In Blumenthals Geschichtspanorama spiegeln sich über 300 Jahre deutsch-jüdischen Zusammen-Lebens. Anhand von sieben ungewöhnlichen Einzelschicksalen können in Michael Blumenthals Buch sieben unterschiedliche Lebensläufe nachvollzogen werden, denen der Autor eine Deutung der deutsch-jüdischen Lebensgemeinschaft und ihres katastrophalen Endes zur Seite stellt. Die ausgewählten Personen sind: Jost Liebmann, Rahel Varnhagen, Giacomo Meyerbeer, Louis Blumenthal, Arthur Eloesser, Ewald Blumenthal, Michaels Vater, und schließlich Michael Blumenthal selbst.
Der Urahn Jost Liebmann hatte im 17. Jahrhundert als armer jüdischer Außenseiter ohne Bürgerrecht angefangen und sich zum Hofjuwelier des brandenburgischen Adels emporgearbeitet. Der Vater des Autors, Ewald Blumenthal erlebte den Zenit jüdischen Lebens in Deutschland und seinen Untergang. Er hatte im Ersten Weltkrieg für sein Vaterland gekämpft und das Eiserne Kreuz vom Kaiser erhalten - und er war in Buchenwald gewesen.
Michael Blumenthal erzählt in sieben Lebensläufen - darunter dem der tragisch-kämpferischen Rahel Varnhagen und des vom Hass Richard Wagners verfolgten Giacomo Meyerbeer - die Geschichte des gemeinsamen Schicksals von jüdischen und nichtjüdischen Deutschen. Authentisch, anrührend und unmittelbar wie kaum je zuvor tritt hier die Dramatik und Widersprüchlichkeit, die Versöhnung und die unüberwindliche Trennung in der deutsch-jüdische Lebensgemeinschaft vor Augen.
»Michael Blumenthals 'Unsichtbare Mauer' ist eines der eindrucksvollsten Bücher, die ich seit langem gelesen habe. Seine Bedeutung liegt nicht nur in der Darstellung jüdischer Geschichte, sondern auch darin, daß die gesellschaftliche Entwicklung Europas überhaupt vor Augen tritt.«
Henry Kissinger
»Ein deutsch-amerikanischer Jude, frei von jedem Revisionismus- Verdacht, kann in seiner Komplexität beschreiben, was für viele Deutsche immer noch ein schwer zu zerschlagender Knoten aus Schuld, Selbsthass, Verteidigung und Philo-Semitismus ist: Der Platz, den Juden in Deutschland vor dem Holocaust einnahmen.«
Der Spiegel
Der Urahn Jost Liebmann hatte im 17. Jahrhundert als armer jüdischer Außenseiter ohne Bürgerrecht angefangen und sich zum Hofjuwelier des brandenburgischen Adels emporgearbeitet. Der Vater des Autors, Ewald Blumenthal erlebte den Zenit jüdischen Lebens in Deutschland und seinen Untergang. Er hatte im Ersten Weltkrieg für sein Vaterland gekämpft und das Eiserne Kreuz vom Kaiser erhalten - und er war in Buchenwald gewesen.
Michael Blumenthal erzählt in sieben Lebensläufen - darunter dem der tragisch-kämpferischen Rahel Varnhagen und des vom Hass Richard Wagners verfolgten Giacomo Meyerbeer - die Geschichte des gemeinsamen Schicksals von jüdischen und nichtjüdischen Deutschen. Authentisch, anrührend und unmittelbar wie kaum je zuvor tritt hier die Dramatik und Widersprüchlichkeit, die Versöhnung und die unüberwindliche Trennung in der deutsch-jüdische Lebensgemeinschaft vor Augen.
