Die in diesem Band gedruckten Arbeiten untersuchen herrschende Programme und Formen der Städteplanung und kritisieren deren irrationalen Charakter. Der Autor weist nach, daß ohne einen zureichenden Begriff von den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen geplant wird, und ohne eine Neuordnung des Grund- und Bodenbesitzes Planung nicht möglich ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2009Die Mörder sind unter uns
Es gibt in Deutschland zwei Bücher über die moderne Stadt nach 1945, die als "Klassiker" gelten - Alexander Mitscherlichs "Unwirtlichkeit unserer Städte" und Wolf Jobst Siedlers "Gemordete Stadt", die beide Mitte der sechziger Jahre erschienen. Das Gute an Mitscherlichs Buch ist schnell aufgezählt: Er kämpft gegen die "funktionelle Entmischung" der Stadt, ihren autogerechten Umbau, ihre "Herzlosigkeit" und vor allem gegen die Spekulation mit städtischen Bodenpreisen, gegen den Zweckrationalismus seelenloser Betonburgen, der Vereinsamung, Alkoholismus und "Ausbruchssehnsüchte" zur Folge hätte (die es in den feuchten Hinterhöfen Berlins auch schon gab). Alles richtig - das Problem an Mitscherlichs Buch ist nur das, was seine Anhänger daraus machten: eine Kampfansage an die moderne Architektur an sich. Schon klar: Die Frage, ob man lieber in einem Altbau mit Stuck und Putten lebt oder in einem Sozialbau ohne Balkons an einer zwölfspurigen Ausfallstraße, ist leicht zu beantworten - ebenso wie die Frage, ob man lieber reich und gesund oder arm und krank sein möchte. Aber: Hat Le Corbusiers "Unité"-Hochhaus in Marseille, mit seiner Ladenstraße und seinem großartigen Dachgarten, kein "Herz"? Und ist die neue Friedrichstraße, in der es Läden, Büros, aber keine bezahlbaren Wohnungen gibt, so viel "wirtlicher" als die moderne Maxburg, die Sep Ruf 1954 in München baute?
Solche Differenzierungen waren nicht die Sache gefeierter Polemiker wie Wolf Jobst Siedler. Dessen Buch heißt "Die gemordete Stadt". "Der Wiederaufbau Berlins", schreibt Siedler später, "ging mir contre coeur, Missvergnügen bestimmte jede Fahrt durch die neuen Quartiere, das berühmte Hansa-Viertel mit seinen Punkthäusern . . . Mir waren alle diese Entwürfe widerstädtisch". "Widerstädtisch" ist für Siedler vor allem Le Corbusier; er nennt den modernen Architekten einen "Bruder des Luftmarschalls Harris". Berlin, "gemordet": Von wem? Den Engländern? Den modernen Architekten?
Die "gemordete Stadt": So hätte ein Buch über die NS-Pogrome und Deportationen heißen können, die ein bestimmtes Berlin ganz unmetaphorisch mordeten, aber darum ging es hier nicht vorrangig. Später verlegte Siedler dann Bücher von und über Albert Speer ("Ich war in erster Linie als Verleger an Speer interessiert. Mir war klar: Das ist ein großer Stoff, das ist ein interessanter Mann"). Es waren Bücher, die etwa Wolfgang Benz vom Zentrum für Antisemitismusforschung als Rehabilitation Speers kritisierte. "Die gemordete Stadt" hätte ein Buch heißen können, das leistet, was Breloer in seinem Speer-Film schaffte - zu zeigen, dass der Holocaust, der Mord am weltoffenen Berlin, am liberalen Deutschland, auch aus dem Herzen des Bildungsbürgertums kam; zu zeigen, dass die Vernichtung der Juden nicht nur von entfesselten Kleinbürgern, sondern auch von "hochgebildeten" Menschen wie Speer geplant und mitgetragen wurde. Es hätte ein Buch über ein deutsches Phänomen werden können: Über ein Bürgertum, für das eleganter Auftritt, humanistische Bildung und entschlossenste Unmenschlichkeit kein Widerspruch war. Stattdessen wurde nur eine Klage daraus, dass man Betontürme baute, wo einmal Villen standen. Schade eigentlich.
