Ein autofiktionaler Roman, leidenschaftlich und tragisch, über die Rebellion junger Frauen: Sylvie (Simone de Beauvoir) und ihre Jugendfreundin Andrée (Zaza) sind unzertrennlich. Gemeinsam kämpfen sie gegen den erstickenden Konformismus einer bürgerlichen Gesellschaft, in der Küsse vor der Ehe und freie Gedanken für Frauen verboten sind.
Sylvie bewundert Andrée: Sie scheint so selbstständig - und doch gerät gerade sie immer tiefer in die Falle ihrer ach so tugendhaften Familie. Diese trennt Andrée von dem Jungen, den sie liebt. Sylvie will ihrer Freundin helfen. Aber wie?
Als de Beauvoir das Manuskript Sartre zeigte, fand der es zu intim für eine Veröffentlichung. Es blieb in der Schublade. Fast siebzig Jahre später hat de Beauvoirs Adoptivtochter Sylvie Le Bon de Beauvoir diesen kurzen Roman nun freigegeben und ein Vorwort dazu geschrieben. Sie macht damit einen Urtext des frühen Feminismus zugänglich, mehr noch - eine Liebeserklärung de Beauvoirs an Zaza, die so jung starb. Ergänzt wird der Band mit noch nie gesehenen Schwarz-Weiß-Fotos und Briefen der beiden Freundinnen.
«Eine unvergessliche Begegnung.» The New York Times
Sylvie bewundert Andrée: Sie scheint so selbstständig - und doch gerät gerade sie immer tiefer in die Falle ihrer ach so tugendhaften Familie. Diese trennt Andrée von dem Jungen, den sie liebt. Sylvie will ihrer Freundin helfen. Aber wie?
Als de Beauvoir das Manuskript Sartre zeigte, fand der es zu intim für eine Veröffentlichung. Es blieb in der Schublade. Fast siebzig Jahre später hat de Beauvoirs Adoptivtochter Sylvie Le Bon de Beauvoir diesen kurzen Roman nun freigegeben und ein Vorwort dazu geschrieben. Sie macht damit einen Urtext des frühen Feminismus zugänglich, mehr noch - eine Liebeserklärung de Beauvoirs an Zaza, die so jung starb. Ergänzt wird der Band mit noch nie gesehenen Schwarz-Weiß-Fotos und Briefen der beiden Freundinnen.
«Eine unvergessliche Begegnung.» The New York Times
Das kleine Werk ist das Herzzentrum all ihrer Bücher. Iris Radisch Die Zeit 20211202
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Uli Aumüller entdeckt in Simone de Beauvoirs jüngst aus ihrem Nachlass erschienenen Roman viele Themen, Ereignisse und Motive, die die Autorin auch in späteren Texten beschäftigt haben. Teils sogar in wörtlicher und zudem in großer Übereinstimmung mit ihren realen Erfahrungen, erzählt de Beauvoir in "Die Unzertrennlichen" jene Geschichte, die sie vier Jahre später auch in "Marcelle, Chantal, Lisa…" bearbeiten wird: Die Geschichte ihrer unzertrennlichen Freundschaft mit Zaza bzw. Andrée im Roman, so wie deren Verlust. Beide, Simone und Zaza, erklärt Aumüller, kamen aus gutem Hause, wurden religiös erzogen, doch im Gegensatz zu ihrer Freundin, gelang es Simone - auch aufgrund anderer ökonomischer und familiärer Bedingungen, sich aus der für sie vorgesehenen Rolle zu befreien - ohne Frage ein "weiter Weg", der eines enormen Kraftaufwands bedurfte. Ihrer Freundin dagegen blieb in den alten Machtstrukturen gefangen, sie verstarb mit nur 21 Jahren - erstickt von den "Zwängen ihrer Klasse", erkennt der Rezensent. Aumüller scheint den Roman in jedem Fall mit Gewinn gelesen zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2021Aber ich liebe das Leben, sagte ich
Nach fast siebzig Jahren erscheint erstmals Simone de Beauvoirs Geschichte einer frühen Frauenliebe: Ihr Roman "Die Unzertrennlichen" ist autobiographisch getönt.
