Man nennt sie die "Verdunkelten". Plötzlich gehen sie, eines Morgens, nehmen nur das absolute Minimum mit sich, oder auch gar nichts. Ohne eine Spur verlassen sie ihre Partner, Kinder, Haustiere - so viele, dass die Polizei nicht einmal mehr Vermisstenanzeigen aufnimmt. Sie lösen sich in Luft auf, wie die ganze Epoche sich auflöst: Öffentliche Gebäude und Plätze sind von Attentaten verwüstet, der Müll wird nicht mehr abgeholt, Tränengas hängt in der Luft. Seit den Anschlägen von 2015 befindet sich Frankreich in einem Zustand ständigen Aufstands. Der Geheimdienst versucht, dem Phänomen auf die Spur zu kommen.
Auch Guillaume Trimbert, 55 Jahre alt, Autor, ehemaliger Lehrer, ehemaliger Ehemann, ehemaliger Held linksextremer Demos, hat eine "Gefährder-Akte", und Agnès Delvaux, gerade 30 Jahre alt, Hauptmann des Geheimdienstes, beobachtet ihn. Sie dringt in seine Wohnung ein, sobald er diese verlässt. Aber was treibt sie dazu, nicht nur seinen Briefkasten zu durchwühlen, sondern auch an seinen Hemden zu schnuppern und seine Platten zu hören?
Siebzehn Jahre später, in einem idyllischen Weiler, der inzwischen wieder von Karren und Kaminfeuern geprägt wird, erzählt Agnès ihrer Tochter Ada, was ihr Leben verändert hat zu einer Zeit, als sich die Welt veränderte.
"Gesellschaftskritik und Utopie gehen Hand in Hand in diesem Buch, das daherkommt wie ein Thriller. Was sich am Ende zeigt, ist eine machtvolle und erschütternde Parabel." L'Humanité
"In geschliffenstem Stil entfaltet Leroy hier eine Art unzeitgemäße Melancholie, ein Lob auf das Nutzlose als Mittel des Widerstands und auf die nicht für den augenblicklichen Anschluss an alles aufgewendete Zeit." Libération
"In diesem knarzenden Thriller malt Jérôme Leroy das Verlassen und die Poesie als Massenvernichtungswaffen gegen den Kapitalismus aus. Ein köstlicher Kampf, bei dem Oblomow die World Company niederstreckt." Paris Match
Auch Guillaume Trimbert, 55 Jahre alt, Autor, ehemaliger Lehrer, ehemaliger Ehemann, ehemaliger Held linksextremer Demos, hat eine "Gefährder-Akte", und Agnès Delvaux, gerade 30 Jahre alt, Hauptmann des Geheimdienstes, beobachtet ihn. Sie dringt in seine Wohnung ein, sobald er diese verlässt. Aber was treibt sie dazu, nicht nur seinen Briefkasten zu durchwühlen, sondern auch an seinen Hemden zu schnuppern und seine Platten zu hören?
Siebzehn Jahre später, in einem idyllischen Weiler, der inzwischen wieder von Karren und Kaminfeuern geprägt wird, erzählt Agnès ihrer Tochter Ada, was ihr Leben verändert hat zu einer Zeit, als sich die Welt veränderte.
"Gesellschaftskritik und Utopie gehen Hand in Hand in diesem Buch, das daherkommt wie ein Thriller. Was sich am Ende zeigt, ist eine machtvolle und erschütternde Parabel." L'Humanité
"In geschliffenstem Stil entfaltet Leroy hier eine Art unzeitgemäße Melancholie, ein Lob auf das Nutzlose als Mittel des Widerstands und auf die nicht für den augenblicklichen Anschluss an alles aufgewendete Zeit." Libération
"In diesem knarzenden Thriller malt Jérôme Leroy das Verlassen und die Poesie als Massenvernichtungswaffen gegen den Kapitalismus aus. Ein köstlicher Kampf, bei dem Oblomow die World Company niederstreckt." Paris Match
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2018Wenn sich die Eliten vom Acker machen
Krimis in Kürze: D.B. John, André Georgi und Jérôme Leroy
"Wenn man nicht gerade Science-Fiction schreiben will", sagt der walisische Schriftsteller D. B. John, dann sei ein Kriminalroman, der in Nordkorea spielt, "vermutlich das fremdartigste Setting für eine Geschichte, das man sich vorstellen kann". Da hat er recht, und deshalb braucht "Stern des Nordens" (Wunderlich, 560 S., geb., 24.- [Euro]) auch einen umfangreichen Anhang. Es könnte sonst leicht passieren, dass man für Fiktion hält, was historisches Faktum ist.
