Marco Polo berichtet dem Mongolenkaiser Kublai Khan von unerhörten, rätselhaften, von unsichtbaren Städten, in denen sich unendlich viele Wünsche und Ängste verkörpern. Von Perinthia, das nach Berechnungen der Astronomen erbaut wurde, um die Harmonie des Firmaments zu spiegeln. Von Armilla, der verlassenen Stadt, in der immer noch viele junge, wunderschöne Frauen leben. Mit ihrer phantastischen Atmosphäre und ihren kunstvoll arrangierten Labyrinthen zählen 'Die unsichtbaren Städte' zu Calvinos größten Werken.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2007Wie spricht Marco Polo über die chinesischen Städte?
Italo Calvino gilt mittlerweile als unmodern, dabei weist ihn sein Roman "Die unsichtbaren Städte" als postmodern aus. Jetzt gibt es das Buch in neuer Übersetzung - eine gewaltige Sprachsymphonie.
Das Auffälligste, was sich in der Neuübersetzung der "Unsichtbaren Städte" geändert hat, ist der Verzicht auf die Gattungsbezeichnung. Als "Roman" wies der Hanser Verlag 1977 das Buch von Italo Calvino aus, das damals in deutsch-deutscher Koproduktion erschien - als Übersetzer fungierte der 1919 geborene Heinz Riedt, der sich im Zweiten Weltkrieg den italienischen Partisanen angeschlossen hatte und später durch seine Übersetzung von Primo Levis "Ist das ein Mensch?" bekannt geworden war. Riedt steuerte auch das Nachwort zu dieser ersten deutschen Ausgabe von Calvinos "Unsichtbaren Städten" bei, die fünf Jahre zuvor im Original erschienen waren. Im Nachwort gibt es ein obligates Marx-Zitat und ansonsten einige kluge Beobachtungen zur Hybris der Macht. Es ist in der Neuausgabe ersatzlos entfallen.
Das ist schade, denn die "Unsichtbaren Städte" sind kein leicht zugänglicher Text. Zumindest lehrt das der zweite Blick. Auf den ersten bezaubert der orientalisch-verführerische Ton, den Calvino anschlägt - in den bisweilen ein Wort wie "Aluminium" als Bote der Moderne eindringt, während sonst der Erzählduktus die schwierige Balance zwischen Phantastik und Präzision wahrt, die das Buch berühmt gemacht hat. Es ist eine Ikone der Postmoderne, obwohl es in der Vormoderne angesiedelt ist: im China des dreizehnten Jahrhunderts.
Einen Roman bilden die insgesamt fünfundfünfzig Miniaturen, in denen Marco Polo dem Tartaren-Herrscher Kublai Khan von seinen Inspektionsreisen durch dessen chinesisches Reich berichtet, in der Tat nicht, auch wenn es eine subtile Abfolge der Stadtporträts gibt und eine mehrmals wiederaufgenommene Rahmenhandlung, die von den Gesprächen zwischen Khan und Kundschafter erzählt.
Musste man nach dreißig Jahren überhaupt eine neue Übersetzung anfertigen? Ja, wenn es darum gehen soll, dem Buch neue Leser zu bescheren. Calvino darf man derzeit wohl als jemand bezeichnen, der ganz ungerechtfertigt als démodé gilt. Allerdings liest das etwaige neue Publikum nichts Neues, denn Burkhart Kroeber, Hansers Hausübersetzer aus dem Italienischen, der durch seine Umberto-Eco-Übertragungen so berühmt wurde, dass er sich vor einigen Jahren sogar den Wunsch erfüllen konnte, den großen Romanklassiker der italienischen Literatur, Alessandro Manzonis "I Promessi Sposi" neu (und exzellent) zu übersetzen - dieser Burkhart Kroeber also hat nur Weniges anders übersetzt, als es Heinz Riedt getan hat.
