Die damals noch junge Republik von Weimar wurde durch die Attentats-Serie der Jahre 1921/22 fundamental erschüttert: Die Opfer waren der Reichsfinanzminister M. Erzberger, der Kasseler Oberbürgermeister Ph. Scheidemann, der Industrielle und Außenminister W. Rathenau und der Publizist M. Harden. Hinter diesen Morden standen politische und (para-)militärische Organisationen, die die alte Vorkriegsordnung mit allen Mitteln wiederherstellen wollten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.1999Ein Glied in einer Kette
Die Verschwörer-Organisation "Consul" in der Weimarer Republik
Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1999. 277 Seiten, 8 Abbildungen, 22,90 Mark.
Am Vormittag des 24. Juni 1922, drei Wochen nachdem Philipp Scheidemann, Reichsministerpräsident vom Februar bis Juni 1919, nur dank glücklicher Umstände einen Giftanschlag in Kassel überlebt hatte, wurde Außenminister Rathenau auf der Fahrt von seinem Haus im Stadtteil Grunewald in das Auswärtige Amt an der Ecke Koenigsallee/Erdener Straße von zwei jüngeren Männern aus einem überholenden Auto heraus erschossen. Die Tat löste in ganz Deutschland ungeheure Erregung aus. In zahlreichen Städten fanden Demonstrationen für die Republik statt, und es kam zu mannigfachen Übergriffen gegen Politiker, Büros und Zeitungen von Rechtsparteien und zu blutigen Zwischenfällen mit der Polizei. Nicht ganz auszuschließen war, daß die Situation außer Kontrolle geraten könnte. Die Regierung Wirth reagierte rasch. Auf ihren Vorschlag erließ Reichspräsident Ebert noch am 24. Juni eine Verordnung zum Schutz der Republik. Bei ihrer Vorstellung sagte der Reichskanzler im Parlament, ein Netz von Verschwörungen drohe den inneren Frieden Deutschlands zu zerstören. "Der Mord an Rathenau ist nur ein Glied in einer Kette wohlvorbereiteter Anschläge auf die Republik. Zuerst sollen die Führer der Republik, dann soll die Republik selbst fallen."
Mit dieser Aussage war Wirth der Wahrheit näher, als er selbst damals dachte. Die beiden Attentate vom 4. und 24. Juni gingen ebenso wie die Ermordung des Zentrumspolitikers Erzberger ein knappes Jahr zuvor auf einen kleinen Kreis nationalistischer Aktivisten zurück, so der Publizist Theodor Wolff. Es handelte sich dabei um die ehemaligen Offiziere Friedrich Wilhelm Heinz, Karl Tillessen, Hartmut Plaas, Erwin Kern und um den vormaligen Kadetten Ernst von Salomon. Dieser Kreis gehörte der viel größeren und über ganz Deutschland ausgedehnten Organisation Consul an, die nach dem Kapp-Putsch aus der nun aufgelösten Marinebrigade Ehrhardt hervorgegangen war und bis Ende 1922 eine wichtige Rolle in den vielerlei Aktivitäten des Rechtsextremismus gegen die Weimarer Republik spielte. Ihr Chef war der von der Reichsanwaltschaft steckbrieflich gesuchte, aber in München unbehelligt lebende Kapitän zur See a. D. Hermann Ehrhardt. Die mit seinem Einverständnis von den Aktivisten begonnene Mordserie sollte eine Erhebung der Linken hervorrufen, der man dann mit einer nationalen Gegenrevolution begegnen und so die Republik stürzen wollte. Allerdings mußte die Provokationsstrategie noch im Sommer 1922 abgebrochen werden, weil die Ermittlungen gegen die Verschwörer sehr erfolgreich waren. Am 29. Juni wurde der Fahrer des bei der Ermordung Rathenaus benutzten Autos verhaftet, Mitte Juli konnte die Polizei die beiden Mörder auf Burg Saaleck bei Bad Kösen stellen. Angesichts der drohenden Verhaftung begingen sie Selbstmord. Während der Gedenkfeier zu ihrem elften Todestag sagte Ehrhardt am 16. Juli 1933: "Der Plan war der, daß in der entstandenen Verwirrung Schlag auf Schlag die Köpfe der Regierungsmitglieder fallen sollten, um Deutschland zu befreien. Aber die Männer, die diesen Plan durchführten, kamen schnell hinter Schloß und Riegel - das System funktionierte noch zu gut." Er gab damit zu, daß seine Lageeinschätzung Anfang der zwanziger Jahre gründlich falsch gewesen war.
