Während Holocaust und Judenverfolgung seit Jahrzehnten ihren berechtigten Platz besetzen, haben wir vergessen, die Soldaten, die auf deutscher Seite im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben, zu fragen, wie das alles wirklich war im Krieg. Ein Versäumnis, das Ende der 1960er-Jahre seinen Anfang nahm, als rebellische Studenten damit begannen, ihre Elterngeneration pauschal als Nazis zu verdammen.Alle bisherigen Versuche einer differenzierten Betrachtung unserer dunkelsten Geschichte scheiterten. Die Legende einer sauberen Wehrmacht ist zur Legende einer verbrecherischen Wehrmacht verkommen. Dabei haben historische Erkenntnisse nie bezweifelt, dass nur ein geringer Teil der Wehrmachtssoldaten an Kriegsverbrechen und Holocaust beteiligt war. Wenn es gelingt, dies anzuerkennen, können wir den Blick auf unsere Vergangenheit erweitern und uns selbst besser verstehen lernen. Wer weiß denn schon, wie es sich anfühlte, in einem Jagdflieger abgeschossen zu werden und allein im Mittelmeer zu treiben? Wie ertrugen unsere Väter und Großväter die qualvolle Hitze in Afrika oder unerträgliche Kälte und Hunger im Kessel von Stalingrad? Können wir weiterhin pauschal verurteilen, wenn wir erfahren, welches Leid Bromberger Blutsonntag, Rheinwiesenlager oder die Gemetzel während des D-Days und der Allerseelenschlacht über deutsche Soldaten gebracht haben?13 Zeitzeugen der bedeutendsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges bitten letztmalig darum, gehört zu werden. Sie öffnen sich und sprechen schonungslos ehrlich über alles, was sie erlebten. Hören wir ihnen zu, anstatt sie zu verdammen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Werner Bührer bedauert, dass Christian Hardinghaus, wie er findet, seine Zeitzeugeninterviews in den Dienst einer einseitigen Sicht auf das Treiben der Wehrmacht und der Soldaten im Zweiten Weltkrieg verwendet. Ein weniger tendenziöser Blick auf den Soldatenalltag hätte Bührer besser gefallen, auch wenn er Hardinghaus ausdrücklich keinen Geschichtsrevisionismus unterstellen möchte. Davon abgesehen scheint Bührer der Autor in seinen Gesprächen aber zum Beispiel anschaulich herauszuarbeiten, wie beschwerlich es nach einem Weihnachtsurlaub war, wieder in den Kessel von Stalingrad zu gelangen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.08.2020Heute Front,
morgen Strand
Christian Packheiser hat zahllose Details
über den Heimaturlaub in der Wehrmacht erforscht.
Christian Hardinghaus geht es um die Soldatenehre
VON WERNER BÜHRER
Die großen öffentlichen Gedenkfeiern zum Jahrestag des Kriegsendes sind dieses Jahr der Corona-Krise zum Opfer gefallen. Hierzulande war und ist dieser Tag für viele ohnehin kein Anlass zum Feiern. Und die Zahl derjenigen Deutschen, die noch aus eigenem Erleben vom Krieg berichten könnten, sinkt Jahr für Jahr. Zwei neue Bücher nähern sich den Erfahrungen, den Hoffnungen und dem Leiden deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg mit ganz unterschiedlichen Zugriffen und Absichten: Christian Packheiser untersucht den Fronturlaub in allen erdenklichen Facetten und aus Sicht sowohl der Soldaten und ihrer Angehörigen, aber auch der Machthaber. Christian Hardinghaus hat 13 ehemalige Soldaten zum Frontalltag befragt – nicht zuletzt, um der „Legende“ einer „verbrecherischen Wehrmacht“ entgegenzuwirken.