Simone de Beauvoir empfand ihre Tage auf Erden als ihr "Werk". Sie schrieb darüber und amalgamierte Leben und Literatur. In fünf autobiographischen Bänden verwandelte sie - zwischen Kindheit ("Memoiren einer Tochter aus gutem Hause") und Alter ("Die Zeremonie des Abschieds") - zeitgeschichtlich eingebundene Erlebnisse in Erzählungen. Ihre Beziehung zu Jean-Paul Sartre, der "Pakt" von 1929, in dem beide eine Liebeshierarchie schufen, die neben ihrer hohen Beziehung beiläufige Gespielinnen und Gespielen zuließ, ihr politisches Engagement an Sartres Seite, ihre (späte) Inthronisierung als Ikone der Frauenbewegung haben Kulturgeschichte geschrieben. Simone de Beauvoir galt als mutige Frau. Doch zu den lesbischen Beziehungen, die sie, bevorzugt mit jüngeren Frauen, lebte, hat sie sich zeitlebens nicht bekannt.
1962: Eines Abends sitzt die französische Philosophin und Schriftstellerin in einem Restaurant des Pariser Quartier Latin einer scheuen jungen Frau gegenüber. Simone de Beauvoir ist ein Star von 54 Jahren; Sylvie Le Bon ist Studentin, 21 Jahre alt. Bald verbindet die beiden Frauen eine innige Beziehung. Nach Sartres Tod (1980) adoptierte Simone de Beauvoir ihre Lebenspartnerin, um dieser die Rechte am eigenen Werk zu sichern. Sylvie Le Bon wird Beauvoirs Tochter; eine Ehe mit der "Mutter-Geliebten" wäre in den Achtzigerjahren nicht möglich gewesen. Nach Beauvoirs Tod (1986) kümmert sich Sylvie um den Nachlass. In der legendären "Bibliothèque de la Pléiade" erscheint seitdem das autobiographische Werk; neben den Memoiren auch Briefe und Tagebücher.
Mit "Die Unzertrennlichen" ist 2020 auf Französisch und nun auch auf Deutsch eine Liebesgeschichte herausgekommen, an der sich Simone de Beauvoir immer wieder abgearbeitet hat. Es geht um ihre Kinder- und Jugendliebe zu Zaza, einer Klassenkameradin und späteren Studienkollegin. In einem ebenso einfühlsamen wie kundigen Vorwort schreibt Sylvie Le Bon de Beauvoir: "Vier Mal schon hat die Schriftstellerin auf verschiedene Weisen vergeblich versucht, Zaza wiederauferstehen zu lassen: in unveröffentlichten Jugendromanen, im Erzählband 'Marcelle, Chantal, Lisa . . .', in einer gestrichenen Passage des Romans 'Die Mandarins von Paris', der ihr 1954 den Prix Goncourt einbrachte. Im selben Jahr wagt sie es ein weiteres Mal."
Zazas Leben und Tod werden vier Jahre später in einer nochmaligen Umarbeitung in die "Memoiren einer Tochter aus gutem Hause" eingehen. Le Bon de Beauvoir weist auf die Momente von Verfremdung und Fiktionalisierung hin. Zaza (eigentlich Elisabeth Lacoin) tritt im Roman als Andrée Gallard auf, Simone de Beauvoir als die Ich-Erzählerin Sylvie Lepage. Die Anzahl der jeweiligen Geschwister und die Namen von Landgütern sind geändert. Das katholische Institut Cours Désir, in dem die zehnjährige Simone die gleichaltrige Zaza kennenlernte, heißt nun Collège Adélaide. Maurice Merleau-Ponty, an dessen rigider Moral, wie es Simone de Beauvoir im Roman darstellt, die junge Zaza zerbricht, erscheint unter dem Namen Pascal.
Dem Buch ist ein Bildteil beigegeben: Zaza im Kreis der neun Geschwister, Zaza und Simone in weißen Kleidern auf dem Landgut Gangnepan der Familie Lacoin, Simone dort auch beim Tennisspielen; Simone vor einer Schießbude an der Porte d'Orléans, eine Pistole in der Hand, zielend; Sartre mit Pfeife im Mundwinkel daneben. Es ist das Jahr des "Pakts", das Jahr von Zazas Tod. Sie stirbt am 25. November 1929, einen Monat vor ihrem 22. Geburtstag, an einer viralen Enzephalitis. Im Bildteil erscheinen auch Briefe der beiden Frauen. Einer der letzten, den Simone de Beauvoir an Zaza schreibt, beginnt: "Liebe, liebe Zaza, wie könnte ich so sehr an Sie denken, ohne den Wunsch zu verspüren, es Ihnen zu sagen? Ich empfinde heute Abend wieder dieses dringende Verlangen nach Ihrer Nähe, das mich als kleines Mädchen so oft vor Rührung weinen ließ; doch damals wagte ich nicht, es Ihnen zu schreiben; wieso es mir jetzt versagen, da zwei Tage ohne Sie mir, lächerlicherweise, wie eine lange Trennung vorkommen?" Und es finden sich Zeilen wie: "Diese letzten Tage haben die seltenere Schönheit eingelöster Versprechen. Von Ihnen mir gegenüber, mit dem klareren Bewusstsein dessen, was Sie daran verweigern müssen." Das Fluidum zwischen Verehrung, Sehnsucht und dem Mysterium sexuellen Begehrens, das Zaza auslöst, wird im Milieu eines unerbittlichen Katholizismus zum Sprengstoff.
