Zu Tode gedemütigt, ohne Hoffnung
Die Ursachen waren zerstörend und verbrecherisch - sie hinterließen unauslöschliche Spuren. Das Internat: ein raffiniert gegen den Geist gebauter Kerker; die Stadt: eine Todeskrankheit, ein Friedhof der Phantasie und der Wünsche. Der Krieg: die Stollen, in denen Hunderte erstickt und umgekommen sind; der Großvater: der nur von Großem sprach, von Mozart, Rembrandt und Beethoven.
All diese Belastungen hat Thomas Bernhard in diesem autobiographischen Rechenschaftsbericht literarisch verarbeitet.
Die Ursachen waren zerstörend und verbrecherisch - sie hinterließen unauslöschliche Spuren. Das Internat: ein raffiniert gegen den Geist gebauter Kerker; die Stadt: eine Todeskrankheit, ein Friedhof der Phantasie und der Wünsche. Der Krieg: die Stollen, in denen Hunderte erstickt und umgekommen sind; der Großvater: der nur von Großem sprach, von Mozart, Rembrandt und Beethoven.
All diese Belastungen hat Thomas Bernhard in diesem autobiographischen Rechenschaftsbericht literarisch verarbeitet.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2011Erregungslitanei in fünf Bänden:
Thomas Bernhards Autobiographie
Den meisten Menschen würde es gelingen, meinte Thomas Bernhard einmal, ihre Existenz als perfekte Ablenkung von ihrer Existenz zu führen. Ihm selber gelang das zeitlebens nicht. Schon im zarten Alter von drei Jahren machte er sich Gedanken ums große Ganze. „Stundenlang“, heißt es in „Ein Kind“ (1982), dem fünften und letzten Band seiner Autobiografie, „saß ich auf irgendeiner Grabeinfassung und grübelte über Sein und sein Gegenteil nach.“ Das ist naturgemäß hochnotkomische Übertreibung, die zeigt: Die Darstellung des eigenen Lebens bis zum 19. Lebensjahr, die Bernhard sich seit 1975, seit „Die Ursache. Eine Andeutung“, zur Aufgabe gemacht hatte, ist literarische Stilisierung. Bernhard findet und erfindet sich selbst. Im zweiten Band „Der Keller. Eine Entziehung“ (1976), der nach den Salzburger Kriegsjahren 1943 bis 1945 seine Lehrjahre als Kaufmann zum Inhalt hat, schreibt er, ganz Sprachphilosoph: „Immer wieder nichts anderes als die Lüge als Wahrheit, die Wahrheit als Lüge et cetera.“
Die fünf Bände zu lesen – nach den genannten sind das noch „Der Atem. Eine Entscheidung“ (1978) und „Die Kälte. Eine Isolation“ (1981) – bedeutet, das Theatrum mundi des ewigen Störenfrieds zu betreten: „Das Theater, das ich mit vier und mit fünf und mit sechs Jahren für mein ganzes Leben eröffnet habe, ist schon eine in die Hunderttausende von Figuren vernarrte Bühne.“ (Der Keller).
Neben all den Nazis, Katholiken und Stumpfsinnigen haben immer auch die Hausgötter ihren Auftritt: Montaigne, Pascal, Novalis. Sowie der geliebte Großvater Johannes Freumbichler. Dem unglücklichen Dichter wird ein Denkmal gesetzt: „Die Großväter sind die Lehrer, die eigentlichen Philosophen jedes Menschen . . .“ (Ein Kind).
Nicht zuletzt handeln die Bücher von Bernhards Liebe zur Musik, die für ihn, den schwer lungenkranken jungen Mann, Rettung bedeutet. Oft hat man daher in seinen Erregungslitaneien musikalische Prinzipien zu entdecken versucht. Die Autobiografie: Sie beinhaltet den ganzen Bernhard und ist schlicht ein Meisterwerk.
