Die Vereinten Nationen sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf fundamentale Weise mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Sind sie von ihrer Organisationsform her auf Vereinbarungen zwischen einzelnen Staaten angelegt, so zeigt sich inzwischen, dass viele gegenwärtige Probleme zunehmend nichtstaatlichen Charakter und häufig globale Ausmaße haben - der Terrorismus, die Gefährdungen der Umwelt und die Auflösung von staatlicher Souveränität sind nur einige der Schwierigkeiten, mit denen sich die UNO konfrontiert sieht. Klaus Dieter Wolf beschreibt die grundlegenden Strukturen und Aufgaben der Vereinten Nationen in einer sich ändernden Welt und zeigt die wichtigsten Entwicklungen und veränderten Aufgaben auf.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2006Die Einschnürung des Politischen im Multi-Stakeholder-Netz
Hier stürzt die weltbürgerliche Verfassung ab, noch bevor sie formuliert wird: Klaus Dieter Wolf führt in die Vereinten Nationen ein
Prägnant einführende Literatur zur Weltorganisation der Vereinten Nationen (UN) scheint angesichts der Komplexität des Gegenstands eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Der Darmstädter Politikwissenschaftler Klaus Dieter Wolf verbindet profunde Sachkenntnis mit der Fähigkeit, seinen Stoff gut lesbar darzustellen und thesenhaft zuzuspitzen. Schade ist, daß er sich von vornherein auf die Seite eines bestimmten politikwissenschaftlichen Konzeptes der UN schlägt und andere Vorstellungen über die weitere Entwicklung der Vereinten Nationen zu kurz kommen. In einer Einführung zum Thema erscheint solche Zuspitzung als Engführung und muß als Schwäche gewertet werden.
Auf welches Konzept hat sich der Autor festgelegt? Es ist das sogenannte Global-Governance-Konzept, dem zufolge die UN nicht mehr als ein neutrales internationales Verhandlungssystem sein sollen. Unter den Tisch fällt dabei die anspruchsvollere Sicht der UN als Trägerin einer weltbürgerlichen Verfassung im Werden, die, wie Jürgen Habermas gezeigt hat, weder mit der problematischen Vorstellung einer Weltregierung oder eines Weltstaats kurzzuschließen noch einfach in der Vorstellung eines "neutralen" Verhandlungssystems aufzulösen wäre.
Aus der Global-Governance-Perspektive, die in diesem Buch die vorherrschende ist, wird das UN-System als ein institutionalisiertes Geflecht von Verhandlungsforen betrachtet. Dabei sollen Globalisierungsprozesse von Staaten unter zunehmender Einbeziehung privater Akteure gesteuert werden. Grundlage ist die freiwillige Selbstbindung an gemeinsam ausgehandelte Normen und Regeln. Die Teilnahme von nichtstaatlichen Akteuren, für die Wolf plädiert, hänge perspektivisch "nicht mehr primär davon ab, ob sie sich auf ein aus Wahlen hervorgegangenes Mandat stützen können, sondern davon, daß ihre Mitwirkung zu einer möglichst vollständigen Berücksichtigung von Betroffeneninteressen und Sachaspekten beiträgt, damit möglichst ,gute' Entscheidungen getroffen werden können, die nicht zu Lasten Dritter gehen". Diese Abgrenzung von demokratisch formalisierten politischen Mitbestimmungsmöglichkeiten ist allerdings so vage und gutgläubig, wie sie klingt. Zugrunde liegt die harmonistische Annahme, daß es keine grundlegenden Interessengegensätze, keine ungleiche Ressourcenverteilung oder sonstigen asymmetrischen Verhältnisse gibt.
