Leuchtkraft der ProsaDas Buch enthält Schriften aus mehreren Zeiträumen, darunter zweifellos einige aus meiner Jugend.Dennoch scheint mir das Buch immer wieder die gleichen Aussagen zu wiederholen, mit unterschiedlichen Vorzeichen und Farben. Es ist oder wäre gern ein kleiner Ablenkunggsversuch vom Spiel der Kräfte, "ein Bekenntnis des Unglaubens an die Allmacht des Sichtbaren".Aus diesem Grund habe ich nicht einmal die Wiederholungen getilgt. In einem von unseren alten Meistern bemalten Zimmer wiesen die verschiedenen Figuren auf den einzelnen Wänden üblicherweise mit gleicher Geste auf einen Mittelpunkt, auf einen einzigen abwesenden oder gegenwärtigen Gast.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.1996Heiß ist die Wüste
Cristina Campo reist in die Höhle des eigenen Herzens
Stendhal erzählt von einer italienischen Prinzessin, die bei brütender Hitze auf dem Balkon ihres Pallazo ein Fruchteis aß. "Schade, daß das keine Sünde ist", sagt sie dann, weil sie sich zum schlichten Genuß noch eine geistige Intensität erträumte. Als Nachfahrin dieser Frau könnte man sich die Essayistin Cristina Campo denken, die ihre Hauptschriften in den sechziger und siebziger Jahren verfaßte, als nichts mehr eine Sünde war. In eine "Welt der allgemeinen Auflösung" fand sie sich versetzt; auf der Tagesordnung standen die Schleifung der Traditionen, die Ausbildung der "Konsumgesellschaft" und die Reformbestrebungen, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch die Kirche erreichten.
Dagegen setzen Cristina Campos Essays die Idee des Stils, die immer neu beschrieben wird: Zeremonien, Gesten, Erzählformen, Schicksale und Liturgien werden in der strengsten, ja qualvollsten Gestalt aufgesucht. Ein komplexes Verhältnis gegenseitiger Stützung verbindet Ästhetizismus und ultrakonservative Haltung; in der Bewahrung der Form kommen beide zusammen. Aber man wird der Autorin mit bloßen Einordnungen kaum gerecht, denn ihre Texte sind niemals Abbilder eines selbstgewiß festgehaltenen Status, sondern ein fortgesetztes, höchst riskantes Spiel an den Außengrenzen ihrer Diskurse. "Gute Manieren sind am Beginn aller Heiligkeit", schreibt sie einmal, ein anderes Mal nennt sie die Anmut den "Rohstoff göttlicher Gnade". "Stil aller Stile", so lautet die radikalste Formulierung, sei die Liturgie.
Liest man diese Texte, so bemerkt man, daß sie ihre eigene Dogmatik weit hinter sich lassen. Eine grausame Note ist ihnen eigen, die sie der katholischen Dekadenz eines Huysmans vergleichbar macht; unter den Zeitgenossen der Campo darf man vielleicht an den fast gleichaltrigen Mishima denken. Wenn in einem abenteuerlichen Sprung bei der Darstellung katholischer Visionsliteratur "der Gedanke an den Gott Shiva, Zerstörer und Weltenschöpfer zugleich" sich einstellt, dann spürt man, daß es in Wirklichkeit um eine Erhöhung der geistigen Temperatur geht.
Unter den Bildern, die in den Texten wiederkehren und zwischen ihnen vermitteln, ist das der Wüste eines der zentralen; es findet sich in dem Essay über das Märchen von der Messingstadt wie in den Schriften über die frühchristlichen Väter der Wüste. Ein Ort der Hitze, des Verzichts und der Weltabsonderung, der Visionen und der Gefahren: Das war der geistige Ort von Cristina Campo. Die Sätze der Wüstenväter erscheinen ihr wie "Pfeile mit eiserner Spitze, die durch die Luft surren und sich geradewegs ins Herz des Schülers bohren", und als die schönsten Bücher denkt sie sich die, die als "Gefährten auf dem Weg zum Schafott" geeignet sind. Ein martyriologischer Akzent liegt auf der Phantasiewelt von Cristina Campo, in der vollkommene Schönheit, Qual und Todesdrohung zusammentreten; es verwundert nicht, ihre Schriften just in dem Verlag erscheinen zu sehen, dem auch die maßgebliche deutsche Sade-Ausgabe zu danken ist.
Das Märchen und die Bibel, "la novela", wie es im toskanischen Dialekt heißt, und "la bonne nouvelle": dies sind die Literaturen, aus denen Cristina Campo ihre intertextuellen Künste hervorgehen läßt. Ob sie in den Geschichten aus "1001 Nacht" die Präsenz Salomos registriert oder auf die Erlösungsvorstellungen in den Feenmärchen der Madame d'Auloy deutet - stets sind ihre Gedanken bei einer Welt der möglichen Wunder, die sie als Gegenbild zur Entzauberung formt.