Florian Welle
Thomas Bernhard: Die Ursache. Eine Andeutung.
dtv, München 2011. 146 S., 8,90 Euro. Alle weiteren: auch dtv, 2011.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Thomas Bernhards Autobiographie
Den meisten Menschen würde es gelingen, meinte Thomas Bernhard einmal, ihre Existenz als perfekte Ablenkung von ihrer Existenz zu führen. Ihm selber gelang das zeitlebens nicht. Schon im zarten Alter von drei Jahren machte er sich Gedanken ums große Ganze. „Stundenlang“, heißt es in „Ein Kind“ (1982), dem fünften und letzten Band seiner Autobiografie, „saß ich auf irgendeiner Grabeinfassung und grübelte über Sein und sein Gegenteil nach.“ Das ist naturgemäß hochnotkomische Übertreibung, die zeigt: Die Darstellung des eigenen Lebens bis zum 19. Lebensjahr, die Bernhard sich seit 1975, seit „Die Ursache. Eine Andeutung“, zur Aufgabe gemacht hatte, ist literarische Stilisierung. Bernhard findet und erfindet sich selbst. Im zweiten Band „Der Keller. Eine Entziehung“ (1976), der nach den Salzburger Kriegsjahren 1943 bis 1945 seine Lehrjahre als Kaufmann zum Inhalt hat, schreibt er, ganz Sprachphilosoph: „Immer wieder nichts anderes als die Lüge als Wahrheit, die Wahrheit als Lüge et cetera.“
Die fünf Bände zu lesen – nach den genannten sind das noch „Der Atem. Eine Entscheidung“ (1978) und „Die Kälte. Eine Isolation“ (1981) – bedeutet, das Theatrum mundi des ewigen Störenfrieds zu betreten: „Das Theater, das ich mit vier und mit fünf und mit sechs Jahren für mein ganzes Leben eröffnet habe, ist schon eine in die Hunderttausende von Figuren vernarrte Bühne.“ (Der Keller).
Neben all den Nazis, Katholiken und Stumpfsinnigen haben immer auch die Hausgötter ihren Auftritt: Montaigne, Pascal, Novalis. Sowie der geliebte Großvater Johannes Freumbichler. Dem unglücklichen Dichter wird ein Denkmal gesetzt: „Die Großväter sind die Lehrer, die eigentlichen Philosophen jedes Menschen . . .“ (Ein Kind).
Nicht zuletzt handeln die Bücher von Bernhards Liebe zur Musik, die für ihn, den schwer lungenkranken jungen Mann, Rettung bedeutet. Oft hat man daher in seinen Erregungslitaneien musikalische Prinzipien zu entdecken versucht. Die Autobiografie: Sie beinhaltet den ganzen Bernhard und ist schlicht ein Meisterwerk.
Florian Welle
Thomas Bernhard: Die Ursache. Eine Andeutung.
dtv, München 2011. 146 S., 8,90 Euro. Alle weiteren: auch dtv, 2011.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2019Wenn Sprache den Bildrhythmus vorgibt
Eine Frage der Suada: Thomas Bernhards Bücher bewähren sich auch als Vorlagen für Comics
Seit Comics hierzulande "Graphic Novels" heißen, wenn sie Anspruch auf Anspruch erheben wollen, ist auch die Zahl der gezeichneten Literatur-Adaptionen gestiegen. Denn immerhin hat der Marketingbegriff da seine Berechtigung: Romane von Proust, Kafka, H. G. Wells, Marcel Beyer, Melville und zahllosen anderen bedeutenden Schriftstellern sind als gezeichnete Versionen ja tatsächlich graphic novels - ganz im Gegensatz zu Reportagen, Autobiographien, Sachcomics oder was im deutschen Sprachraum noch alles unter dem gekaperten englischen Begriff publiziert wird. Und über das klägliche Niveau der 1941 in Amerika zu pädagogischen Zwecken (aber nicht aus ästhetischer Motivation) etablierten Heftserie "Classics Illustrated", deren Schöpfer sich der Illusion hingaben, mit schlecht gemachten Comics könnte man Lust auf die Lektüre von deren literarischen Vorlagen machen, sind wir erfreulicherweise längst hinaus. Obwohl es mit gut gemachten Adaptionen auch nicht besser klappt. Wer sich für "Die Suche nach der verlorenen Zeit" oder "Der Prozess" als Comic begeistert, hat im Regelfall den Roman schon gelesen. Den Zeichnern kann es egal sein, solange gekauft wird.
