Der große Roman über die Sehnsucht nach Unsterblichkeit
In der amerikanischen Kleinstadt Dark Harbor treffen im Supermarkt aufeinander: Johanna Mawet, Molekularbiologin aus Deutschland, die darum ringt, durch genetische Manipulationen den unsterblichen Menschen zu erschaffen, und Johann Wilhelm Ritter, 1776 geborener Romantiker und Physiker, der sich danach sehnt, endlich in Frieden sterben zu dürfen.
Vor dem Hintergrund der heutigen technologischen Möglichkeiten erzählt Thea Dorn von den alten Menschheitsfragen, dem Sinn von Leben und Tod. »Die Unglückseligen« ist ein nachdenklicher Wissenschaftsroman, eine anrührende Liebesgeschichte und großes Welttheater in der langen Tradition des Fauststoffs.
In der amerikanischen Kleinstadt Dark Harbor treffen im Supermarkt aufeinander: Johanna Mawet, Molekularbiologin aus Deutschland, die darum ringt, durch genetische Manipulationen den unsterblichen Menschen zu erschaffen, und Johann Wilhelm Ritter, 1776 geborener Romantiker und Physiker, der sich danach sehnt, endlich in Frieden sterben zu dürfen.
Vor dem Hintergrund der heutigen technologischen Möglichkeiten erzählt Thea Dorn von den alten Menschheitsfragen, dem Sinn von Leben und Tod. »Die Unglückseligen« ist ein nachdenklicher Wissenschaftsroman, eine anrührende Liebesgeschichte und großes Welttheater in der langen Tradition des Fauststoffs.
»Ein Paukenschlag in der deutschen Gegenwartsliteratur. « ARD "Druckfrisch", Denis Scheck
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Was hätte diese Geschichte, die sich ganz der Forschung nach Unsterblichkeit widmet, für ein Potential gehabt, seufzt Rezensent Burkhard Müller. Thea Dorn ist thematisch am Puls der Zeit, weiß eindrucksvoll zu erzählen und scheitert dennoch mit diesem Roman, fährt der Kritiker fort, dem das Buch schlicht zu lang ist. Denn die Autorin packt es mit derart vielen absurden Wendungen voll, dass sich im Verlauf der Lektüre viele der bis dahin relevanten Erträge als redundant erweisen, moniert Müller. Dass die Autorin den hier auftretenden 1776 geborenen Naturforscher Johann Ritter mit einem von ihr eigens zusammengebastelten goethezeitlichen Altfränkisch ausstattet und einige "slapstickhafte" Auftritte, etwa an der Flughafenkontrolle, hinlegen lässt, findet der Rezensent allenfalls sympathisch, und so legt er das Buch nach der Lektüre schließlich ohne größere Nachwehen zur Seite.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2016Wie macht der alte Mann das nur?
Gottes Werk und Teufels Jamben: Thea Dorn sucht nach dem ewigen Leben in der DNA Johann Wilhelm Ritters
Am Anfang mag sie es nicht glauben, am Ende ist sie nur gar zu überzeugt von der wilden Geschichte jenes Fremden, der bei der zufälligen Begegnung mit ihr im Supermarkt schreiend davonrennt. Der seltsam alterslose Mann, der sich John nennt, sei eigentlich der deutsche Physiker Johann Wilhelm Ritter, vertraut er jener Genforscherin an, die ihn so erschreckte, ein Zeitgenosse der Frühromantiker, gar ein Freund von Arnim, Brentano und den Brüdern Schlegel.
Seinen Tod, der laut Wikipedia im Januar 1810 eingetreten sei, habe er damals bloß vorgetäuscht, und auch in den folgenden Jahrhunderten sei er irgendwie am Leben geblieben: Er kämpfte gegen Napoleon, kehrte zurück zu seiner nun neu verheirateten Frau, die sich bis dahin als Witwe fühlte, wurde von seiner Tochter ins Irrenhaus gesteckt und später bei einem Pfarrer exorzistisch traktiert. Er floh nach Jerusalem und lebte als Eremit in der Wüste, suchte die Enden der Welt im Polarmeer und im Himalaya auf, floh wiederum vor den Nationalsozialisten nach Amerika, kam mit der Army zurück nach Deutschland und ging neuerlich in die Vereinigten Staaten, wo er nacheinander als Gefährte älterer Damen lebte, die neben ihm weiter alterten, während er selbst auf wundersame Weise den Zeiten trotzte, bis hinein in unsere unmittelbare Gegenwart, in der die Geschichte spielt.