Die Handlung umfasst das Schicksal von drei Figuren in den Jahren 2010/2011. Die begabte Jenna, Tochter eines Afroamerikaners und einer Koreanerin, wird von der CIA rekrutiert, auch weil ihre Zwillingsschwester 1998 spurlos von einer südkoreanischen Insel verschwand. Der Parteifunktionär Cho und seine Familie gehören zur Hautevolee des Nordens, was für Konsumprivilegien, aber auch für permanente Angst sorgt, erst recht, nachdem Cho sich durch einen strammen Auftritt bei der UN für höhere Ziele empfohlen hat. Und schließlich ist da die alte Frau Moon im ländlichen Norden, nahe der chinesischen Grenze, arm, aber findig und geschäftstüchtig.
Wie John diese drei Handlungsstränge sukzessive miteinander verknüpft, das ist handwerklich geschickt und spannend. Die Einblicke in das Land der Kims, die sich auf diese Weise ergeben, könnte man für schlecht erfunden halten, wäre nicht die Realität selbst ein Kabinett des Grauens. Vor allem gegen Ende übertreibt es D. B. John dann aber doch ein wenig. Er leistet sich eine schrille Pointe zu Kim Jong-ils Tod im Dezember 2011 und ein paar melodramatische Effekte zu viel, die diese Geschichte voller scheinbarer Unwirklichkeiten gar nicht nötig hat.
Zu den nie ganz geklärten Fällen der bundesrepublikanischen Geschichte gehört der Mord an Treuhand-Chef Detlev Rohwedder am 1. April 1991. Im letzten Jahr erschien ein Roman von Hans-Werner Honert, "Maria und der Patriot", der mit den Mitteln der Fiktion Ermittlungslücken zu schließen versuchte. Jetzt ist es André Georgi, der in "Die letzte Terroristin" (Suhrkamp, 366 S., br., 14,95 [Euro]) Ähnliches versucht. Er verwendet zwar keine Klarnamen, Rohwedder etwa heißt hier Dahlmann, doch die Spekulationen bleiben eng an realen Vorbildern und Ereignissen, von Susanne Albrechts Bekanntschaft mit den Pontos bis zum Bahnhof von Bad Kleinen.
Ein müder BKA-Mann ist auf der Spur der letzten RAF-Generation, wobei der Romantitel ungeschickt gewählt ist, da es zwei Frauen sind, die stellvertretend den Weg der RAF bis zum Ende gehen müssen. Georgis Lösungsvariante für den Mord ist dagegen interessant, weil sie dem Umstand Rechnung trägt, dass Rohwedder sich als Gestalter, aber nicht als Verramscher verstand und sich insofern mehr Gegner und Feinde machte als nur die versprengte Terroristennachhut.
Warum der Roman, dessen Adaption als Fernsehzweiteiler unter dem Titel "Der Mordanschlag" im ZDF ausgestrahlt werden wird, nicht ganz überzeugt, das hat weniger mit dem bekannten Ausgang der Handlung zu tun. Es ist vor allem Georgis forcierter Stilwillen, der zwar immer wieder hübsche Sottisen und Sprüche produziert, aber zu oft nicht weiß, wann es genug ist: "Hier wurden die Kartoffeln angebaut, die die Aufklärung in Potsdam dann in der eher nicht allerbesten Küche der Zeit mit Blick auf nackte Jungs frittierte, während die Bauern auf dem lichten Feld weiterhin Kartoffelstaudenblätter als Grünkohl fraßen, weil sie Mühe mit den französischen Edikten des kleinen Großen im Palast ohne Sorgen zwanzig Kilometer weiter südwestlich hatten." Nach diesem Pointenhagel, der keine Ausnahme ist, darf man erst mal durchatmen. Es ging da doch nur um den harmlosen Stadtteil Berlin-Lichterfelde.