NIKLAS MAAK
Alexander Mitscherlich: "Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden". Suhrkamp, 9 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es gibt in Deutschland zwei Bücher über die moderne Stadt nach 1945, die als "Klassiker" gelten - Alexander Mitscherlichs "Unwirtlichkeit unserer Städte" und Wolf Jobst Siedlers "Gemordete Stadt", die beide Mitte der sechziger Jahre erschienen. Das Gute an Mitscherlichs Buch ist schnell aufgezählt: Er kämpft gegen die "funktionelle Entmischung" der Stadt, ihren autogerechten Umbau, ihre "Herzlosigkeit" und vor allem gegen die Spekulation mit städtischen Bodenpreisen, gegen den Zweckrationalismus seelenloser Betonburgen, der Vereinsamung, Alkoholismus und "Ausbruchssehnsüchte" zur Folge hätte (die es in den feuchten Hinterhöfen Berlins auch schon gab). Alles richtig - das Problem an Mitscherlichs Buch ist nur das, was seine Anhänger daraus machten: eine Kampfansage an die moderne Architektur an sich. Schon klar: Die Frage, ob man lieber in einem Altbau mit Stuck und Putten lebt oder in einem Sozialbau ohne Balkons an einer zwölfspurigen Ausfallstraße, ist leicht zu beantworten - ebenso wie die Frage, ob man lieber reich und gesund oder arm und krank sein möchte. Aber: Hat Le Corbusiers "Unité"-Hochhaus in Marseille, mit seiner Ladenstraße und seinem großartigen Dachgarten, kein "Herz"? Und ist die neue Friedrichstraße, in der es Läden, Büros, aber keine bezahlbaren Wohnungen gibt, so viel "wirtlicher" als die moderne Maxburg, die Sep Ruf 1954 in München baute?
Solche Differenzierungen waren nicht die Sache gefeierter Polemiker wie Wolf Jobst Siedler. Dessen Buch heißt "Die gemordete Stadt". "Der Wiederaufbau Berlins", schreibt Siedler später, "ging mir contre coeur, Missvergnügen bestimmte jede Fahrt durch die neuen Quartiere, das berühmte Hansa-Viertel mit seinen Punkthäusern . . . Mir waren alle diese Entwürfe widerstädtisch". "Widerstädtisch" ist für Siedler vor allem Le Corbusier; er nennt den modernen Architekten einen "Bruder des Luftmarschalls Harris". Berlin, "gemordet": Von wem? Den Engländern? Den modernen Architekten?
Die "gemordete Stadt": So hätte ein Buch über die NS-Pogrome und Deportationen heißen können, die ein bestimmtes Berlin ganz unmetaphorisch mordeten, aber darum ging es hier nicht vorrangig. Später verlegte Siedler dann Bücher von und über Albert Speer ("Ich war in erster Linie als Verleger an Speer interessiert. Mir war klar: Das ist ein großer Stoff, das ist ein interessanter Mann"). Es waren Bücher, die etwa Wolfgang Benz vom Zentrum für Antisemitismusforschung als Rehabilitation Speers kritisierte. "Die gemordete Stadt" hätte ein Buch heißen können, das leistet, was Breloer in seinem Speer-Film schaffte - zu zeigen, dass der Holocaust, der Mord am weltoffenen Berlin, am liberalen Deutschland, auch aus dem Herzen des Bildungsbürgertums kam; zu zeigen, dass die Vernichtung der Juden nicht nur von entfesselten Kleinbürgern, sondern auch von "hochgebildeten" Menschen wie Speer geplant und mitgetragen wurde. Es hätte ein Buch über ein deutsches Phänomen werden können: Über ein Bürgertum, für das eleganter Auftritt, humanistische Bildung und entschlossenste Unmenschlichkeit kein Widerspruch war. Stattdessen wurde nur eine Klage daraus, dass man Betontürme baute, wo einmal Villen standen. Schade eigentlich.
NIKLAS MAAK
Alexander Mitscherlich: "Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden". Suhrkamp, 9 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main