»Michael Blumenthals 'Unsichtbare Mauer' ist eines der eindrucksvollsten Bücher, die ich seit langem gelesen habe. Seine Bedeutung liegt nicht nur in der Darstellung jüdischer Geschichte, sondern auch darin, daß die gesellschaftliche Entwicklung Europas überhaupt vor Augen tritt.«
Henry Kissinger
»Ein deutsch-amerikanischer Jude, frei von jedem Revisionismus- Verdacht, kann in seiner Komplexität beschreiben, was für viele Deutsche immer noch ein schwer zu zerschlagender Knoten aus Schuld, Selbsthass, Verteidigung und Philo-Semitismus ist: Der Platz, den Juden in Deutschland vor dem Holocaust einnahmen.«
Der Spiegel
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2000Mauer im Wald
Eine Mauer, die spazieren geht: Für den Landart-Künstler Andy Goldsworthy bilden die steinernen Gebilde keine starren Grenzen, die Grundstücke trennen oder gar Frontlinien zwischen verfeindeten Nachbarn bilden. Goldsworthy macht die Mauern beweglich und lebendig – er schickt sie auf Wanderschaft. Sie laufen über Hügel und Täler, tauchen in Seen ein und legen sich in üppigen Kurven um die Baumstämme eines Waldes. Aus der Schlangenform von Goldworthys Mauern spricht „Respekt vor der Priorität der Bäume, die vor ihnen da waren”, meint der Kunstkritiker Kenneth Baker. Goldworthys 760 Meter lange Steinmauer im Skulpturenpark des Storm King Art Center im Staat New York ist die Hauptattraktion seines Buches mit dem einfachen Titel Mauer, das bei Zweitausendeins erschien (60 Farbfotos, 94 S. , 33 Mark).
ajh/Foto: Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Eine Mauer, die spazieren geht: Für den Landart-Künstler Andy Goldsworthy bilden die steinernen Gebilde keine starren Grenzen, die Grundstücke trennen oder gar Frontlinien zwischen verfeindeten Nachbarn bilden. Goldsworthy macht die Mauern beweglich und lebendig – er schickt sie auf Wanderschaft. Sie laufen über Hügel und Täler, tauchen in Seen ein und legen sich in üppigen Kurven um die Baumstämme eines Waldes. Aus der Schlangenform von Goldworthys Mauern spricht „Respekt vor der Priorität der Bäume, die vor ihnen da waren”, meint der Kunstkritiker Kenneth Baker. Goldworthys 760 Meter lange Steinmauer im Skulpturenpark des Storm King Art Center im Staat New York ist die Hauptattraktion seines Buches mit dem einfachen Titel Mauer, das bei Zweitausendeins erschien (60 Farbfotos, 94 S. , 33 Mark).
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.1999Rahels Geliebter macht auf dem Absatz kehrt
Von Berlin nach Schanghai und zurück: Michael Blumenthal eilt durch die Geschichte seiner Familie / Von Heinrich Wefing
Man darf sich den Morgen des 24. September 1947 getrost als imaginäre Filmsequenz ausmalen, auf der Tonspur unterlegt von Geigen. "Die Luft war frisch und rein, am blauen Himmel war kein einziges Wölkchen zu sehen. Wir waren schon vor Tagesanbruch aufgestanden und drängten uns nun an der Reling, als das Schiff durchs Golden Gate in die Bucht von San Francisco einlief. Kann man sich einen herrlicheren Blick auf die Vereinigten Staaten vorstellen?"
Michael Blumenthal wird die ganz und gar reale Märchenszenerie der Ankunft gewiß nicht vergessen. Mit seinen Eltern von den Nazis aus Deutschland vertrieben, im chinesischen Exil acht Jahre lang bestenfalls geduldet, steht ihm das Golden Gate, stehen Kalifornien und Amerika für einen Traum. Nach siebzehntägiger Überfahrt beginnt für den staatenlosen Einundzwanzigjährigen ein neues Leben, das ihm Wohlstand, Prestige und ein Regierungsamt einbringen wird. Im Rückblick des heute zweiundsiebzig Jahre alten Blumenthal freilich scheint im Antlitz des mageren Immigranten, der er einmal war, vor allem das Ebenbild seines Vorfahren Jost auf, der dreihundert Jahre zuvor ebenfalls mit nichts als der Hoffnung auf eine Heimat in einem unbekannten Land angekommen war - in Brandenburg.