Es ist dieser letzte Punkt, der ihn für seine Zufallsbegegnung Johanna so attraktiv macht. Einst, so erzählt er, hatte er in der Schlacht einen Arm verloren, der ihm dann langsam nachwuchs, als wäre er ein Axolotl. Nun schneidet er sich zum Beweis in Gegenwart der jungen Forscherin einen Finger ab, der bald darauf nachwächst, und Johanna, die ihre wissenschaftliche Arbeit in den Dienst der Erforschung jener Prozesse gestellt hat, die uns altern und sterben lassen, sieht ihre Chance gekommen: Wenn sie erkennt, was an diesem Mann so anders ist, kann sie, so hofft sie, auch andere Menschen vom Tod erlösen.
Es ist eine interessante Konstellation, die Thea Dorn, studierte Philosophin, Schriftstellerin und Moderatorin, für ihren jetzt erschienenen Roman "Die Unglückseligen" gewählt hat, und namentlich für das Licht, das sie damit auf den beinahe vergessenen Physiker Ritter wirft, wird man ihr dankbar sein. Tatsächlich ist Ritter eine der interessantesten Figuren unter den Wissenschaftlern der Romantik, auch eine der skurrilsten, und seine Schriften, allen voran die "Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers", sind in ihrer Verbindung von Empirie, etwa was die Erforschung der Elektrizität angeht, und Spekulation über das Wesen der Natur eine äußerst erhellende Lektüre. Tatsächlich scheint in diesem Buch, für das Ritter eine Nachlassfiktion als Form wählte, kurz bevor er tatsächlich - wohl als ein Opfer seiner Versuche - starb, einer der Ursprünge für Dorns Roman zu liegen: Was, wenn auch der offizielle Tod ein Täuschungsmanöver des Forschers wäre?
Scharf geschnitten gegen Ritters Forschungen aus der Zeit um 1800, deren Umstände und Ergebnisse immer wieder in Erinnerungspartikeln Ritters aufscheinen, wird im Roman der Erkenntnisdrang der Gegenwart - das Spektrum reicht von der molekularbiologischen Forschung bis zum Okkultimus, dessen Anhänger sich in Internetforen finden, und im Herzen dieser von Johanna betriebenen Entwicklung steht die Rekonstruktion von Ritters Versuchen in der mehr als zweihundert Jahre späteren Gegenwart. Denn Johanna hat über die Analyse von Ritters Genen tatsächlich eine hohe Zahl von Abweichungen gegenüber dem menschlichen Durchschnitt festgestellt, was sie mit seinem biblischen Alter in Verbindung bringt. Als sie dann auch noch recherchiert, dass andere Zeitgenossen Ritters, die ebenfalls den eigenen Körper mit Elektrizität traktierten, auch ein überdurchschnittlich langes Leben führten, will sie diesen Effekt am eigenen Körper herstellen.
Dorn lenkt das Augenmerk dabei auf die Regenerationsfähigkeit des Körpers und umschifft damit tatsächlich manche Klippe - Ritter etwa, der wenig Wert auf Körperhygiene legte und angeblich schon in jungen Jahren reihenweise Zähne verloren haben soll, kann so tatsächlich als attraktiver Beglücker älterer und jüngerer Damen erscheinen, die Zähne jedenfalls sind ihm offenbar nachgewachsen, und auch die Haarwurzeln tun ihre Pflicht. Auch von der Konstellation der beiden Forscher, die, jeder in seiner Zeit verhaftet und doch bereit, aufeinander zuzugehen, profitiert der Roman. Und sei es nur um des pointierten Dissens willen, etwa wenn es um Religion geht: "Wie wäre die geringste Naturerkenntnis bloß möglich gewesen, wenn Gott dem Menschen nicht gestattet, die Hülle forschend zu durchdringen?", fragt Ritter, und Johanna hält dagegen: "Quatsch! Jeden Mikrometer Erkenntnis mussten wir Menschen uns mühsam selbst erkämpfen. Gegen Gottes Willen."
Auch was die Sprache angeht, geht es der Autorin offensichtlich um Gegensätze. Ihre Figuren sprechen nicht nur Dialekte wie Bayerisch, Schwäbisch oder Schlesisch, namentlich die Sätze Ritters tragen Züge, die aus dem Deutsch der Zeit um 1800 entlehnt sind, ein gekürztes Kapitel aus Justinus Kerners "Die Seherin von Prevorst" wird teils fast wörtlich in den Text montiert, und über die Erlebnisse einer kleinen Fledermaus wird im Kinderbuchton berichtet.