Packheiser, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München, stützt seine Analyse auf Recherchen in insgesamt 21 deutschen und ausländischen Archiven, darunter das Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg, das Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, die Nationalarchive in London und Washington, das Staatsarchiv München und das Deutsche Tagebucharchiv im badischen Emmendingen. Diese Liste lässt bereits erkennen, dass ganz unterschiedliche Quellengattungen ausgewertet wurden: Gesetze und Verordnungen, amtliche Schriftwechsel, Gerichtsakten, Vernehmungs- und Abhörprotokolle, Soldatenzeitungen sowie Soldbücher, aber auch „Ego-Dokumente“ wie Tagebücher und Feldpostbriefe. Dank dieser breiten und differenzierten Quellenbasis gelingt dem Autor der Nachweis, dass das private Leben nicht nur der Soldaten zwar zahlreichen Einschränkungen unterlag, „Privatheit“ aber, anders als manche Repräsentanten des NS-Regimes glauben machen wollten, im Dritten Reich keineswegs gänzlich abgeschafft war.
Zu Beginn gibt Packheiser einen Überblick über die häufig wechselnden Vorschriften für den Fronturlaub und die tatsächliche Vergabepraxis einschließlich eines Vergleichs mit dem Fronturlaub 1914 bis 1918 und den Gepflogenheiten bei den alliierten Streitkräften im Zweiten Weltkrieg. Erstaunlicherweise hatte jeder Soldat gemäß einer Urlaubsregelung vom März 1940 „theoretisch die Möglichkeit, zwei- bis dreimal oder sogar noch öfter im Jahr nach Hause zu fahren“. Laufend der Kriegslage angepasste Quoten regelten, wie viele Soldaten gleichzeitig von der Truppe abwesend sein durften. Selbst die Soldaten der „Ostwehrmacht“ sollten laut einer Verordnung vom Oktober 1942 „einmal im Jahr einen zusammenhängenden Heimaturlaub von 20 Tagen erhalten“, wobei die Reisetage nicht auf den Urlaub angerechnet werden durften.
Auch wenn es sich dabei um einen „Richtwert ohne Rechtsanspruch“ handelte und diese recht großzügig anmutenden Regelungen spätestens mit der alliierten Landung in der Normandie rasch zurückgenommen wurden – offensichtlich versuchte die Wehrmachtsspitze aus den Fehlern im Ersten Weltkrieg zu lernen: Es herrschte Einigkeit über die Bedeutung einer „gerechten“ Urlaubsvergabe „als Stimulans für die Moral der Truppe“. Deshalb wurden etwa Landwirte nicht mehr bevorzugt. Großzügig erscheint die deutsche Praxis übrigens auch im Vergleich mit derjenigen der Kriegsgegner. Für die Sowjetunion fehlen zwar präzise Daten, doch existieren Hinweise, dass etwa 90 Prozent der Rotarmisten keinen Heimaturlaub bekamen. US-Soldaten erhielten während ihrer Stationierung in England etwa alle drei Monate einen siebentägigen Urlaub vor Ort, ab Herbst 1944 wurde Kurzurlaub für den Besuch größerer Städte gewährt. Extrem lange mussten auch viele britische Soldaten warten, ehe sie ihre Familien wiedersahen. Generell stand bei Briten und Amerikanern die „rein physische Auffrischung der Kampfkraft“ im Vordergrund.
Nach dem Urlaubsreglement untersucht der Autor die Urlaubspraxis: die An- und Rückreise, die materielle Seite des Heimataufenthalts in Gestalt mehr oder weniger wertvoller „Mitbringsel“, die propagandistische Instrumentalisierung und Inszenierung der Fronturlauber, das Spannungsverhältnis zwischen materiellen und immateriellen Gratifikationen zur Hebung der Laune der Fronturlauber und den Kontrollambitionen des Regimes und schließlich die Ahndung von Verstößen einzelner Urlauber gegen die Erwartungen und Normen der Machthaber. „Versorgung und Kontrolle“ gingen im Fronturlauberverkehr Hand in Hand. Im besetzten Europa existierte ein „weitverzweigtes Netz von zeitweise mehr als 800 Soldatenheimen“, die der Unterbringung der Durchreisenden dienten und als „Horte geistiger Truppenbetreuung konzipiert“ waren.