Mit seinem 2017 (im Original 2011) publizierten Roman "Der Block" wurde Jérôme Leroy bei uns bekannt. Sein neues Buch "Die Verdunkelten" (Edition Nautilus, 224 S., br., 18,.- [Euro]) enttäuscht die Erwartungen nicht. Eine Geschichte aus dem Frankreich der nahen Zukunft wird erzählt. Streiks und Anschläge lähmen das öffentliche Leben, der gesellschaftliche Zusammenhalt wird immer poröser, viele Menschen wollen einfach nur spurlos verschwinden aus ihrem bisherigen Leben, sich in Luft auflösen.
Wie Guillaume, einer der beiden Ich-Erzähler, die sich kapitelweise abwechseln. Er ist ein ehemaliger Kommunist und mäßig erfolgreicher Autor von Mitte fünfzig. Die Verdunkelung erscheint ihm als eine letzte Chance. Sein Pendant Agnès ist eine Agentin des Geheimdienstes. Sie überwacht ihn mit einer Obsession, deren Ursache man erst spät erfahren wird. Die Welt von morgen bleibt hier eher atmosphärische Skizze als ausgemalte Dystopie. Dem Buch tut das nur gut. Eine kleine Untergangsetüde für zwei Stimmen: elegant geschrieben, klug, präzise und von einer leichten Melancholie durchzogen.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: D.B. John, André Georgi und Jérôme Leroy
"Wenn man nicht gerade Science-Fiction schreiben will", sagt der walisische Schriftsteller D. B. John, dann sei ein Kriminalroman, der in Nordkorea spielt, "vermutlich das fremdartigste Setting für eine Geschichte, das man sich vorstellen kann". Da hat er recht, und deshalb braucht "Stern des Nordens" (Wunderlich, 560 S., geb., 24.- [Euro]) auch einen umfangreichen Anhang. Es könnte sonst leicht passieren, dass man für Fiktion hält, was historisches Faktum ist.
Die Handlung umfasst das Schicksal von drei Figuren in den Jahren 2010/2011. Die begabte Jenna, Tochter eines Afroamerikaners und einer Koreanerin, wird von der CIA rekrutiert, auch weil ihre Zwillingsschwester 1998 spurlos von einer südkoreanischen Insel verschwand. Der Parteifunktionär Cho und seine Familie gehören zur Hautevolee des Nordens, was für Konsumprivilegien, aber auch für permanente Angst sorgt, erst recht, nachdem Cho sich durch einen strammen Auftritt bei der UN für höhere Ziele empfohlen hat. Und schließlich ist da die alte Frau Moon im ländlichen Norden, nahe der chinesischen Grenze, arm, aber findig und geschäftstüchtig.
Wie John diese drei Handlungsstränge sukzessive miteinander verknüpft, das ist handwerklich geschickt und spannend. Die Einblicke in das Land der Kims, die sich auf diese Weise ergeben, könnte man für schlecht erfunden halten, wäre nicht die Realität selbst ein Kabinett des Grauens. Vor allem gegen Ende übertreibt es D. B. John dann aber doch ein wenig. Er leistet sich eine schrille Pointe zu Kim Jong-ils Tod im Dezember 2011 und ein paar melodramatische Effekte zu viel, die diese Geschichte voller scheinbarer Unwirklichkeiten gar nicht nötig hat.
