Während ich „Die Unvergesslichen“ las, habe ich mich ein wenig in meinen eigenen Erinnerungen verloren. Dieser Roman macht das mit einem. Er schickt einen auf die Reise in die Vergangenheit, lässt einen das eigene Gedächtnis durchforsten und einen zum Beispiel darüber nachdenken, welchen Menschen
man als zweites geküsst hat. Denn an den ersten Kuss erinnert man sich, klar, doch an den danach? Das…mehrWährend ich „Die Unvergesslichen“ las, habe ich mich ein wenig in meinen eigenen Erinnerungen verloren. Dieser Roman macht das mit einem. Er schickt einen auf die Reise in die Vergangenheit, lässt einen das eigene Gedächtnis durchforsten und einen zum Beispiel darüber nachdenken, welchen Menschen man als zweites geküsst hat. Denn an den ersten Kuss erinnert man sich, klar, doch an den danach? Das Vergessen und Erinnern nimmt einen großen Stellenwert in der Geschichte von der jungen Joan und dem Songwriter Gavin ein.
Gavin, der anfangs nicht von Erinnerungen an seinen verstorbenen Freund Sydney gequält werden möchte, der später aber jeder Erinnerung von Joan an seinen Freund lauscht. Ihm gegenüber Joan mit dem Hyperthymestisches Syndrom, das sie nicht vergessen lässt, keinen einzigen Tag in ihrem Leben, und deren größte Angst die ist, vergessen zu werden. Beide finden über die Musik zueinander, denn Joan setzt all ihre Hoffnung darauf, diesen einen Song zu schreiben, der sie unvergessen machen soll.
„Gewiss gibt es noch unzählige Erinnerungen, die ich aber leider vergessen habe. Ich habe einfach nicht genug aufgepasst, als sie entstanden. Ich war zu beschäftigt damit, zu leben, die gemeinsame Zeit zu genießen. Mir war kein einziges Mal in den Sinn gekommen, sie könnte plötzlich enden.“ (Seite 145/146)
Die Charaktere sind extrem gut angelegt und schlichen sich schnell in mein Herz: Der etwas orientierungslose Songwriter und Schauspieler Gavin, der Probleme lieber aussitzt anstatt sie anzupacken, und Joan, der aktive Konterpart, der Gavin aus seiner Lethargie und Trauer zerrt, und ihn dazu bringt, sich mit Sydney und seinem Leben auseinanderzusetzen. Gleichzeitig schenkt Gavin der kleinen Joan Mut und zeigt ihr, welche Wege ihr als angehende Künstlerin offen stehen. Er nimmt sie ernst und betrachtet das Hyperthymestische Syndrom nicht als lästiges Übel. Die beiden zusammen geben dem Roman eine charmante Dynamik.
„Die Unvergesslichen“ ist eine durch und durch emotionale Geschichte, die ohne spannungsgeladene Höhen und Tiefen auskommt. Es geht nicht in erster Linie darum, einen Musikwettbewerb zu gewinnen, sondern es geht um die Verbindung der einzelnen Charaktere untereinander und um ihre jeweiligen Lebenssituationen und Lebensträume. Es geht um die Beziehung zwischen den Eltern und ihrer Tochter Joan, die Beziehung der Eltern untereinander, die Freundschaft zwischen Gavin und Joan. Es geht um das Erwachsenwerden im weitesten Sinne – denn manchmal dauert dieser Prozess, bis man 30 oder 40 ist. Oder ist es gar ein schleichender Prozess, der niemals so richtig endet?
Mir gefiel es sehr, dass die Musik als treibender Faktor immer präsent war. Hier hat Val Emmich, selbst Singer/Songwriter seine eigenen Erfahrungen geschickt in die Geschichte eingeflochten, es wirkt zutiefst authentisch. Einziger kleiner Kritikpunkt ist ein Dreh am Ende, der zwar den Kreis schließt, meinem Empfinden nach aber etwas zu sehr über das Ziel hinausschießt.
Fazit
„Die Unvergesslichen“ von Val Emmich ist ein sensibles Porträt eines ungewöhnlichen jungen Mädchens und einem von Verlust gezeichneten Mann, die über die Musik zueinander finden und eine neue Sicht auf das Leben gewinnen. Ich war begeistert von der Sprache, den Charakteren und der gesamten Umsetzung. Ein Roman, der sich sanft und ohne Hast den großen und wichtigen Fragen des Lebens zuwendet und gleichzeitig zum Nachdenken und zum Erinnern einlädt.