Wolfs zeitdiagnostische Ausgangsthese lautet: Die UN ständen vor dem Eintritt in eine neue Phase. Ihre bisherige Ausrichtung auf die Staatenwelt sei heute mehr denn je in Frage gestellt. Die neuen Leitsterne, auf die es sich zu beziehen gelte, seien jene "grenzüberschreitend tätigen privaten Akteure unterschiedlichster Couleur", erwachsen aus der "Globalisierung des Wirtschaftsgeschehens" sowie aus "ethno-nationalistischen Fragmentierungsprozessen". Doch das ist nun gewiß eine eurozentrisch und ahistorisch überzogene Vorstellung von der gegenwärtigen Krise des Staatensystems. Sie läßt den Leser nach dem (neoliberalen) Wunsch als Vater des Gedankens fragen.
Bei Wolf erscheinen die UN als etwas Konserviertes und inzwischen Anachronistisches. Er stellt sie als eine Art Dinosauerierorganisation den vitalen "Phänomenen" gegenüber, die gerne mit dem Begriff Globalisierung naturalisiert werden. Übersehen wird, daß die UN selbst Ausdruck und Motor einer rasanten völkerrechtlichen Entwicklung sind, in der von Anfang an ein doppelter Bezug auf kollektive Akteure (Staaten) und auf individuelle Akteure (Menschen/Bürger) angelegt ist.
Das klassische Völkerrecht als ein Recht zwischen Staaten bestimmte zwar die Ausgangslage der Charta der Vereinten Nationen. Seinerzeit wurde von einer Gemeinschaft von Staaten ausgegangen, die sich gegenseitig ihre "souveräne Gleichheit" versichern und sich einschränkend auf ein Gewalt- und Interventionsverbot einigen. Aber die UN-Charta ist auch bereits auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 hin angelegt, und schon die Präambel bekräftigt "den Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit". Mit Bezug auf die Möglichkeit des Sicherheitsrates, das Interventionsverbot zu übertreten, nahmen die UN mit verschiedenen Instrumenten frühzeitig die Kompetenz für sich in Anspruch, die Rechte von Bürgern auch gegen deren eigene Regierung in Schutz zu nehmen.
So sind die UN kein alter aufgelaufener Tanker im Strom der Globalisierung, vielmehr verstehen sie sich von Anbeginn auch als Agentur, um die deterritorialisierte Wirtschaft durch eine globale Ordnung zu sichern. Mit der Charta der Vereinten Nationen ist zugleich ein normativer Rahmen gegeben, der es ermöglicht, einer hegemonialen Vereinnahmung des Völkerrechts das Projekt einer politisch verfaßten Weltgesellschaft entgegenzusetzen. In dieser von Wolf marginalsierten weltrechtlichen Perspektive sind die UN auf die mittelbare Legitimierung durch starke Öffentlichkeiten angewiesen. Diese Öffentlichkeiten können allein durch Verfassungsstaaten dem Anspruch nach egalitär organisiert werden.
Nur solche substantielle normative Anbindung an demokratische Legitimationswege ermöglicht das Fortbestehen einer Differenz zwischen Recht und Macht statt deren Angleichung in einem hegemonialen Recht des Stärkeren. Das bedeutet aber, daß die UN an einer Gewaltenteilung im politischen System der Weltgesellschaft festhalten und ihre Möglichkeiten der repäsentativ-parlamentarischen Organisation ausbauen müßten, anstatt diese zugunsten der von Wolf favorisierten "Multi-Stakeholder-Netzwerke" und "dialogischen Politikmuster" in Frage zu stellen. So kommt in diesem Band eine wesentliche These nicht zum Tragen: Der Raum des Politischen sollte vergrößert und nicht durch technokratische Steuerungsmodelle, die scheinbar objektiv-neutral "Effektivität" garantieren, weiter eingeschnürt werden.