Zu den nie ganz geklärten Fällen der bundesrepublikanischen Geschichte gehört der Mord an Treuhand-Chef Detlev Rohwedder am 1. April 1991. Im letzten Jahr erschien ein Roman von Hans-Werner Honert, "Maria und der Patriot", der mit den Mitteln der Fiktion Ermittlungslücken zu schließen versuchte. Jetzt ist es André Georgi, der in "Die letzte Terroristin" (Suhrkamp, 366 S., br., 14,95 [Euro]) Ähnliches versucht. Er verwendet zwar keine Klarnamen, Rohwedder etwa heißt hier Dahlmann, doch die Spekulationen bleiben eng an realen Vorbildern und Ereignissen, von Susanne Albrechts Bekanntschaft mit den Pontos bis zum Bahnhof von Bad Kleinen.
Ein müder BKA-Mann ist auf der Spur der letzten RAF-Generation, wobei der Romantitel ungeschickt gewählt ist, da es zwei Frauen sind, die stellvertretend den Weg der RAF bis zum Ende gehen müssen. Georgis Lösungsvariante für den Mord ist dagegen interessant, weil sie dem Umstand Rechnung trägt, dass Rohwedder sich als Gestalter, aber nicht als Verramscher verstand und sich insofern mehr Gegner und Feinde machte als nur die versprengte Terroristennachhut.
Warum der Roman, dessen Adaption als Fernsehzweiteiler unter dem Titel "Der Mordanschlag" im ZDF ausgestrahlt werden wird, nicht ganz überzeugt, das hat weniger mit dem bekannten Ausgang der Handlung zu tun. Es ist vor allem Georgis forcierter Stilwillen, der zwar immer wieder hübsche Sottisen und Sprüche produziert, aber zu oft nicht weiß, wann es genug ist: "Hier wurden die Kartoffeln angebaut, die die Aufklärung in Potsdam dann in der eher nicht allerbesten Küche der Zeit mit Blick auf nackte Jungs frittierte, während die Bauern auf dem lichten Feld weiterhin Kartoffelstaudenblätter als Grünkohl fraßen, weil sie Mühe mit den französischen Edikten des kleinen Großen im Palast ohne Sorgen zwanzig Kilometer weiter südwestlich hatten." Nach diesem Pointenhagel, der keine Ausnahme ist, darf man erst mal durchatmen. Es ging da doch nur um den harmlosen Stadtteil Berlin-Lichterfelde.
Mit seinem 2017 (im Original 2011) publizierten Roman "Der Block" wurde Jérôme Leroy bei uns bekannt. Sein neues Buch "Die Verdunkelten" (Edition Nautilus, 224 S., br., 18,.- [Euro]) enttäuscht die Erwartungen nicht. Eine Geschichte aus dem Frankreich der nahen Zukunft wird erzählt. Streiks und Anschläge lähmen das öffentliche Leben, der gesellschaftliche Zusammenhalt wird immer poröser, viele Menschen wollen einfach nur spurlos verschwinden aus ihrem bisherigen Leben, sich in Luft auflösen.
Wie Guillaume, einer der beiden Ich-Erzähler, die sich kapitelweise abwechseln. Er ist ein ehemaliger Kommunist und mäßig erfolgreicher Autor von Mitte fünfzig. Die Verdunkelung erscheint ihm als eine letzte Chance. Sein Pendant Agnès ist eine Agentin des Geheimdienstes. Sie überwacht ihn mit einer Obsession, deren Ursache man erst spät erfahren wird. Die Welt von morgen bleibt hier eher atmosphärische Skizze als ausgemalte Dystopie. Dem Buch tut das nur gut. Eine kleine Untergangsetüde für zwei Stimmen: elegant geschrieben, klug, präzise und von einer leichten Melancholie durchzogen.