"Die Unzertrennlichen" sind ein psychologisches Kabinettstück über zwei sich nahe und doch polare Frauen, die, beide in gesellschaftliche Zwänge verstrickt, verschieden handeln. Auf der einen Seite Andrée, aus dem strengen, standesbewussten Pariser Großbürgertum, und daneben Sylvie, Tochter einer Familie, die nach dem Ersten Weltkrieg einen sozialen Abstieg erfuhr. Sylvie entwickelt früh die Freiheit, dem Glauben zu entsagen. Andrée verliebt sich nach der von der Mutter brutal verbotenen Kinderliebe zu Bernard als junge Frau auch körperlich in den moralisch engen und letztlich nicht mutigen Pascal ("Jeden Moment stand die Ewigkeit auf dem Spiel"). Eine Liebe, die auch dieses Mal durch die Mutter vereitelt wird ("'In unseren Kreisen kommen Hochzeiten nicht auf diese Weise zustande', sagte Andrée und fügte bitter hinzu: 'Eine Liebesheirat ist suspekt'"). Sylvie hingegen liebt keinen Mann, sondern Andrée.
Auch wenn Andrée an einer Gehirnentzündung stirbt, ist sie in diesem Roman das Opfer von gesellschaftlicher Observation und katholischer Gewalt. Die junge moralisch reflektierte Frau zerbricht daran, sich selbst nicht treu sein zu dürfen. Beauvoir schreibt mit sicherem Blick für Schattierungen des Milieus und seelische Zwischentöne. Ihre Porträts sind großartig, ihre Beschreibungen von malerischer Sinnlichkeit: "Eines Morgens saßen wir unter einem Feigenbaum und aßen Feigen. Die großen, violetten Feigen, die sie in Paris verkaufen, taugen nichts, doch ich liebte diese kleinen blassen, prall mit körniger Konfitüre gefüllten Früchte." Und Beauvoir konnte Dialoge schreiben: "Sie suchte meinen Blick. 'Sylvie, wenn Sie nicht an Gott glauben, wie können Sie das Leben dann ertragen?' - ' Aber ich liebe das Leben', sagte ich." Und obwohl das böse Ende von Anfang an klar ist, liest sich der kleine Roman mit Spannung.
Auf die Frage von Alice Schwarzer, warum Simone de Beauvoir gerade sie, Sylvie Le Bon, als Freundin gewählt habe, antwortete die langjährige Vertraute, Montesquieu zitierend: "Wir haben uns gewählt. 'Weil sie es war, weil ich es war!' Es gab tiefe Gemeinsamkeiten. Und sie wollte wiederfinden, was sie einst mit Zaza hatte: eine Intimität mit einer Frau." So wäre diese Edition - in der sehr schönen Übersetzung von Amelie Thoma - ein autobiographisches Echo-Kapitel in der Lebensgeschichte der Simone de Beauvoir. ANGELIKA OVERATH.
Simone de Beauvoir: "Die Unzertrennlichen". Roman.
Mit einem Vorwort von Sylvie Le Bon de Beauvoir. Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 168 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nach fast siebzig Jahren erscheint erstmals Simone de Beauvoirs Geschichte einer frühen Frauenliebe: Ihr Roman "Die Unzertrennlichen" ist autobiographisch getönt.
Simone de Beauvoir empfand ihre Tage auf Erden als ihr "Werk". Sie schrieb darüber und amalgamierte Leben und Literatur. In fünf autobiographischen Bänden verwandelte sie - zwischen Kindheit ("Memoiren einer Tochter aus gutem Hause") und Alter ("Die Zeremonie des Abschieds") - zeitgeschichtlich eingebundene Erlebnisse in Erzählungen. Ihre Beziehung zu Jean-Paul Sartre, der "Pakt" von 1929, in dem beide eine Liebeshierarchie schufen, die neben ihrer hohen Beziehung beiläufige Gespielinnen und Gespielen zuließ, ihr politisches Engagement an Sartres Seite, ihre (späte) Inthronisierung als Ikone der Frauenbewegung haben Kulturgeschichte geschrieben. Simone de Beauvoir galt als mutige Frau. Doch zu den lesbischen Beziehungen, die sie, bevorzugt mit jüngeren Frauen, lebte, hat sie sich zeitlebens nicht bekannt.