Das ist nicht immer geglückt, zumal die Autorin, wie es scheint, keinem Wortspiel widerstehen kann: "Gib doch acht, wohin du trittst, du Schlegel", heißt es einmal, "Binden Sie diese Geschichte einem Bären auf" ein andermal. Am unangenehmsten ist das, wenn sich der Teufel, hier eine prometheische Gestalt und natürlich auf den "Faust"-Stoff verweisend, mit Einwürfen zu Wort meldet: "Huch! Verehrter Leser! Da sind Sie ja! Ich habe Sie gar nicht bemerkt, verzeihen Sie", heißt es zu Beginn, und auch der Protagonist Ritter bleibt nicht unangesprochen: "Ach, Ritter. Sehnst dich nach dem Tod und fürchtest den Teufel" - der dann auch gern in klappernden Jamben spricht, die man am Anfang als netten Verweis auf die Bühnentradition des Stoffes nimmt, dessen Reiz sich allerdings dann doch erschöpft, je gezwungener diese Sprache im Verlauf des Romans erscheint.
So geht das fort und fort, es liegt ein Schmunzeln über dem Buch, ein Augenzwinkern, ein Anstupsen des Lesers, der von dem eifrig Zusammenhänge stiftenden Roman auch permanent auf diese hingewiesen wird, aus Sorge, er könnte sie verpassen. Wer sich daran stört, das Räderwerk klappern zu hören, der ist hier falsch.
TILMAN SPRECKELSEN
Thea Dorn: "Die Unglückseligen". Roman.
Verlag Albrecht Knaus, München 2016. 560 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gottes Werk und Teufels Jamben: Thea Dorn sucht nach dem ewigen Leben in der DNA Johann Wilhelm Ritters
Am Anfang mag sie es nicht glauben, am Ende ist sie nur gar zu überzeugt von der wilden Geschichte jenes Fremden, der bei der zufälligen Begegnung mit ihr im Supermarkt schreiend davonrennt. Der seltsam alterslose Mann, der sich John nennt, sei eigentlich der deutsche Physiker Johann Wilhelm Ritter, vertraut er jener Genforscherin an, die ihn so erschreckte, ein Zeitgenosse der Frühromantiker, gar ein Freund von Arnim, Brentano und den Brüdern Schlegel.
Seinen Tod, der laut Wikipedia im Januar 1810 eingetreten sei, habe er damals bloß vorgetäuscht, und auch in den folgenden Jahrhunderten sei er irgendwie am Leben geblieben: Er kämpfte gegen Napoleon, kehrte zurück zu seiner nun neu verheirateten Frau, die sich bis dahin als Witwe fühlte, wurde von seiner Tochter ins Irrenhaus gesteckt und später bei einem Pfarrer exorzistisch traktiert. Er floh nach Jerusalem und lebte als Eremit in der Wüste, suchte die Enden der Welt im Polarmeer und im Himalaya auf, floh wiederum vor den Nationalsozialisten nach Amerika, kam mit der Army zurück nach Deutschland und ging neuerlich in die Vereinigten Staaten, wo er nacheinander als Gefährte älterer Damen lebte, die neben ihm weiter alterten, während er selbst auf wundersame Weise den Zeiten trotzte, bis hinein in unsere unmittelbare Gegenwart, in der die Geschichte spielt.
Es ist dieser letzte Punkt, der ihn für seine Zufallsbegegnung Johanna so attraktiv macht. Einst, so erzählt er, hatte er in der Schlacht einen Arm verloren, der ihm dann langsam nachwuchs, als wäre er ein Axolotl. Nun schneidet er sich zum Beweis in Gegenwart der jungen Forscherin einen Finger ab, der bald darauf nachwächst, und Johanna, die ihre wissenschaftliche Arbeit in den Dienst der Erforschung jener Prozesse gestellt hat, die uns altern und sterben lassen, sieht ihre Chance gekommen: Wenn sie erkennt, was an diesem Mann so anders ist, kann sie, so hofft sie, auch andere Menschen vom Tod erlösen.
Es ist eine interessante Konstellation, die Thea Dorn, studierte Philosophin, Schriftstellerin und Moderatorin, für ihren jetzt erschienenen Roman "Die Unglückseligen" gewählt hat, und namentlich für das Licht, das sie damit auf den beinahe vergessenen Physiker Ritter wirft, wird man ihr dankbar sein. Tatsächlich ist Ritter eine der interessantesten Figuren unter den Wissenschaftlern der Romantik, auch eine der skurrilsten, und seine Schriften, allen voran die "Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers", sind in ihrer Verbindung von Empirie, etwa was die Erforschung der Elektrizität angeht, und Spekulation über das Wesen der Natur eine äußerst erhellende Lektüre. Tatsächlich scheint in diesem Buch, für das Ritter eine Nachlassfiktion als Form wählte, kurz bevor er tatsächlich - wohl als ein Opfer seiner Versuche - starb, einer der Ursprünge für Dorns Roman zu liegen: Was, wenn auch der offizielle Tod ein Täuschungsmanöver des Forschers wäre?