Man muss bis auf die Wortebene hinunter, um signifikante Unterschiede zwischen beiden Übertragungen zu finden. Der gewichtigste ist zweifelsohne die Kapitelüberschrift "Die subtilen Städte", die bei Kroeber zu "fragilen Städten" werden. Bei Calvino steht "le città sottili"; etymologisch ist Riedt also mit "subtil" näher am Original, während Kroeber auf die Eindeutigkeit des deutschen Wortes "fragil" setzt, das allerdings den Nachteil hat, als Lehnwort aus dem Italienischen zu stammen. Und "fragili" schreibt Calvino nun einmal nicht.
Generell orientiert sich Riedt enger am Original. Die überwiegend mit Frauennamen versehenen Städte heißen bei ihm wie im Original "Smeralda" oder "Tecla", wo Kroeber die für deutsche Leser gängigeren Namen "Esmeralda" oder "Thekla" verwendet. Dann wieder erweist sich der spätere Zeitpunkt der Neuübersetzung als hilfreich: Wenn Riedt von den "Kräutern an der Verkehrskreuzung" spricht, die von den Ziegen eines in der Großstadt Cecilia verirrten Hirten erkannt werden, dann übersetzt Kroeber exakter mit "Gras auf der Verkehrsinsel". Über den Unterschied zwischen "erbe" und "erba" kann man noch streiten; über die Plausibilität der eher technokratischen Benennung ihres Wachstumsortes nicht, sie ist wie das eingangs erwähnte "Aluminium" eine textimmanente Korrektur der simulierten Altertümlichkeit. Und sie ergibt inhaltlich Sinn: Wo sollte in Cäcilia (wie Kroeber die Stadt schreibt), diesem "blattlosen Ort", denn schon anders Natur überlebt haben als auf einer Verkehrsinsel?
Beiden Übersetzungen bleibt aber der Sog erhalten, den Calvino durch sein mathematisch rhythmisiertes Arrangement der einzelnen Miniaturen erzielt. Die fünfundfünfzig Berichte sind in elf thematische Rubriken unterteilt, deren Abschnitte jeweils von eins bis fünf durchnumeriert und so angeordnet sind, dass sich die Themen zunächst langsam aufbauen, ehe sie in einem Crescendo kulminieren. Das Buch ist als gewaltige Sprachsymphonie konzipiert, die in neun einzelne Bücher aufgeteilt ist, deren mittlere sieben jeweils fünf Kapitel aufweisen, während Kopf- und Schlussbuch zehn Miniaturen umfassen.
Allegorisch ist hier alles; man kann das Werk genauso als philosophische Studie wie als Traktat über das Erzählen selbst verstehen. Schön, wenn die Übersetzung von Burkhart Kroeber Calvinos "Unsichtbare Städte" wieder etwas sichtbarer machte. Einen Grund, die alte Ausgabe zu ersetzen, sofern man sie besitzt, gibt es indes nicht.
ANDREAS PLATTHAUS
Italo Calvino: "Die unsichtbaren Städte". Aus dem Italienischen übersetzt von Burkhart Kroeber. Verlag Carl Hanser, München 2007. 174 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Italo Calvino gilt mittlerweile als unmodern, dabei weist ihn sein Roman "Die unsichtbaren Städte" als postmodern aus. Jetzt gibt es das Buch in neuer Übersetzung - eine gewaltige Sprachsymphonie.
Das Auffälligste, was sich in der Neuübersetzung der "Unsichtbaren Städte" geändert hat, ist der Verzicht auf die Gattungsbezeichnung. Als "Roman" wies der Hanser Verlag 1977 das Buch von Italo Calvino aus, das damals in deutsch-deutscher Koproduktion erschien - als Übersetzer fungierte der 1919 geborene Heinz Riedt, der sich im Zweiten Weltkrieg den italienischen Partisanen angeschlossen hatte und später durch seine Übersetzung von Primo Levis "Ist das ein Mensch?" bekannt geworden war. Riedt steuerte auch das Nachwort zu dieser ersten deutschen Ausgabe von Calvinos "Unsichtbaren Städten" bei, die fünf Jahre zuvor im Original erschienen waren. Im Nachwort gibt es ein obligates Marx-Zitat und ansonsten einige kluge Beobachtungen zur Hybris der Macht. Es ist in der Neuausgabe ersatzlos entfallen.
