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Mit diesem Buch schließt Michael Alberti eine Forschungslücke in der Gesamtgeschichte des Holocaust. Auf der Basis deutscher, polnischer und israelischer Archivbestände rekonstruiert er die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Minderheit im Warthegau und zeichnet die Entwicklung der nationalsozialistischen "Judenpolitik", die schließlich im September 1941 im Massenmord mündete, detailliert nach. Dem von den Nationalsozialisten okkupierten Warthegau kommt in der Geschichte des Holocaust nämlich eine zentrale Bedeutung zu. Dort wurden ab 1940 erstmals flächendeckend Ghettos errichtet. So…mehr

Produktbeschreibung
Mit diesem Buch schließt Michael Alberti eine Forschungslücke in der Gesamtgeschichte des Holocaust. Auf der Basis deutscher, polnischer und israelischer Archivbestände rekonstruiert er die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Minderheit im Warthegau und zeichnet die Entwicklung der nationalsozialistischen "Judenpolitik", die schließlich im September 1941 im Massenmord mündete, detailliert nach. Dem von den Nationalsozialisten okkupierten Warthegau kommt in der Geschichte des Holocaust nämlich eine zentrale Bedeutung zu. Dort wurden ab 1940 erstmals flächendeckend Ghettos errichtet. So wuchs die Lódzer Ghettowirtschaft zur größten ihrer Art im deutsch besetzten Europa heran und existierte auf Grund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung bis zum Spätsommer 1944. Die Nationalsozialisten errichteten im Warthegau, nämlich in Chelmno (Kulmhof), außerdem das erste Vernichtungslager in der Geschichte der Menschheit sowie von 1941 bis 1943 eines der größten Netze an Zwangsarbeitslagern fürJuden im besetzten Osteuropa.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2007

Stolpernde Radikalisierung
Deutsche Instanzen lösten Massenmord im Wartheland aus

Der "Reichsgau Wartheland" war eine nationalsozialistische Konstruktion. Territorial zusammengesetzt aus dem einstigen Großherzogtum Posen, das nach der Zerschlagung Polens Ende des 18. Jahrhunderts preußisch geworden war und bis 1918 zum Deutschen Reich gehört hatte, sowie aus den polnischen Regionen Kujawien und Masowien, die niemals in der Geschichte deutsch gewesen waren, bildete der Warthegau neben Westpreußen und Ostoberschlesien das größte jener Gebiete, die das nationalsozialistische Deutschland nach dem Krieg gegen Polen im Herbst 1939 annektierte. In den neuen Reichsgauen sollte es in den Worten Hitlers zu einer radikalen völkischen "Flurbereinigung" kommen. Die jüdische Bevölkerung sollte vollständig vertrieben, die Polen entweder deportiert oder zur Zwangsarbeit eingesetzt werden, um vor allem volksdeutschen Siedlern aus dem Baltikum Platz zu machen. Himmlers Befehl Ende Oktober 1939 sah die Vertreibung von einer Million Menschen innerhalb weniger Monate vor, ein monströses Unternehmen, dessen Verwirklichung fehlschlagen musste.

Denn das restpolnische Gebiet, "Generalgouvernement" genannt, war gar nicht in der Lage, Hunderttausende von Deportierten aufzunehmen, insbesondere wenn die deutschen Besatzungsbehörden dort keinerlei Anstalten machten, um die jüdischen Menschen zu ernähren und unterzubringen, sondern sie ihrem Schicksal überlassen wollten. Im März 1940 wurden die Deportationen gestoppt. Die nationalsozialistische Absicht, den Warthegau rasch "judenrein" zu machen, war vorerst gescheitert; man musste sich neue Wege ausdenken.

Michael Alberti zeichnet erstmals umfassend die Judenverfolgung im Reichsgau Wartheland nach. Zwar sind die großen Züge der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik in den annektierten polnischen Gebieten mittlerweile durchaus bekannt. Aber die antisemitische Politik im Wartheland jenseits der großen Städte war unerforschtes Terrain. Albertis Studie füllt nun diese Forschungslücke detailreich und präzis, wobei seine Untersuchungsperspektive auf die deutschen Täter bezogen bleibt. Deren Politik und Handlungslogik will er erfassen und analysieren. Es gelingt es ihm, die stolpernde Radikalisierung der deutschen "Judenpolitik" mit großer Genauigkeit zu schildern. Immer wieder mit Hindernissen und selbst verschuldeten Widersprüchen konfrontiert und zugleich vom festen Willen angetrieben, die neuen deutschen Provinzen "judenrein" zu machen, entwarfen SS, Polizei und Zivilverwaltung "Nah-" und "Zwischen"-Pläne, improvisierten kurzfristige "Lösungen" und schufen dadurch Tatsachen, die wiederum beim nächsten Scheitern neue, radikalere Schritte nahelegten.