UTE KLISSENBAUER
Klaus Dieter Wolf: "Die Uno". Geschichte, Aufgaben, Perspektiven. C.H. Beck Verlag, München 2005. 128 S., br., 7,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hier stürzt die weltbürgerliche Verfassung ab, noch bevor sie formuliert wird: Klaus Dieter Wolf führt in die Vereinten Nationen ein
Prägnant einführende Literatur zur Weltorganisation der Vereinten Nationen (UN) scheint angesichts der Komplexität des Gegenstands eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Der Darmstädter Politikwissenschaftler Klaus Dieter Wolf verbindet profunde Sachkenntnis mit der Fähigkeit, seinen Stoff gut lesbar darzustellen und thesenhaft zuzuspitzen. Schade ist, daß er sich von vornherein auf die Seite eines bestimmten politikwissenschaftlichen Konzeptes der UN schlägt und andere Vorstellungen über die weitere Entwicklung der Vereinten Nationen zu kurz kommen. In einer Einführung zum Thema erscheint solche Zuspitzung als Engführung und muß als Schwäche gewertet werden.
Auf welches Konzept hat sich der Autor festgelegt? Es ist das sogenannte Global-Governance-Konzept, dem zufolge die UN nicht mehr als ein neutrales internationales Verhandlungssystem sein sollen. Unter den Tisch fällt dabei die anspruchsvollere Sicht der UN als Trägerin einer weltbürgerlichen Verfassung im Werden, die, wie Jürgen Habermas gezeigt hat, weder mit der problematischen Vorstellung einer Weltregierung oder eines Weltstaats kurzzuschließen noch einfach in der Vorstellung eines "neutralen" Verhandlungssystems aufzulösen wäre.
Aus der Global-Governance-Perspektive, die in diesem Buch die vorherrschende ist, wird das UN-System als ein institutionalisiertes Geflecht von Verhandlungsforen betrachtet. Dabei sollen Globalisierungsprozesse von Staaten unter zunehmender Einbeziehung privater Akteure gesteuert werden. Grundlage ist die freiwillige Selbstbindung an gemeinsam ausgehandelte Normen und Regeln. Die Teilnahme von nichtstaatlichen Akteuren, für die Wolf plädiert, hänge perspektivisch "nicht mehr primär davon ab, ob sie sich auf ein aus Wahlen hervorgegangenes Mandat stützen können, sondern davon, daß ihre Mitwirkung zu einer möglichst vollständigen Berücksichtigung von Betroffeneninteressen und Sachaspekten beiträgt, damit möglichst ,gute' Entscheidungen getroffen werden können, die nicht zu Lasten Dritter gehen". Diese Abgrenzung von demokratisch formalisierten politischen Mitbestimmungsmöglichkeiten ist allerdings so vage und gutgläubig, wie sie klingt. Zugrunde liegt die harmonistische Annahme, daß es keine grundlegenden Interessengegensätze, keine ungleiche Ressourcenverteilung oder sonstigen asymmetrischen Verhältnisse gibt.
Wolfs zeitdiagnostische Ausgangsthese lautet: Die UN ständen vor dem Eintritt in eine neue Phase. Ihre bisherige Ausrichtung auf die Staatenwelt sei heute mehr denn je in Frage gestellt. Die neuen Leitsterne, auf die es sich zu beziehen gelte, seien jene "grenzüberschreitend tätigen privaten Akteure unterschiedlichster Couleur", erwachsen aus der "Globalisierung des Wirtschaftsgeschehens" sowie aus "ethno-nationalistischen Fragmentierungsprozessen". Doch das ist nun gewiß eine eurozentrisch und ahistorisch überzogene Vorstellung von der gegenwärtigen Krise des Staatensystems. Sie läßt den Leser nach dem (neoliberalen) Wunsch als Vater des Gedankens fragen.
Bei Wolf erscheinen die UN als etwas Konserviertes und inzwischen Anachronistisches. Er stellt sie als eine Art Dinosauerierorganisation den vitalen "Phänomenen" gegenüber, die gerne mit dem Begriff Globalisierung naturalisiert werden. Übersehen wird, daß die UN selbst Ausdruck und Motor einer rasanten völkerrechtlichen Entwicklung sind, in der von Anfang an ein doppelter Bezug auf kollektive Akteure (Staaten) und auf individuelle Akteure (Menschen/Bürger) angelegt ist.