Den Schriftstellern oder deren Erben ist es nicht egal. Warum sollten sie der Comic-Version eines berühmten Buchs zustimmen? Die Rechteinhaber der Werke von Beckett etwa verweisen darauf, dass der Autor selbst zu Lebzeiten keiner Verfilmung (also Verfremdung) zugestimmt hat, und weisen jedes Ansinnen einer Comic-Adaption zurück. Deshalb musste sich der österreichische Zeichner Nicolas Mahler, der "Warten auf Godot" zeichnen wollte, 2012 eine andere Herausforderung suchen. Er fand sie in Thomas Bernhards "Alte Meister", und diesmal stimmten die Erben zu. Der Comic, wie die Romanvorlage bei Suhrkamp erschienen, wurde zum Überraschungserfolg, obwohl Mahler die Handlung extrem verdichtete. Aber er wahrte in Sprechblasen und Textkästen die markante Sprachsuada. Mit dem bernhardschen Theaterstück "Der Weltverbesserer" gelang ihm das zwei Jahre später noch einmal.
Thomas Bernhards Erben hatten ihren Spaß daran, also haben sie nun auch einem anderen Verlag eine Adaptionsgenehmigung erteilt: Residenz, wo von 1975 bis 1982 der fünfteilige autobiographische Zyklus über Bernhards Jugend herauskam. Dessen ersten Band, "Die Ursache", hat der im Gegensatz zu Mahler noch relativ unbekannte junge Innsbrucker Zeichner Lukas Kummer in einen Comic umgesetzt. Der zeigt uns jenes Salzburger Internat, in dem Bernhard von 1943 bis 1946 zur Schule ging und das im Krieg stramm nationalsozialistisch, danach kompromisslos katholisch geführt wurde - für Bernhard eine konsequente Fortsetzung der dort erlittenen Charakterverstörung und -zerstörung.
Anders als Mahler mit seinen für ihn typischen Figuren überführt Kummer das bernhardsche Personal nicht in individuelle, sondern in gesichtslose, beinahe piktogrammartig gezeichnete Darstellungen. Sprechblasen gibt es nicht, nur den Bildern jeweils am oberen Rand beigegebene Textkästen, die Originalsätze aus Bernhards Buch bieten, teilweise ihrer Länge wegen über ganze Seiten hinweg fortgeführt. Lukas Kummer wählt die spezifische Rhythmik der bernhardschen Sprache als Ausgangspunkt für einen eigenen Bildrhythmus, der mit winzigsten Veränderungen und ständigen Motivwiederholungen arbeitet - ein kongeniales Verfahren, das tatsächlich auch Bernhard-Novizen eine Vorstellung von der Sogwirkung dieses Erzählens vermitteln kann. Auf Fortsetzung darf man sich angesichts der noch vier ausstehenden Bände freuen.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Frage der Suada: Thomas Bernhards Bücher bewähren sich auch als Vorlagen für Comics
Seit Comics hierzulande "Graphic Novels" heißen, wenn sie Anspruch auf Anspruch erheben wollen, ist auch die Zahl der gezeichneten Literatur-Adaptionen gestiegen. Denn immerhin hat der Marketingbegriff da seine Berechtigung: Romane von Proust, Kafka, H. G. Wells, Marcel Beyer, Melville und zahllosen anderen bedeutenden Schriftstellern sind als gezeichnete Versionen ja tatsächlich graphic novels - ganz im Gegensatz zu Reportagen, Autobiographien, Sachcomics oder was im deutschen Sprachraum noch alles unter dem gekaperten englischen Begriff publiziert wird. Und über das klägliche Niveau der 1941 in Amerika zu pädagogischen Zwecken (aber nicht aus ästhetischer Motivation) etablierten Heftserie "Classics Illustrated", deren Schöpfer sich der Illusion hingaben, mit schlecht gemachten Comics könnte man Lust auf die Lektüre von deren literarischen Vorlagen machen, sind wir erfreulicherweise längst hinaus. Obwohl es mit gut gemachten Adaptionen auch nicht besser klappt. Wer sich für "Die Suche nach der verlorenen Zeit" oder "Der Prozess" als Comic begeistert, hat im Regelfall den Roman schon gelesen. Den Zeichnern kann es egal sein, solange gekauft wird.
