Die Veitskapelle in Mühlhausen bei Stuttgart ist ein besonderer Glücksfall, von denen es in Deutschland nicht viele gibt. Hier hat sich eine nahezu vollständige mittelalterliche Kirchenausstattung erhalten, ohne barocke Überformung, ohne allzu zerstörerische „Restaurierungen“ und in einem wunderbar
geschlossenen Ensemble. Grund dafür ist, wie so oft, Armut. Es klingt aus heutiger Sicht für den…mehrDie Veitskapelle in Mühlhausen bei Stuttgart ist ein besonderer Glücksfall, von denen es in Deutschland nicht viele gibt. Hier hat sich eine nahezu vollständige mittelalterliche Kirchenausstattung erhalten, ohne barocke Überformung, ohne allzu zerstörerische „Restaurierungen“ und in einem wunderbar geschlossenen Ensemble. Grund dafür ist, wie so oft, Armut. Es klingt aus heutiger Sicht für den Raum Stuttgart vielleicht etwas deplatziert, aber bis ins 19. Jahrhundert fehlte der Gemeinde Mühlhausen schlicht das Geld für eine Modernisierung und mit dem Beginn der Mittelalterbegeisterung ab 1840 wurde die Bedeutung der Veitskapelle schnell erkannt. Um 1880 gab es eine erste Restaurierung, nach dem Zweiten Weltkrieg, den die Veitskapelle beschädigt, aber weitgehend erhalten überstand, gab es eine zweite Restaurierungsphase, die bis heute anhält. Nicht alle Maßnahmen waren aus heutiger Sicht sachgerecht. Die umfassende, exzellent dokumentierte Kampagne von 2007 bis 2013 erfasste detailliert den Status quo und beseitigte zahlreiche Primär- und Sekundärschäden. Die Arbeiten wurden eng vom Landesdenkmalamt begleitet und nun mit einiger Verspätung in diesem Band publiziert.
Die Sorgfalt, die bei allen Überlegungen waltete, lässt sich aus der technischen Dokumentation ablesen. Ein einleitendes Kapitel beleuchtet zusätzlich die Baugeschichte, sowie in der Folge den Stand der kunstgeschichtlichen Diskussion. Insbesondere die Frage des böhmischen Einflusses auf die Wandmalereien ist mit letzter Sicherheit noch nicht geklärt. Das ikonografische Bildprogramm wird analysiert, fehlende Elemente werden postuliert und zur Datierung bzw. Abfolge der Malerei Methoden der vergleichenden Kunstgeschichte sowie der Kunsttechnologie herangezogen.
Die folgenden Kapitel „durchleuchten“ den Baukörper von außen nach innen: Die Sicherung der Dachkonstruktion (noch aus dem Baujahr 1382!), der Ersatz des schadhaften Außenputzes aus den Sechzigerjahren, die Restaurierung der steinernen Architekturteile, sowie die Sicherung der originalen Wandmalereien werden mit zahlreichen Aufnahmen, Übersichtsplänen und fachlich detaillierten Beschreibungen erfasst. Typisch für heutige Maßnahmen ist der interdisziplinäre Ansatz, bei dem nicht nur hochspezialisierte Handwerker, sondern auch Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen beteiligt sind. Interessant sind in dem Zusammenhang die Untersuchungen zur angewandten Maltechnik, die z. B. in Schablonen einsetzte, sowie die chemische Analyse der Malgründe, die teilweise noch völlig unberührt sind und daher selten authentische Einblicke ermöglichen, und außerdem die Abgrenzung von Original und späterer Restaurierung erlauben. Bei der Innenausstattung wird ein Fokus auf die Arbeiten an der Altarretabel gesetzt. Im Anhang finden sich Fotos sämtlicher bei den Arbeiten identifizierter Steinmetzzeichen, sowie Transkriptionen der historischen Bauakten aus dem 19. Jahrhundert.
Es hat zwar fast 10 Jahre gedauert, bis alle beteiligten Autoren ihre Beiträge abgeliefert haben, aber die Dokumentation erfüllt dafür auch alle Anforderungen, die man heutzutage an stellt. Die Fehler der Vergangenheit, als Restaurierungsmaßnahmen höchstens mit einer Rechnung im Kirchenarchiv festgehalten wurden, werden sich zum Glück nicht wiederholen und sind zum Teil durch den retrospektiven Ansatz der Untersuchungen sogar korrigiert worden.