Borges war der eine ihrer Lehrmeister, der andere war Hofmannsthal, an dessen "Andreas" sie Deutsch gelernt hatte und dessen "Buch der Freunde" sie zu den "unverzeihlichen", den vollendeten Kunstwerken zählte. Der Märchenheld, schreibt sie, müsse sich "das Herz aus der Brust oder die Seele aus dem Herzen lösen, weil er mit gebundenem Herzen nichts Unmögliches bewältigen kann". Das Herz ist neben der Wüste das andere Zentrum dieser Welt. "Reisen in die Höhle des eigenen Herzens" hat Cristina Campo, die mit einem Herzfehler geboren wurde, beschrieben, und an einem Herzanfall ist diese leidenschaftliche Frau und große Literatin 1977, mit dreiundfünfzig Jahren, gestorben. LORENZ JÄGER
Cristina Campo: "Die Unverzeihlichen". Mit einer Einleitung von Guido Ceronetti. Aus dem Italienischen übersetzt von Irmengard Gabler. Matthes & Seitz Verlag, München 1996. 236 S., Abb., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Cristina Campo reist in die Höhle des eigenen Herzens
Stendhal erzählt von einer italienischen Prinzessin, die bei brütender Hitze auf dem Balkon ihres Pallazo ein Fruchteis aß. "Schade, daß das keine Sünde ist", sagt sie dann, weil sie sich zum schlichten Genuß noch eine geistige Intensität erträumte. Als Nachfahrin dieser Frau könnte man sich die Essayistin Cristina Campo denken, die ihre Hauptschriften in den sechziger und siebziger Jahren verfaßte, als nichts mehr eine Sünde war. In eine "Welt der allgemeinen Auflösung" fand sie sich versetzt; auf der Tagesordnung standen die Schleifung der Traditionen, die Ausbildung der "Konsumgesellschaft" und die Reformbestrebungen, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch die Kirche erreichten.
Dagegen setzen Cristina Campos Essays die Idee des Stils, die immer neu beschrieben wird: Zeremonien, Gesten, Erzählformen, Schicksale und Liturgien werden in der strengsten, ja qualvollsten Gestalt aufgesucht. Ein komplexes Verhältnis gegenseitiger Stützung verbindet Ästhetizismus und ultrakonservative Haltung; in der Bewahrung der Form kommen beide zusammen. Aber man wird der Autorin mit bloßen Einordnungen kaum gerecht, denn ihre Texte sind niemals Abbilder eines selbstgewiß festgehaltenen Status, sondern ein fortgesetztes, höchst riskantes Spiel an den Außengrenzen ihrer Diskurse. "Gute Manieren sind am Beginn aller Heiligkeit", schreibt sie einmal, ein anderes Mal nennt sie die Anmut den "Rohstoff göttlicher Gnade". "Stil aller Stile", so lautet die radikalste Formulierung, sei die Liturgie.
Liest man diese Texte, so bemerkt man, daß sie ihre eigene Dogmatik weit hinter sich lassen. Eine grausame Note ist ihnen eigen, die sie der katholischen Dekadenz eines Huysmans vergleichbar macht; unter den Zeitgenossen der Campo darf man vielleicht an den fast gleichaltrigen Mishima denken. Wenn in einem abenteuerlichen Sprung bei der Darstellung katholischer Visionsliteratur "der Gedanke an den Gott Shiva, Zerstörer und Weltenschöpfer zugleich" sich einstellt, dann spürt man, daß es in Wirklichkeit um eine Erhöhung der geistigen Temperatur geht.
Unter den Bildern, die in den Texten wiederkehren und zwischen ihnen vermitteln, ist das der Wüste eines der zentralen; es findet sich in dem Essay über das Märchen von der Messingstadt wie in den Schriften über die frühchristlichen Väter der Wüste. Ein Ort der Hitze, des Verzichts und der Weltabsonderung, der Visionen und der Gefahren: Das war der geistige Ort von Cristina Campo. Die Sätze der Wüstenväter erscheinen ihr wie "Pfeile mit eiserner Spitze, die durch die Luft surren und sich geradewegs ins Herz des Schülers bohren", und als die schönsten Bücher denkt sie sich die, die als "Gefährten auf dem Weg zum Schafott" geeignet sind. Ein martyriologischer Akzent liegt auf der Phantasiewelt von Cristina Campo, in der vollkommene Schönheit, Qual und Todesdrohung zusammentreten; es verwundert nicht, ihre Schriften just in dem Verlag erscheinen zu sehen, dem auch die maßgebliche deutsche Sade-Ausgabe zu danken ist.
Das Märchen und die Bibel, "la novela", wie es im toskanischen Dialekt heißt, und "la bonne nouvelle": dies sind die Literaturen, aus denen Cristina Campo ihre intertextuellen Künste hervorgehen läßt. Ob sie in den Geschichten aus "1001 Nacht" die Präsenz Salomos registriert oder auf die Erlösungsvorstellungen in den Feenmärchen der Madame d'Auloy deutet - stets sind ihre Gedanken bei einer Welt der möglichen Wunder, die sie als Gegenbild zur Entzauberung formt.
Borges war der eine ihrer Lehrmeister, der andere war Hofmannsthal, an dessen "Andreas" sie Deutsch gelernt hatte und dessen "Buch der Freunde" sie zu den "unverzeihlichen", den vollendeten Kunstwerken zählte. Der Märchenheld, schreibt sie, müsse sich "das Herz aus der Brust oder die Seele aus dem Herzen lösen, weil er mit gebundenem Herzen nichts Unmögliches bewältigen kann". Das Herz ist neben der Wüste das andere Zentrum dieser Welt. "Reisen in die Höhle des eigenen Herzens" hat Cristina Campo, die mit einem Herzfehler geboren wurde, beschrieben, und an einem Herzanfall ist diese leidenschaftliche Frau und große Literatin 1977, mit dreiundfünfzig Jahren, gestorben. LORENZ JÄGER
Cristina Campo: "Die Unverzeihlichen". Mit einer Einleitung von Guido Ceronetti. Aus dem Italienischen übersetzt von Irmengard Gabler. Matthes & Seitz Verlag, München 1996. 236 S., Abb., geb., 58,- DM.
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