Ein besonderes Problem bei der Beförderung der Fronturlauber stellten die Transportbestimmungen für den Reiseverkehr der Wehrmacht dar. Sie erlaubten jedem Urlauber nur so viel Gepäck, „wie er unterhalb und oberhalb seines Sitzplatzes“ unterbringen konnte. Falls der Zug einen Packwagen mitführte, konnte diese Obergrenze allerdings überschritten werden. Da die Mitbringsel die Stimmung in der Heimat hoben, wollte die NSDAP den Kauf- und Beschaffungsdrang der Soldaten in den unterworfenen Ländern möglichst wenig einschränken. Nachdem das Oberkommando der Wehrmacht zunächst ganz pragmatisch bestimmt hatte, dass jeder so viel auf die Heimfahrt mitnehmen dürfe, wie er „ohne Gurte in beiden Händen halten“ könne, verkündete Hitler im Herbst 1942, dass die Fronturlauber „sehr wohl Tragriemen und Tragvorrichtungen benutzen“ dürften. Die Soldaten agierten bei ihren teilweise rücksichtlosen Beutezügen also weitgehend im Sinne der politischen Führung. Als Normüberschreitungen wertete das Regime hingegen „Urlaubererzählungen“, die in zu starkem Kontrast zur offiziellen Propaganda standen. Bei solchen „Verfehlungen“ drohten harte Strafen.
Im letzten Kapitel konzentriert sich Packheiser auf die privaten Soldatenbeziehungen: „Die wenigen Tage, an denen die Männer ihre Familien wiedersahen, verwiesen implizit auf die langen Phasen der Trennung“. Die „Sehnsüchte“ der 18 Millionen Soldaten und ihrer Angehörigen bündelten sich deshalb „wie in einem Brennglas“ auf den Heimaturlaub. Umso größer war das Interesse der NS-Führung, „Einfluss auf dieses Residuum von Privatheit auszuüben“. Inwiefern es gelang, die mitunter divergierenden Wünsche und Erwartungen der Beteiligten – insbesondere das Regenerationsbedürfnis der Soldaten, die Nutzung des Urlaubs als „Mittel der Bevölkerungspolitik“ und die Stabilisierung des familiären Zusammenhalts – miteinander in Einklang zu bringen, das zeigt Packheiser zum Abschluss seiner originellen und innovativen, sehr lesenswerten Studie.
Das Thema Heimaturlaub kommt in den Gesprächen, die Christian Hardinghaus, der als Lektor, Autor und beratender Historiker tätig ist, mit 13 Zeitzeugen geführt hat, nur in einem Fall etwas ausführlicher vor. Sein Gesprächspartner, der zwei Tage vor der Einkesselung Stalingrads in Weihnachtsurlaub geschickt wurde, schildert anschaulich, wie schwierig es war, von dort weg- und vor allem wieder zurückzukommen. Der Fokus des Buches liegt indes auf einem anderen Thema, nämlich: ein „möglichst realistisches und authentisches Bild“ des Kriegserlebens durchschnittlicher Wehrmachtssoldaten zu präsentieren. Fast alle Interviewpartner, so Hardinghaus, hätten darüber geklagt, „dass sie sich in den Darstellungen des Zweiten Weltkrieges, wie sie in Schule und Medien präsentiert wurden, nicht wiedergefunden haben“. Viele Aspekte des Krieges – etwa der Kriegsalltag deutscher Soldaten oder „Verbrechen gegen deutsche Zivilisten und Soldaten“ – hätten „in unserer Erinnerungskultur keinen Platz gefunden“. In seinen einleitenden Bemerkungen lässt der Autor keinen Zweifel daran, wer dafür verantwortlich ist. Die sogenannte 68er-Bewegung habe damit begonnen, die Elterngeneration „für die bloße Teilnahme am Krieg als Täter und Mitwisser“ pauschal zu verurteilen und zu stigmatisieren.
Es ist Hardinghaus hoch anzurechnen, dass er sich klar von Geschichtsrevisionisten und Holocaustleugnern abgrenzt und vor Pauschalurteilen warnt. Aber stimmt es überhaupt, dass „wir eine ganze Generation als Nazis abstempeln“? Und hätte die Aussage eines Zeitzeugen, „unter Soldaten“ habe er „nie erlebt, dass Gewalt oder Hass gegenüber Juden je Thema“ gewesen sei, nicht einen kritischen Kommentar verdient? Immerhin existieren, anders als Hardinghaus glauben machen möchte, seit Jahren detaillierte und keineswegs tendenziöse Studien zum Kriegs- und Soldatenalltag, die das Gegenteil belegen. Jedenfalls gewinnt man den Eindruck, dass die Zeitzeugenberichte vor allem dem Zweck dienen, die vergangenheitspolitische Position des Autors zu stützen. Und das ist schade.