PETER KÖRTE
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.10.2018Verschwinden als Utopie
Zwischen Entropie und Öko-Kitsch: Jérôme Leroys „Die Verdunkelten“
Die Grundidee für diesen Kriminalroman ist bestechend: Die Menschen verschwinden. Einzeln. Freiwillig. Ohne Absprache oder verschwörerische Pläne. Weder bringen sie sich um noch tauchen sie agentenartig unter, sie ziehen sich einfach nur aus dem tristen Irrsinn der entfremdeten Büroarbeit inkl. Feierabendehe zurück. Diese „Verdunkelten“, wie sie von den Medien und der Polizei genannt werden, gehen an die Ränder, mieten ein Zimmer in einer Kleinstadt oder am Strand, verweigern sich dem üblichen Hamsterrad und praktizieren fortan das Leben, das man sich selbst oft im zerhäckselten Stroboskopalltag imaginiert: Poesie lesen, Nutzloses tun, im Augenblick rundum präsent sein.
Was natürlich spätestens dann zu großen Problemen führt, wenn sogar Leute wie der oberste Verantwortliche für sämtliche französischen Atomkraftwerke eines Morgens einfach nicht mehr zur Arbeit erscheinen. Befragt, warum um alles in der Welt er alles hingeschmissen habe, sagt dieser Mann, er habe ein paar Tage zuvor gesehen, „wie ein Kind in der Yèvre angelte, bei einer Brücke, an der Stelle, wo sie in die Cher fließt. Es war um zwei Uhr nachmittags und er hatte einfach Lust, es ihm gleichzutun.“
Wie gesagt, ein betörender Grundeinfall, der als Sehnsuchtsmetapher gut zu einer Zeit passt, in der auch dem Letzten klar ist, dass unser spätkapitalistisches System nicht die kollektive Weltbeglückung bringt. Und der außerdem zu einem Land passt, das 2015 unter kollektivem Schock stand. Der Franzose Jérôme Leroy begann „Die Verdunkelten“ nach den Anschlägen auf das Bataclan, die Pariser Café-Terrassen und unser aller Lebensstil. Er siedelt sein Buch in einer nahen und rundum utopischen Zukunft an, ein Idyll aus dörflichem Ziehbrunnen, Kaminprasseln, Eselskarren. Dort lebt die ehemalige Agentin Agnès und erzählt ihrer Tochter Ada, wie das damals war, in unserer Zeit, als alles in die große, dunkle Entropie zu münden schien und immer mehr Leute beschlossen, auszusteigen.
Parallel zu ihrer Erzählung aus der nahen Zukunft wird im Hier und Jetzt erzählt, wie Guillaume Trimbert, ehemaliger Lehrer, ehemaliger Star der Linken, sich aufs sanfte Verschwinden vorbereitet. Und wie eine Agentin, die junge Agnès, vom Geheimdienst auf ihn angesetzt wird, um zu prüfen, was diese seltsame Aussteigerei soll.
Leider verkümmert der eine Erzählstrang bald zu extremem Landhauskitsch, der andere zu einem unglaubwürdigen Krimiplot samt peinlicher Altmännerfantasie. Die utopischen Szenen sind vollkommen unrealistisch, weil Leroy sich nie die Mühe macht zu erklären, wie es kommt, dass um das Jahr 2030 plötzlich alle in vollendeter Harmonie in ihrer Cevennen-Öko-Idylle sitzen. Im Hier und Heute aber geht einem der schwermütige Trimbert mit seinen Lyrikzitaten und philosophischen Schwermutsexkursen sehr schnell dermaßen auf den Senkel, dass man denkt, na, nun verschwind schon endlich. Warum die junge, schöne Agnès diesem abgehalfterten Alltagspoeten mit seinen vergilbten Lyrikbänden verfallen sollte, muss auf ewig Leroys Geheimnis bleiben.
ALEX RÜHLE
Jérôme Leroy: Die Verdunkelten. Aus dem Französischen von Cornelia Wend. Edition Nautilus, Hamburg 2018. 224 Seiten, 18 Euro.
