Eine Antwort auf die Fragen "Wo bin ich?" und "Wie spät ist es?" zu finden, kann als ältester Erkenntniswunsch des Menschen gelten - immerhin beschäftigten sich schon die Babylonier und die alten Ägypter mit Navigation und Zeitmessung. Auch Alfred van Cleef ist seit Kindheitstagen fasziniert von Ordnungen und Einteilungen aller Art und von der "Psychologie der Geografie". Früh entdeckte er - gewissermaßen als Inbegriff des menschlichen Verlangens nach Ordnung - den Nullmeridian für sich; denn anders als der Äquator, der die Mitte zwischen Nord- und Südpol bildet, wurde dieser 'nullte' Längengrad von Menschen willkürlich festgelegt. Auf ihm basiert nicht nur die geografische Ortsbestimmung mittels Koordinaten, sondern auch das Zeitzonensystem.Und so macht sich van Cleef auf zu einer rund 4800 Kilometer und fünf Monate langen Reise entlang dieser unsichtbaren Linie, die ihn durch acht Länder führt, vom verregneten Tunstall in Yorkshire/England bis in die Hafenstadt Tema an der Küste Ghanas.Berge, Flüsse, Wüsten, Friedhöfe und Industriegebiete - der Weg entlang des Nullmeridians ist nicht immer voller Romantik. Doch durch seine Neugier gerade auch auf das Kuriose, scheinbar Unattraktive und schwer Erreichbare und seinen Sinn für Absurdes kommt der Autor mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch: mit Gangstern, Regenmachern, Pilzsuchern, Nomaden, Königen und Fetischpriestern. Nebenbei erzählt er die Geschichte der geografischen Weltbilder und der Vermessung der Erdkugel; vor allem aber ist sein Buch ein sehr persönlicher, sprühend selbstironischer Reisebericht.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Natürlich total "wahnwitzig" und dabei trotzdem augenöffnend ist Alfred van Cleefs Idee, den Nullmeridian entlang zu reisen, findet der eingenommene Jochen Temsch. Diese willkürlich gezogene Linie zwischen Nord- und Südpol, auf die man sich 1884 international geeinigt hatte, ist für den niederländischen Autor so etwas wie das "Rückgrat" der "verborgene Ordnung der Welt", und an ihr reist er entlang durch Länder wie Großbritannien, Frankreich, Algerien oder Mali. Er kommt dabei an Orte, für die es sonst kaum einen Anlass gibt, sie zu besuchen und spricht mit Menschen, an denen kaum je jemand Interesse hat, wobei er sich sowohl, was die eigene Befindlichkeiten angeht, zurückhält als auch explizite Wertungen verkneift, stellt der Rezensent fest. Seine akribische Genauigkeit findet Temsch dabei genauso faszinierend wie seine selbstironische Art und seinen Humor, der ihm nicht verloren geht, ob auf einem vollgestopften Unterdeck eines ghanaischen Frachtschiffs oder unter "wasserlassenden Schafen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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