Das klassische Völkerrecht als ein Recht zwischen Staaten bestimmte zwar die Ausgangslage der Charta der Vereinten Nationen. Seinerzeit wurde von einer Gemeinschaft von Staaten ausgegangen, die sich gegenseitig ihre "souveräne Gleichheit" versichern und sich einschränkend auf ein Gewalt- und Interventionsverbot einigen. Aber die UN-Charta ist auch bereits auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 hin angelegt, und schon die Präambel bekräftigt "den Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit". Mit Bezug auf die Möglichkeit des Sicherheitsrates, das Interventionsverbot zu übertreten, nahmen die UN mit verschiedenen Instrumenten frühzeitig die Kompetenz für sich in Anspruch, die Rechte von Bürgern auch gegen deren eigene Regierung in Schutz zu nehmen.
So sind die UN kein alter aufgelaufener Tanker im Strom der Globalisierung, vielmehr verstehen sie sich von Anbeginn auch als Agentur, um die deterritorialisierte Wirtschaft durch eine globale Ordnung zu sichern. Mit der Charta der Vereinten Nationen ist zugleich ein normativer Rahmen gegeben, der es ermöglicht, einer hegemonialen Vereinnahmung des Völkerrechts das Projekt einer politisch verfaßten Weltgesellschaft entgegenzusetzen. In dieser von Wolf marginalsierten weltrechtlichen Perspektive sind die UN auf die mittelbare Legitimierung durch starke Öffentlichkeiten angewiesen. Diese Öffentlichkeiten können allein durch Verfassungsstaaten dem Anspruch nach egalitär organisiert werden.
Nur solche substantielle normative Anbindung an demokratische Legitimationswege ermöglicht das Fortbestehen einer Differenz zwischen Recht und Macht statt deren Angleichung in einem hegemonialen Recht des Stärkeren. Das bedeutet aber, daß die UN an einer Gewaltenteilung im politischen System der Weltgesellschaft festhalten und ihre Möglichkeiten der repäsentativ-parlamentarischen Organisation ausbauen müßten, anstatt diese zugunsten der von Wolf favorisierten "Multi-Stakeholder-Netzwerke" und "dialogischen Politikmuster" in Frage zu stellen. So kommt in diesem Band eine wesentliche These nicht zum Tragen: Der Raum des Politischen sollte vergrößert und nicht durch technokratische Steuerungsmodelle, die scheinbar objektiv-neutral "Effektivität" garantieren, weiter eingeschnürt werden.
UTE KLISSENBAUER
Klaus Dieter Wolf: "Die Uno". Geschichte, Aufgaben, Perspektiven. C.H. Beck Verlag, München 2005. 128 S., br., 7,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ute Klissenbauer gibt zwar zu, dass der Politikwissenschaftler Klaus Dieter Wolf über eine "profunde Sachkenntnis" und über die Fähigkeit verfügt, "seinen Stoff gut lesbar darzustellen". Trotzdem ist sie mit dieser Einführung in das System der Vereinten Nationen überhaupt nicht einverstanden, was vor allem daran liegt, dass sich ihre Vorstellungen von der Weltgemeinschaft erheblich von Wolfs unterscheiden. Als Schwäche wertet Klissenbauer daher, dass der Autor seine Darstellung so eng an seinen eigenen Konzepten führt, obwohl sein Buch eine Einführung zum Thema sein will. Wolf sieht in der Uno nicht mehr als ein "neutrales internationales Verhandlungssystem", ein "institutionalisiertes Geflecht von Verhandlungsforen", beklagt die Rezensentin, die selbst die Uno als "weltbürgerliche Verfassung im Werden" begreift, die auch Raum für das Politische lässt und nicht nur "scheinbar objektiv-neutrale" Effizient gewährleisten soll.
© Perlentaucher Medien GmbH
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