Schon früh hatte man die jüdische Bevölkerung zwangsweise konzentriert, um sie besser abschieben und vor allem ausrauben zu können. Als jedoch die Deportation in das Generalgouvernement ausgesetzt werden mussten, wandelten sich die Ghettos in dauerhaftere Institutionen. Statt kurzfristig Beute zu machen, stand die deutsche Besatzungsverwaltung unversehens vor der Aufgabe, die jüdische Ghettobevölkerung zu versorgen. Durch Zwangsarbeit sollten die Juden ihr Überleben selbst finanzieren. Alberti zeigt, wie diese Politik an der Habgier zahlreicher deutscher Besatzungsinstanzen scheiterte, die sich aus den Erträgen bedienten und nicht daran interessiert waren, für eine ökonomische Bilanz der Ghettos zu sorgen. Eine Verbesserung der Lebensmittelrationen, um dem grassierenden Hungertod in den Ghettos zu begegnen und die mindestkörperliche Arbeitsleistung zu erhalten, kam für sie schon gar nicht in Frage. Im Gegenteil, mit dem zynischen Argument der Kostenminimierung und der Abwehr von Seuchengefahr ließ sich die Forderung begründen, die "arbeitsunfähigen" Juden zu töten.

Als im September 1941 Hitler entschied, dass auch die deutschen Juden deportiert werden sollten, wurden in das - wie die Nationalsozialisten es nannten - Ghetto Litzmannstadt innerhalb kürzester Zeit über zwanzigtausend Menschen zusätzlich gezwängt. Damals fiel die Entscheidung zum Massenmord nicht in der Berliner Zentrale, sondern auf Initiative der deutschen Instanzen im Wartheland. Anfang Dezember begannen in Chelmno die Ermordungen jüdischer Menschen mit Hilfe von Gaswagen. Allein in Chelmno wurden mindestens 150 000 Menschen ermordet; von den 435 000 Juden des Warthelands überlebten nur etwa 12 000.

Albertis Buch ist spröde, aber wichtig, weil es die neuen wissenschaftlichen Hypothesen über den Entscheidungsprozess der "Endlösung", der demnach weder auf Befehl Hitlers noch durch das Chaos rivalisierender NS-Instanzen in Gang kam, sondern sich in einem ständigen Wechselspiel zwischen strategischen Planungen in Berlin und Initiativen von der Peripherie entwickelte, empirisch eindrucksvoll untermauert. Es sind solche Regionalstudien - wie die von Dieter Pohl, Thomas Sandkühler, Christian Gerlach und nun auch von Michael Alberti -, die unser Wissen um die Radikalisierung zum Massenmord entscheidend erweitern.

MICHAEL WILDT

Michael Alberti: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939-1945. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2006. 576 S., 48,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Albertis Studie über die Judenverfolgung und Vernichtung im von den Deutschen besetzten Polen schließt laut Rezensent Michael Wildt eine Lücke. Während über die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten insgesamt schon viel gearbeitet worden sei, seien Detailstudien einzelner Regionen wie hier dem von den Nazis so genannten Reichsgau Wartheland vor allem jenseits der großen Städte immer noch ein Desiderat der Forschung, so der Rezensent. Der Autor konzentriere sich in seiner Arbeit auf die deutschen Täter, deren Handlungsmotive er zu ergründen suche, und er könne zeigen, wie es erst im Hin und Her zwischen den Weisungen aus Berlin und den Entscheidungen der deutschen Besetzer vor Ort zu dem Massenmord kam, dem nur 12.000 der 435.000 dort lebenden Juden entgingen, erklärt der Rezensent. Wildt zeigt sich von der Genauigkeit und der durch empirisches Material nachgezeichneten Darstellung des monströsen Vorhabens der Nazis, innerhalb kurzer Zeit eine Millionen Menschen aus dem Gebiet zu vertreiben, sehr beeindruckt und findet, dass die Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Planung und Umsetzung des nationalsozialistischen Massenmords leistet.

© Perlentaucher Medien GmbH