1962: Eines Abends sitzt die französische Philosophin und Schriftstellerin in einem Restaurant des Pariser Quartier Latin einer scheuen jungen Frau gegenüber. Simone de Beauvoir ist ein Star von 54 Jahren; Sylvie Le Bon ist Studentin, 21 Jahre alt. Bald verbindet die beiden Frauen eine innige Beziehung. Nach Sartres Tod (1980) adoptierte Simone de Beauvoir ihre Lebenspartnerin, um dieser die Rechte am eigenen Werk zu sichern. Sylvie Le Bon wird Beauvoirs Tochter; eine Ehe mit der "Mutter-Geliebten" wäre in den Achtzigerjahren nicht möglich gewesen. Nach Beauvoirs Tod (1986) kümmert sich Sylvie um den Nachlass. In der legendären "Bibliothèque de la Pléiade" erscheint seitdem das autobiographische Werk; neben den Memoiren auch Briefe und Tagebücher.
Mit "Die Unzertrennlichen" ist 2020 auf Französisch und nun auch auf Deutsch eine Liebesgeschichte herausgekommen, an der sich Simone de Beauvoir immer wieder abgearbeitet hat. Es geht um ihre Kinder- und Jugendliebe zu Zaza, einer Klassenkameradin und späteren Studienkollegin. In einem ebenso einfühlsamen wie kundigen Vorwort schreibt Sylvie Le Bon de Beauvoir: "Vier Mal schon hat die Schriftstellerin auf verschiedene Weisen vergeblich versucht, Zaza wiederauferstehen zu lassen: in unveröffentlichten Jugendromanen, im Erzählband 'Marcelle, Chantal, Lisa . . .', in einer gestrichenen Passage des Romans 'Die Mandarins von Paris', der ihr 1954 den Prix Goncourt einbrachte. Im selben Jahr wagt sie es ein weiteres Mal."
Zazas Leben und Tod werden vier Jahre später in einer nochmaligen Umarbeitung in die "Memoiren einer Tochter aus gutem Hause" eingehen. Le Bon de Beauvoir weist auf die Momente von Verfremdung und Fiktionalisierung hin. Zaza (eigentlich Elisabeth Lacoin) tritt im Roman als Andrée Gallard auf, Simone de Beauvoir als die Ich-Erzählerin Sylvie Lepage. Die Anzahl der jeweiligen Geschwister und die Namen von Landgütern sind geändert. Das katholische Institut Cours Désir, in dem die zehnjährige Simone die gleichaltrige Zaza kennenlernte, heißt nun Collège Adélaide. Maurice Merleau-Ponty, an dessen rigider Moral, wie es Simone de Beauvoir im Roman darstellt, die junge Zaza zerbricht, erscheint unter dem Namen Pascal.
Dem Buch ist ein Bildteil beigegeben: Zaza im Kreis der neun Geschwister, Zaza und Simone in weißen Kleidern auf dem Landgut Gangnepan der Familie Lacoin, Simone dort auch beim Tennisspielen; Simone vor einer Schießbude an der Porte d'Orléans, eine Pistole in der Hand, zielend; Sartre mit Pfeife im Mundwinkel daneben. Es ist das Jahr des "Pakts", das Jahr von Zazas Tod. Sie stirbt am 25. November 1929, einen Monat vor ihrem 22. Geburtstag, an einer viralen Enzephalitis. Im Bildteil erscheinen auch Briefe der beiden Frauen. Einer der letzten, den Simone de Beauvoir an Zaza schreibt, beginnt: "Liebe, liebe Zaza, wie könnte ich so sehr an Sie denken, ohne den Wunsch zu verspüren, es Ihnen zu sagen? Ich empfinde heute Abend wieder dieses dringende Verlangen nach Ihrer Nähe, das mich als kleines Mädchen so oft vor Rührung weinen ließ; doch damals wagte ich nicht, es Ihnen zu schreiben; wieso es mir jetzt versagen, da zwei Tage ohne Sie mir, lächerlicherweise, wie eine lange Trennung vorkommen?" Und es finden sich Zeilen wie: "Diese letzten Tage haben die seltenere Schönheit eingelöster Versprechen. Von Ihnen mir gegenüber, mit dem klareren Bewusstsein dessen, was Sie daran verweigern müssen." Das Fluidum zwischen Verehrung, Sehnsucht und dem Mysterium sexuellen Begehrens, das Zaza auslöst, wird im Milieu eines unerbittlichen Katholizismus zum Sprengstoff.