Die junge schöne Agentin soll
herausfinden, was es mit
der Aussteigerei auf sich hat
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Zwischen Entropie und Öko-Kitsch: Jérôme Leroys „Die Verdunkelten“
Die Grundidee für diesen Kriminalroman ist bestechend: Die Menschen verschwinden. Einzeln. Freiwillig. Ohne Absprache oder verschwörerische Pläne. Weder bringen sie sich um noch tauchen sie agentenartig unter, sie ziehen sich einfach nur aus dem tristen Irrsinn der entfremdeten Büroarbeit inkl. Feierabendehe zurück. Diese „Verdunkelten“, wie sie von den Medien und der Polizei genannt werden, gehen an die Ränder, mieten ein Zimmer in einer Kleinstadt oder am Strand, verweigern sich dem üblichen Hamsterrad und praktizieren fortan das Leben, das man sich selbst oft im zerhäckselten Stroboskopalltag imaginiert: Poesie lesen, Nutzloses tun, im Augenblick rundum präsent sein.
Was natürlich spätestens dann zu großen Problemen führt, wenn sogar Leute wie der oberste Verantwortliche für sämtliche französischen Atomkraftwerke eines Morgens einfach nicht mehr zur Arbeit erscheinen. Befragt, warum um alles in der Welt er alles hingeschmissen habe, sagt dieser Mann, er habe ein paar Tage zuvor gesehen, „wie ein Kind in der Yèvre angelte, bei einer Brücke, an der Stelle, wo sie in die Cher fließt. Es war um zwei Uhr nachmittags und er hatte einfach Lust, es ihm gleichzutun.“
Wie gesagt, ein betörender Grundeinfall, der als Sehnsuchtsmetapher gut zu einer Zeit passt, in der auch dem Letzten klar ist, dass unser spätkapitalistisches System nicht die kollektive Weltbeglückung bringt. Und der außerdem zu einem Land passt, das 2015 unter kollektivem Schock stand. Der Franzose Jérôme Leroy begann „Die Verdunkelten“ nach den Anschlägen auf das Bataclan, die Pariser Café-Terrassen und unser aller Lebensstil. Er siedelt sein Buch in einer nahen und rundum utopischen Zukunft an, ein Idyll aus dörflichem Ziehbrunnen, Kaminprasseln, Eselskarren. Dort lebt die ehemalige Agentin Agnès und erzählt ihrer Tochter Ada, wie das damals war, in unserer Zeit, als alles in die große, dunkle Entropie zu münden schien und immer mehr Leute beschlossen, auszusteigen.
Parallel zu ihrer Erzählung aus der nahen Zukunft wird im Hier und Jetzt erzählt, wie Guillaume Trimbert, ehemaliger Lehrer, ehemaliger Star der Linken, sich aufs sanfte Verschwinden vorbereitet. Und wie eine Agentin, die junge Agnès, vom Geheimdienst auf ihn angesetzt wird, um zu prüfen, was diese seltsame Aussteigerei soll.
Leider verkümmert der eine Erzählstrang bald zu extremem Landhauskitsch, der andere zu einem unglaubwürdigen Krimiplot samt peinlicher Altmännerfantasie. Die utopischen Szenen sind vollkommen unrealistisch, weil Leroy sich nie die Mühe macht zu erklären, wie es kommt, dass um das Jahr 2030 plötzlich alle in vollendeter Harmonie in ihrer Cevennen-Öko-Idylle sitzen. Im Hier und Heute aber geht einem der schwermütige Trimbert mit seinen Lyrikzitaten und philosophischen Schwermutsexkursen sehr schnell dermaßen auf den Senkel, dass man denkt, na, nun verschwind schon endlich. Warum die junge, schöne Agnès diesem abgehalfterten Alltagspoeten mit seinen vergilbten Lyrikbänden verfallen sollte, muss auf ewig Leroys Geheimnis bleiben.
ALEX RÜHLE
Jérôme Leroy: Die Verdunkelten. Aus dem Französischen von Cornelia Wend. Edition Nautilus, Hamburg 2018. 224 Seiten, 18 Euro.
Die junge schöne Agentin soll
herausfinden, was es mit
der Aussteigerei auf sich hat
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