Über die Organisation Consul wurde seit langem viel geschrieben. Schon 1924 meinte der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel in seiner Broschüre "Verschwörer", daß es "wohl keinen politischen Mord der letzten Zeit in Deutschland" gebe, "bei dem nicht die Organisation C unmittelbar oder mittelbar beteiligt gewesen wäre". Dagegen bestritt Salomon in seinem autobiographischen Roman "Die Geächteten" (1930), daß es die O. C. überhaupt gegeben habe. Auch in der wissenschaftlichen Literatur gingen die Meinungen lange weit auseinander. Für eine befriedigende Klärung sorgte vor einigen Jahren die auf breiter Quellenbasis beruhende Arbeit von Martin Sabrow ("Der Rathenau-Mord", München 1994). Bei der nun erschienenen Schrift Sabrows handelt es sich um eine gedrängte Neupräsentation des vor fünf Jahren ausgebreiteten Materials unter Verzicht auf einen umfangreichen Anmerkungsapparat und in neuer Gliederung, wobei vielfach längere Passagen aus der älteren Arbeit wörtlich übernommen, andere hinzugefügt sind. Sabrow bringt zunächst eine knappe Biographie Rathenaus und stellt dem Leser dann die Organisation Consul vor Augen. Er behandelt den Mord an Erzberger, den Anschlag auf Rathenau, das Echo in der Öffentlichkeit, die Ermittlung der Täter und die Jagd auf sie. Das gescheiterte Attentat auf den Publizisten Harden am 3. Juli war mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von der O. C. angeordnet, sondern nur die Anschlußtat eines völkischen Einzelkämpfers.
Im zweiten Teil seiner Studie wendet Sabrow sich den gegen die Verschwörer zwischen 1922 und 1925 vor dem Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik geführten Prozessen und der Verurteilung der Harden-Attentäter zu. Er zeigt, daß der Staatsgerichtshof nicht darauf aus war, die Hintergründe der Morde und Mordversuche in allen Details auszuleuchten. Das ergab sich aus dem Bemühen, Verbindungen der O. C. zur Reichswehr nicht zu enthüllen, zudem aus der Sorge vor der Reaktion im Ausland - beides instrumentalisierte die Verteidigung sehr geschickt - und aus einer konservativen Voreingenommenheit der Richter. So kam der Aktivistenkreis glimpflich davon. Am härtesten wurde mit fünf Jahren Zuchthaus Salomon bestraft. Die Rathenau-Mörder hatten sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen, der Fahrer ihres Wagens erhielt fünfzehn Jahre Zuchthaus zugesprochen. Der Erzberger-Mörder wurde die deutsche Justiz nicht habhaft; sie konnten mit Hilfe der O. C. nach Ungarn entkommen. Sabrows Darlegungen sind über weite Strecken nachgerade spannend zu lesen, so vor allem bei der Beschreibung der Jagd nach den Tätern. Sie führen eine wichtige Gruppe des Rechtsradikalismus in der frühen Weimarer Zeit eindringlich vor Augen. Allerdings hätte der breitere Kontext eine größere Berücksichtigung verdient.
HANS FENSKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Verschwörer-Organisation "Consul" in der Weimarer Republik
Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1999. 277 Seiten, 8 Abbildungen, 22,90 Mark.
Am Vormittag des 24. Juni 1922, drei Wochen nachdem Philipp Scheidemann, Reichsministerpräsident vom Februar bis Juni 1919, nur dank glücklicher Umstände einen Giftanschlag in Kassel überlebt hatte, wurde Außenminister Rathenau auf der Fahrt von seinem Haus im Stadtteil Grunewald in das Auswärtige Amt an der Ecke Koenigsallee/Erdener Straße von zwei jüngeren Männern aus einem überholenden Auto heraus erschossen. Die Tat löste in ganz Deutschland ungeheure Erregung aus. In zahlreichen Städten fanden Demonstrationen für die Republik statt, und es kam zu mannigfachen Übergriffen gegen Politiker, Büros und Zeitungen von Rechtsparteien und zu blutigen Zwischenfällen mit der Polizei. Nicht ganz auszuschließen war, daß die Situation außer Kontrolle geraten könnte. Die Regierung Wirth reagierte rasch. Auf ihren Vorschlag erließ Reichspräsident Ebert noch am 24. Juni eine Verordnung zum Schutz der Republik. Bei ihrer Vorstellung sagte der Reichskanzler im Parlament, ein Netz von Verschwörungen drohe den inneren Frieden Deutschlands zu zerstören. "Der Mord an Rathenau ist nur ein Glied in einer Kette wohlvorbereiteter Anschläge auf die Republik. Zuerst sollen die Führer der Republik, dann soll die Republik selbst fallen."
