Zwischen 1961 und 1963 versuchen sich zwanzig europäische Autoren, darunter Enzensberger, Johnson und Elio Vittorini, an einer im wahrsten Sinne des Wortes unerhörten Zeitschrift: Von Schriftstellern gemeinsam verantwortet, mit inhaltsidentischen Übersetzungen in mehrere Sprachen, soll die konsequent internationale »revue de critique totale« einen dritten Weg zwischen littérarture engagée und littérature pure aufzeigen. Auf dem Spiel steht, wenigstens für die französischen Initiatoren um Maurice Blanchot und Dionys Mascolo, nicht weniger als die Vorwegnahme einer kommenden Gemeinschaft im Medium einer politisch-literarischen Zeitschrift. Das Vorhaben blieb ein Plan, dessen Realisierung bis heute aussteht: »Das Scheitern unseres Projektes der internationalen Zeitschrift hat nicht bewiesen, dass es eine Utopie war. Was nicht gelingt, bleibt doch nötig.« Maurice Blanchot (1991)
Roman Schmidt rekonstruiert die in Deutschland wenig bekannte Geschichte der letztlich namenlos gebliebenen »Revue Internationale« vor dem Hintergrund der Veränderungen im intellektuellen Feld in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre. Dabei entsteht nicht nur eine Studie zu einem der radikalsten publizistischen Konzepte des 20. Jahrhunderts, sondern auch ein privilegierter Einblick in die Pariser nichtorthodoxe Linke zur Zeit des Algerienkriegs.
Roman Schmidt rekonstruiert die in Deutschland wenig bekannte Geschichte der letztlich namenlos gebliebenen »Revue Internationale« vor dem Hintergrund der Veränderungen im intellektuellen Feld in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre. Dabei entsteht nicht nur eine Studie zu einem der radikalsten publizistischen Konzepte des 20. Jahrhunderts, sondern auch ein privilegierter Einblick in die Pariser nichtorthodoxe Linke zur Zeit des Algerienkriegs.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2009Bewegtes Denken
Einer Zeitschrift, von der sich zu Recht sagen lässt, ihre Programmatik erinnere an publizistische Experimente der deutschen Frühromantik, wird man kein langes Leben zutrauen. Im Fall des Projekts jener internationalen Zeitschrift, das Anfang der sechziger Jahre in Paris angestoßen wurde, war man noch konsequenter: Es gedieh nur bis zu einer mageren Nullnummer. Denn so hoch waren die in der Gruppe um Dionys Mascolo, Maurice Blanchot, Louis-René des Forêts und andere gehegten Erwartungen an einen wiedererweckten Kommunismus des Geistes im Medium "wesentlich kollektiven" literarischen Austauschs, dass es darüber zu keinem halbwegs tragfähigen Grundriss kam. Was der Verleger Siegfried Unseld in einem Brief an den auf deutscher Seite beteiligten Uwe Johnson als schlicht komisch beschrieb, dass man nämlich ein Gefäß konstruieren wolle, ohne den Inhalt zu kennen - genau darin steckte der utopische Funke, um den es den Parisern ging: Nicht bloß eine weitere Zeitschrift war eben zu gründen, sondern eine "Bewegung des Denkens zu schaffen und aufrechtzuerhalten", wie Mascolo Hans Magnus Enzensberger wissen ließ. Warum dieser Funke nicht zündete, ist zwar leicht zu sehen. Aufschlussreich ist es aber durchaus, in Roman Schmidts Buch nachzulesen, wie der Austausch zwischen den beteiligten französischen, deutschen und italienischen Schriftstellern sich entwickelte. Zumal dazu auch gehört, die politisch-intellektuellen Wurzeln der Pariser Gruppe genauer in den Blick zu nehmen. (Roman Schmidt: "Die unmögliche Gemeinschaft". Maurice Blanchot, die Gruppe der rue Saint-Benoît und die Idee einer internationalen Zeitschrift um 1960. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2009. 163 S., br., 22,50 [Euro].) hmay
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einer Zeitschrift, von der sich zu Recht sagen lässt, ihre Programmatik erinnere an publizistische Experimente der deutschen Frühromantik, wird man kein langes Leben zutrauen. Im Fall des Projekts jener internationalen Zeitschrift, das Anfang der sechziger Jahre in Paris angestoßen wurde, war man noch konsequenter: Es gedieh nur bis zu einer mageren Nullnummer. Denn so hoch waren die in der Gruppe um Dionys Mascolo, Maurice Blanchot, Louis-René des Forêts und andere gehegten Erwartungen an einen wiedererweckten Kommunismus des Geistes im Medium "wesentlich kollektiven" literarischen Austauschs, dass es darüber zu keinem halbwegs tragfähigen Grundriss kam. Was der Verleger Siegfried Unseld in einem Brief an den auf deutscher Seite beteiligten Uwe Johnson als schlicht komisch beschrieb, dass man nämlich ein Gefäß konstruieren wolle, ohne den Inhalt zu kennen - genau darin steckte der utopische Funke, um den es den Parisern ging: Nicht bloß eine weitere Zeitschrift war eben zu gründen, sondern eine "Bewegung des Denkens zu schaffen und aufrechtzuerhalten", wie Mascolo Hans Magnus Enzensberger wissen ließ. Warum dieser Funke nicht zündete, ist zwar leicht zu sehen. Aufschlussreich ist es aber durchaus, in Roman Schmidts Buch nachzulesen, wie der Austausch zwischen den beteiligten französischen, deutschen und italienischen Schriftstellern sich entwickelte. Zumal dazu auch gehört, die politisch-intellektuellen Wurzeln der Pariser Gruppe genauer in den Blick zu nehmen. (Roman Schmidt: "Die unmögliche Gemeinschaft". Maurice Blanchot, die Gruppe der rue Saint-Benoît und die Idee einer internationalen Zeitschrift um 1960. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2009. 163 S., br., 22,50 [Euro].) hmay
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