Werner Bührer ist Neuzeithistoriker. Er lebt in München.
Bei ihren Beutezügen
agierten die Männer weitgehend
im Sinn der NS-Führung
„Gewalt gegen Juden“ habe er
nie erlebt, schildert ein Zeitzeuge.
Die Forschung sieht das anders
Christian Packheiser: Heimaturlaub. Soldaten zwischen Front, Familie und NS-Regime. Wallstein-Verlag, Göttingen 2020. 533 Seiten, 36 Euro.
E-Book: 28,99 Euro.
Christian Hardinghaus:
Die verdammte Generation. Gespräche mit den letzten Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Europa-Verlag, Berlin 2020. 327 Seiten, 20 Euro.
Pack die Badehose ein: Drei Panzersoldaten im Jahr 1940 am Berliner Wannsee. Das NS-Regime war darauf bedacht, den Heimaturlaub stets zu garantieren. Wer aber darüber sprach, was an der Front geschah, wurde hart bestraft.
Foto: Scherl/SZ Photo
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morgen Strand
Christian Packheiser hat zahllose Details
über den Heimaturlaub in der Wehrmacht erforscht.
Christian Hardinghaus geht es um die Soldatenehre
VON WERNER BÜHRER
Die großen öffentlichen Gedenkfeiern zum Jahrestag des Kriegsendes sind dieses Jahr der Corona-Krise zum Opfer gefallen. Hierzulande war und ist dieser Tag für viele ohnehin kein Anlass zum Feiern. Und die Zahl derjenigen Deutschen, die noch aus eigenem Erleben vom Krieg berichten könnten, sinkt Jahr für Jahr. Zwei neue Bücher nähern sich den Erfahrungen, den Hoffnungen und dem Leiden deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg mit ganz unterschiedlichen Zugriffen und Absichten: Christian Packheiser untersucht den Fronturlaub in allen erdenklichen Facetten und aus Sicht sowohl der Soldaten und ihrer Angehörigen, aber auch der Machthaber. Christian Hardinghaus hat 13 ehemalige Soldaten zum Frontalltag befragt – nicht zuletzt, um der „Legende“ einer „verbrecherischen Wehrmacht“ entgegenzuwirken.
Packheiser, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München, stützt seine Analyse auf Recherchen in insgesamt 21 deutschen und ausländischen Archiven, darunter das Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg, das Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, die Nationalarchive in London und Washington, das Staatsarchiv München und das Deutsche Tagebucharchiv im badischen Emmendingen. Diese Liste lässt bereits erkennen, dass ganz unterschiedliche Quellengattungen ausgewertet wurden: Gesetze und Verordnungen, amtliche Schriftwechsel, Gerichtsakten, Vernehmungs- und Abhörprotokolle, Soldatenzeitungen sowie Soldbücher, aber auch „Ego-Dokumente“ wie Tagebücher und Feldpostbriefe. Dank dieser breiten und differenzierten Quellenbasis gelingt dem Autor der Nachweis, dass das private Leben nicht nur der Soldaten zwar zahlreichen Einschränkungen unterlag, „Privatheit“ aber, anders als manche Repräsentanten des NS-Regimes glauben machen wollten, im Dritten Reich keineswegs gänzlich abgeschafft war.
Zu Beginn gibt Packheiser einen Überblick über die häufig wechselnden Vorschriften für den Fronturlaub und die tatsächliche Vergabepraxis einschließlich eines Vergleichs mit dem Fronturlaub 1914 bis 1918 und den Gepflogenheiten bei den alliierten Streitkräften im Zweiten Weltkrieg. Erstaunlicherweise hatte jeder Soldat gemäß einer Urlaubsregelung vom März 1940 „theoretisch die Möglichkeit, zwei- bis dreimal oder sogar noch öfter im Jahr nach Hause zu fahren“. Laufend der Kriegslage angepasste Quoten regelten, wie viele Soldaten gleichzeitig von der Truppe abwesend sein durften. Selbst die Soldaten der „Ostwehrmacht“ sollten laut einer Verordnung vom Oktober 1942 „einmal im Jahr einen zusammenhängenden Heimaturlaub von 20 Tagen erhalten“, wobei die Reisetage nicht auf den Urlaub angerechnet werden durften.