Der amerikanische Traum vom Habenichts, der zum Finanzminister wird, ist aus dem deutschen Albtraum geboren. Was in den Vereinigten Staaten in kaum einer Generation gelang, ist in Preußen nie geglückt: die fugenlose Integration der Juden in die Gesellschaft. Über diesen Mißerfolg hat Blumenthal ein Buch geschrieben. Es ist die genealogische Spurensuche eines erfolgreichen Mannes, der noch nicht alt ist, aber alt genug, um Bilanz zu ziehen. Immer wieder gleicht seine Privatforschung einem Bericht für die Enkel und Urenkel daheim in Princeton, die eines Tages fragen werden, was denn da in Deutschland geschehen ist. Blumenthal bedient sich dazu einer einfachen, aber eingängigen Perspektive: Er erzählt Lebensgeschichten, er blättert ein deutsches Familienalbum eigener Art auf.
Sechs Vorfahren, näher oder weitläufiger mit dem Autor verwandt, betrachtet er. Es finden sich imposante Namen in dieser Ahnengalerie: Rahel Varnhagen von Ense, geborene Levin, und Giacomo Meyerbeer, aber auch Arthur Eloesser, der Feuilletonist und Theaterkritiker der "Vossischen Zeitung". Entstanden sind sechs Protokolle individueller Versuche, gesellschaftliche Grenzen zu überwinden, sechs Studien des Scheiterns. Dabei sind es, mindestens ökonomisch betrachtet, beinahe ausschließlich Erfolgsgeschichten, die Blumenthal erzählt: vom Hausierer zum Hofjuwelier, vom Kurzwarenhändler zum Großkaufmann, vom Waisenknaben zum Eisenbahnkönig.
Zur Prosperität gesellte sich schließlich auch die juristische Gleichstellung, eingeleitet mit dem Emanzipationsedikt von 1812, der - so Blumenthal - "Magna Carta" des Judentums in Preußen. Was hingegen immer, bis zum Ende fehlte, war die gesellschaftliche Anerkennung. Weder die Taufe noch die Ehe mit einem Christen von Stand, nicht Vermögen, Intelligenz, Tapferkeit an der Front oder ein Namenswechsel halfen, die "unsichtbare Mauer" des Buchtitels zu überwinden. So ist Blumenthals Familiengeschichte denn auch ein Buch der Schmähungen, eine Enzyklopädie der Schikanen, ein Index der Sondersteuern und Abgaben, die den Juden auferlegt wurden - und eine Chronik der immer heftigeren Zuneigung eben dieser Juden zu einem Land, das ihnen viele Chancen bot, ihre Liebe aber nie erwiderte. Hermann Cohen, der Marburger Neukantianer, notierte 1880 über die antisemitischen Attacken Heinrich von Treitschkes: "Wir Jüngeren hätten wohl hoffen dürfen, daß es uns allmählich gelingen würde, in die ,Nation Kants' uns einzuleben. Dieses Vertrauen ist uns genommen, die alte Beklommenheit wird wieder geweckt." Sie sollte nie verschwinden.
Wie aber reagierten Menschen, die sich entschieden als Deutsche fühlten und dennoch jahrhundertelang als Außenseiter oder Sündenböcke galten? Gaben sie sich stolz oder übten sie sich in Nachsicht? Blumenthal skizziert die Dialektik von Anziehung und Abstoßung durchaus anschaulich, faktenreich bis zur gelegentlichen Pedanterie, eher berichtend denn zuspitzend, eher anekdotisch denn analytisch. Mitunter schleicht sich auch eine gewisse Neigung zur - anfechtbaren - Diagnose vermeintlicher Nationalcharaktere ein: "Daß Deutsche und Juden vieles gemeinsam hatten, war eine der Hauptursachen für den spektakulären schnellen Aufstieg der Juden. Beide hatten große Hochachtung vor Bildung und intellektuellen Leistungen, und beide glaubten an das Ethos harter Arbeit. Deutsche wie Juden schätzten eine Gesellschaft, in der Recht, Ordnung und ein ausgeprägtes Autoritätsempfinden herrschten."
