Fünf Kinder und Jugendliche werden im Keller eines Hauses gefangen gehalten. Ab und zu wird einer von ihnen hoch ins Haus geholt, doch man erfährt nicht, was dann passiert. Die Kinder reden nicht miteinander, wer über die Ereignisse spricht, stirbt, bekommen sie gesagt.
Von Beginn an ist das Buch
kantig, schwierig, stockend. Ein Mädchen stottert, der Leser wird wie ein Spielball zwischen den…mehrFünf Kinder und Jugendliche werden im Keller eines Hauses gefangen gehalten. Ab und zu wird einer von ihnen hoch ins Haus geholt, doch man erfährt nicht, was dann passiert. Die Kinder reden nicht miteinander, wer über die Ereignisse spricht, stirbt, bekommen sie gesagt.
Von Beginn an ist das Buch kantig, schwierig, stockend. Ein Mädchen stottert, der Leser wird wie ein Spielball zwischen den Geschichten der Kinder hin und her geworfen, die Erwachsenen bleiben unbekannt, die Sprache lässt einen manchmal ins Stocken geraten. Zu Beginn wünschte ich mir noch häufig mehr von "oben" zu erfahren, doch irgendwie schreckte ich davor auch zurück. Ungern wollte ich wie ein Voyeur wirken, der bei der Misshandlung von Kindern nähere Details in Erfahrung bringen will, ungern wollte ich die Kinder von anderen Faktoren in den Hintergrund drängen oder im Keller allein lassen.
Einerseits hat Friedrich Ani einen sehr flüssig zu lesenden und poetischen Schreibstil, andererseits durchbricht er seinen Stil mit dem Stottern von Maren oder häufig wiederholten Aussprüchen wie "Egal, Schwester Regal". Der Ausdruck erschien mir so untypisch für die Jugendsprache, dass ich ständig daran hängengeblieben bin.
Die Protagonisten dieses Buches sind 11-16 Jährige Kinder und Jugendliche, von daher scheint "Die unterirdische Sonne" gut in die Jugendbuchabteilung zu passen. Man sollte jedoch auf keinen Fall den roten Button mit dem Vermerk "Empfohlenes Lesealter ab 16 Jahren" auf der Rückseite des Buches unterschätzen: das Buch geht psychisch an die Substanz. Das Grauen kommt schleichend, da die Verursacher lange für den Leser im Dunkeln brauchen, das Grauen bleibt aber lange und wirkt nach, da man Seite für Seite merkt, wie tief die Kinder verletzt werden, wie nachhaltig erniedrigt und wie hilflos sie in dieser scheinbar ausweglosen Situation sind.
Das Buch ist in drei Akte unterteilt. Der Leser wird völlig unvorbereitet in die Handlung geworfen, er ist mit den Kindern im Keller eingesperrt und erfährt nur nach und nach, wie die Kinder dorthin gelangt sind, wie die Familiensituation jedes einzelnen vor ihrer Entführung war. Der zweite Akt ist in meinen Augen schon nahezu unheimlich metaphorisch gestaltet durch Märchen, die sich die Kinder gegenseitig erzählen. Hier ist die Bildsprache so stark ausgeprägt, dass sie vielen Bilder kaum in der Fülle zu erfassen und zu verarbeiten sind. Gerade in diesem Abschnitt musste ich die Altersempfehlung hinterfragen, da man hier immer mehr in die Abgründe geführt wird, und dabei führungslos immer tiefer hinein tappt, ohne Hoffnung auf ein Entkommen. Gäbe es am Ende (Auf-)Lösungen, Erklärungen dafür, was in dieser Geschichte mit den Jugendlichen passiert ist, wäre der Umgang mit dem Stoff einfacher, die Wirkung jedoch nicht so stark. Die Entwicklung, die die jungen Protagonisten und damit der Ausgang der Geschichte nimmt, wirkt lange nach und lässt einen mit allem anderen als einem guten Gefühl zurück. Man kann verstehen, warum die Dinge ihren Lauf nehmen, wie sie es tun, aber man weiß, wenn man von außen auf das Geschehen nimmt, dass nach dem ENDE nur weiter Schlechtes entstehen kann. Das Schweigen, das Darüberhinwegsehen, das Verleugnen und das Flüchten vor Problemen schafft dieselbigen nicht aus der Welt.
Das Buch sollte man nur lesen, wenn man psychische Gewalt verarbeiten kann und sich nicht davor scheut am Ende mit Fragen zu stehen, die keiner beantworten kann. Das Buch ist in Abschnitten zäh, aber ich hatte auch nie das Gefühl, dass es gefallen will, es soll Fragen aufwerfen und verstören und Friedrich Ani verstärkt diese Wirkung durch die Sprache und den Aufbau seines Buches.
Der elektrische Schmetterling flog aus dem Haus und kehrte nie mehr zurück. (S.261)