Auch wenn es sich dabei um einen „Richtwert ohne Rechtsanspruch“ handelte und diese recht großzügig anmutenden Regelungen spätestens mit der alliierten Landung in der Normandie rasch zurückgenommen wurden – offensichtlich versuchte die Wehrmachtsspitze aus den Fehlern im Ersten Weltkrieg zu lernen: Es herrschte Einigkeit über die Bedeutung einer „gerechten“ Urlaubsvergabe „als Stimulans für die Moral der Truppe“. Deshalb wurden etwa Landwirte nicht mehr bevorzugt. Großzügig erscheint die deutsche Praxis übrigens auch im Vergleich mit derjenigen der Kriegsgegner. Für die Sowjetunion fehlen zwar präzise Daten, doch existieren Hinweise, dass etwa 90 Prozent der Rotarmisten keinen Heimaturlaub bekamen. US-Soldaten erhielten während ihrer Stationierung in England etwa alle drei Monate einen siebentägigen Urlaub vor Ort, ab Herbst 1944 wurde Kurzurlaub für den Besuch größerer Städte gewährt. Extrem lange mussten auch viele britische Soldaten warten, ehe sie ihre Familien wiedersahen. Generell stand bei Briten und Amerikanern die „rein physische Auffrischung der Kampfkraft“ im Vordergrund.
Nach dem Urlaubsreglement untersucht der Autor die Urlaubspraxis: die An- und Rückreise, die materielle Seite des Heimataufenthalts in Gestalt mehr oder weniger wertvoller „Mitbringsel“, die propagandistische Instrumentalisierung und Inszenierung der Fronturlauber, das Spannungsverhältnis zwischen materiellen und immateriellen Gratifikationen zur Hebung der Laune der Fronturlauber und den Kontrollambitionen des Regimes und schließlich die Ahndung von Verstößen einzelner Urlauber gegen die Erwartungen und Normen der Machthaber. „Versorgung und Kontrolle“ gingen im Fronturlauberverkehr Hand in Hand. Im besetzten Europa existierte ein „weitverzweigtes Netz von zeitweise mehr als 800 Soldatenheimen“, die der Unterbringung der Durchreisenden dienten und als „Horte geistiger Truppenbetreuung konzipiert“ waren.
Ein besonderes Problem bei der Beförderung der Fronturlauber stellten die Transportbestimmungen für den Reiseverkehr der Wehrmacht dar. Sie erlaubten jedem Urlauber nur so viel Gepäck, „wie er unterhalb und oberhalb seines Sitzplatzes“ unterbringen konnte. Falls der Zug einen Packwagen mitführte, konnte diese Obergrenze allerdings überschritten werden. Da die Mitbringsel die Stimmung in der Heimat hoben, wollte die NSDAP den Kauf- und Beschaffungsdrang der Soldaten in den unterworfenen Ländern möglichst wenig einschränken. Nachdem das Oberkommando der Wehrmacht zunächst ganz pragmatisch bestimmt hatte, dass jeder so viel auf die Heimfahrt mitnehmen dürfe, wie er „ohne Gurte in beiden Händen halten“ könne, verkündete Hitler im Herbst 1942, dass die Fronturlauber „sehr wohl Tragriemen und Tragvorrichtungen benutzen“ dürften. Die Soldaten agierten bei ihren teilweise rücksichtlosen Beutezügen also weitgehend im Sinne der politischen Führung. Als Normüberschreitungen wertete das Regime hingegen „Urlaubererzählungen“, die in zu starkem Kontrast zur offiziellen Propaganda standen. Bei solchen „Verfehlungen“ drohten harte Strafen.