Ärgerlich ist die ungelenke Übersetzung. Regelmäßig werden da irgendwelche "Erfolgsleitern" erklommen, hängen Schicksale an "seidenen Fäden", wechselt so einiges für "einen Apfel und ein Ei" den Besitzer. Auf Neugier darf das Buch der Person des Autors wegen rechnen. Blumenthal ist Direktor des Jüdischen Museums zu Berlin. Er ist im Alter in die Stadt seiner Vorfahren zurückgekehrt, wo er als Retter erwartet und wie Kennedy empfangen wurde. Blumenthals Berufung hat dem umstrittenen Projekt ein international bekanntes Gesicht gegeben. Der diplomatisch versierte Industriemanager hat die auf Regionalgeschichte begrenzte Mission des Museums ohne Verzug für überholt erklärt und damit die Institution kraft seiner Reputation aus dem vergifteten Durcheinander der Berliner Lokalpolitik gezogen.
Eben deshalb ist "Die unsichtbare Mauer" über die individuelle Selbstvergewisserung eines aktiven Ruheständlers hinaus auch so etwas wie der Entwurf einer Programmschrift geworden; zumindest wird sie in Deutschland so gelesen werden. Das Buch versucht einen beständigen Blickwechsel, der mittelbar auch den geplanten Ausstellungen des Jüdischen Museums zum Vorbild dienen könnte. Blumenthal rekonstruiert nicht bloß das Bild, das sich die Mehrheit von der Minderheit gemacht hat. Der amerikanische Freund sieht die deutsch-jüdischen Lebenswelten aber auch nicht nur mit den Augen seiner Vorfahren, also mit den Augen von Ausgeschlossenen, um Anerkennung Ringenden, zwischen Isolation und Integration Schwankenden. Er bemüht sich vielmehr um eine permanente Verschränkung der Perspektiven.
Frei von allem theoretischen Ballast collagiert Blumenthal, der gleich eingangs bekennt, kein Historiker zu sein, aus Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, aus Anekdoten und Porträts Epochenbilder. Er frönt dabei einer Vorliebe für bizarre Details, wie die massivgoldene Schatulle, in der die Nabelschnur des Soldatenkönigs verwahrt wurde - und doch bleiben die Panoramen über weite Strecken blaß.
Das längste Kapitel ist Rahel Varnhagen von Ense gewidmet und ihrem Willen, so Blumenthals sehr heutige Formulierung, "sich in der deutschen Kulturszene zu etablieren". Natürlich ist der Salon der Varnhagen Legende, und Neues erfährt man darüber bei Blumenthal nicht. Ein Absatz für die Liaison mit Karl Graf von Finckenstein muß genügen. Ein Absatz auch für die Verwandlung von Rahels "Dachstübchen" in der Jägerstraße in ein Zentrum der berlinischen Gesellschaft, in eine "Republik des freien Geistes". Wie das möglich war, bleibt unscharf. Blumenthal beläßt es bei knappen Begründungen: Die Varnhagen "konnte gut zuhören, geschickt Konversation machen und war jederzeit bereit, Fragen der individuellen Psychologie und intime Gefühle ihres Gegenübers zu erörtern". Das genügte offenbar, um Menschen wie die Gebrüder Humboldt oder Friedrich von Gentz anzulocken. Jedenfalls, so notiert Blumenthal weiter, mußte schon bald "Lisa, Rahels Hausmädchen, einem immer größer werdenden Kreis Tee servieren".