Scharf geschnitten gegen Ritters Forschungen aus der Zeit um 1800, deren Umstände und Ergebnisse immer wieder in Erinnerungspartikeln Ritters aufscheinen, wird im Roman der Erkenntnisdrang der Gegenwart - das Spektrum reicht von der molekularbiologischen Forschung bis zum Okkultimus, dessen Anhänger sich in Internetforen finden, und im Herzen dieser von Johanna betriebenen Entwicklung steht die Rekonstruktion von Ritters Versuchen in der mehr als zweihundert Jahre späteren Gegenwart. Denn Johanna hat über die Analyse von Ritters Genen tatsächlich eine hohe Zahl von Abweichungen gegenüber dem menschlichen Durchschnitt festgestellt, was sie mit seinem biblischen Alter in Verbindung bringt. Als sie dann auch noch recherchiert, dass andere Zeitgenossen Ritters, die ebenfalls den eigenen Körper mit Elektrizität traktierten, auch ein überdurchschnittlich langes Leben führten, will sie diesen Effekt am eigenen Körper herstellen.
Dorn lenkt das Augenmerk dabei auf die Regenerationsfähigkeit des Körpers und umschifft damit tatsächlich manche Klippe - Ritter etwa, der wenig Wert auf Körperhygiene legte und angeblich schon in jungen Jahren reihenweise Zähne verloren haben soll, kann so tatsächlich als attraktiver Beglücker älterer und jüngerer Damen erscheinen, die Zähne jedenfalls sind ihm offenbar nachgewachsen, und auch die Haarwurzeln tun ihre Pflicht. Auch von der Konstellation der beiden Forscher, die, jeder in seiner Zeit verhaftet und doch bereit, aufeinander zuzugehen, profitiert der Roman. Und sei es nur um des pointierten Dissens willen, etwa wenn es um Religion geht: "Wie wäre die geringste Naturerkenntnis bloß möglich gewesen, wenn Gott dem Menschen nicht gestattet, die Hülle forschend zu durchdringen?", fragt Ritter, und Johanna hält dagegen: "Quatsch! Jeden Mikrometer Erkenntnis mussten wir Menschen uns mühsam selbst erkämpfen. Gegen Gottes Willen."
Auch was die Sprache angeht, geht es der Autorin offensichtlich um Gegensätze. Ihre Figuren sprechen nicht nur Dialekte wie Bayerisch, Schwäbisch oder Schlesisch, namentlich die Sätze Ritters tragen Züge, die aus dem Deutsch der Zeit um 1800 entlehnt sind, ein gekürztes Kapitel aus Justinus Kerners "Die Seherin von Prevorst" wird teils fast wörtlich in den Text montiert, und über die Erlebnisse einer kleinen Fledermaus wird im Kinderbuchton berichtet.
Das ist nicht immer geglückt, zumal die Autorin, wie es scheint, keinem Wortspiel widerstehen kann: "Gib doch acht, wohin du trittst, du Schlegel", heißt es einmal, "Binden Sie diese Geschichte einem Bären auf" ein andermal. Am unangenehmsten ist das, wenn sich der Teufel, hier eine prometheische Gestalt und natürlich auf den "Faust"-Stoff verweisend, mit Einwürfen zu Wort meldet: "Huch! Verehrter Leser! Da sind Sie ja! Ich habe Sie gar nicht bemerkt, verzeihen Sie", heißt es zu Beginn, und auch der Protagonist Ritter bleibt nicht unangesprochen: "Ach, Ritter. Sehnst dich nach dem Tod und fürchtest den Teufel" - der dann auch gern in klappernden Jamben spricht, die man am Anfang als netten Verweis auf die Bühnentradition des Stoffes nimmt, dessen Reiz sich allerdings dann doch erschöpft, je gezwungener diese Sprache im Verlauf des Romans erscheint.
So geht das fort und fort, es liegt ein Schmunzeln über dem Buch, ein Augenzwinkern, ein Anstupsen des Lesers, der von dem eifrig Zusammenhänge stiftenden Roman auch permanent auf diese hingewiesen wird, aus Sorge, er könnte sie verpassen. Wer sich daran stört, das Räderwerk klappern zu hören, der ist hier falsch.
TILMAN SPRECKELSEN
Thea Dorn: "Die Unglückseligen". Roman.
Verlag Albrecht Knaus, München 2016. 560 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main