Im letzten Kapitel konzentriert sich Packheiser auf die privaten Soldatenbeziehungen: „Die wenigen Tage, an denen die Männer ihre Familien wiedersahen, verwiesen implizit auf die langen Phasen der Trennung“. Die „Sehnsüchte“ der 18 Millionen Soldaten und ihrer Angehörigen bündelten sich deshalb „wie in einem Brennglas“ auf den Heimaturlaub. Umso größer war das Interesse der NS-Führung, „Einfluss auf dieses Residuum von Privatheit auszuüben“. Inwiefern es gelang, die mitunter divergierenden Wünsche und Erwartungen der Beteiligten – insbesondere das Regenerationsbedürfnis der Soldaten, die Nutzung des Urlaubs als „Mittel der Bevölkerungspolitik“ und die Stabilisierung des familiären Zusammenhalts – miteinander in Einklang zu bringen, das zeigt Packheiser zum Abschluss seiner originellen und innovativen, sehr lesenswerten Studie.
Das Thema Heimaturlaub kommt in den Gesprächen, die Christian Hardinghaus, der als Lektor, Autor und beratender Historiker tätig ist, mit 13 Zeitzeugen geführt hat, nur in einem Fall etwas ausführlicher vor. Sein Gesprächspartner, der zwei Tage vor der Einkesselung Stalingrads in Weihnachtsurlaub geschickt wurde, schildert anschaulich, wie schwierig es war, von dort weg- und vor allem wieder zurückzukommen. Der Fokus des Buches liegt indes auf einem anderen Thema, nämlich: ein „möglichst realistisches und authentisches Bild“ des Kriegserlebens durchschnittlicher Wehrmachtssoldaten zu präsentieren. Fast alle Interviewpartner, so Hardinghaus, hätten darüber geklagt, „dass sie sich in den Darstellungen des Zweiten Weltkrieges, wie sie in Schule und Medien präsentiert wurden, nicht wiedergefunden haben“. Viele Aspekte des Krieges – etwa der Kriegsalltag deutscher Soldaten oder „Verbrechen gegen deutsche Zivilisten und Soldaten“ – hätten „in unserer Erinnerungskultur keinen Platz gefunden“. In seinen einleitenden Bemerkungen lässt der Autor keinen Zweifel daran, wer dafür verantwortlich ist. Die sogenannte 68er-Bewegung habe damit begonnen, die Elterngeneration „für die bloße Teilnahme am Krieg als Täter und Mitwisser“ pauschal zu verurteilen und zu stigmatisieren.
Es ist Hardinghaus hoch anzurechnen, dass er sich klar von Geschichtsrevisionisten und Holocaustleugnern abgrenzt und vor Pauschalurteilen warnt. Aber stimmt es überhaupt, dass „wir eine ganze Generation als Nazis abstempeln“? Und hätte die Aussage eines Zeitzeugen, „unter Soldaten“ habe er „nie erlebt, dass Gewalt oder Hass gegenüber Juden je Thema“ gewesen sei, nicht einen kritischen Kommentar verdient? Immerhin existieren, anders als Hardinghaus glauben machen möchte, seit Jahren detaillierte und keineswegs tendenziöse Studien zum Kriegs- und Soldatenalltag, die das Gegenteil belegen. Jedenfalls gewinnt man den Eindruck, dass die Zeitzeugenberichte vor allem dem Zweck dienen, die vergangenheitspolitische Position des Autors zu stützen. Und das ist schade.
Werner Bührer ist Neuzeithistoriker. Er lebt in München.
Bei ihren Beutezügen
agierten die Männer weitgehend
im Sinn der NS-Führung
„Gewalt gegen Juden“ habe er
nie erlebt, schildert ein Zeitzeuge.
Die Forschung sieht das anders
Christian Packheiser: Heimaturlaub. Soldaten zwischen Front, Familie und NS-Regime. Wallstein-Verlag, Göttingen 2020. 533 Seiten, 36 Euro.
E-Book: 28,99 Euro.
Christian Hardinghaus:
Die verdammte Generation. Gespräche mit den letzten Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Europa-Verlag, Berlin 2020. 327 Seiten, 20 Euro.
Pack die Badehose ein: Drei Panzersoldaten im Jahr 1940 am Berliner Wannsee. Das NS-Regime war darauf bedacht, den Heimaturlaub stets zu garantieren. Wer aber darüber sprach, was an der Front geschah, wurde hart bestraft.
Foto: Scherl/SZ Photo
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