So lakonisch referiert das Buch. Farben, Atmosphäre, Schattierungen haben kaum Platz neben dem Faktenapparat. Allzu häufig sind die Lebensläufe kaum mehr als statistisches Material, das zum Beleg von Blumenthals wieder und wieder formulierter These dient: "Der Anerkennung der Juden waren Grenzen gesetzt, vor ihrer vollen Integration in die Gesellschaft standen unsichtbare, aber darum nicht weniger reale Mauern."
Was nach Krieg und Völkermord aus diesen Mauern geworden ist, das erörtert Blumenthal nicht. Sein Buch endet mit der Katastrophe, der er selbst und seine Eltern glücklich nach Shanghai entkommen sind. Die Geschichte einer in Deutschland nie vollkommen gelungenen Assimilation klingt aus mit der Beschreibung einer perfekten Anverwandlung, der Wiedergeburt des Michael Blumenthal aus Oranienburg als Amerikaner. Als Präsident Carter ihn ins Kabinett berief, bemerkte sein Vater: "In Deutschland, dem Land deiner Geburt, hättest du das als Jude nie geschafft."
Michael Blumenthal: "Die unsichtbare Mauer". Die dreihundertjährige Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Heuss. Carl Hanser Verlag, München 1999. 320 S., geb., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von Berlin nach Schanghai und zurück: Michael Blumenthal eilt durch die Geschichte seiner Familie / Von Heinrich Wefing
Man darf sich den Morgen des 24. September 1947 getrost als imaginäre Filmsequenz ausmalen, auf der Tonspur unterlegt von Geigen. "Die Luft war frisch und rein, am blauen Himmel war kein einziges Wölkchen zu sehen. Wir waren schon vor Tagesanbruch aufgestanden und drängten uns nun an der Reling, als das Schiff durchs Golden Gate in die Bucht von San Francisco einlief. Kann man sich einen herrlicheren Blick auf die Vereinigten Staaten vorstellen?"
Michael Blumenthal wird die ganz und gar reale Märchenszenerie der Ankunft gewiß nicht vergessen. Mit seinen Eltern von den Nazis aus Deutschland vertrieben, im chinesischen Exil acht Jahre lang bestenfalls geduldet, steht ihm das Golden Gate, stehen Kalifornien und Amerika für einen Traum. Nach siebzehntägiger Überfahrt beginnt für den staatenlosen Einundzwanzigjährigen ein neues Leben, das ihm Wohlstand, Prestige und ein Regierungsamt einbringen wird. Im Rückblick des heute zweiundsiebzig Jahre alten Blumenthal freilich scheint im Antlitz des mageren Immigranten, der er einmal war, vor allem das Ebenbild seines Vorfahren Jost auf, der dreihundert Jahre zuvor ebenfalls mit nichts als der Hoffnung auf eine Heimat in einem unbekannten Land angekommen war - in Brandenburg.
Der amerikanische Traum vom Habenichts, der zum Finanzminister wird, ist aus dem deutschen Albtraum geboren. Was in den Vereinigten Staaten in kaum einer Generation gelang, ist in Preußen nie geglückt: die fugenlose Integration der Juden in die Gesellschaft. Über diesen Mißerfolg hat Blumenthal ein Buch geschrieben. Es ist die genealogische Spurensuche eines erfolgreichen Mannes, der noch nicht alt ist, aber alt genug, um Bilanz zu ziehen. Immer wieder gleicht seine Privatforschung einem Bericht für die Enkel und Urenkel daheim in Princeton, die eines Tages fragen werden, was denn da in Deutschland geschehen ist. Blumenthal bedient sich dazu einer einfachen, aber eingängigen Perspektive: Er erzählt Lebensgeschichten, er blättert ein deutsches Familienalbum eigener Art auf.
