verschlungen hatte. Und auch Herr Fliege selbst, befreit nun von einer Menge Ballast und auch von der Bürde, eine ganze Welt in sich zu tragen, wird wieder das, was er zu Beginn war: klein, ein bisschen schüchtern, aber durchaus mit einem Rest Verwegenheit um den Mund.
Was aus ihm wird, ist unklar und liegt vielleicht auch gar nicht mehr in seiner Hand. Denn das Mädchen Ilse greift, nachdem sie die Welt und auch Herrn Fliege erlöst hat, nach seiner Hand. "Das ist meiner", sagt sie bestimmt. Widersprechen würde ihr da niemand. Schon gar nicht der einsame Herr Fliege.
TILMAN SPRECKELSEN
Maja Bohn: "Die unglaubliche Geschichte des Herrn Fliege". Hinstorff Verlag, Rostock 2006. 48 S., geb., 12,90 [Euro]. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Maßlos: Maja Bohn verschlingt eine ganze Welt
Manche Dinge erstaunen Eltern im gleichen Maße wie deren Kinder, denen sie widerfahren: Woher kommt auf einmal das besondere Bewusstsein für Mein und Dein, dieser Drang, auf dem Spielplatz überdeutlich zu markieren, dass der schöne Bagger keineswegs allen zur Verfügung steht, und dann aber, sind die Eigentumsrechte erst einmal anerkannt, die erstaunlich rasche Bereitschaft, das Plastikauto doch zu verleihen? Und vor allem: Wann hat einer, der alles, was in seiner Reichweite liegt, für sich beansprucht, eigentlich genug?
"Die unglaubliche Geschichte des Herrn Fliege" der Grafikerin Maja Bohn findet zumindest auf die letzte Frage eine überraschende Antwort: Der ausgesprochen mickrige Kurt Fliege wird von seiner Umgebung ignoriert, die Damen, denen er Avancen macht, reagieren bestenfalls genervt, und so beschließt er, sein Leben umzukrempeln. "Nie mehr so einsam, klein und schmächtig" will Fliege sein, stattdessen "groß und mächtig", und der Weg dahin führt nicht etwa über ein Fitness-Studio oder die Hinterzimmer einer Partei, sondern über das heimische Esszimmer. Fliege stopft in sich hinein, was er kriegen kann; dann stillt er, in erheblich größerem Stil, seinen Hunger in den Straßen der Stadt, denn da er bald alle überragt, stellt sich ihm niemand in den Weg. Schließlich macht er auch vor Menschen oder Häusern nicht halt, verschlingt gar die Sonne und ist in einer leeren Welt riesengroß und entsetzlich einsam.
Maja Bohns Illustrationen machen diesen Entwicklungsgang von der anfangs (sieht man von dem allzu winzigen Körper Herrn Flieges ab) beinahe realistischen Geschichte zur immer groteskeren Parabel mit. Das Entscheidende - die feindliche Umwelt, der Tisch, der sich unter dem Essen biegt, die riesige Wampe, die sich Fliege anfrisst - ist groß und vordergründig; was weniger zählt, tritt dagegen auch zurück und dient allenfalls zur Untermalung. Fliege selbst entwickelt sich vom missmutigen Zwerg zum gargantuesk grinsenden Genießer, der sich beim Anblick einer reizenden jungen Dame gar kein Rendezvous mehr erhofft, sondern eine weitere Mahlzeit. All dies unterstreicht noch das karierte Jäckchen, das Fliege anfangs bis zum Hosenbund reichte und nunmehr, eingeklemmt zwischen dem fleischigen Nacken und den Schultern, als einigermaßen mattes Zitat der früheren Winzigkeit dient. Die Zeichnerin macht, das ist ihr großes Verdienst, vor nichts halt, sie lässt ihren Herrn Fliege als lüsternen Giganten über die Stadt kommen wie ein Strafgericht, das Häuserzeilen im Vorüberziehen vernichtet, weil es niemanden gibt, der dafür Rechenschaft fordern könnte. Im Gegenteil: Deutlich wird, wie der beinahe kindliche Wunsch, sich alles einzuverleiben und über alles zu bestimmen, eine Art Eigenleben führt. Gut möglich, dass dieser Machtanspruch noch weit entfernte Flugzeuge zum Absturz oder intakte Autos zur Havarie bringt, bloß aus einer Laune heraus.
Nur dass die Konsequenz daraus, auch das lernen Kinder schnell, eben das Alleinsein ist, das einsame Spiel. Gut also, dass Herr Fliege in seinem Machtrausch ein Mädchen übersehen hat. Die piekst nun so nachdrücklich in seinen Bauch, dass der platzt und alles wieder freigibt, was er zuvor verschlungen hatte. Und auch Herr Fliege selbst, befreit nun von einer Menge Ballast und auch von der Bürde, eine ganze Welt in sich zu tragen, wird wieder das, was er zu Beginn war: klein, ein bisschen schüchtern, aber durchaus mit einem Rest Verwegenheit um den Mund.
Was aus ihm wird, ist unklar und liegt vielleicht auch gar nicht mehr in seiner Hand. Denn das Mädchen Ilse greift, nachdem sie die Welt und auch Herrn Fliege erlöst hat, nach seiner Hand. "Das ist meiner", sagt sie bestimmt. Widersprechen würde ihr da niemand. Schon gar nicht der einsame Herr Fliege.
TILMAN SPRECKELSEN
Maja Bohn: "Die unglaubliche Geschichte des Herrn Fliege". Hinstorff Verlag, Rostock 2006. 48 S., geb., 12,90 [Euro]. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der winzige Herr Fliege, das ist die unglaubliche Geschichte, frisst die ganze Welt auf und zuletzt noch die Sonne. Da sitzt er dann dick und allein im Universum - freilich nicht ganz allein, ein Mädchen hat er übersehen, das ihn in den Bauch piekst. Da platzt der Herr Fliege und die ganze Welt purzelt wieder aus ihm heraus. Als große Stärke der Illustrationen der Grafikerin Maja Bohn preist Rezensent Tilman Spreckelsen, dass sie "vor nichts halt" macht und der Entwicklung Herrn Flieges vom Winzling zum "gargantuesk grinsenden Genießer" mit allem Willen zur Drastik zu folgen bereit ist. Natürlich warnt diese "Parabel", so Spreckelsen, vor dem gierigen Habenwollen und dem Willen zur Macht, der schneller als man denkt für Einsamkeit sorgt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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