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Produktdetails
  • Verlag: Residenz
  • Originaltitel: Les excedes
  • Seitenzahl: 133
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 302g
  • ISBN-13: 9783701711895
  • ISBN-10: 3701711895
  • Artikelnr.: 23972336
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2000

Kullernde Duftgespenster
Schweigen macht nicht stumm: Bruno Bayens "Verärgerte"

Man könnte sich einen Literaturwettbewerb ausdenken, bei dem gewinnt, wer einen Text verfaßt hat, in dem der Leser den jeweils nächsten Satz nicht errät. Bruno Bayen, ein 1950 geborener Regisseur und Schriftsteller, hätte gute Chancen, ihn zu gewinnen. Kein Surrealist, nicht Paul Léautaud und kein verbissener Nonkonformist hat je etwas so Zwangloses geschrieben wie "Die Verärgerten". Die Sätze schlingern zwischen Aphorismus und Bonmot und ergeben etwas, worauf der Verlag erleichtert das Schildchen "Roman" drucken kann.

Zwei Freunde, Jean und Osmer, plaudern sich durch Paris, lieben nacheinander dieselben Frauen, treffen dieselben Menschen, schreiben, tun nichts beziehungsweise "zuviel nicht". Das geht ab und zu ins Kalauerhafte: "Im Stehen kommt alles billiger, an der Theke wie im Nachdenken", aber gleich folgen ontologische Entdeckungen wie "Duftgespenster", ein Desiderat des deutschen Wortschatzes, oder Einsichten wie "Und außerdem ist die Erinnerung immer provinzlerisch", die einem die Partikularität der eigenen Vorvergangenheit klar machen. Gegen die Beschränktheit der Erzählperspektive hilft deren Wechsel: Einmal wird alles aus der Sicht Jeans, dann aus der Sicht Osmers dargestellt, woran die Sicht der älteren amerikanischen Dichterin Ida Iolanda angefügt wird, ehe in einem Epilog der Erzähler einen Ausblick auf die nächste Generation gibt: Jeans Tochter fährt an ihrem achtzehnten Geburtstag mit einem neuen Freund nach Spanien davon.

Vor diesem Finale müssen die Protagonisten bewußt älter werden. Was dazu führt, daß Jean ein Testament zu machen gedenkt, um damit seiner Frau Suzanne den Kommentar zu entlocken: "Ich kenne dich, als hätte ich dich gestrickt." Bayen ist ein erfahrener Psychologe, dem nichts fremd ist: "Bitternis, eine Form des Weitblicks?" Dazu folgender Dialog: "Ich sagte nichts. Sie fügte hinzu: Er macht mich zur Vertrauten seines Zögerns. - Ah!, sage ich: ein Masochist." Jeder Sohn erforsche sein Gewissen angesichts der Passage: "Sooft ich seufze, entsinne ich mich verläßlich der Worte meiner Mutter: Schweigen macht nicht stumm - iß! Und ich esse weiter . . ."

Aber niemand glaube, dies Zickzack aus Einfällen sei nur Allotria. Kaum ein Text enthält seine eigene Poetik mit solcher Prägnanz wie dieser: "Worum geht es? Fast unsichtbar bei der Sache zu sein." Was die Sache sei, verschweigt Bayen mit poetischer Diskretion. Doch daß es sich dabei um das Wirrwarr des Lebens im Okular eines liebevollen Biologen handelt, ist leicht zu erkennen. Wer also den Sommer versäumt und Angst vor dem Herbst hat, lese dieses Buch, das nicht weniger einfängt als einen "Nachmittag, so wunderbar, daß ich ihn ein wenig früher als nötig beschließen möchte, damit der Zauber nicht verfliegt".

Bleibt die Frage, warum Handke, der auch Bayens nicht minder gelösten Roman "Bleiben die Reisen" (1997) übersetzt hat, den Titel "Les excédes" mit "Die Verärgerten" wiedergegeben hat, sind doch Jean und Osmer "Außer sich". Das Selbst und den dazugehörigen Ärger haben sie längst an den Nagel gehängt.

THOMAS POISS

Bruno Bayen: "Die Verärgerten". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Peter Handke. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2000. 136 S., geb., 39,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Von dem Roman selbst ist Martin Ebel durchaus angetan: Bayens Hauptfiguren Jean und Osmer bleiben zwar schemenhaft, aber sie "schließen einen poetischen Raum auf", den der Leser selbst ausfüllen kann. Eine "Traumprosa" sei das, "grellgenau und doch nie ganz zu fassen", lobt der Rezensent. Die Dialoge erinnern ihn gar an die "Unsinns-Dialoge" des frühen Ionesco. An der Übersetzung von Peter Handke läßt Ebel allerdings kein gutes Haar. Mit seinen gestelzten Fremdwörtern (etwa "Zölibatär" anstelle von Junggeselle) verleihe Handke dem Buch einen "hofrätlichen Ton", den das Original nicht habe.

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