Sechs Vorfahren, näher oder weitläufiger mit dem Autor verwandt, betrachtet er. Es finden sich imposante Namen in dieser Ahnengalerie: Rahel Varnhagen von Ense, geborene Levin, und Giacomo Meyerbeer, aber auch Arthur Eloesser, der Feuilletonist und Theaterkritiker der "Vossischen Zeitung". Entstanden sind sechs Protokolle individueller Versuche, gesellschaftliche Grenzen zu überwinden, sechs Studien des Scheiterns. Dabei sind es, mindestens ökonomisch betrachtet, beinahe ausschließlich Erfolgsgeschichten, die Blumenthal erzählt: vom Hausierer zum Hofjuwelier, vom Kurzwarenhändler zum Großkaufmann, vom Waisenknaben zum Eisenbahnkönig.
Zur Prosperität gesellte sich schließlich auch die juristische Gleichstellung, eingeleitet mit dem Emanzipationsedikt von 1812, der - so Blumenthal - "Magna Carta" des Judentums in Preußen. Was hingegen immer, bis zum Ende fehlte, war die gesellschaftliche Anerkennung. Weder die Taufe noch die Ehe mit einem Christen von Stand, nicht Vermögen, Intelligenz, Tapferkeit an der Front oder ein Namenswechsel halfen, die "unsichtbare Mauer" des Buchtitels zu überwinden. So ist Blumenthals Familiengeschichte denn auch ein Buch der Schmähungen, eine Enzyklopädie der Schikanen, ein Index der Sondersteuern und Abgaben, die den Juden auferlegt wurden - und eine Chronik der immer heftigeren Zuneigung eben dieser Juden zu einem Land, das ihnen viele Chancen bot, ihre Liebe aber nie erwiderte. Hermann Cohen, der Marburger Neukantianer, notierte 1880 über die antisemitischen Attacken Heinrich von Treitschkes: "Wir Jüngeren hätten wohl hoffen dürfen, daß es uns allmählich gelingen würde, in die ,Nation Kants' uns einzuleben. Dieses Vertrauen ist uns genommen, die alte Beklommenheit wird wieder geweckt." Sie sollte nie verschwinden.
Wie aber reagierten Menschen, die sich entschieden als Deutsche fühlten und dennoch jahrhundertelang als Außenseiter oder Sündenböcke galten? Gaben sie sich stolz oder übten sie sich in Nachsicht? Blumenthal skizziert die Dialektik von Anziehung und Abstoßung durchaus anschaulich, faktenreich bis zur gelegentlichen Pedanterie, eher berichtend denn zuspitzend, eher anekdotisch denn analytisch. Mitunter schleicht sich auch eine gewisse Neigung zur - anfechtbaren - Diagnose vermeintlicher Nationalcharaktere ein: "Daß Deutsche und Juden vieles gemeinsam hatten, war eine der Hauptursachen für den spektakulären schnellen Aufstieg der Juden. Beide hatten große Hochachtung vor Bildung und intellektuellen Leistungen, und beide glaubten an das Ethos harter Arbeit. Deutsche wie Juden schätzten eine Gesellschaft, in der Recht, Ordnung und ein ausgeprägtes Autoritätsempfinden herrschten."
Ärgerlich ist die ungelenke Übersetzung. Regelmäßig werden da irgendwelche "Erfolgsleitern" erklommen, hängen Schicksale an "seidenen Fäden", wechselt so einiges für "einen Apfel und ein Ei" den Besitzer. Auf Neugier darf das Buch der Person des Autors wegen rechnen. Blumenthal ist Direktor des Jüdischen Museums zu Berlin. Er ist im Alter in die Stadt seiner Vorfahren zurückgekehrt, wo er als Retter erwartet und wie Kennedy empfangen wurde. Blumenthals Berufung hat dem umstrittenen Projekt ein international bekanntes Gesicht gegeben. Der diplomatisch versierte Industriemanager hat die auf Regionalgeschichte begrenzte Mission des Museums ohne Verzug für überholt erklärt und damit die Institution kraft seiner Reputation aus dem vergifteten Durcheinander der Berliner Lokalpolitik gezogen.