Den Schriftstellern oder deren Erben ist es nicht egal. Warum sollten sie der Comic-Version eines berühmten Buchs zustimmen? Die Rechteinhaber der Werke von Beckett etwa verweisen darauf, dass der Autor selbst zu Lebzeiten keiner Verfilmung (also Verfremdung) zugestimmt hat, und weisen jedes Ansinnen einer Comic-Adaption zurück. Deshalb musste sich der österreichische Zeichner Nicolas Mahler, der "Warten auf Godot" zeichnen wollte, 2012 eine andere Herausforderung suchen. Er fand sie in Thomas Bernhards "Alte Meister", und diesmal stimmten die Erben zu. Der Comic, wie die Romanvorlage bei Suhrkamp erschienen, wurde zum Überraschungserfolg, obwohl Mahler die Handlung extrem verdichtete. Aber er wahrte in Sprechblasen und Textkästen die markante Sprachsuada. Mit dem bernhardschen Theaterstück "Der Weltverbesserer" gelang ihm das zwei Jahre später noch einmal.
Thomas Bernhards Erben hatten ihren Spaß daran, also haben sie nun auch einem anderen Verlag eine Adaptionsgenehmigung erteilt: Residenz, wo von 1975 bis 1982 der fünfteilige autobiographische Zyklus über Bernhards Jugend herauskam. Dessen ersten Band, "Die Ursache", hat der im Gegensatz zu Mahler noch relativ unbekannte junge Innsbrucker Zeichner Lukas Kummer in einen Comic umgesetzt. Der zeigt uns jenes Salzburger Internat, in dem Bernhard von 1943 bis 1946 zur Schule ging und das im Krieg stramm nationalsozialistisch, danach kompromisslos katholisch geführt wurde - für Bernhard eine konsequente Fortsetzung der dort erlittenen Charakterverstörung und -zerstörung.
Anders als Mahler mit seinen für ihn typischen Figuren überführt Kummer das bernhardsche Personal nicht in individuelle, sondern in gesichtslose, beinahe piktogrammartig gezeichnete Darstellungen. Sprechblasen gibt es nicht, nur den Bildern jeweils am oberen Rand beigegebene Textkästen, die Originalsätze aus Bernhards Buch bieten, teilweise ihrer Länge wegen über ganze Seiten hinweg fortgeführt. Lukas Kummer wählt die spezifische Rhythmik der bernhardschen Sprache als Ausgangspunkt für einen eigenen Bildrhythmus, der mit winzigsten Veränderungen und ständigen Motivwiederholungen arbeitet - ein kongeniales Verfahren, das tatsächlich auch Bernhard-Novizen eine Vorstellung von der Sogwirkung dieses Erzählens vermitteln kann. Auf Fortsetzung darf man sich angesichts der noch vier ausstehenden Bände freuen.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Autobiografie: Sie beinhaltet den ganzen Bernhard und ist schlicht ein Meisterwerk. Florian Welle Süddeutsche Zeitung 20110204