Das ist schade, denn die "Unsichtbaren Städte" sind kein leicht zugänglicher Text. Zumindest lehrt das der zweite Blick. Auf den ersten bezaubert der orientalisch-verführerische Ton, den Calvino anschlägt - in den bisweilen ein Wort wie "Aluminium" als Bote der Moderne eindringt, während sonst der Erzählduktus die schwierige Balance zwischen Phantastik und Präzision wahrt, die das Buch berühmt gemacht hat. Es ist eine Ikone der Postmoderne, obwohl es in der Vormoderne angesiedelt ist: im China des dreizehnten Jahrhunderts.
Einen Roman bilden die insgesamt fünfundfünfzig Miniaturen, in denen Marco Polo dem Tartaren-Herrscher Kublai Khan von seinen Inspektionsreisen durch dessen chinesisches Reich berichtet, in der Tat nicht, auch wenn es eine subtile Abfolge der Stadtporträts gibt und eine mehrmals wiederaufgenommene Rahmenhandlung, die von den Gesprächen zwischen Khan und Kundschafter erzählt.
Musste man nach dreißig Jahren überhaupt eine neue Übersetzung anfertigen? Ja, wenn es darum gehen soll, dem Buch neue Leser zu bescheren. Calvino darf man derzeit wohl als jemand bezeichnen, der ganz ungerechtfertigt als démodé gilt. Allerdings liest das etwaige neue Publikum nichts Neues, denn Burkhart Kroeber, Hansers Hausübersetzer aus dem Italienischen, der durch seine Umberto-Eco-Übertragungen so berühmt wurde, dass er sich vor einigen Jahren sogar den Wunsch erfüllen konnte, den großen Romanklassiker der italienischen Literatur, Alessandro Manzonis "I Promessi Sposi" neu (und exzellent) zu übersetzen - dieser Burkhart Kroeber also hat nur Weniges anders übersetzt, als es Heinz Riedt getan hat.
Man muss bis auf die Wortebene hinunter, um signifikante Unterschiede zwischen beiden Übertragungen zu finden. Der gewichtigste ist zweifelsohne die Kapitelüberschrift "Die subtilen Städte", die bei Kroeber zu "fragilen Städten" werden. Bei Calvino steht "le città sottili"; etymologisch ist Riedt also mit "subtil" näher am Original, während Kroeber auf die Eindeutigkeit des deutschen Wortes "fragil" setzt, das allerdings den Nachteil hat, als Lehnwort aus dem Italienischen zu stammen. Und "fragili" schreibt Calvino nun einmal nicht.
Generell orientiert sich Riedt enger am Original. Die überwiegend mit Frauennamen versehenen Städte heißen bei ihm wie im Original "Smeralda" oder "Tecla", wo Kroeber die für deutsche Leser gängigeren Namen "Esmeralda" oder "Thekla" verwendet. Dann wieder erweist sich der spätere Zeitpunkt der Neuübersetzung als hilfreich: Wenn Riedt von den "Kräutern an der Verkehrskreuzung" spricht, die von den Ziegen eines in der Großstadt Cecilia verirrten Hirten erkannt werden, dann übersetzt Kroeber exakter mit "Gras auf der Verkehrsinsel". Über den Unterschied zwischen "erbe" und "erba" kann man noch streiten; über die Plausibilität der eher technokratischen Benennung ihres Wachstumsortes nicht, sie ist wie das eingangs erwähnte "Aluminium" eine textimmanente Korrektur der simulierten Altertümlichkeit. Und sie ergibt inhaltlich Sinn: Wo sollte in Cäcilia (wie Kroeber die Stadt schreibt), diesem "blattlosen Ort", denn schon anders Natur überlebt haben als auf einer Verkehrsinsel?