"Die Unzertrennlichen" sind ein psychologisches Kabinettstück über zwei sich nahe und doch polare Frauen, die, beide in gesellschaftliche Zwänge verstrickt, verschieden handeln. Auf der einen Seite Andrée, aus dem strengen, standesbewussten Pariser Großbürgertum, und daneben Sylvie, Tochter einer Familie, die nach dem Ersten Weltkrieg einen sozialen Abstieg erfuhr. Sylvie entwickelt früh die Freiheit, dem Glauben zu entsagen. Andrée verliebt sich nach der von der Mutter brutal verbotenen Kinderliebe zu Bernard als junge Frau auch körperlich in den moralisch engen und letztlich nicht mutigen Pascal ("Jeden Moment stand die Ewigkeit auf dem Spiel"). Eine Liebe, die auch dieses Mal durch die Mutter vereitelt wird ("'In unseren Kreisen kommen Hochzeiten nicht auf diese Weise zustande', sagte Andrée und fügte bitter hinzu: 'Eine Liebesheirat ist suspekt'"). Sylvie hingegen liebt keinen Mann, sondern Andrée.
Auch wenn Andrée an einer Gehirnentzündung stirbt, ist sie in diesem Roman das Opfer von gesellschaftlicher Observation und katholischer Gewalt. Die junge moralisch reflektierte Frau zerbricht daran, sich selbst nicht treu sein zu dürfen. Beauvoir schreibt mit sicherem Blick für Schattierungen des Milieus und seelische Zwischentöne. Ihre Porträts sind großartig, ihre Beschreibungen von malerischer Sinnlichkeit: "Eines Morgens saßen wir unter einem Feigenbaum und aßen Feigen. Die großen, violetten Feigen, die sie in Paris verkaufen, taugen nichts, doch ich liebte diese kleinen blassen, prall mit körniger Konfitüre gefüllten Früchte." Und Beauvoir konnte Dialoge schreiben: "Sie suchte meinen Blick. 'Sylvie, wenn Sie nicht an Gott glauben, wie können Sie das Leben dann ertragen?' - ' Aber ich liebe das Leben', sagte ich." Und obwohl das böse Ende von Anfang an klar ist, liest sich der kleine Roman mit Spannung.
Auf die Frage von Alice Schwarzer, warum Simone de Beauvoir gerade sie, Sylvie Le Bon, als Freundin gewählt habe, antwortete die langjährige Vertraute, Montesquieu zitierend: "Wir haben uns gewählt. 'Weil sie es war, weil ich es war!' Es gab tiefe Gemeinsamkeiten. Und sie wollte wiederfinden, was sie einst mit Zaza hatte: eine Intimität mit einer Frau." So wäre diese Edition - in der sehr schönen Übersetzung von Amelie Thoma - ein autobiographisches Echo-Kapitel in der Lebensgeschichte der Simone de Beauvoir. ANGELIKA OVERATH.
Simone de Beauvoir: "Die Unzertrennlichen". Roman.
Mit einem Vorwort von Sylvie Le Bon de Beauvoir. Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 168 S., geb., 22,- Euro.
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Der Tod der Jugendfreundin Elisabeth Lacoin, genannt Zaza, war zentral im Werk der französischen Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir, weiß Rezensent Felix Stephan, er nennt ihn die "Ursprungserzählung". In dem bisher unveröffentlichten Roman "Die Unzertrennlichen" erzählt Beauvoir nur wenig fiktionalisiert diese Geschichte zweier Freundinnen, die sich in einer katholisch konservativen Welt mit klar verteilten Rollenbildern behaupten müssen: Die eine ringt darum, den religiösen Glauben mit ihren gesellschaftlichen Idealen zu vereinen, während die andere die anfängliche Vergötterung und Überhöhung der Freundin überwindet, um sich selbst zu emanzipieren. Ihr Verlauf ist dem Rezensent umfassend bekannt, weshalb dieser Roman in seinen Augen die bisherigen Erkenntnisse nicht grundlegend erschüttern kann. Darüber hinaus verrät Stephan nicht, was er von dem Roman hält, ihm fällt allerdings auf, dass Beauvoir sich hier ausnahmsweise nicht ins Technische flüchtet, wenn es um Geschlechterbeziehungen geht, sondern richtig schwärmerisch wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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