Hans Dieter Schäfer notiert Beobachtungen, Erfahrungen, Erinnerungen, Assoziationen. Es sind Erkundungsgänge in die Welt und ins eigene Ich. Ob Hans Dieter Schäfer in Berlin durch die Hermannstraße und die dort liegenden Friedhöfe geht, im Aquarium einen Tintenfisch betrachtet oder den Leuten in der Kneipe zuhört - immer ist er ein genauer Beobachter, dessen Wahrnehmungen Gedankenbewegungen in Gang setzen, die etwas über die Zeit, die Schauplätze, über das Gewordensein und auch über das eigene Ich erzählen. So rufen Gedanken an die Kindheit die Ostsee mit Suchscheinwerfern auf, und die Erinnerung an eine Melodie aus dem Grammophon der Großmutter legt den Geschmack von Monatserdbeeren in den Mund.Seine Erkundungsgänge führen Hans Dieter Schäfer an erinnerungsträchtige Orte wie den Potsdamer Platz, die Museumsinsel oder Bagdad nach dem Einmarsch der US-Armee. Nicht um geschlossene Bilder der Welt geht es ihm, sondern um die umkreisende, tastende Zusammenschau des Kleinen, Zufälligen mit dem großen Auf und Ab der Geschichte. »Es gibt zwei Welten - eine sichtbare und eine unsichtbare«, heißt es. »Erinnerungen sind das Bindeglied zwischen den beiden.«Schäfer notiert Gesehenes und bringt es in einen frappierenden Zusammenhang mit autobiographischen Fakten und Materialien aus der Vergangenheit, die er wie ein Wissenschaftler ermittelt hat. Den »Erkundungen« merkt man nichts von dieser Recherche an - sie haben eine außerordentliche Leichtigkeit und Dichte zugleich.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2013KURZKRITIK
Bilder im Kopf
Hans Dieter Schäfers
Erkundungen voller Klangkraft
Es sind Geschichten ohne Anfang und ohne Ende, ohne dramatischen Bauplan und Höhepunkt, allenfalls wartet hier und dort eine Pointe, versteckt. Sie stellen sich feiner als Skizzen dar, jedes Detail hat seinen Platz, jedes Insekt seine Bewegung, jede Geste ihren Ausdruck. Also handelt es sich wohl eher um Fragmente. Aber wovon? Hans Dieter Schäfer bezeichnet die Texte, die in seinem Buch „Die unsichtbare Tätowierung“ kompiliert sind, als Erkundungen. Es sind Aufzeichnungen eines Sprachziselierers, der ebenso faszinierend feinfühlig beobachtet wie er formuliert. Er liebkost die Vokale, spielt mit ihrer Klangkraft, aber nie um der Sprache selbst, sondern um der Bilder willen, die er erzeugt. Früher schrieb Schäfer Lyrik.
Jede dieser Erkundungen hat einen sehr leisen, unaufdringlichen Reiz. Wenn er flaniert oder rastet, speichert er die Umgebung wie eine Kamera. Ob er sich wohl Notizen macht? Oder alles doch nur einatmet? Beim Ausatmen jedenfalls, beim Verstricken der Erinnerungsfetzen, fügen sich die Worte und Sätze zu einem atmosphärischen Bild verströmt – Neapel, Berlin, Allgäu, Regensburg, jeden Ort zeigt Schäfer durch seine weite Linse. In Berlin ist Schäfer geboren, in Regensburg lebt er.
Schmerzvoll wird die Lektüre seiner Bilder in Auschwitz. Die Zeit zwischen 1933 und den Fünfzigern hat Schäfer schon in früheren Arbeiten beschäftigt. An der Uni lehrte er Literaturwissenschaft, als Autor interessierte ihn ein zeitgeschichtlicher Ansatz. Hans Dieter Schäfer ist 73 Jahre alt, und ein Kapitel in diesem Buch heißt „Ein nichtgeschriebener Roman“. Als ob er nun aufhören wollte zu schreiben. Das wäre bedauerlich.
RUDOLF NEUMAIER
Hans Dieter Schäfer: Die unsichtbare Tätowierung. Erkundungen. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 224 Seiten, 19,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Bilder im Kopf
Hans Dieter Schäfers
Erkundungen voller Klangkraft
Es sind Geschichten ohne Anfang und ohne Ende, ohne dramatischen Bauplan und Höhepunkt, allenfalls wartet hier und dort eine Pointe, versteckt. Sie stellen sich feiner als Skizzen dar, jedes Detail hat seinen Platz, jedes Insekt seine Bewegung, jede Geste ihren Ausdruck. Also handelt es sich wohl eher um Fragmente. Aber wovon? Hans Dieter Schäfer bezeichnet die Texte, die in seinem Buch „Die unsichtbare Tätowierung“ kompiliert sind, als Erkundungen. Es sind Aufzeichnungen eines Sprachziselierers, der ebenso faszinierend feinfühlig beobachtet wie er formuliert. Er liebkost die Vokale, spielt mit ihrer Klangkraft, aber nie um der Sprache selbst, sondern um der Bilder willen, die er erzeugt. Früher schrieb Schäfer Lyrik.
Jede dieser Erkundungen hat einen sehr leisen, unaufdringlichen Reiz. Wenn er flaniert oder rastet, speichert er die Umgebung wie eine Kamera. Ob er sich wohl Notizen macht? Oder alles doch nur einatmet? Beim Ausatmen jedenfalls, beim Verstricken der Erinnerungsfetzen, fügen sich die Worte und Sätze zu einem atmosphärischen Bild verströmt – Neapel, Berlin, Allgäu, Regensburg, jeden Ort zeigt Schäfer durch seine weite Linse. In Berlin ist Schäfer geboren, in Regensburg lebt er.
Schmerzvoll wird die Lektüre seiner Bilder in Auschwitz. Die Zeit zwischen 1933 und den Fünfzigern hat Schäfer schon in früheren Arbeiten beschäftigt. An der Uni lehrte er Literaturwissenschaft, als Autor interessierte ihn ein zeitgeschichtlicher Ansatz. Hans Dieter Schäfer ist 73 Jahre alt, und ein Kapitel in diesem Buch heißt „Ein nichtgeschriebener Roman“. Als ob er nun aufhören wollte zu schreiben. Das wäre bedauerlich.
RUDOLF NEUMAIER
Hans Dieter Schäfer: Die unsichtbare Tätowierung. Erkundungen. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 224 Seiten, 19,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de