Beiden Übersetzungen bleibt aber der Sog erhalten, den Calvino durch sein mathematisch rhythmisiertes Arrangement der einzelnen Miniaturen erzielt. Die fünfundfünfzig Berichte sind in elf thematische Rubriken unterteilt, deren Abschnitte jeweils von eins bis fünf durchnumeriert und so angeordnet sind, dass sich die Themen zunächst langsam aufbauen, ehe sie in einem Crescendo kulminieren. Das Buch ist als gewaltige Sprachsymphonie konzipiert, die in neun einzelne Bücher aufgeteilt ist, deren mittlere sieben jeweils fünf Kapitel aufweisen, während Kopf- und Schlussbuch zehn Miniaturen umfassen.
Allegorisch ist hier alles; man kann das Werk genauso als philosophische Studie wie als Traktat über das Erzählen selbst verstehen. Schön, wenn die Übersetzung von Burkhart Kroeber Calvinos "Unsichtbare Städte" wieder etwas sichtbarer machte. Einen Grund, die alte Ausgabe zu ersetzen, sofern man sie besitzt, gibt es indes nicht.
ANDREAS PLATTHAUS
Italo Calvino: "Die unsichtbaren Städte". Aus dem Italienischen übersetzt von Burkhart Kroeber. Verlag Carl Hanser, München 2007. 174 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Andreas Platthaus begrüßt freudig die Neuübersetzung von Italo Calvinos "Die unsichtbaren Städte", weil er sich dadurch frische Leser für ein von ihm geschätztes Werk erhofft. Bei seinen punktuellen Vergleichen der älteren Übersetzung von Heinz Riedt mit der neuen von Burkhart Kroeber allerdings kommt er zu dem Schluss, dass beide Übersetzungen ihre Vorteile haben und im Übrigen auch gar nicht so sehr voneinander abweichen. In den 55 Textminiaturen, die in der alten Ausgabe noch Roman genannt wurden - eine Gattungsbezeichnung die nun laut Rezensent zu Recht gestrichen worden ist - berichtet Marco Polo im 13. Jahrhundert dem Herrscher der Tartaren, Kublai Khan, von seinen Reiseeindrücken im chinesischen Reich, fasst der Rezensent zusammen. Schade findet er, dass das durchaus erhellende Nachwort von Heinz Riedt in der Neuausgabe ersatzlos gestrichen wurde, denn "Die unsichtbaren Städte" sind nicht gerade leichte Kost, wie er warnt. Gleichzeitig aber zeigt sich Platthaus entzückt vom "orientalisch-verführerischen Ton", der sich bei Calvino mit präzisen Beobachtungen mischt, und er ist auch nach mehr als 30 Jahren, so lange liegt die erste Veröffentlichung zurück, von der symphonischen Sprachwirkung und dem allegorischen Tiefgang des Buches, das zugleich als philosophischer und poetologischer Text zu verstehen ist, in den Bann gezogen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Italo Calvino, der immer Erzähler war, nie eine Zeile Lyrik schrieb, hat mit den Unsichtbaren Städten eines der schönsten, zugleich phantasievollen und präzisen Poeme verfaßt, die ich kenne." Matias Neutert, Die Zeit, 11.11.07
"Wie eine fremde, phantastische Stadt bildet Calvinos Prosaband eine Wegmarke in der italienischen Literatur, die in Burkhard Kroebers kristalliner Neuübersetzung neuen Glanz entfaltet. Schön und unnahbar." Maike Albath, Neue Züricher Zeitung, 17.07.07
"Wie eine fremde, phantastische Stadt bildet Calvinos Prosaband eine Wegmarke in der italienischen Literatur, die in Burkhard Kroebers kristalliner Neuübersetzung neuen Glanz entfaltet. Schön und unnahbar." Maike Albath, Neue Züricher Zeitung, 17.07.07