Eben deshalb ist "Die unsichtbare Mauer" über die individuelle Selbstvergewisserung eines aktiven Ruheständlers hinaus auch so etwas wie der Entwurf einer Programmschrift geworden; zumindest wird sie in Deutschland so gelesen werden. Das Buch versucht einen beständigen Blickwechsel, der mittelbar auch den geplanten Ausstellungen des Jüdischen Museums zum Vorbild dienen könnte. Blumenthal rekonstruiert nicht bloß das Bild, das sich die Mehrheit von der Minderheit gemacht hat. Der amerikanische Freund sieht die deutsch-jüdischen Lebenswelten aber auch nicht nur mit den Augen seiner Vorfahren, also mit den Augen von Ausgeschlossenen, um Anerkennung Ringenden, zwischen Isolation und Integration Schwankenden. Er bemüht sich vielmehr um eine permanente Verschränkung der Perspektiven.
Frei von allem theoretischen Ballast collagiert Blumenthal, der gleich eingangs bekennt, kein Historiker zu sein, aus Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, aus Anekdoten und Porträts Epochenbilder. Er frönt dabei einer Vorliebe für bizarre Details, wie die massivgoldene Schatulle, in der die Nabelschnur des Soldatenkönigs verwahrt wurde - und doch bleiben die Panoramen über weite Strecken blaß.
Das längste Kapitel ist Rahel Varnhagen von Ense gewidmet und ihrem Willen, so Blumenthals sehr heutige Formulierung, "sich in der deutschen Kulturszene zu etablieren". Natürlich ist der Salon der Varnhagen Legende, und Neues erfährt man darüber bei Blumenthal nicht. Ein Absatz für die Liaison mit Karl Graf von Finckenstein muß genügen. Ein Absatz auch für die Verwandlung von Rahels "Dachstübchen" in der Jägerstraße in ein Zentrum der berlinischen Gesellschaft, in eine "Republik des freien Geistes". Wie das möglich war, bleibt unscharf. Blumenthal beläßt es bei knappen Begründungen: Die Varnhagen "konnte gut zuhören, geschickt Konversation machen und war jederzeit bereit, Fragen der individuellen Psychologie und intime Gefühle ihres Gegenübers zu erörtern". Das genügte offenbar, um Menschen wie die Gebrüder Humboldt oder Friedrich von Gentz anzulocken. Jedenfalls, so notiert Blumenthal weiter, mußte schon bald "Lisa, Rahels Hausmädchen, einem immer größer werdenden Kreis Tee servieren".
So lakonisch referiert das Buch. Farben, Atmosphäre, Schattierungen haben kaum Platz neben dem Faktenapparat. Allzu häufig sind die Lebensläufe kaum mehr als statistisches Material, das zum Beleg von Blumenthals wieder und wieder formulierter These dient: "Der Anerkennung der Juden waren Grenzen gesetzt, vor ihrer vollen Integration in die Gesellschaft standen unsichtbare, aber darum nicht weniger reale Mauern."
Was nach Krieg und Völkermord aus diesen Mauern geworden ist, das erörtert Blumenthal nicht. Sein Buch endet mit der Katastrophe, der er selbst und seine Eltern glücklich nach Shanghai entkommen sind. Die Geschichte einer in Deutschland nie vollkommen gelungenen Assimilation klingt aus mit der Beschreibung einer perfekten Anverwandlung, der Wiedergeburt des Michael Blumenthal aus Oranienburg als Amerikaner. Als Präsident Carter ihn ins Kabinett berief, bemerkte sein Vater: "In Deutschland, dem Land deiner Geburt, hättest du das als Jude nie geschafft."
Michael Blumenthal: "Die unsichtbare Mauer". Die dreihundertjährige Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Heuss. Carl Hanser Verlag, München 1999. 320 S., geb., 49,80 DM.
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