Mit dieser Aussage war Wirth der Wahrheit näher, als er selbst damals dachte. Die beiden Attentate vom 4. und 24. Juni gingen ebenso wie die Ermordung des Zentrumspolitikers Erzberger ein knappes Jahr zuvor auf einen kleinen Kreis nationalistischer Aktivisten zurück, so der Publizist Theodor Wolff. Es handelte sich dabei um die ehemaligen Offiziere Friedrich Wilhelm Heinz, Karl Tillessen, Hartmut Plaas, Erwin Kern und um den vormaligen Kadetten Ernst von Salomon. Dieser Kreis gehörte der viel größeren und über ganz Deutschland ausgedehnten Organisation Consul an, die nach dem Kapp-Putsch aus der nun aufgelösten Marinebrigade Ehrhardt hervorgegangen war und bis Ende 1922 eine wichtige Rolle in den vielerlei Aktivitäten des Rechtsextremismus gegen die Weimarer Republik spielte. Ihr Chef war der von der Reichsanwaltschaft steckbrieflich gesuchte, aber in München unbehelligt lebende Kapitän zur See a. D. Hermann Ehrhardt. Die mit seinem Einverständnis von den Aktivisten begonnene Mordserie sollte eine Erhebung der Linken hervorrufen, der man dann mit einer nationalen Gegenrevolution begegnen und so die Republik stürzen wollte. Allerdings mußte die Provokationsstrategie noch im Sommer 1922 abgebrochen werden, weil die Ermittlungen gegen die Verschwörer sehr erfolgreich waren. Am 29. Juni wurde der Fahrer des bei der Ermordung Rathenaus benutzten Autos verhaftet, Mitte Juli konnte die Polizei die beiden Mörder auf Burg Saaleck bei Bad Kösen stellen. Angesichts der drohenden Verhaftung begingen sie Selbstmord. Während der Gedenkfeier zu ihrem elften Todestag sagte Ehrhardt am 16. Juli 1933: "Der Plan war der, daß in der entstandenen Verwirrung Schlag auf Schlag die Köpfe der Regierungsmitglieder fallen sollten, um Deutschland zu befreien. Aber die Männer, die diesen Plan durchführten, kamen schnell hinter Schloß und Riegel - das System funktionierte noch zu gut." Er gab damit zu, daß seine Lageeinschätzung Anfang der zwanziger Jahre gründlich falsch gewesen war.
Über die Organisation Consul wurde seit langem viel geschrieben. Schon 1924 meinte der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel in seiner Broschüre "Verschwörer", daß es "wohl keinen politischen Mord der letzten Zeit in Deutschland" gebe, "bei dem nicht die Organisation C unmittelbar oder mittelbar beteiligt gewesen wäre". Dagegen bestritt Salomon in seinem autobiographischen Roman "Die Geächteten" (1930), daß es die O. C. überhaupt gegeben habe. Auch in der wissenschaftlichen Literatur gingen die Meinungen lange weit auseinander. Für eine befriedigende Klärung sorgte vor einigen Jahren die auf breiter Quellenbasis beruhende Arbeit von Martin Sabrow ("Der Rathenau-Mord", München 1994). Bei der nun erschienenen Schrift Sabrows handelt es sich um eine gedrängte Neupräsentation des vor fünf Jahren ausgebreiteten Materials unter Verzicht auf einen umfangreichen Anmerkungsapparat und in neuer Gliederung, wobei vielfach längere Passagen aus der älteren Arbeit wörtlich übernommen, andere hinzugefügt sind. Sabrow bringt zunächst eine knappe Biographie Rathenaus und stellt dem Leser dann die Organisation Consul vor Augen. Er behandelt den Mord an Erzberger, den Anschlag auf Rathenau, das Echo in der Öffentlichkeit, die Ermittlung der Täter und die Jagd auf sie. Das gescheiterte Attentat auf den Publizisten Harden am 3. Juli war mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von der O. C. angeordnet, sondern nur die Anschlußtat eines völkischen Einzelkämpfers.
Im zweiten Teil seiner Studie wendet Sabrow sich den gegen die Verschwörer zwischen 1922 und 1925 vor dem Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik geführten Prozessen und der Verurteilung der Harden-Attentäter zu. Er zeigt, daß der Staatsgerichtshof nicht darauf aus war, die Hintergründe der Morde und Mordversuche in allen Details auszuleuchten. Das ergab sich aus dem Bemühen, Verbindungen der O. C. zur Reichswehr nicht zu enthüllen, zudem aus der Sorge vor der Reaktion im Ausland - beides instrumentalisierte die Verteidigung sehr geschickt - und aus einer konservativen Voreingenommenheit der Richter. So kam der Aktivistenkreis glimpflich davon. Am härtesten wurde mit fünf Jahren Zuchthaus Salomon bestraft. Die Rathenau-Mörder hatten sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen, der Fahrer ihres Wagens erhielt fünfzehn Jahre Zuchthaus zugesprochen. Der Erzberger-Mörder wurde die deutsche Justiz nicht habhaft; sie konnten mit Hilfe der O. C. nach Ungarn entkommen. Sabrows Darlegungen sind über weite Strecken nachgerade spannend zu lesen, so vor allem bei der Beschreibung der Jagd nach den Tätern. Sie führen eine wichtige Gruppe des Rechtsradikalismus in der frühen Weimarer Zeit eindringlich vor Augen. Allerdings hätte der breitere Kontext eine größere Berücksichtigung verdient.
HANS FENSKE
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