Marktplatzangebote
11 Angebote ab € 1,00 €
  • Broschiertes Buch

Laura und Aische trennen 700 Jahre - und doch haben sie viel gemeinsam. Beide sind von Männern verlassen worden, und beide sind nicht bereit, den Verlust hinzunehmen. Laura, eine Burgherrin aus dem 13. Jahrhundert, bricht als Spielmann verkleidet in das Land der Muselmanen auf, wo ihr Mann Konrad als Pilger verschollen ist. Ende des zwanzigsten Jahrhunderts reist die fünfzehnjährige Aische auf ähnlichen Wegen wie Laura 700 Jahre zuvor in die Türkei - denn dorthin verschwand ihr Vater, ein ehemaliger Gastarbeiter.

Produktbeschreibung
Laura und Aische trennen 700 Jahre - und doch haben sie viel gemeinsam. Beide sind von Männern verlassen worden, und beide sind nicht bereit, den Verlust hinzunehmen. Laura, eine Burgherrin aus dem 13. Jahrhundert, bricht als Spielmann verkleidet in das Land der Muselmanen auf, wo ihr Mann Konrad als Pilger verschollen ist. Ende des zwanzigsten Jahrhunderts reist die fünfzehnjährige Aische auf ähnlichen Wegen wie Laura 700 Jahre zuvor in die Türkei - denn dorthin verschwand ihr Vater, ein ehemaliger Gastarbeiter.
Autorenporträt
Katja Behrens, 1942 in Berlin geboren, 1960 - 1973 Übersetzungen aus dem Amerikanischen, u. a. William S.Burroughs und Henry Miller. Von 1973 bis 1978 Verlagslektorin. Seit 1978 freiberuflich tätig. PEN-Mitglied, ausgezeichnet mit verschiedenen Literaturpreisen, 1992 Stadtschreiberin von Mainz. Katja Behrens lebt heute in Darmstadt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.1997

Lehrjahre einer Vagantin
Katja Behrens engagiert sich fabulierend für die Emanzipation

Wen historische Erzählungen, zumal Mittelalter-Romane, fesseln, wer vom Zirkus und von der Welt der Fahrenden fasziniert ist und bei allem das Abenteuerliche sucht, dem stellt Katja Behrens' Roman "Die Vagantin" Lesevergnügen in Aussicht. Seit dem schwindelerregenden Erfolg von Victor von Scheffels "Ekkehard" (1855), der bis zur Mitte unseres Jahrhunderts dreihundert Auflagen erlebte, steht der historische Roman aus der Ritterzeit beim Publikum hoch im Kurs. Letztlich werden wohl auch Dieter Kühns Mittelalter-Bücher, zumal "Ich Wolkenstein" und "Neidhart aus dem Reuental", noch von dieser Sympathiewoge mitgetragen. Aus Kühns "Neidhart" übrigens zitiert Katja Behrens mehrere Lieder.

Rückt Kühn von der naiven Form des Mittelalter-Romans ab, indem er die Schwierigkeiten der Annäherung an den Gegenstand darstellt, so geht Katja Behrens in zweifacher Weise in Distanz. Sie belebt die ritterliche Welt durch erfundene Figuren und durchbricht das mittelalterliche Geschehen immer wieder mit einer Parallelhandlung aus der Gegenwart. Wie in den vorangegangenen Erzählungen von Katja Behrens gibt auch hier die Männerwelt nur eine Folie ab für die Frauengestalten.

Geographischer Schnittpunkt der Handlungsstränge sind eine Schutzhütte im Wald, in der sich das entlaufene Mädchen Aische verbirgt, und, nicht weit davon entfernt, eine Ruine, die in der Erzählung als Ritterburg wiederersteht. Laura, die Herrin der Burg Tannenberg, hofft auf die Rückkehr ihres Mannes Konrad von einer Pilgerfahrt und flieht nach vergeblichem Warten in Männerkleidung, um ihn im Morgenland zu suchen. Sie schließt sich zunächst den Spielleuten und später einer jüdischen Reisegruppe an. Das Mädchen Aische begibt sich auf die Suche nach ihrem türkischen Vater, der als Gastarbeiter eines Tages spurlos verschwunden ist. Sie gelangt mit einer Zirkustruppe nach Venedig.

Das bunte Treiben mittelalterlicher Märkte, das jämmerliche Leben der Spielleute, die vor dem Einbruch der Nacht aus den Stadtmauern verschwunden sein müssen und die Wechselfälle des Reisens im Mittelalter dort, die Flucht vor der Polizeikontrolle, die Bedrängung durch sexuelle Freibeuter, die luftige Zirkuswelt und das zweifelhafte Gewerbe einer Handleserin und Wahrsagerin hier - dies sind die Motive eines Erzählens, das wie am laufenden Band spannende Geschichten heranführt. Und manchmal hasten die Bilder nur noch vorüber.

Der auf die mittelalterliche Figur gemünzte Romantitel "Die Vagantin" gilt im übertragenen Sinne auch für die Gegenwartsfigur. Beide Frauen sind aus eigenem Entschluß zu gesellschaftlichen Außenseiterinnen, zu "Gesetzlosen" geworden. Das hält Sozial- und Zeitkritik in Grenzen, auch wenn das Thema weiblicher Emanzipation weiterhin auf der Tagesordnung bleibt. Katja Behrens verzichtet auf Doktrinäres und läßt sich, wie schon im Roman "Die dreizehnte Fee" (1983), die erzählerische und sprachliche Spielfreude nicht verderben. Die Prosa ist immer bewegt, mit Sprachelementen des Jiddischen, des Rotwelsch und des Türkischen (ein Glossar ist eigens angefügt) angereichert, sie glänzt mit Kaskaden kühn erfundener sprechender Namen. Und zum Schluß der Mittelalter-Handlung greift die Erzählung ins Märchenhafte aus.

Parallelität auch am Ende: Laura im mittelalterlichen Konstantinopel, Aische im heutigen Istanbul. Laura findet Konrad in den Banden der schönen Rhumpachlas, die ihn aus der Sklaverei befreit hat. Die bekannte Geschichte des Grafen von Gleichen, der aus dem Kreuzzug mit seiner Retterin zu seiner Frau zurückkehrt, klingt an. Doch zum Happy-End der Legende, der Ehe zu dritt, kommt es hier nicht. Auch Aisches Wiederbegegnung mit ihrem Vater, die Aufnahme in seine türkische Familie, führt in die Enttäuschung. Allerdings ist die Flucht aus dem Schoß dieser Familie zugleich Selbstbefreiung aus drohender Versklavung.

Die Handlungen um die Vagantinnen von einst und von heute kommentieren sich wechselseitig. So bleibt auch die mittelalterische Welt keine unverbindliche historische Szenerie. Doch wird das Engagement für die Emanzipationsfrage durch die Fabulierfreude der Erzählerin in den farbigen Szenen aus der Spielmanns- und Zirkuswelt in der Waage gehalten. Man darf das einen Drahtseilakt nennen. Auch die Erzählerin ist unter die Gaukler gegangen. WALTER HINCK

Katja Behrens: "Die Vagantin". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997. 464 S., geb., 44,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr