Der 13. Oktober 1307 bildet den Auftakt einer verstörenden Inquisition: Der französische König Philip IV. bezichtigt die Templer der Ketzerei und lässt über Nacht die Mitglieder des mächtigsten Ritterordens der Geschichte verhaften und enteignen. Folter und Verhör liefern die dafür nötigen Geständnisse. Der Coup soll dem König ermöglichen, seine Macht auch auf den päpstlichen Stuhl auszuweiten, doch stattdessen kommt es zu einem jahrelangen Tauziehen zwischen Krone und Kirche.
Alain Demurger zeichnet die dramatischen Ereignisse in jenem Prozess, der 1312 mit dem Konzil von Vienne zur Auflösung des Ordens führt, minutiös nach und bettet sie ein in das Machtspiel zwischen Philipp dem Schönen und Papst Clemens V. Mit Hilfe der Vernehmungsprotokolle bringt er die persönlichen Schicksale der angeklagten Ordensmitglieder ans Licht, offenbart ihren Widerstand und macht deutlich, dass nicht alle Templer bloß Opfer, sondern manche auch mutige Akteure in diesem Katz-und-Maus-Spiel waren. Demurger erhellt die vielschichtigen Interessen der päpstlichen Inquisition, arbeitet die Unstimmigkeiten und Lücken in den Protokollen heraus und entwickelt schließlich ein überraschend neues Bild des Templerordens.
Alain Demurger zeichnet die dramatischen Ereignisse in jenem Prozess, der 1312 mit dem Konzil von Vienne zur Auflösung des Ordens führt, minutiös nach und bettet sie ein in das Machtspiel zwischen Philipp dem Schönen und Papst Clemens V. Mit Hilfe der Vernehmungsprotokolle bringt er die persönlichen Schicksale der angeklagten Ordensmitglieder ans Licht, offenbart ihren Widerstand und macht deutlich, dass nicht alle Templer bloß Opfer, sondern manche auch mutige Akteure in diesem Katz-und-Maus-Spiel waren. Demurger erhellt die vielschichtigen Interessen der päpstlichen Inquisition, arbeitet die Unstimmigkeiten und Lücken in den Protokollen heraus und entwickelt schließlich ein überraschend neues Bild des Templerordens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2017Auf den Scheiterhaufen musste, wer sich nicht schuldig bekannte
Der letzte Aufstand der verfemten Ritter: Alain Demurger erzählt von den Geschehnissen, die zur Aufhebung des Templerordens führten
Extreme Spezialisierung auf ein begrenztes Thema verschafft Historikerinnen und Historikern des Mittelalters hierzulande nicht das höchste Ansehen. Anders in England und Frankreich, vor allem, wenn es um die Zeit der Kreuzzüge geht. Der Pariser Professor Alain Demurger legt bereits die vierte Monographie über den geistlichen Ritterorden der Templer seit 1985 vor und kann sich auch über eine breite Rezeption in Deutschland freuen. Hohe Auflagen und Verkaufszahlen haben seinen deutschen Verlag auch vor zwei Jahren nicht zögern lassen, als "La persécution des templiers. Journal (1305-1314)" erschien, so dass nun bereits eine Übersetzung vorliegt.
Dabei geht es um eine oft erzählte Skandalgeschichte, die auch im populären Schriftgut die Vorurteile vom finsteren Mittelalter lebendig hält: Als die Ordensritter nach dem Zusammenbruch der Kreuzfahrerstaaten (1291) orientierungslos waren, gelang es dem französischen König Philipp IV., den Papst in einem spektakulären politischen Prozess zur Aufhebung des ,Tempels' zu drängen (1307-1314). Der Herrscher hatte weniger ein Auge auf das beträchtliche Vermögen der Templer geworfen, das schließlich den Johannitern zufiel, sondern es ging ihm darum, sich auf Kosten des Papstes als "Engel Gottes", "Lichtbringer" und Verteidiger des rechten Glaubens hervorzutun.
Im Jahr 1306 hatte er deshalb schon die Juden aus Frankreich gewiesen und reagierte jetzt wiederum zur vermeintlichen Reinigung des Reiches mit der Templerverfolgung auf ungeheuerliche Vorwürfe: Die Ordensritter wurden der Blasphemie - sie würden die Gottheit Christi leugnen, das Kreuz schmähen, die Sakramente verwerfen - und der Verpflichtung junger Brüder auf sexuelle Praktiken wie Genitalkuss und Analverkehr beschuldigt.
Da die Vorwürfe als bewiesen galten, waren nur noch die Geständnisse der Brüder nötig, die durch die Folter erpresst wurden. Der Papst ließ eigene Verfahren gegen einzelne Templer und den Orden als Ganzes durchführen. Wer seine Verbrechen im komplexen Ablauf der "Templeraffäre" widerrief - und nicht, wer sein Schuldeingeständnis durchhielt -, dem drohte der Tod auf dem Scheiterhaufen. 54 rückfällig gewordene Ketzer lieferte etwa ein Konzil von Sens am 12. Mai 1310 solch schrecklicher Hinrichtung aus, andere mussten ihnen folgen. Auch den Großmeister Jacques de Molay, dem es weniger an Mut als an Urteilskraft gefehlt hatte, ereilte 1314 dieses Schicksal.
Was ist also neu an Demurgers jüngster Darstellung? Nicht, wie er jetzt betont, dass die hundertfachen Geständnisse der geängstigten Brüder historisch wertlos seien. Zwar hatte der Autor früher noch die Auffassung vertreten, die Vorwürfe seien wohl nicht ganz aus der Luft gegriffen gewesen, aber andere Experten hatten dies schon länger verworfen. Bezeichnenderweise hatten die Templer die Anschuldigungen außerhalb der französischen Monarchie, wo die Folter nicht angewandt wurde, ja auch einhellig zurückgewiesen.
Alain Demurger möchte vielmehr die Verfolgung der Templer diesmal aus einer anderen Perspektive als der des Konfliktes zwischen König und Papst betrachten und das alltägliche Leben der Templer vor allem in den Jahren von 1307 bis 1312 schildern, dabei der genauen Chronologie der Ereignisse, der Aktionen, Gegenaktionen und Parallelstränge des Geschehens folgend. Statt die Glaubwürdigkeit der überlieferten Verhörprotokolle erneut im Einzelnen abzuwägen, beruht seine Untersuchung auf den unbezweifelbaren Nachweisen von Daten und Personen. Er bedient sich also der inzwischen etwas aus der Mode gekommenen personengeschichtlichen Methode, hat auch die Belege zu Tempelrittern erschöpfend gesammelt, die er in einem künftigen Werk vorlegen will.
Der Materialreichtum macht die Lektüre des neuen Buches etwas mühsam, zumal Demurger nicht über die Gabe fesselnder Erzählkunst verfügt. Was ihm aber eindrucksvoll gelingt, ist der Nachweis, wie beharrlich Hunderte Templer ihren Orden verteidigten und die m wörtlichen Sinne unheilvollen Vorwürfe zurückwiesen. Hier bewährt sich der personengeschichtliche Ansatz des Autors. Denn nach variierend überlieferten Listen waren 1310 in Paris 650 Templer bereit, vor der päpstlichen Untersuchungskommission ihre ritterliche Gemeinschaft zu verteidigen, während nur 224 Verhöre belegt sind. 44 von den über 600 Templern zogen unter dem Eindruck des Scheiterhaufens später ihre Aussagen zugunsten des Ordens zurück. Von den anderen ist nichts bekannt.
Angesichts dieser Relationen warnt Demurger davor, die überlieferten Stellungnahmen zu überschätzen, da die Haltung der Mehrheit nicht eingeschätzt werden kann. Zu Recht spricht er aber für die Zeit vom Februar bis Mai 1310 von einem Aufstand der Templer gegen die obrigkeitlichen Pressionen, der umso eindrucksvoller war, als sich ihr Ordensmeister durch seine Geständnisse von 1307 und 1308 isoliert hatte. Es rettete den Orden nicht. Zwar wurde er nicht verurteilt, aber von Papst Clemens V. aufgehoben; über das Schicksal der französischen Templer ist wenig bekannt. Einigen, denen vergeben worden war, wiesen die Johanniter aus den ehemaligen Ordensbesitzungen Güter zur Altersversorgung an, andere werden im Kerker gestorben sein.
MICHAEL BORGOLTE
Alain Demurger: "Die
Verfolgung der Templer." Chronik einer Vernichtung 1307-1314.
Aus dem Französischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube. Verlag C. H. Beck, München 2017. 408 S., geb., 27,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der letzte Aufstand der verfemten Ritter: Alain Demurger erzählt von den Geschehnissen, die zur Aufhebung des Templerordens führten
Extreme Spezialisierung auf ein begrenztes Thema verschafft Historikerinnen und Historikern des Mittelalters hierzulande nicht das höchste Ansehen. Anders in England und Frankreich, vor allem, wenn es um die Zeit der Kreuzzüge geht. Der Pariser Professor Alain Demurger legt bereits die vierte Monographie über den geistlichen Ritterorden der Templer seit 1985 vor und kann sich auch über eine breite Rezeption in Deutschland freuen. Hohe Auflagen und Verkaufszahlen haben seinen deutschen Verlag auch vor zwei Jahren nicht zögern lassen, als "La persécution des templiers. Journal (1305-1314)" erschien, so dass nun bereits eine Übersetzung vorliegt.
Dabei geht es um eine oft erzählte Skandalgeschichte, die auch im populären Schriftgut die Vorurteile vom finsteren Mittelalter lebendig hält: Als die Ordensritter nach dem Zusammenbruch der Kreuzfahrerstaaten (1291) orientierungslos waren, gelang es dem französischen König Philipp IV., den Papst in einem spektakulären politischen Prozess zur Aufhebung des ,Tempels' zu drängen (1307-1314). Der Herrscher hatte weniger ein Auge auf das beträchtliche Vermögen der Templer geworfen, das schließlich den Johannitern zufiel, sondern es ging ihm darum, sich auf Kosten des Papstes als "Engel Gottes", "Lichtbringer" und Verteidiger des rechten Glaubens hervorzutun.
Im Jahr 1306 hatte er deshalb schon die Juden aus Frankreich gewiesen und reagierte jetzt wiederum zur vermeintlichen Reinigung des Reiches mit der Templerverfolgung auf ungeheuerliche Vorwürfe: Die Ordensritter wurden der Blasphemie - sie würden die Gottheit Christi leugnen, das Kreuz schmähen, die Sakramente verwerfen - und der Verpflichtung junger Brüder auf sexuelle Praktiken wie Genitalkuss und Analverkehr beschuldigt.
Da die Vorwürfe als bewiesen galten, waren nur noch die Geständnisse der Brüder nötig, die durch die Folter erpresst wurden. Der Papst ließ eigene Verfahren gegen einzelne Templer und den Orden als Ganzes durchführen. Wer seine Verbrechen im komplexen Ablauf der "Templeraffäre" widerrief - und nicht, wer sein Schuldeingeständnis durchhielt -, dem drohte der Tod auf dem Scheiterhaufen. 54 rückfällig gewordene Ketzer lieferte etwa ein Konzil von Sens am 12. Mai 1310 solch schrecklicher Hinrichtung aus, andere mussten ihnen folgen. Auch den Großmeister Jacques de Molay, dem es weniger an Mut als an Urteilskraft gefehlt hatte, ereilte 1314 dieses Schicksal.
Was ist also neu an Demurgers jüngster Darstellung? Nicht, wie er jetzt betont, dass die hundertfachen Geständnisse der geängstigten Brüder historisch wertlos seien. Zwar hatte der Autor früher noch die Auffassung vertreten, die Vorwürfe seien wohl nicht ganz aus der Luft gegriffen gewesen, aber andere Experten hatten dies schon länger verworfen. Bezeichnenderweise hatten die Templer die Anschuldigungen außerhalb der französischen Monarchie, wo die Folter nicht angewandt wurde, ja auch einhellig zurückgewiesen.
Alain Demurger möchte vielmehr die Verfolgung der Templer diesmal aus einer anderen Perspektive als der des Konfliktes zwischen König und Papst betrachten und das alltägliche Leben der Templer vor allem in den Jahren von 1307 bis 1312 schildern, dabei der genauen Chronologie der Ereignisse, der Aktionen, Gegenaktionen und Parallelstränge des Geschehens folgend. Statt die Glaubwürdigkeit der überlieferten Verhörprotokolle erneut im Einzelnen abzuwägen, beruht seine Untersuchung auf den unbezweifelbaren Nachweisen von Daten und Personen. Er bedient sich also der inzwischen etwas aus der Mode gekommenen personengeschichtlichen Methode, hat auch die Belege zu Tempelrittern erschöpfend gesammelt, die er in einem künftigen Werk vorlegen will.
Der Materialreichtum macht die Lektüre des neuen Buches etwas mühsam, zumal Demurger nicht über die Gabe fesselnder Erzählkunst verfügt. Was ihm aber eindrucksvoll gelingt, ist der Nachweis, wie beharrlich Hunderte Templer ihren Orden verteidigten und die m wörtlichen Sinne unheilvollen Vorwürfe zurückwiesen. Hier bewährt sich der personengeschichtliche Ansatz des Autors. Denn nach variierend überlieferten Listen waren 1310 in Paris 650 Templer bereit, vor der päpstlichen Untersuchungskommission ihre ritterliche Gemeinschaft zu verteidigen, während nur 224 Verhöre belegt sind. 44 von den über 600 Templern zogen unter dem Eindruck des Scheiterhaufens später ihre Aussagen zugunsten des Ordens zurück. Von den anderen ist nichts bekannt.
Angesichts dieser Relationen warnt Demurger davor, die überlieferten Stellungnahmen zu überschätzen, da die Haltung der Mehrheit nicht eingeschätzt werden kann. Zu Recht spricht er aber für die Zeit vom Februar bis Mai 1310 von einem Aufstand der Templer gegen die obrigkeitlichen Pressionen, der umso eindrucksvoller war, als sich ihr Ordensmeister durch seine Geständnisse von 1307 und 1308 isoliert hatte. Es rettete den Orden nicht. Zwar wurde er nicht verurteilt, aber von Papst Clemens V. aufgehoben; über das Schicksal der französischen Templer ist wenig bekannt. Einigen, denen vergeben worden war, wiesen die Johanniter aus den ehemaligen Ordensbesitzungen Güter zur Altersversorgung an, andere werden im Kerker gestorben sein.
MICHAEL BORGOLTE
Alain Demurger: "Die
Verfolgung der Templer." Chronik einer Vernichtung 1307-1314.
Aus dem Französischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube. Verlag C. H. Beck, München 2017. 408 S., geb., 27,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein überraschend neues Bild des Templerordens."
Nürtinger Zeitung, 2. Mai 2017
Nürtinger Zeitung, 2. Mai 2017